Sind das meine Hände?

22. März 2024. Seit 40 Jahren begibt sich das Performancekollektiv Forced Entertainment auf Erfahrungstrips durch die Entwicklungen unserer Zeit. Während es zuletzt eine Arbeit ohne Worte zeigte, ist die Stimme jetzt wieder da, allerdings computergeneriert. Zu erleben sind interessante Text-Bild-Scheren.

Von Sarah Heppekausen

"Signal to Noise" von und mit Forced Entertainment auf PACT Zollverein in Essen © Hugo Glendinning

22. März 2024. Am Bühnenrand stehen die Kleiderständer, mit den Glitzershirts und Hosenanzügen, mit den Hemden und Perücken. Permanent ziehen sich die Performer*innen um, probieren andere Kleider für ein neues Spiel. Und sie verschieben die Tische, tragen die Stühle, setzen die Topfpflanzen um, verrücken so die Szene. Es ist ein bekanntes Bild bei Forced Entertainment. Die Wahrnehmung des Regisseurs der britischen Performancegruppe, Tim Etchells, richtet sich aufs menschliche Miteinander. Er beobachtet auch das Ensemble dabei, wie es sich auf Auftritte vorbereitet. Also gehört auch dieser Akt mit auf die Bühne, wenn sie das Publikum ihrer Welterkundung aussetzen.

Anstrengend, lustig, listig, melancholisch

Denn das ist es eigentlich, was sie seit mittlerweile 40 Jahren tun: Sie begeben sich auf Erfahrungstrips, und wir mit ihnen. Das darf dann auch mal anstrengend sein, auch lustig, listig oder melancholisch. 1984 gründete sich Forced Entertainment; eine Gruppe ehemaliger Studierender, die sich im nordenglischen Sheffield zusammenfand. Tim Etchells, Robin Arthur, Richard Lowdon, Claire Marshall, Cathy Naden und Terry O'Connor bilden den Kern der Gruppe, seit Beginn an. Als Performance-Pioniere bereisen sie die Welt, waren beim Berliner Theatertreffen und haben 2016 den Ibsen Award verliehen bekommen. Die Uraufführung ihrer neuen Arbeit "Signal to Noise" zeigen sie – wie schon so viele ihrer Performances – bei PACT Zollverein in Essen.

SignalToNoise 3 HugoGlendinningAkt der Welterkundung: Forced Entertainment in Bühnen-Aktion © Hugo Glendinning

Vor ziemlich genau zwei Jahren präsentierte die Gruppe ebenda mit "Under Bright Light" eine Arbeit ganz ohne Worte – diese Geschichtenerzähler*innen ("And On The Thousandth Night") und Fragenstellenden ("Quizoola!"). Vielleicht war diese Sprachlosigkeit ihre Antwort auf die Entwicklungen und Krisen unserer Zeit. Diesmal ist die Sprache wieder da, allerdings computergeneriert. Also erst einmal Mikrofon-Checks – per Lip Sync."One, two, three – is the microphone on?" Nicht einmal, unzählige Male und immer wieder.

Auch Wiederholungen gehören zum festen Forced-Entertainment-Repertoire. Aber diesmal bedeuten sie auch ständige Selbstvergewisserung."Ist das meine Stimme? Sind das meine Worte? Sind das meine Hände?" In einer Welt, in der die KI immer mehr unserer Aufgaben übernimmt, sind diese Fragen mehr als berechtigt. Und wenn die Performer*innen dazu dann ihre langen Perückenhaare aus dem Gesicht werfen, wenn sie die Stimmen wie die Mikrofone tauschen, wenn sie währenddessen anlasslos auf eine Leiter steigen, dann ist das absurd, charmant und witzig. Es ist ihre lässige Ernsthaftigkeit, mit der die Performenden seit jeher agieren, ihre Ernsthaftigkeit in der Absurdität, die amüsiert und ab und an erschüttert.

Aufploppende Fundstücke

Eingespielte Sitcom-Lacher und Applaus vom Band sind das Sound-Rauschen im Hintergrund. An der Bühnenrückwand funkelt eine Glühlampen-Lichtorgel. Und wie in einer Late-Night-Show sitzt Seke Chimutengwende, der das Ensemble ergänzt, einmal am Tisch und schwingt wild die Arme, während die anderen Flaschen, Eimer, Pfanne und Pflanzen und wieder Eimer vor ihm positionieren. Bewegungen in Dauerschleife, eine Atmosphäre der Rastlosigkeit.

Und Sätze, die in den Raum geworfen werden wie aufploppende Fundstücke:"I feel crazy tonight… People should dance more" oder"Look at the stars" oder"I can’t concentrate, I can’t remember". Sie kollidieren mit den tanzenden, trippelnden, gestikulierenden, erschöpften Körpern. Lauter Text-Bild-Scheren, die uns umschwirren, ermüden, überraschen. Bis zur Übersteuerung, bis zur Stotter-Stimme, bis zum Körper-Kurzschluss.

Zwischen Körperlichkeit und Künstlichkeit

Fremdbestimmte sind das auf der Forced-Entertainment-Bühne. Der Mensch an der Grenze zwischen Körperlichkeit und Künstlichkeit. Wie immer wird hier nichts dramatisiert. Es ist vielmehr ein Experiment, dem wir zuschauen: Was macht der Körper, wenn die Stimme, wenn die Gedanken vorgegeben sind? Oder besser gesagt: Was machen diese Forced-Entertainment-Körper? Sie spielen weiter, sie ziehen sich Kostüme an, sie räumen die Bühne auf. Das ist doch beruhigend.

 

Signal to Noise
von Forced Entertainment
Konzeption: Forced Entertainment, Regie: Tim Etchells, Dramaturgie: Tyrone Huggins, Lichtdesign: Nigel Edwards, Sounddesign: Tim Etchells.
Entwicklung & Performance: Robin Arthur, Seke Chimutengwende, Richard Lowdon, Claire Marshall, Cathy Naden, Terry O’Connor.
Premiere am 21. März 2024
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.pact-zollverein.de

Kritikenrundschau

"Nervtötend, schrill und beliebig" wirkt diese nervtötende repetitive Meditation über das Wesen des Menschen, der in der digitalen Welt selbst zum Meme, zum duplizierbaren Ersatzteil geworden ist", berichtet Dorothea Marcus im Deutschlandfunk (23.3.24). Und doch, wie immer bei Forced Entertainment, scheine dahinter "eine große Düsterkeit, Melancholie und Verlorenheit auf, über die am Ende nur hilft, beherzt zu lachen", urteilt die Kritikerin. "Vielleicht ist dies das Störgeräusch, das ´Signal to Noise` meint."

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