Richard III. - Ulrich Greb besetzt Shakespeares Bösewicht im Schlosstheater Moers mit einer Frau und fuhrwerkt mit knalliger Gewaltkomik
Abgemurkst und trockengeschleudert
von Gerhard Preußer
Moers 4. Februar 2016. Wenn eine Frau sich reckt und sagt: "Ich bin ein gut gebauter Mann", dann sieht man doch schon, dass das gelogen ist. Lüge, Verstellung, Schein, Imitation – das ist das Wesen Richards III. bei Shakespeare. Dass er eine Frau ist, die ganz männlich tut, die Hände in die Hosentaschen wühlt, die Hosenträger knallen lässt, das passt da gut. Im Moerser Schlosstheater spielt Marissa Möller diesen Richard und es ist nicht nur ein Besetzungscoup wie so oft. Es gibt dem Abend einen eigenen Antrieb. Sie spielt einen Schauspieler, der einen Menschen spielt, der sich verstellt: Imitation einer Imitation einer Imitation. Sie ist so wenig behindert, wie sie männlich ist. Sie turnt uns vor und ruft noch im Handstand triumphierend immer wieder jubelnd "Ich bin böse!". Damit hat sie ihre Rolle gefunden.
Da hilft keine Psychologie
Wie Richard die schöne Anne dazu bringt, ihn, den Mörder ihres Mannes, zu heiraten, war schon immer die rätselhafteste, die kühnste Szene des Stücks. In Moers wirbt das kleine Irrwisch-Frauchen Richard um einen riesigen Anne-Mann. Da hilft keine Psychologie. Da hilft nur dreiste Behauptung. Richard setzt sich einen Dolch an die Kehle, ritzt sich eine rote Blutschnur in den Hals und piepst leise und weiblich spitz "Au". Das Publikum lacht kurz auf, weil es ja die trügerische Fassade der männlichen Verliebtheit zur Genüge schon durchschaut hat.
Alle Rollen neben Richard werden hier von nur vier Männern (Patrick Dollar, Matthias Heße, Holger Stolz und Frank Winkermann) gespielt. Bei den weiblichen Nebenrollen wirkt die Geschlechterverkehrung bloß als Travestie-Klamauk. Darüber hinaus bietet die Inszenierung des Mörser Intendanten Ulrich Greb auch nur knallige Gewaltkomik.
Hinten in der Bühnenmitte thront eine große Waschmaschine (Bühne: Birgit Angele). Sie ist Auftrittsgasse und Abtrittstor. Der Tod, das ist die Waschmaschine, die alles Blut zu rotem Wasser macht und anderen vor die Füße schwemmt. Wann immer einer abgemurkst wird – und da ist oft – wird er zum Jenseitsloch geschleift, durchgedreht und trockengeschleudert. Das blutige Wasser kommt dann kurz darauf in der Mitte der gekachelten schrägen Scheibe, die die Spielfläche bildet, sprudelnd wieder heraus und läuft den Figuren um die Füße, bis es vor den Zuschauerreihen am Ende knöchelhoch schwappt.
Komische Tode
Man kann studieren, welche Möglichkeiten es gibt, Tode komisch zu machen: Clarence, der Bruder Richards, wird von zwei gedungenen Mördern im Tower langwierig, mühsam und blutspritzend abgestochen. Nichts ist lustiger als ein Opfer, das sich zu sterben weigert. Ein kranker König, Edward IV., furzt sich zu Tode. Wenn Hastings von Richard ausgeschaltet werden soll, kommt sein Gehilfe Catesby mit der Flex und ab ist der Kopf. Der Bürgermeister Londons betrachtet den abgeschlagenen Kopf mit großem Interesse, ist er doch ihm selbst nachgebildet, da der Schauspieler beide Rollen spielt. Das Publikum darf die Bürger Londons spielen, die zuerst nur schweigen, dann aber jubelt Moers heute ganz aufs Geheiß wie London damals. Buckingham, lange der engste Vertraute Richards, hat die Ehre eingeseift zu werden, bevor er schaumbedeckt in die große Reinigungstrommel des Todes gesteckt wird.
Am Rande der Bühne, neben der schrägen Weltscheibe, stehen Metallspinde: für jede Figur des Stückes eine, namentlich gekennzeichnet, daraus treten sie manchmal auch selbst auf, benutzen sie als Umkleidekabinen oder Verstecke. Im zweiten Teil des dreistündigen Abends aber löst sich auch diese Struktur auf. Die Scherze werden gröber. Der Mörder Tyrell apportiert als Hund auf allen vieren die zwei blutigen Herzen der ermordeten Kinder König Edwards IV. Catesby zieht sich die Gedärme selbst aus dem Bauch. Kämpfe in Zeitlupe, pathetische Filmmusik. Dann kommt Richards letzter Monolog der Selbsterkenntnis vor der Schlacht, der Höhepunkt von Shakespeare Charakterzeichnung. Statt der Entstehung des Selbstbewusstseins aus dem Verbrechen sieht man hier aber nur einen irren Egomanen. Der Schluss ist zynische Parodie: Richmonds Mannen kriechen zu lustiger Musik aus der Waschmaschine als adrette Anzugsträger und rappen händchenwinkend "Der Krieg ist aus". Dann kommt Richmond – und ihn spielt dieselbe Schauspielerin wie Richard. Im gleichen Tonfall wie sein Gegner schäft uns nun Richmond seine Machtbeschwörungsformel ein: "Es lebe Richmond, Englands König."
Alle Macht ist hier nur Theater und Wiederkehr des Immergleichen. Dabei ist Shakespeares "Richard III." auch ein Lehrstück darüber, dass Gewalt keine Macht schaffen kann.
Richard III.
von William Shakespeare
Übersetzung von Rainer Iwersen
Regie: Ulrich Greb, Bühne: Birgit Angele, Kostüme: Michaela Springer, Dramaturgie: Georg Mellert.
Mit: Marissa Möller, Patrick Dollas, Matthias Heße, Holger Stolz, Frank Wickermann.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
www.schlosstheater-moers.de
Ulrich Grebs Inszenierung Biedermann und die Brandstifter (Premiere: September 2015) wurde jüngst für das nachtkritik-Theatertreffen 2016 nominiert.
"Ulrich Greb schafft eine Atmosphäre, in der man zwischen Lachen, Schenkelklopfer und Angewidertsein gefangen ist", schreibt Anja Katzke in der Rheinischen Post (5.2.2016). Marissa Möller als Richard sorge für die schauspielerischen Lichtblicke. "Alles in allem darf man sagen: Dieser 'Richard III.' ist ganz schön abgefahren", so Katzke: "Aber das passt ja gut in die Karnevalszeit."
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