Ein Thron aus Leibern

21. Oktober 2023. Ein-Mann-Show oder doch ein Duett zwischen Schauspieler und Livemusiker? Roger Vontobel inszeniert Shakespeares Story über ein grotesk misslingendes Kapitalverbrechen konsequent als Schauermärchen, das nach der Premiere bei den Ruhrfestspielen jetzt an den Bühnen Bern läuft. Mit imposanter Hexen-Präsenz.

Von Martin Krumbholz

Macbeth bei den Ruhrfestspiele Recklinghausen in der Regie von Roger Vontobel © Iko Freese

9. Juni 2023. Neuerdings wird ja bei jeder zweiten Premiere zum Klatschen aufgesprungen. Ob pure kindliche Begeisterungsfähigkeit dahinter steckt oder nur wilde Entschlossenheit zur bedingungslosen Affirmation, wer weiß das schon? Bleibt man trotzig sitzen, wird man bald als Ketzer oder Kunstverächter verdächtigt, außerdem sieht man dann nur noch die Gesäße fremder Leute. Man hat fast keine Wahl: Herdenzwang.

Werner Wölbern ist der Star des Abends

Auch bei der Recklinghäuser Festspielpremiere des "Macbeth" aus Bern wurde zum Klatschen aufgesprungen, und nicht etwa zögernd, sondern eher in der Art, wie sie einst die Beach Boys besangen: Catch a wave! War dies also ein großartiger, mitreißender, unübertrefflicher "Macbeth", wie es die stehenden Ovationen nahelegen? Nicht ganz. Es war, um das Ergebnis ausnahmsweise vorwegzunehmen, ein ordentlicher, solider, ansprechender "Macbeth", nicht mehr und nicht weniger.

Regisseur Roger Vontobel muss sich vorhalten lassen, dass man letztlich nicht genau weiß, worauf er hinaus will. Das unter Mitwirkung der Anglistin Elisabeth Bronfen entstandene Programmheft legt nahe, er interessiere sich für den historischen und ideengeschichtlichen Hintergrund des Stücks, davon kann aber keine Rede sein. Vontobel erzählt einfach das Schauermärchen, so wie es sich auf den ersten Blick eben darstellt. Werner Wölbern ist unbestritten der Star des Abends, was angesichts der Textmasse, die der Protagonist zu stemmen hat, auch plausibel ist. In gewisser Weise ist "Macbeth" eine Ein-Mann-Show, oder an diesem Abend ein Duett zwischen Macbeth und dem Livemusiker Keith O’Brian, dessen Synthesizer- und Gitarrencluster den Abend entscheidend temperieren.

Macbeth1 805 IkoFreeseDüsteres Duett: Claudius Körber, Wener Woelbern © Iko Freese

Aber wie, bitte, tendiert dieser Mann oder das Ganze? Heimlich zur Komödie? Neben etlichem anderen ist "Macbeth" ja die Geschichte eines grotesk misslingenden Kapitalverbrechens und so gesehen ein Vorläufer des modernen Anarchothrillers à la "Fargo" von den Coen-Brüdern (1996): Zwar gelingt es dem Helden, den schlafenden König Duncan "abzutun" (wie es in der Fassung von Tieck/Bronfen so schön heißt), aber in seiner Panik nimmt er die beiden Dolche mit, statt sie den Dienern in die Hände zu drücken. Der Tölpel, der den Mitwisser Banquo "abtun" soll, lässt dessen Sohn Fleance entkommen. Beim Bankett hat der Schurke einen "Anfall" und glaubt den toten Banquo auf seinem Platz sitzen zu sehen. Am Schluss wird er von einem wandernden Wald in die Zange genommen und von einem Mann geköpft, der per Kaiserschnitt auf die Welt kam und also von "keinem Weib geboren wurde", wie es die Hexen prophezeiten.

Die Hexen klammern

Doch: Vontobels Inszenierung ist (anders als Johan Simons' jüngste Version im benachbarten Bochum) nicht strukturell komisch. Auf einer anfangs mit Torf oder Asche belegten Drehscheibe, die von einer Scheinwerferbatterie punktuell illuminiert wird (Bühne: Fabian Wendling), spielt sich das Drama konsequent düster und unheimlich ab, ohne Zwischentöne. Die Hexen (das sind auch schon mal fünf) sind oft präsent: schwarze, bewegliche, schwer fassbare Gestalten. Ihre Hände umklammern immer wieder den Rand der Scheibe.

Macbeth2 805 IkoFreeseEinige machen sich die Hände schmutzig: Werner Woelbern, Susanne-Marie Wrage © Iko Freese

Gelegentlich schleichen sich handwerkliche Schnitzer ein. König Duncan verpasst seinem Günstling Macbeth zur Begrüßung den weißen Abdruck seiner Hände, wie ein vorweggenommenes Kainszeichen. Doch Lady Macbeth (Susanne-Marie Wrage) nimmt das Zeichen in der anschließenden Szene gar nicht zur Kenntnis, obwohl es unübersehbar ist. Regieeinfälle haben Konsequenzen, sonst sind sie fragwürdig. Überhaupt ist die Lady ein wenig unterbewertet, obwohl sie fast so tolle Sätze hat wie ihr Kompagnon: "Schlafende und Tote sind Bilder nur." Sie hätte, sagt sie, den Alten selbst umgebracht, sähe er nicht ihrem Vater so ähnlich.

Trübe Erotik

Was sich zwischen den Eheleuten abspielt, vielleicht sogar an Erotik, bleibt trüb; zu sehr liegt der Fokus auf dem männlichen Helden. Wölbern meistert das, ohne Frage. Wenn gegen Ende der Wald von Birnam auf ihn zukommt, drückt man ihm ein riesengroßes Schwert in die Hand, aber er lässt es schlaff hängen. Doch im letzten Bild, da ist er schon tot und liegt auf einem Thron aus Leibern, reckt er sein Haupt noch einmal in die Höhe. Und dann hält es die Leute nicht mehr auf ihren Plätzen im schönen Festspielhaus.

Macbeth
Von William Shakespeare, Deutsch von Dorothea Tieck, in einer Fassung von Elisabeth Bronfen
Regie: Roger Vontobel, Bühne: Fabian Wendling, Kostüme: Ellen Hofmann, Livemusik: Keith O‘Brian, Licht: Christian Aufderstroth, Dramaturgie: Felicitas Zürcher, Wissenschaftliche Beratung: Elisabeth Bronfen.
Mit: Werner Wölbern, Susanne-Marie Wrage, Claudius Körber, Stéphane Maeder, Lucia Katikova, Linus Schütz, Kilian Land, Yohanna Schwertfeger, Yori Vontobel.
Premiere am 8. Juni 2023 bei den Ruhrfestspielen
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
Koproduktion Bühnen Bern / Ruhrfestspiele

www.ruhrfestspiele.de

 

Kritikenrundschau

Einen "ebenso packenden wie kompakten Abend" hat Alexander Menden erlebt, wie er in der Süddeutschen Zeitung (10.6.2023) schreibt. In dieser Welt könne anscheinend nichts gut werden, wenn man nicht selbst endlich tot sei. Bei Werner Wölberns Macbeth fehle folgerichtig das letzte Aufbäumen. "Ja, es ist ein finsteres Stück, und eine ebenso finstere Inszenierung. Aber auch eine sehr überzeugende, die den frenetischen Premierenapplaus mehr als verdient hat."

"Besser geht's nicht", jubelt Bettina Jäger in den Ruhr Nachrichten (10.6.2023). "Ein Horror wie aus Hollywood." Das "wahre Wunder dieser Wahnsinns-Inszenierung" sei ihr Minimalismus: weiße Farbe für den vorherigen König, rote Farbe fürs Blut, schwarze Farbe für das Böse, das dem Auftragskiller Lennox aus dem Mund quelle. "Der Abend ist ein Blick in die Hölle, brutal, gemein, unheimlich und doch extrem feinnervig inszeniert und gespielt, so wie der live gespielte Klangteppich von Keith O´Brian einem meistens die Gänsehaut über den Rücken treibt, dann aber wieder zarten Gesang untermalt."

Angetan wirkt auch Jens Dirksen in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (10.6.2023) von diesem "Macbeth", der im Zeichen der Live-Musik von Keith O' Brian stehe – der Trend gehe offenbar zur Rockoper. In "der gekonnt verknappten Spielfassung" fehle es nicht an guten Regie-Einfällen. Das Schlussbild gelinge Vontobel beunruhigend fremd: "Während Macbeths Nachfolger allesamt zur Seite umsinken, erhebt sich der tote Macbeth: ein Wiedergänger der Macht."

 

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