Das Leben ein Traum - Theater Magdeburg
"Bleibt menschlich, macht Fehler!"
10. September 2022. "Game of Thrones", Monty Python, ein bisschen "Stranger Things" und noch viel mehr: Aus den barocken Albernheiten und Andeutungen des spanischen Dramatikers Pedro Calderón macht das neue Dreier-Leitungsteam in Magdeburg eine fulminante Bühnenshow. Mit Leichtigkeit und Hintersinn werden die großen Daseinsfragen ins Hier und Jetzt geholt – samt mimischen Vulkanausbrüchen.
Von Matthias Schmidt

10. September 2022. Wortspiele mit "Traum" verbieten sich. Dafür war der Abend viel zu gut. Der Generalintendant des Theaters Magdeburg hatte in seinen Begrüßungsworten im Foyer des Schauspielhauses die Latte sehr hoch gelegt. Dieses Stück, so Julian Chavaz, sei der Beweis, dass Theater mächtiger als alles andere sein kann. Zwei Stunden später wollte man ihm glauben. Der Neustart am Schauspiel mit dem Dreier-Leitungsteam Clara Weyde (zugleich Regie), Bastian Lomsché (zugleich Stückfassung und Dramaturgie) und Clemens Leander (zugleich Kostüme) darf, ja er muss, fulminant genannt werden.
Game of Thrones trifft Monty Python
Als sei nichts leichter als das, findet die Inszenierung ihre zugleich urkomische und doch sehr ernsthafte Ansprechhaltung und holt den barocken Brocken, ohne ihn in einer konkreten Zeit anzusiedeln, ins Hier und Jetzt. Aus Sigismund, dem im Turm versteckten Sohn Basilios, wird eine KI im Körper eines Homunculus – im Wasser stehend, in einem Kegel aus Licht und Nebel, von mystischer Musik umwabert. Der Auftritt des Hofstaates – die Kostüme irgendwo zwischen Kabuki und Fantasy – ist eine Choreografie aus Pathos und Parodie. Mit heiligem Ernst erscheinen sie, um dann – beispielsweise – gemeinsam Blockflöte zu spielen. Game of Thrones trifft Monty Python.
Die Haupt- und Nebenhandlungen des Calderon-Textes gehen darin dennoch nicht verloren. Sie laufen mit: Rosaura stellt Astolfo nach, der wiederum Estrella heiraten und den Thron besteigen möchte. Alles da, und wie! Marie-Joelle Blazejewski als Rosaura und Philipp Kronenberg als Clarin sind mimische Vulkanausbrüche. Iris Albrecht als König Basilio ist mal agile Komödiantin, mal gebeugte Denkerin im Gewand des alten Herrschers.
KI im Körper eines Homunculus: Anton Andreew @ Kerstin Schomburg
Was die Inszenierung auszeichnet, ist die Leichtigkeit, mit der sie dem Calderon Einschübe verpasst: gemeinsam mit seiner Rechten Hand erfindet Basilio – im wahrsten Sinne umwerfend spielend – den Kreisverkehr, weil "einfach zu viele Kutschen auf den Straßen sind". Die Unbotsamen hinrichten ist hingegen gerade schlecht: "Der Henker ist in Elternzeit." Klingt nach Klamauk? Ist es. Aber mit Hintersinn. Kleine Trigger, überall. Auch als Basilio seine Schöpfung Sigismund zum König auf Probe bestellt und dieser, mehr Maschine als Mensch, die Probleme im Land mit bürokratischen Begriffen wie "Heizkostenpreiseexplosion" beschreibt. Erinnert an die – kein Scherz – "Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung (EnSikuMaV)" der Bundesregierung.
Was heißt es, ein Mensch zu sein?
Kunst hingegen findet dieser KI-Sigismund nutzlos: Macht keinen satt, verjagt keinen Feind. Theatermacher-Ironie, natürlich. Und der Gewaltausbruch, der zu Sigismunds Scheitern als guter König führt, er ist ein Zitat aus "Stranger Things". Wie Elfi kann er telepathisch töten.
Klingt oberflächlich? Poppig? Ist es nicht. Denn all das ordnet sich einer letztlich strengen Form unter. Nie herrscht Chaos auf der Bühne, immer Ordnung. Nichts ist umgangssprachlich hingerotzt, alles hat den Rhythmus und vieles die Verse eines klassischen Theatertextes. Selbst Estrellas nächtlicher Gang auf die Toilette, genau genommen nicht der Gang, sondern der Stuhlgang an sich, wird für ein Zitat aus dem Werk eines unbekannten Meisterdichters genutzt: "Dunkel war's, der Mond schien helle". Immer wieder scheint zwischen den Albernheiten, den Ablenkungen, den Andeutungen das Drama hervor. Das der jungen Generation, die aufbegehrt gegen die alte, die diktieren will, wie sie zu leben hat. Das der Frauen, denen ein Rollenverhalten aufgezwungen wird. Und nicht zuletzt das ganz große Drama: Was heißt es eigentlich, ein Mensch zu sein? Bei Calderon und mehr noch: heute.
Rhythmus und Ordnung auf der Bühne: Lorenz Krieger, Philipp Kronenberg, Julia Buchmann, Mansur Ajang, Marie-Joelle Blazejewski © Kerstin Schomburg
Obwohl man lange, im Grunde bis zum Schluss nicht weiß, worauf genau der Abend hinausläuft, ist es eine Freude, ihm zu folgen. Vielleicht ist das seine eigentliche Qualität: dass er keine plakative Botschaft preisgibt. Selbst als Calderons Philosophieren um das Leben und das Träumen gegen Ende übermächtig zu werden drohen – ja, Leben ist Träumen und, ja, nur ein Traum ist unser Leben – kriegt die Inszenierung noch einmal die Kurve zu ihrer kongenialen Mischung aus Ernst und Humor.
Die Zeit der Monster ist angebrochen
Kalendersprüche und Bauernregeln werden zwischen die das Heute so düster wie treffend beschreibenden Stück-Weisheiten gestreut. Selbst wenn "die Welt, die uns umgibt, so seltsam" ist, "die alte Welt im Sterben liegt" und "die Zeit der Monster" längst angebrochen ist, und so scheint es ja zu sein, bleibt Zeit für ein Lachen.
Schließlich steht Anton Andreew als KI-basierter Universalkünstler an der Rampe, preist den technischen Fortschritt ebenso wie die Kunst und das Publikum, und so recht weiß man nicht, was das eigentlich bedeuten soll. (Außer bei seiner eindringlichen Bitte ans Publikum, "bleibt menschlich, macht Fehler!") Aber verdammt klug und ernst und komisch und gut ist es. Ein Traum!
Das Leben ein Traum
Schauspiel nach Pedro Calderón de la Barca in einer Fassung von Clara Weyde und Bastian Lomsché
Regie: Clara Weyde, Bühne: Sabine Kohlstedt, Kostüme: Clemens Leander, Musik: Thomas Leboeg, Animation: House of Creatures. Dramaturgie: Bastian Lomsché.
Mit: Iris Albrecht, Mansur Ajang, Anton Andreew, Marie-Joelle Blazejewski, Julia Buchmann, Lorenz Krieger, Philipp Kronenberg, Michael Ruchter.
Premiere am 9. September 2022
Dauer: 2 Stunden 10 Minuten, keine Pause
www.theater-magdeburg.de
Kritikenrundschau
Eine neue Ära hätte am Magdeburger Theater begonnen, schreibt Gisela Begrich in der Magdeburger Volksstimme (12.9.2022). Die Aufführung falle auf mit "einem gekonnten Wechsel von Tempi und Lautstärke. Nach grellen Ausbrüchen wagt man Phasen der Stille, die der Geschichte große Eindringlichkeit geben." Außerdem stände der Regisseurin ein "gut eingespieltes wandlungsfähiges Ensemble zur Verfügung".
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