Die Revolution muss aufhören

8. September 2023. In der Fassung von Mahin Sadri und Amir Reza Koohestani finden das Beziehungsgeflecht einer französischen Theatertruppe und die aktuelle iranische Menschenrechtsbewegung Platz in Georg Büchners Revolutions-Stück. Als Kooperation mit dem Hamburger Thalia-Theater wurde ihre Adaption in Weimar uraufgeführt.

Von Harald Raab

Stefan Stern (Danton) und Pauline Rénevier (Camille) in "Dantons Tod Reloaded" © Krafft Angerer

8. September 2023. Was wir in dieser "Reloaded"-Fassung des Klassikers von Georg Büchner zu sehen bekommen, ist ein Theater im Theater: Die Gastspiel-Premiere von Büchners "Dantons Tod" in Paris ist vorbei. Die Truppe hängt in einer Bar ab. Danach hat der Haussegen bei Danton arg Schlagseite. Beziehungsweise dem Schauspieler, der den Revolutionsheros mimt. Zoff mit Camille, der hier eine Frau, die Geliebte, und obendrein die Tochter des Robespierre-Darstellers ist. Die übliche Beziehungskiste über Lügen, Besoffensein und Ängsten, den Job zu verlieren.

Mittenhinein in dieses Alltagselend am Theater die kraftvoll-klaren Original-Dialoge und Monologe wie der Klassiker von Danton: "Wir müssten die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren." Oder "Ich liebe dich wie das Grab. (. . .) Die Leute sagen, im Grab sei Ruhe, und Grab und Ruhe seien eins. Wenn das ist, lieg ich in deinem Schoß schon unter der Erde. Du süßes Grab . . ." 

Fünf Theater-Revolutionäre 

Im aktuellen Teil häufen sich Schlichtsätze von Twitter-Aufgeregtheit in Flachkonversation. Man lechzt gleich wieder nach Büchners hochpoetischer Sprachfeuerwerk voll funkelnder Gedanken – und bekommt auch eine tüchtige Portion davon serviert, vor allem gegen Schluss das todessüchtige Philosophieren, mit dem sich die Delinquenten vor der Fahrt auf dem Henkerkarren zur Guillotine die kreatürliche Angst verscheuchen wollen. Jeder spielt noch einmal seinen Part. Melancholie, bevor es aus ist. 

Dantons Tod Reloaded 410 c Krafft AngererNeda Rahmanian (Lucile), Mahin Sadri (Marion) © Krafft Angerer

Von den 30 Rollen aus Büchners Stück sind in der Fassung von Mahin Sadri und Amir Reza Koohestani sechs geblieben. Jenseits der Theatertruppe konfrontiert Marion uns in einem Handy-Chat in Farsi mit dem Terror gegen Frauen im Iran. Einblicke in eine Revolution von heute. Ansonsten: Verstrickte Beziehungen allenthalben. Lucile dated Camille, die sie nicht über ihren Hang auch zu Männern informiert hat. Weiteres Krachpotential also. Bei der Premierenfeier soll es außerdem zu einer sexuellen Übergriffigkeit gekommen sein. Dantons Hand auf dem Knie einer Hospitantin. Me-too-Aufreger in Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit. 

Die Republik muss anfangen

Das Stück kann nach der Premiere nur am Wochenende und nicht an Werktagen aufgeführt werden, weil die Bühnentechniker streiken und überhaupt die renitenten Franzosen immerfort und überall blockieren und die Arbeit niederlegen. Die Truppe palavert darüber – mitmachen, solidarisch sein oder auftreten? Dann geht's ans Eingemachte. Einer Schauspielerin des Ensembles soll gekündigt werden. Wo bleibt da die Solidarität der Kollegen? Auf 300 Euro Gage verzichten, um der jungen Frau das Engagement zu retten? 

Im dramatischen Gesamtkonzept macht die mit Büchners Text eng verzahnte Geschichte erstaunlicherweise Sinn. Sie bricht die Melodramatik des Originals, schafft Distanz, reduziert auf Wesentliches, lässt umso mehr seine Aktualität aufleuchten. Und sie ersetzt Leerstellen, die durch gebotene Kürzungen entstünden. So glüht der Feuerofen der Revolution mit seiner Infamie des Tugendterrors, wird die existenzielle Bedrohung derer fühlbar, die dem Morden Einhalt gebieten wollen: "Die Revolution muss aufhören und die Republik muss anfangen."

Dantons Tod Reloaded 410 c Krafft AngererDas Ensemble von "Dantons Tod Reloaded" als Schatten-Schemen © Krafft Angerer

Was fehlt, ist die große Skepsis Büchners gegenüber dem Volk, dem zum Götzen stilisierten Souverän. Es ist Knetmasse in den Händen der Populisten aller Zeiten. Wenn es schon kein Brot gibt, wird es eben mit blutigen Kopf-ab-Spielen gefüttert und bekommt seine Feindbilder, an denen man sich abreagieren kann. Heute so aktuell wie damals.

Minimalistisches Bühnenbild

Dass der Textmix das Publikum nicht desperat im leeren Phantasieraum zurücklässt, ist vor allem der intelligenten Regie von Amir Reza Koohestani zu verdanken. Gleichermaßen den starken darstellerischen Leistungen und der souveränen Sprachvirtuosität von Stefan Stern (Danton), Oliver Mallison (Robespierres), Pauline Rénevier (Camille), Toini Ruhnke (St. Just), Neda Rahmanian (Lucile) und Koohestanis Ko-Autorin Mahin Sadri (Marion).

Im Verbund mit einem minimalistisch genialen Bühnenbild – eigentlich nur sechs immer wieder neu arrangierte Spiegel – von Mitra Nadjmabadi und der funktionalen Videoarbeit von Phillip Hohenwarter: Besonders das Schlussbild fasziniert, wenn zum scharfen Geräusch des niedersausenden Fallbeils in rotes und weißes Licht getaucht ein Abgesang auf die Revolution erklingt mit ihrer zerborstenen Hoffnung auf mehr Menschlichkeit in dieser Welt des Chaos.

Dantons Tod Reloaded
nach Georg Büchner von Mahin Sadri und Amir Reza Koohestani
Regie: Amir Reza Koohestani, Bühne: Mitra Nadjmabadi, Kostüme: Natasha Jenkins, Video: Phillip Hohenwarter, Musik: Matthias Peyker, Dramaturgie: Susanne Meister.
Mit: Stefan Stern, Oliver Mallison, Pauline Rénevier, Toini Ruhnke, Neda Rahmanian, Mahin Sadri.
Premiere am 7. September 2023
Kooperation Thalia Theater Hamburg und Kunstfest Weimar
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.kunstfest-weimar.de

 Kritikenrundschau

"Koohestani weiß um das historische Gefälle und die vergleichsweise Belanglosigkeit heutiger Erregungsroutinen", findet Eberhard Spreng im Deutschlandfunk (8.9.2023). "Hier wird ein historischer Hallraum geöffnet, in dem vor allem die Gott sei Dank zahlreichen Büchnerzitate wie Sprachmonumente der existentiellen Verlorenheit herausstechen, unter ihnen frühe Dokumente der Fusion von Eros und Todessehnsucht." In all die europäischen Konflikträume zwischen Klassen, Sex und Gender strahlten wie von einem ferner Planeten Bilder aus dem Iran, wo die Co-Autorin Mahin Sadri Video-Posts aufnimmt, die ihr im Iran sehr gefährlich werden können. Nur: "Warum bleiben die Botschaften aus dem Iran, dessen Wächterrat und andere Instanzen des Schreckens dem altem französischen Vorbild viel näher sind, so abgerückt und fragmentarisch?"

Erst falle Büchners Text in private Konflikte hinein, "dann ist es umgekehrt, schließlich fällt alles in eins - dabei aber keineswegs in sich zusammen. Im Gegenteil: Das erhebt sich gegenseitig", schreibt Michael Helbling in der Thüringischen Landeszeitung (9.9.2023).

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