Ins Hochzeitsbett? In den Krieg!

15. September 2024. Das "Lieto fine", die Doppelhochzeit, wie sie Shakespeare dem Komödien-Usus der Zeit entsprechend vorsah, war David Bösch schon verdächtig, als er "Viel Lärm um nichts" 2006 in Hamburg inszenierte. Auch jetzt, zu seinem Antritt als Schauspieldirektor in Linz, ist am Ende nichts mit Jubel, Trubel, Heiterkeit. Gefeiert wurde trotzdem.

Von Reinhard Kriechbaum

"Viel Lärm um nichts" am Landestheater Linz © Herwig Prammer

15. September 2024. Schon damals war Patrick Bannwart der Bühnenbildner. Er hatte für diese Zirkuszelt-Produktion am Elbe-Ufer das entsprechende Manegen-Ambiente geschaffen, ein drehbares Rundpodest unter Glühbirnen-Girlanden. Ein Liebeskarussell, das in Wirklichkeit doch die Liebe nicht weiter befördert. Das funktioniert jetzt auch in der Bühnensituation des Linzer Schauspielhauses wunderbar. Die Inszenierung ist freilich kein Remake der Hamburger Aufführung, die damals auch zu den Salzburger Festspielen eingeladen wurde und für die David Bösch, damals ein Ende-Zwanziger, mit dem Young Director's Award ausgezeichnet wurde. Da ließ Bösch, deutlich hitzköpfiger, die Komödie in ein Blutbad kippen, das einem Shakespear'schen Königsdrama würdig gewesen wäre. 

Vom Krieg geprägte Liebende

Aber von Anfang an: Zuerst kommt ein Clown auf die Bühne und sinniert über das Wesen des Kriegs. Der ist uns in der Zwischenzeit ja wirklich nahe gerückt. Dieser sinnierende Dichter-Clown – er trägt die Züge des Dichters – wird sich immer wieder zu Wort melden, oft mit Shakespeare-Zitaten aus anderen Werken. Auch das böse Ende wird er einschlägig zu kommentieren wissen: "Und das Ende ist … genau!"

Es sind Kriegsheimkehrer, die da in Liebe entflammen (Claudio zu Hero) oder diese kategorisch verleugnen (Benedikt und Beatrice). Sie kommen tatsächlich direkt aus dem Feld, in Uniform, auf Motorrädern. Toxische, verrohte Männlichkeit? Bösch entwirft keine klischeehaften Charaktere, aber er macht doch deutlich, dass der Krieg diese Männer geprägt hat. Der Kunstgriff: Das wird eher unterschwellig gezeigt, der Tonfall bleibt locker, die Komödiantik unbeschwert und ungebremst. Es wollen ja alle lieben und können nicht. Oder nicht so gut. Ein jeder auf seine Weise. Claudio (Benedikt Steiner) übertreibt die Romantik mit solcher Vehemenz, wie Benedikt (Daniel Klausner) die Liebe ablehnt. Don Pedro (Helmut Häusler) hat eine Hitlerfrisur verpasst bekommen, bemüht sich um joviale Töne, ist aber der Liebes-Unfähigste in der Männerrunde. Sein Halbbruder Don Juan (Julian Sigl) ist in einem Sarg herbei transportiert worden, diesem aber doch lebendig entstiegen. Jedenfalls ist er auch einer, dessen Wesen im Krieg ganz entscheidend ramponiert worden ist.

Entscheidend ramponiert: Christian Higer, Benedikt Steiner, Vivian Micksch © Herwig Prammer

Aber eben: All diese Figuren haben auch Charme, und ihre Intrigenspinnereien bersten schier vor Komik. Auf der Frauenseite hat natürlich Beatrice alle Trümpfe in der Hand. "Fräulein Zicke von Hochmut" sagt Benedikt eingangs über sie. Theresa Palfi löst das hundertfünfzigprozentig ein. David Bösch hat etwas ganz Unübliches getan: Als neuer Schauspieldirektor hat er das gesamte Linzer Ensemble übernommen, auch niemanden neu dazu engagiert. Er arbeitet also mit den vorhandenen Ressourcen. Hat Typen und Charaktere aber frisch bewertet. Wie ihm das Ensemble dies lohnt! In dieser Aufführung hat man das Gefühl, dass ein jeder und eine jede dem neuen Chef beweisen will, dass es gut und richtig ist, sie weiter zu beschäftigen.

Herausragendes Ensemble

Man kann sich beinah nicht satt sehen an den liebenswürdigen Einfällen, und es vergeht keine Minute, da nicht irgendwer irgend etwas liebenswert Unvorhergesehenes tut. Sogar für die Pause hat man sich eine Überraschung ausgedacht: eine Fechtnummer, die es in sich hat. Zum Totlachen auch die beiden Live-Musiker, der Pianist und Akkordeonspieler Joachim Werner mit Clownsnase und Irokesenfrisur und der Kontrabassist Georg-Maria Fichtenbauer, auf dessen Kopf der Stahlhelm wie festgewachsen wirkt. Die Musik (Karsten Riedel) hat hohen Stellenwert, fast alle melden sich mal auch singend zu Wort, und das reicht von der Schnulze bis zu Heavy Metal. Diese Musikeinlagen brechen samt und sonders ganz plötzlich ab, weichen dem rasanten Geschehen, wirken so spontan und ungezwungen eingeworfen wie die zahllosen Gags.

Viel Laerm um nichts c Herwig Prammer 10443 300dpiTraumatisierungen unter der Oberfläche: Ensemble © Herwig Prammer

Und doch: Die eigentliche Unmöglichkeit "normaler" Beziehungen, die nachhaltigen Irritationen hinter der Kriegs-Traumatisierung schimmern beständig durch. Dass es da nie und nimmer eine alles lösende und alles befreiende Doppelhochzeit geben wird dürfen: von Anfang an ausgemachte Sache. Der Kipppunkt ist erreicht, wenn Claudio der scheinbaren Untreue Heros (Vivian Miksch, eine Schauspielstudentin am Linzer Bruckner-Konservatorium) gewahr wird. Da werden aus den Männern jäh rabiate Krieger, vor denen man sich fürchten muss.

Per Motorrad zurück in die Schlacht

Es ist als ob kleine, aber wirkmächtige Psycho-Hebel umgelegt werden. Die dreistöckige Riesen-Hochzeitstorte, die unterdessen die Bühnenmitte einnimmt, wird bald umgeknickt und das Band "Just married" mit sich reißen. Plötzlich ein roher Ton. Aus den Degen-Scharmützeln werden sich Benedikt, Claudio und Don Pedro sogleich wieder per Motorrad verabschieden in Richtung Krieg. Dort gehören sie hin, nicht in die Hochzeits-Kemenate.

Beklemmend die Abschiedsszene zwischen Benedikt und Beatrice. Benedikt hat eine leichte Degen-Verletzung davongetragen. Den roten Fleck sucht er mit einer Jacke zu verdecken. Genug für Beatrice, die da wohl erkennt, dass dieser und die anderen Typen ihr Herzblut anderswo als in Frauen investieren werden. Hero, Beatrice und die Kammerjungfrau Margarethe (auch Katharina Hofmann hat einige liebenswerte Apercus zur Komödie geliefert) sitzen nun sprachlos und alleine da, bis der Shakespeare-Clown zum Epilog (mit viel Hamlet) ansetzt und das Licht-aus-Zeichen gibt. Das Linzer Premierenpublikum hat seiner Sympathie für den neuen Schauspielchef, aber vor allem der Begeisterung für das so blendend, mit akkuratem Timing ans Werk gehende Ensemble freien Lauf gelassen.

Viel Lärm um nichts
von William Shakespeare, deutsch von Frank Günther
Regie: David Bösch, Bühne: Patrick Bannwart, Kostüme: Moana Stemberger, Musik: Karsten Riedel, Dramaturgie: Martin Mader.
Mit: Helmuth Häusler, Daniel Klausner, Benedikt Steiner, Julian Sigl, Horst Heiss, Lutz Zeidler, Nataya Sam, Vivian Micksch, Katharina Hofmann, Theresa Palfi, Christian Higer.
Premiere: 14. September 2024
Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, eine Pause

www.landestheater-linz.at

 

Kritikenrundschau

"Prall gefülltes Shakespeare-Spiel und beglückende Theater-Kunst in einem" sah Peter Grubmüller und schreibt in den Oberösterreichischen Nachrichten (16.9.2024): "Der neue Schauspieldirektor David Bösch erweiterte mit seinem Linzer Ensemble in Bestform den zwischen klug, relevant und unterhaltsam beeindruckend ausbalancierten Stoff um textliche und inhaltliche Bereicherungen, ohne Shakespeares seherische Kraft zu denunzieren. (...) Unzählige Shakespeare-Zitate anderer Stücke rauschen durch die Nacht. Das Niveau des guten Kalauers ist nie in Gefahr, unterschritten zu werden."

Als "sprachlich entschlackt, mit Witz und Sinn für Nuancen" beschreibt auch Verena Leiss die Inszenierung in den Salzburger Nachrichten (16.9.2024). "Bösch erlaubt sich nach dem ganzen Spaß, den er dem Publikum bereitet hat, zum Schluss von Shakespeares Happy End abzuweichen und die ernste Frage zu stellen, was Krieg mit Männern macht. (...) Der lange Applaus und die Standing Ovations für Ensemble und Leading Team waren keinesfalls 'Viel Lärm um nichts'."

"Was den quirligen und an – nicht immer nur derben – Gags reichen Abend doch etwas mühsam macht, ist das ständige Überdrehen der Darstellung ins Parodistische. Die schon im Original parodistischen Szenen werden folgerichtig zu argem Klamauk, die Rüpelszene mit den Polizisten Holzapfel und Schlehwein etwa wäre selbst für billiges Kabarett zu grob", schreibt Thomas Kramar in Die Presse (16.9.2024). "So kommt die Rührung nicht auf, die diese so reizvoll unkonventionelle Liebesgeschichte auslösen kann. Und mit ihr fehlt die Tiefe."

 

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