Entenhausen liegt am Meer

1. April 2022. Wie viele Anspielungen passen in einen Abend? Antú Romero Nunes und Ensemble bringen eine vollgestopfte Inszenierung voller Sehnsucht und (nicht) automatischen Schiebetüren auf die Bühne.

Von Valeria Heintges

"Was geschah mit Daisy Duck" von Antú Romero Nunes und Ensemble am Theater Basel © Maurice Korbel

1. April 2022. Donald Duck hat gegen die rabiate Daisy keine Chance. Aber gegen die Lucy von Aenne Schwarz kann Daisy einpacken. Die labert ihren Bruno gut zehn Minuten nonstop voll; Michael Klammer kann nur nicken, die Schulter zucken oder den Kopf schütteln. Daisy redet von der Gegend und von den Orten, von ihrer Mutter, die auf einer Beerdigung in der Sonne explodiert ist, vom Meer, das eine Blaupause ist, und von den Zügen, der Welt des Dazwischen. Von der Wahrheit, der man ins Auge "luzen" muss, und von der "Reality", die hart ist.

Sehnsucht nach Meer

Lucy und Bruno sind Kolleg:innen. Sie begleiten einen Zug auf der Fahrt nach Sevilla – ans Meer. Darum geht es: um die Sehnsucht nach dem Meer. Da wollen alle hin. Vor allem Horatio, ein kleiner, dicker Junge in blauen Hosen, weißem Hemd und weißen Strümpfen. Er will mit seiner Oma hin, denn am Meer waren sie beide noch nie. Deswegen belegen sie das Schlafabteil, das Ausstatter Matthias Koch für "Was geschah mit Daisy Duck" auf die linke Seite der Bühne gebaut hat.

Daisy4 Maurice Korbel uMala Emde als kleiner Horatio, der noch nie am Meer war, und Michael Klammer als Bruno © Maurice Korbel

Rechts ist das Bistro, das Reich von Lucy und Bruno. Und in der Mitte eine Plattform mit Türen in alle Richtungen – fertig ist der Zugwaggon. Die Türen ins Innere sind automatische Schiebetüren. Aber so realistisch Kochs Bühne auch ist, so wunderbar Michael Klammer als Bruno die Durchsagen spricht, so schön sich die Landschaft an den Fenstern vorbeischiebt oder der Zug im Tunnel verschwindet – die Schiebetüren müssen die fünf Schauspieler:innen mit einem "Pfff!" und einer ausladenden Bewegung der Hände simulieren. Sie gehen oft durch die Türen. Das "Pfff!" und die Handbewegung vergessen sie nie.

Wilde Persiflage

Dabei haben sie viel zu tun, denn es passiert genug in diesem Stück, das Regisseur Antú Romero Nunes und sein Ensemble erdacht und geschrieben haben. Die Welt geht in Trümmer und wird mühsam wieder zusammengesetzt. Dazwischen treten auf: Zorro, dessen "Z" gekapert wurde und der sich darum jetzt "Norro" nennt – den Buchstaben auf dem Gürtel kostet das nur eine kleine 45°-Drehung. Einige Drehungen macht auch Horatios Vater, der erst als Oma, dann als Norro und am Schluss als Mr. Bean auftritt. Denn "Was geschah mit Daisy Duck" ist eine wilde Persiflage auf Genres, Comics und Popkultur: Es gibt eine Kindergeschichte, eine Liebeskomödie, einen Gangsterfilm und eine Vampir-Tragödie zu sehen. Dazu Anspielungen auf Popsongs und Filme, Auftritte vom sich zoffenden Draculapaar und eine Slapstick-Verwechslung am Telefon. Doch was immer auch passiert: Die Türen machen "Pfff!" zur Handbewegung der Schauspieler:innen.

Daisy2 Maurice Korbel uIm Bistro-Waggon wird nicht nur gegessen, sondern gelebt – das ist nicht nur auf der Bühne bei Michael Klammer und Aenne Schwarz so © Maurice Korbel

Was zu Beginn des vollgestopften Textes lag, mag und kann man nicht mehr sagen. Sicherlich schießt der an diversen Stellen über das (komische) Ziel hinaus, wo ihm ein Zurück- und ein dafür Tieferdrehen besser getan hätte. Die titelgebende Daisy Duck ist vor allem Inhalt eines Comics, den Horatio liest, und einer Abhandlung, die ihm eine durch die Fenster quereinsteigende Dramaqueen hält. Sie erklärt mit Ariel Dorfmans "How to read Donald Duck" den Comic als Inbegriff der weißen (!) Kapitalisten-Ente Dagobert Duck, der die Kolonien ausbeutet, nur um im Reichtum zu baden. Und der trotz vieler und langjähriger Arbeit seine Neffen weder reich noch sonst wie erfolgreich werden lässt. "Objektsexuell ist er, der Dagobert, und das ist dann auch die einzige Sexualität, die in Entenhausen jemals stattfindet."

Slapstick und Tiefgang

Das alles bietet reichlich Stoff für Slapstick und schauspielerische Glanzleistungen des Ensembles. Das weiß Anne Haug als dampfplaudernde Draculabraut auch für eher kurze Auftritte zu nutzen. Aenne Schwarz' Lucy ist eine feine Mischung aus Egozentrik, Bodenständigkeit, Angst vor den eigenen Träumen und missgeleiteter Bildung. Michael Klammers Bruno ist mal ergeben, mal aufmüpfig. Er singt ein tolles "Purple Rain", besser als es Prince je konnte. Und bietet mit seinen Betrachtungen über die Schönheit der Grautöne und den Zusammenhang von weichenstellenden Vorfahren für Deportationen und Zügen mit "guten" und Booten mit "schlechten Flüchtlingen" den tiefsinnigsten und besten Text des Abends. Fabian Dämmich gibt den sich wandelnden Vater zwischen Slapstick und Klamauk und schafft ganz zum Schluss noch mit leichter Hand einen sehr tragischen Moment.

Mala Emde spielt den Sohn Horatio. Man erkennt sie fast nicht wieder: so naiv, so tollpatschig spielt sie den Sechsjährigen mit grossem Wattebauch und Kulleraugen, mit denen er in die Welt staunt. Und legt trotzdem ganz nonchalant im weissen Ballkleid mit Norro einen Überfall hin. Am Ende kommt Horatio ans Meer und Lucy trifft Xavier Bardem. Aber wir wissen schon: Die ganz grossen Träume werden überschätzt. Und am Ende ist sowieso ein Tunnel.

 

Was geschah mit Daisy Duck
Stückentwickung mit Texten des Ensembles
Regie: Antú Romero Nunes, Bühne und Kostüm: Matthias Koch, Musik: Pablo Chemor, Lichtdesign: Stefan Erny, Roland Heid, Dramaturgie: Michael Gmaj
Mit: Aenne Schwarz, Michael Klammer, Mala Emde, Fabian Dämmich, Anne Haug.
Premiere am 31. März 2022.
Dauer: 1 Stunde, 50 Minuten (keine Pause)

https://www.theater-basel.ch

 

Kritikenrundschau

Andreas Klaeui spricht im SRF (1.4.2022) von den leidenschaftlichen und mitreißenden Schauspieler:innen am Theater Basel, "die das Klischee sehr lustvoll ausspielen." Die Zugfahrt zum Meer versteht Klaeui als utopisches Ziel: "mehr Spiel in die Welt bringen, das die vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten in Frage stellt. Und das ist dann natürlich auch eine Hommage ans Theater selbst – das Spiel auf der Bühne."

Der Abend sei eine wilde Improvisation voller Jux und Tollerei, sagt Michael Laages im Deutschlandfunk Kultur (31.3.2022). Er spricht von teilweise "fürchterlich albernden und hanebüchenen Dialogen" zwischen Aenne Schwarz und Michael Klammer. Das sei ein riesiger Spaß auf Improvisationsebene. Man merke, dass das Stück in Zusammenarbeit mit den Schauspieler:innen entstanden sei, die sich sehr viel Futter in die Rollen geschrieben hätten und dieses kräftig und trashig ausleben würden. Der Funke sei bei Laages aber nicht übergesprungen – dafür sei der Abend zu albern.

Der Abend sei "ein Riesenschwall an Ideen und Thesen, an Comic-, Pop- und B-Movie-Zitaten, die in bester Slapstick-Manier und mit Volten in absurde Spielereien auf die Zuschauerinnen und Zuschauer einprasseln" schreibt Dominique Spirgi in der BZ Basel (1.4.2022). Es sei wunderbar, wie Michael Klammer als Schaffner Bruno als rührige Liebesbezeugung zu Lucy "Purple Rain" von Prince in das Zugdurchsage-Telefon hauche. Es sei herrlich, wie Anne Haug als düstere Frauenerscheinung die heile und durch und durch weisse Welt von Entenhausen als gefühlloses kapitalistisches und kolonialistisches Reich demaskiere. Und es sei rührend-komisch, wie Aenne Schwarz als Lucy ihr liebeswert-naives Weltbild ausbreite.

In der Badischen Zeitung (1.4.2022) nennt René Zipperlen die Inszenierung eine "wilde Mischung aus Screwball-Comedy, Rührstück, Boulevard-Klamotte, zotigem Slapstick und Stand-up-Nummern". Romero Nunes dirigiere die Ideenflut des Ensembles mit klarer Hand, und die überbordende Spielfreude der tollen Truppe überpinsele manch grobe Fuge. Am stärksten sei der Arbeit, wo er Spaß und Spiel mit perfektem Timing ernst nehme – wie beispielsweise, wenn Michael Klammer "Purple Rain" singe.

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