Interview mit Regisseur Sebastian Hartmann über seinen unter Arrest stehenden Kollegen Kirill Serebrennikov und die Situation am Gogol Center Moskau
Stille Post
16. Februar 2018. "Ich habe mich tatsächlich in ein Klima wie in der DDR zurückversetzt gefühlt. In dieses: Was sage ich wann und wo und wie laut, wie deutlich?" Regisseur Sebastian Hartmann spricht über seinen Besuch im Moskauer Gogol Center, dessen Leiter Kirill Serebrennikow unter Hausarest steht.
Interview mit Christian Rakow
Stille Post
16. Februar 2018. Seit August 2017 steht der Regisseur und Leiter des Gogol Centers Kirill Serebrennikov in Moskau unter Hausarrest. Ihm wird die Veruntreuung staatlicher Fördergelder vorgeworfen. Ursprünglich ging die Staatsanwaltschaft von einer Schadenssumme von rund einer Million Euro aus. Mit der neuerlichen Verlängerung des Hausarrests (bis April 2018) wurde die Summe auf nunmehr zwei Millionen Euro beziffert.
Der Regisseur Sebastian Hartmann gastierte jetzt am Gogol Center in Moskau mit seiner Adaption von Döblins Roman "Berlin Alexanderplatz" vom Deutschen Theater Berlin. Das Gastspiel ist Teil eines vom Goethe Institut geförderten Austauschprogramms "Gogol Center Moskau meets DT Berlin", in dessen Rahmen Ende März 2018 zwei Serebrennikov-Inszenierungen ("Kafka" und "Machine Müller") in Berlin zu sehen sein werden. Christian Rakow sprach mit Sebastian Hartmann über seine Eindrücke aus dem Gogol Center.
Herr Hartmann, der Hausarrest für Serebrennikov ist im Januar dieses Jahres noch einmal verlängert worden. Muss man das Gastspiel von "Berlin Alexanderplatz" in dieser Situation als Solidaritätsadresse begreifen?
Letztendlich ist es das natürlich. Allerdings war die Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Theater und dem Gogol Center schon viel länger geplant. Sie sollte ja eigentlich in diesem Mai in eine gemeinsame Regie-Arbeit mit Serebrennikov münden, die jetzt natürlich nicht stattfinden kann.
Wie fiel die Wahl auf "Berlin Alexanderplatz" aus dem Programm des DT Berlin?
Das war ein persönlicher Wunsch von Serebrennikov, der die Aufführung gesehen hatte. Wir haben uns in Moskau als Deutsches Theater vorgestellt, mit Gesprächen und Pressekonferenzen. Und ich habe mit Schauspielstudentinnen und Studenten einen Workshop über meine Theaterpraxis gemacht.
Konnten Sie in Moskau Kontakt zu Serebrennikov aufnehmen?
Nein, es ist ein strikter Hausarrest, der Mann ist total isoliert. In meiner Naivität habe ich gedacht, ich könnte ihn besuchen. Aber er muss über Anwalt kontaktiert werden, und auch das geht nur für spezielle Leute.
Die Veruntreuungssumme, die Serebrennikov vorgeworfen wird, ist von der Staatsanwaltschaft zuletzt auf zwei Million Euro erhöht worden. Ist klar, wie es zu dieser Aufstockung kam?
Das lässt sich für mich von außen schwer beurteilen. Persönlich bin ich sehr geneigt, den Vorgang als politische Repressalie wahrzunehmen. Und ich hätte mir das von Kirill gern genauer beschreiben lassen.
Mit welchem deutschen Theater wäre das Gogol Center vergleichbar, das Serebrennikov seit 2012 leitet?
Wahrscheinlich wäre es die Volksbühne Ende der 1990er. Obwohl die Kulturen natürlich verschieden sind. Aber so wie die jungen Leute dort versuchen, sich politisch zu engagieren, sich gegenüber einem Publikum zu positionieren, und wie sie ihre Theatersprache hinterfragen, das ähnelt der Volksbühne.
Wie offen werden diese Perspektiven verhandelt?
Ich habe mich tatsächlich in ein Klima wie in der DDR zurückversetzt gefühlt. In dieses: Was sage ich wann und wo und wie laut, wie deutlich? Während unserer Vorstellung gab es Szenenapplaus, etwa wenn Michael Gerber in der zweiten Hälfte von "freien Wahlen" spricht. Das war wie die Stille Post damals in der DDR. Im Workshop habe ich dann erlebt, dass die Einschüchterung von offizieller Seite funktioniert, gerade wenn ich politische Fragen gestellt habe. Allerdings sollte man es sich mit seiner westlichen Haltung auch nicht zu bequem machen. Man muss auch schauen, welche Position Putin in der Welt hat, was die wirtschaftlichen Sanktionen für Russland bedeuten. Ich glaube, dass man die geopolitische Verwerfung, die es seit dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems gibt, genauer lesen muss. Man darf nicht nur in die eine Richtung mit dem Finger zeigen und sagen: Oh, der böse, böse Putin.
Schon vor dem Hausarrest für Serebrennikov gab es Anwürfe aus konservativen Kreisen, die ihre Normvorstellungen durchsetzen wollten und etwa gegen die Thematisierung von Homosexualität auf der Bühne vorgingen. Haben die jüngsten Entwicklungen einen Einfluss auf das Haus, wird es zahmer?
Die Macher vor Ort geben sich durchaus kämpferisch. Allerdings werden bestimmte Haltungen eines Hauses auch durch eine starke Persönlichkeit geprägt. Und Serebrennikov ist im Moment nunmal im Arrest. Da werden die Ränder durchaus vorsichtiger. Aber das Streben der Leute nach einer offenen Gesellschaft und einer demokratischen Kommunikation sowohl in der Kunst als auch in anderen Bereichen der Gesellschaft – das ist zu spüren.
Internationale Künstler*innen haben sich am Beginn des Hausarrests in einer Petition auf change.org mit Serebrennikov solidarisiert. 44.000 Unterstützer hat die Petition aktuell. Wie wird dieser Support vor Ort wahrgenommen?
Die Unterstützung von außen wird wahrgenommen. Auf mich wirkt das letzten Endes etwas hilflos. Wenn man einmal miterlebt hat, wie stark so ein Druck nach innen werden kann und wie unfrei man sich da drinnen fühlt, dann hilft Dir die Unterstützung im Moment vor Ort nicht so, wie sich eine Petition das vorstellt. Damit möchte ich die Form des Protests aber überhaupt nicht mindern.
Sebastian Hartmann, geboren 1968 in Leipzig, ist ausgebildeter Schauspieler. 1997 gründete er das "wehrtheater hartmann". Er war Hausregisseur an der Berliner Volksbühne und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. 2008 bis 2013 war er Intendant des Centraltheater Leipzig. Seither arbeitet er als freier Regisseur, unter anderem regelmäßig am Deutschen Theater Berlin.
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