Das Berliner Theatertreffen 2018 von außen betrachtet - Der Illustrator Frank Höhne über Antú Romero Nunes' "Odyssee" vom Thalia Theater Hamburg
Verirr dich oder ich fress dich
von Frank Höhne
Berlin, 18. Mai 2018. Einleiten möchte ich mit "chapeau" an alle Kritiker, denn um etwas zu kritisieren, muss man es erst einmal erkennen und vor allem das Gesehene im Kopfe behalten, oder über die Fähigkeit des Notierens im Dunkel verfügen.
Ich jedenfalls, als Befürworter des Augenblicks, stehe nun da mit dem Berg an Eindrücken und bekomme sie nun schwer sortiert. Aber ein Versuch:
Zwei Brüder treffen sich beim Sarg des Vaters. Ein langer Typ, Magier und Tubaspieler, der andere, klein und kräftig, ist entweder bei Redbull oder Rapper, ich weiss es nicht. Das Problem ist, dass beide ein deutsch-schwedisch sprechen, wobei eher schwedisch-deutsch, hauptsächlich ist es schwedisch, aber hier und da werden fürs Publikum Begriffe eingedeutscht, wie "enschül" für Entschuldigung (was eher nach osmanischem Sprachraum klingt), weil eigentlich heisst "förlât" Entschuldigung, versteht nur keiner. Das Publikum kriegt sich nicht mehr ein beim Entziffern des vermeintlichen Kauderwelschs, hält es die Sprache für erdacht, ich weiss es nicht. Die finden scheinbar alles witzig.
Es ist sehr klamaukich, so gar nicht meins, hier wird gestolpert, da wird Keckes ausgeheckt, insgesamt schwierige erste halbe Stunde. Naja, erinnert ans Kindertheater, wo ich sonst so einkehr', schade, hab die Kinder nicht dabei, gibt sogar immens stabile Seifenblasen, die mein physikalisches Interesse wecken: Diese Lauge hätte ich auch gern, dann könnt ich draussen in der 15-Uhr Sonne auch Seifenblasen machen, statt zuzusehen, wie zwei Herren diese schier unplatzbaren Blasen zum Schneemann auftürmen, der dann natürlich sprechen kann. Wie Olaf. Wird aber getötet, also gut, dass die Kinder doch nicht dabei sind.
Abgang Slapstick
Nun gut. Immerhin, ist nicht leicht, als Schauspieler mit seinem Körper so umzugehen, besonders Szenen wo sich beispielsweise an Reiswafflas verschluckt und gekrampft wird, das könnte ich jetzt nicht imitieren, "Hut ab", inhaltlich bleibt's aber öde, kicher kicher. Komödie ist wohl das schwerste Genre, nun, bei weiten Teilen des Publikums, bestehend aus Eltern, wie ich sie nie hatte, weil drei Uhr mittags im Abendkleid, dann lieber Erdbeerkuchen mit Sprühsahne und oben ohne, oh Erdbeerkuchen, den hätt ich jetzt auch gern.
Die Männer lernen sich besser kennen, brüderliche Konkurrenzen, wer is stärker, hat die dickeren Waden, das Publikum: begeistert. Ich immernoch nich so, aber wer bin ich schon.
Insgesamt ist der längere Typ spielerisch weit vorn. Seine Rolle verlangt ihm gut was ab und er verblüfft mich dann auch beim Zaubertrick. Ich bin ähnlich fasziniert wie von der Seifenlauge. Dann wird Kraut gerökt. Vom Lotus der Lotophagen, also hier und da erkenne selbst ich den Bezug zur Irrfahrt, die nun auch beginnt. Oder war dann erst der Zaubertrick? Ich weiß es nicht mehr, weil nun verirr ich mich langsam selbst und finde endlich Gefallen an dem Stück. Der Slapstick verschwindet, so Gott und ich will, dann mit dem letzten klischeebedienenden Kiffer-Gefeixe als Einleitung ins Passieren von so Einigem.
Bildergewalt, Homoerotik, Humor
Der Sarg des Odysseus ist ja leer, nur ein Brief ist drin, natürlich mit einem Penis drauf. Es wird auch geschossen, erschreckt von diesem Schuss, sackt der Lange zusammen und wird zum Pflegefall. Sein neuer Bruder, der bisherige Sidekick, erklärt dem Senilen, offensichtlich fortan Odysseus himself, er sei ein Arzt. Und hilft ihm in den Sarg, der andere mimt nochmal kraftvoll den Odysseus, bevor er tot hineingleitet. Nun durchleben beide zusammen die Odyssee des Vaters vor seinem Tod, und die ist sehr beachtlich.
Endlich kommt auch der andere Schauspieler meiner Meinung nach in den Vordergrund. Bisher schauspielerisch eher als Ansprechpartner für Goofy, beweist er unter dem Beat von Bilderbuch, was einen männlichen Körper doch auch sexy machen kann, wenn man mit ihm umgehen kann. Er wird zeitweise zum Schwein – war es nicht seine Mutter, die Gefährten seines Vaters einst in Schweine verzauberte? Aber nein, der Lange ist ja der Zauberer (ich dachte, der war der Sohn von Penelope), egal, es geht ziemlich rund, Bildergewalt, Homoerotik und Humor, so einnehmend, dass mein schwacher Geist keine Zeit findet, die Zitate zu kapieren. Und wieder Seifenblasen, aus dem Mund, WIE machen die das?
Was kommt danach?
Die beiden Schauspieler spielen sich wund, es wird geschlachtet, werden Herzen verspeist; Transgender-Nymphen, Wasserballett ohne Wasser im Sarg und dann Sinnsuche im Gedärm des anderen, wo die Brüder, wo auch sonst, ihr kindliches Ich finden, was sie dann natürlich töten, und dann wird der Sarg zersägt.
Kettensägen, naja, gängiges Element, um den Zuschauern brachiale Gefühlswelten darzulegen, aber mit einem Presslufthammer beispielsweise wären die Schauspieler schlechter als Bühnenbildner, denn statt nur etwas zu zerstören (Sarg), wird nun grob modelliert. Hochleistung auf allen Theaterebenen, auch musikalisch müssen die beiden sich nicht schämen für den zweistimmigen Gesang von Gamle man/ABBA mit eigenhändiger Orgel-Begleitung. Gut ausgebildete Allroundigkeit beweisen sie nicht zuletzt als Maskenbildner für ihr Finale. Ende, absolut verdienter Applaus.
Jetzt aber die Frage, will man eigentlich Standing Ovations?
Ein paar stehen auf. Klatschen tun alle. Vier oder sogar fünfmal kommen die Schauspieler vorgesprungen und hoffen die dann, vielleicht stehen jetzt mehr? Irgendwie krampfig. Danke sagen ist nicht leicht. Ich weiss es nicht. In meinen Augen wären Stühle nur für die erste dreiviertel Stunde nötig gewesen, der Rest war Standing Ovation, oder so: Wenn ich nicht so einen krummen Rücken hätte, hätt' ich die Dame neben mir noch auf die Schulter genommen. Ich fand das Schauspiel nämlich sehr gut.
Frank Höhne, Berlin, festangestellt' Vater und freischaffend' Illustrator für deutschsprachige Magazine wie fluter, Brigitte, Spiegel, SZ Magazin; Lehrtätigkeit für Illustration an der FH-Dortmund.
www.frankhoehne.de
Hier die Nachtkritik zur Premiere der "Odyssee" am Thalia Theater Hamburg (5/2017)
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Ganz falsch. Die Odyssee beim Theatertreffen war kein "riesen Theater", sondern wie ein Kommentator in der Nachtkritk an anderer Stelle schrieb, eine "Kindergeburtstagsfeier". Der eigentliche Clou des Mythos der beiden Odysseus-Söhne Telemachos und Telegonos besteht ja darin, dass die beiden am Ende Partnertausch in der speziellen Variante des Muttertausches betreiben. Der uneheliche Odysseus-Sohn Telegenos heiratet die Witwe Penelope. Und Telemachos, der offizielle Stammhalter im Hause Ithaka, wird der Gemahl von Circe, der Zauberin und (zumindest in der Lesart von James Joyce) Puffmutter, mit der Odysseus seine Gemahlin Penelope an fernen Gestaden betrogen hatte. Kurzum: Ein antiker Mythos unter der Überschrift. Soviel "Motherfucking" war nie. - Die Geschichte der beiden Halbbrüder, die uns TT-Regisseur Nunes erzählt, kommt jedoch gant ohne die Frauen/Mütter aus und wirkt deshalb, wie kluge Beobachter festgestellt haben, wie eine Szenerie aus der Krabbelgruppe.- Nun ist aber zum Glück der Intendant der Thalia Theaters, wo der Kinderkram von Regisseur Nunes entstanden ist, ein umtriebiger Mann. Vielleicht schenkt er uns ja demnächst eine "Odyssee Teil 2" und Thalia-Hausregisseurin Jette Steckel kann uns beweisen, dass die Frauen im aktuellen Regietheater im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen in der Lage sind, Theater für Erwachsene zu machen und nicht nur Kindergarten fürs Theatertreffen.
Aber so könnte es im Januar/Februar gewesen sein: Antú Romero Nunes sollte endlich mal zum Theatertreffen eingeladen werden. Sein „Richard III.“ am Thalia Theater war ein Highlight der vergangenen Spielzeit, war 2017 offensichtlich auch in der Jury-Diskussion, nahm aber dann doch nicht die letzten Hürden zur 10er-Auswahl. Diesmal soll er aber endlich unbedingt dabei sein. Die JurorInnen überlegten hin und her, befanden den „Caligula“ des Berliner Ensemble und den „Michael Kohlhaas“ vom Thalia Theater zurecht für zu leicht.
Am Ende blieb nur noch „Die Odyssee – Eine Irrfahrt nach Homer“, eine amüsante, kleine Fingerübung aus der Thalia-Dependance in der Gaußstraße, bei der sich die beiden Nunes-Stammspieler Thomas Niehaus und Paul Schröder nach Herzenslust austoben können.
Über knapp zwei Stunden ziehen sich die Kalauer und Gags ziemllich in die Länge. Kurz vor Schluss werden die beiden Jungs aber so hemmungslos albern, dass der Abend fast schon wieder gut wird: zu „Maschin“ von Bilderbuch posiert Paul Schröder und wird von Niehaus mit einer Wasserpistole angespritzt. Zum Kettensägenmassaker stürzen sich die beiden ins Publikum.
Ganz zum Schluss gibt es dann noch einen wirklich großen Theatermoment auf der kleinen Seitenbühne: Die Buhrufer müssen unmittelbar vor den beiden Spielern vorbei zum Ausgang, lassen noch mal Dampf ab und werden prompt von den Fans der Veranstaltung, die in der Überzahl waren, ausgebuht.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2018/05/19/die-odyssee-aus-hamburg-slapstick-und-phantasiesprache-auf-der-seitenbuehne-beim-theatertreffen/