Du hast mir die Pfanne versaut, du Spiegelei des Terrors! - René Pollesch ermittelt Triebquotienten
Die Hostie im Muttermund
von Wolfgang Behrens
Berlin, 7. Januar 2009. "Mein Name ist Frank Sodann, und ich bin Intendant eines Stadttheaters, dessen genaue Identität hier allerdings nichts zur Sache tut, denn mir liegt nicht unbedingt daran, dass mein Haus in die Schlagzeilen gerät. Schließlich besteht mein vorrangiges Ziel einzig und allein darin, zu kommen. Und damit wir uns nicht falsch verstehen, formuliere ich es noch einmal klarer: Ich will einen Orgasmus! Und zwar nicht irgendeinen, sondern den Kick schlechthin. Ich will meine dunkelsten und abseitigsten Obsessionen ein Fest feiern lassen."
So oder so ähnlich könnte vielleicht ein hundsmiserabler Schundroman anfangen: irgendein Erzeugnis aus der uferlosen Welt der Pulp Fiction. Tatsächlich jedoch ist Frank Sodann die Rolle, die ich in "Du hast mir die Pfanne versaut, du Spiegelei des Terrors!" angenommen habe, der jüngsten Produktion von René Pollesch im Sternfoyer der Volksbühne. Denn was man dem Flyer der Volksbühne im Vorhinein nicht entnehmen konnte und was dem Nachtkritiker erst einmal einen ordentlichen Schrecken in die Glieder jagt, ist, dass es sich mitnichten um ein Pollesch-Stück handelt, ja, nicht einmal um Theater im engeren Sinne, sondern um ein Spiel. Genauer: um ein Brettspiel nach Art von Monopoly.
Praktiken und Fetische
Wer als Zuschauer kam, wird nun also zum Akteur, zum Teilnehmer am Spiel. Zu siebt oder acht sitzt man an einem von mehreren Spieltischen, denen jeweils ein Spielleiter zugeordnet ist – in unserem Falle ist das eine charmante junge Dame, die sich als Doktor Z vorstellt. Zu Beginn wählt man sich einen Charakter (mit mir als Frank Sodann spielen z.B. der Matrose Horst, der Kommissar Jim oder die im Team antretenden Zoodirektorinnen McBommel), und dann geht's ans Eingemachte.
Denn jetzt bekommt jeder seine Aufgabe gestellt – und die läuft, siehe oben, eben immer auf den Orgasmus hinaus. Auf den Karten, die ich ziehe, stehen meine Opfer (Frauen über 70), die Praktiken und Fetische, mit Hilfe derer ich zum Höhepunkt zu kommen gedenke (etwa hungrige Hamster, die ich meinen Zielobjekten in den Darmtrakt applizieren soll, wozu ich unabdingbar noch einen Riegel Bratfett benötige), und der Ort, an dem die sexuelle Handlung statthaben soll (zufälligerweise ist das bei mir das Stadttheater, wie praktisch für einen Intendanten).
Ich finde, dass ich mit den Frauen über 70 noch ganz gut weggekommen bin – Kommissar Jim hat kleine Jungs unter sechs in seinem Beuteschema, was mir deutlich unangenehmer wäre, und die Zoodirektorin ist auf Nashornexkremente in Silberschalen spezialisiert. Es ist unschwer zu erkennen, dass der Spielspaß in dieser Polleschiade proportional zur eigenen Bereitschaft an der Geschmacksverletzung steigt. Nicht die Pfanne ist hier versaut, sondern jedes zweite Wort, das man beim Spielen in den Mund nimmt.
Der Triebquotient steigt
Die eigentlichen Spielregeln sind dann aber recht konventionell: Es wird gewürfelt, abstruse Spielfiguren (eine Babuschka, eine Oscar-Statuette, eine Plastikmadonna etc.) werden über den Tisch bewegt, auf dem Sexshopfeld kann man die benötigten Fetische kaufen und fürderhin mit ihnen handeln oder gar Wucher treiben (die Spielwährung sind Zoty), und fast bei jedem Zug kommen Ereigniskarten zum Einsatz, die Anweisungen geben wie: "Die Frau des Pfarrers bittet Dich, ihr eine Hostie in den Muttermund einzuführen. Dein Triebquotient steigt um 100 Punkte."
Ganz ohne theoretische Untermauerung geht es aber natürlich nicht zu: Erreicht einer der Spieler das Gemeinschaftsfeld, eilt ein Chor herbei und gibt – angeleitet von Christine Gross – im Schleef-Sound Passagen aus einem "Kontrasexuellen Manifest" zum Besten, das dem Programmzettel zufolge aus der Feder von Beatriz Preciado stammt. Oder Christine Gross erscheint mit Sarah Sandeh und Trystan Pütter, um im Pollesch-Sound Texte aus dem Umkreis von Polleschs Wiener Inszenierung Fantasma abzuspulen, in denen ausgiebig Boris Groys verwurstet ist. Die kapitalismuskritische Lehre lautet in etwa: "Man kann Wärme nicht einfordern."
Gut zwei Stunden währt das fröhliche Chaos – unentwegt eingespielte Jingles und so beharrlich wie unaufgefordert servierte Spiegeleier mit Toast halten die Sinne bei Laune –, dann wird es am Nachbartisch plötzlich sehr laut. Einer ist gekommen. Ein junger Mann hat einen Orgasmus gewürfelt, und damit ist das Spiel für alle zu Ende. Beifall und Akklamation. Schade eigentlich, der Intendant Frank Sodann hatte schon alle seine Utensilien beisammen, und eine Frau über 70 war auch schon in seiner Gewalt. Aber – Ironie des Schicksals –, um zu gewinnen, hat er es nicht mehr rechtzeitig ins Stadttheater geschafft.
Du hast mir die Pfanne versaut, du Spiegelei des Terrors!, UA
Ein Gesellschaftsspiel von René Pollesch mit Gästen
Regie: René Pollesch, Chorleitung: Christine Gross, Bühne und Kostüme: Bert Neumann. Mit: Manolo Bertling, Brigitte Cuvelier, Claudia Daiber, Christine Gross, Michael Hein, Miriam Horwitz, Lisa Hrdina, Jan Koslowski, Anna Kubelik, Martin Laberenz, Johanna Leinen, Caro Mendelski, Antonia Menslin, Timm Peltner, Tina Pfurr, René Pollesch, Trystan Pütter, Sarah Sandeh, Johannes Schmit, Katharina Sendfeld, Sebastian Sommerfeld, Holger Stockhaus, Nele Stuhler.
www.volksbuehne-berlin.de
Mehr über René Pollesch? Vor Fantasma im Dezember 2008 im Wiener Burgtheater inszenierte Pollesch im Sommer 2008 zum Stadtjubiläum von Mülheim an der Ruhr Teil 1 seiner Ruhrtrilogie Das Tal der fliegenden Messer. An der Berliner Volksbühne setzte er zuletzt Darwin-Win & Martin Loser-Drag-King & Hygiene auf Tauris in Szene.
Kritikenrundschau
Anne Peter nahm für die Berlin-Ausgabe der tageszeitung (9.1.2009) an René Polleschs Sex-Monopoly "Du hast mir die Pfanne versaut, du Spiegelei des Terrors!" in der Volksbühne teil, fand aber den Entlarvungsfaktor des Spiels "eher gering, ebenso wie das Irritationpotenzial. Wer gestimmt ist, kann einfach seinen Spaß an all den triebbedingten Übertriebenheiten haben und muss außer Spielgeld-Höchstgeboten für erwerbbare Fetischwaren im Grunde nichts Eigenes einbringen. So bleibt auch die Interaktion eher ein Fake, und die Provokation erschöpft sich im Wesentlichen darin, dass man sich gegenseitig furchtbar dreckige (vornehmlich männliche) Fantasien von Ereigniskarten vorliest." Und was die vom Chor dargebotenen Texte betreffe, so rauschten deren sex- und kapitalismuskritischen Thesen doch "ziemlich peripher vorbei".
Für Dirk Pilz von der Berliner Zeitung (9.1.2009) sind die kleinen Chor- und Schauspielszenen der "Spiegelei"-Produktion "echter Pollesch – die Verschwurbelung von Theoriefetzelchen zur Welt- und Daseinsbeschriftung auf hohem ironischen Niveau." Das Spiel selbst aber sei "vor allem höherer Nonsens aus dem offenbar unerschöpflichen Reservoir an Schund- und Schmuddelfantasien, die wir Spieler rollenprobeweise verordnet bekommen." Pilz räumt ein, sich nach einer Stunde ein Bier gekauft zu haben, nach zwei Stunden schließlich habe "jede Sex- und Folterfantasie ihren ohnehin kaum vorhandenen Reiz verloren" gehabt. Zum Schluss habe seine Spielleiterin noch wissen wollen, "wie man das Spiel verbessern könne. Braucht man nicht. Es ist so schon hohl genug."
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Damals, zusammen mit meinem Bruder, hab ich auch viele Spiele gebastelt. Die waren auch ziemlich gut. Wir hatten nur leider keinen Chor auf Stichwort, sondern nur eine überspielte Kassette mit damaligen Hits aus dem Radio.
Ein wahrer Tausendsassa, dieser Pollesch.
Lieber "rüdiger meyfarth" ich hoffe, daß bei der Theaterwissenschaft in Gießen auch etwas auf Rechtschreibung und Ausdruck geachtet wird - der Kommentar ist nahezu unlesbar.
Kleinkarrierte Grüße aus Berlin