Ein Chor irrt sich gewaltig - René Pollesch spielt wieder im frisch renovierten Prater
Wer spricht, übt Herrschaft aus
von Esther Slevogt
Berlin, 2. April 2009. Der Bühnenvorhang ist natürlich das Beste. Großflächig mit Blümchenmuster bedruckt wird seine miefige Grundausstrahlung ironisch durch tausende Strasssteine überhöht, die im Scheinwerferlicht funkeln. Eine Mischung aus Vorstadtvaudeville und Omas Küchentischdecke, wo selbst noch die härtesten Jungs schwach werden und bei einer Tasse Schokolade um den untergegangenen Kommunismus wie um eine verflossene Geliebte trauern.
Harte Jungs wie der Theoretiker der Playmobil-Generation Dietmar Dath zum Beispiel, dessen kommunistisches Manifest "Maschinenwinter" eine Säule war, auf der der neue Abend von René Pollesch "Ein Chor irrt sich gewaltig" zu stehen versuchte, mit dem gestern Abend in Berlin der Prater nach langer Renovierungspause wiedereröffnet wurde.
Säule Nummer zwei ist ein französischer Filmklassiker aus den 70er Jahren, Yves Roberts aberwitzige Komödie "Ein Elefant irrt sich gewaltig", in dem es um einen braven, verheiraten Mittelständler geht, der versucht, einen Seitensprung zu begehen, wobei er theoretische wie praktische Unterstützung durch drei Freunde erfährt, die ihrerseits ziemliche Schürzenjäger sind.
Wechselnde Liebhaber, französische Sprachübungen
Gleich mit der ersten Szene zitiert Pollesch auch aus diesem Film, als nämlich der Schlimmste von ihnen, Bouly, nach Hause kommt und feststellt, dass seine Frau ihn verlassen und im Zuge dessen auch die gemeinsame Wohnung ausgeräumt hat. Im Prater ist Bouly eine Frau, Sophie Rois nämlich, die in einer schwarzen Robe aus dem 19. Jahrhundert schnarrend und höchst extemporiert die Ruinierte bzw. den Ruinierten mimt. Sekundiert von einem albernen französelnden Herrn im Morgenmantel (Jean Chaize) und Brigitte Cuvelier, die die Verlustliste ("Die Récamière!", der "Louis-Seize!") zu verzweifelten kleinen französischen Sprachübungen nutzt.
Sophie Rois, die wirklich maßgebliche Säule dieses Abends, verkörpert auch noch die anderen Schürzenjäger: Simon, den Arzt zum Beispiel, der ständig in der Double-Bind-Falle einer übermächtigen Mutter hockt. Wobei der Film inhaltlich mit dem Pollesch-Abend trotzdem soviel zu tun haben dürfte, wie der Elefant in dessen Titel mit dem Filmplot. Nämlich gar nichts. Außer vielleicht, dass er sich manches bei Yves Robert hintergründigem Slapstick abgeschaut hat, was den Abend dann auch insgesamt ganz vergnüglich machte.
Teil des Herrschaftssystems
Ansonsten es ist wie immer: die ganzen Repräsentationsverabredungen, die aus Theater Theater machen, werden zum Blödsinn erklärt, in dessen Kontext es auch keine Rolle spielt, ob Sophie Rois auf der Bühne nun behauptet, ein Mann oder eine Frau zu sein. Oder ob ihre wechselnden Liebhaber in Wahrheit ein Chor aus jungen Frauen ist, die in wallenden, aus bunten afrikanischen Stoffen geschneiderten Belle-Epoque-Gewändern mal drängend, mal zurückweichend auftreten. Klar ist hier bloß eins: wer überhaupt schon die Bühne betritt und sprechen kann, ist Teil des Herrschaftssystems.
"Solange deine Hämorrhoiden keinen Stift halten können, sind sie in der Opposition", heißt es einmal dietmar-dath-dialektisch. Weshalb es natürlich auch Quatsch ist, wenn ein Chor im Theater im Namen des unterdrückten Volkes spricht. Denn wer überhaupt spricht, übt bereits Herrschaft aus. Weswegen eben jeder gewaltig irrt, der denkt, dass er für Sprachlose sprechen kann, wie es ja schon der lehrsatzhafte Titel des Abends propagiert.
Angesteckt vom Agitprop-Virus
Womit dies der wahrscheinlich erste Polleschabend mit einer echten Botschaft ist. Ob da nicht auch Pollesch gewaltig irrt und er am Ende selbst vom Agitprop-Virus angesteckt worden ist, gegen den er hier mit den verblassenden Mitteln seines eigenen Theaters argumentiert?
Damit auch jeder verstehen konnte, wer hier konkret gemeint ist, hatte Pollesch in einem Interview zuvor den Namen Volker Lösch ins Spiel gebracht, der ja in seinen Aufführungen gerne authentisches Volk chorisch als Sprecher der Erniedrigten und Beleidigten auftreten lässt und gegen den Pollesch hier angeblich theatermäßig polemisierte, weshalb nun die derart konditionierten Kritiker unentwegt versuchten, die Lösch-Anspielungen zu entziffern. Dabei kann Lösch der postdramatischen Logik des Pollesch-Theaters zufolge auf dem Theater ebenso wenig Lösch sein, wie Sophie Rois Sally, Bouly oder irgendeine andere Figur. Oder der Frauenchor, der mal als Lucien, dann wieder als Paul oder Michael angesprochen wird, ein einzelner Mann. Was alle zusammen natürlich nicht davon abhält, höchst dekorativ und ziemlich lustig zu sein.
Du sollst keinen anderen Pollesch haben neben mir
Es geht also irgendwie um politisches Theater und Kapitalismuskritik an diesem Abend. Um die Frage von Grenzen zwischen Politik und Kunst. Ob in Dosen verpackte Künstlerscheiße beispielsweise Kunst oder Scheiße ist. Und darum, wie man die immer länger werdende Zeit ohne Kommunismus und ohne Liebe überbrücken soll. Seufz, denkt da die Kritikerin, die ansonsten nicht so recht den Durchblick gewann, sich aber trotzdem ganz gut amüsierte.
Die manchmal allerdings einen leicht oberlehrerhaften Ton durch den Abend dringen hörte, der etwa folgendes besagt: es gibt nur einen, der wirklich authentisch und diskurstechnisch-korrektes politisches Theater macht. Du sollst keinen anderen Pollesch haben neben mir. Ein kleiner Höhepunkt ist außerdem Sophie Rois' Karaoke-Vortrag eines Gilbert-Bécaud-Hits von 1964: Nathalie – die Geschichte eines Franzosen, der sich auf dem Roten Platz in Moskau in seine russische Fremdenführerin verliebt und man gleich hinter dem Lenin-Mausoleum (und nach den hohlen Phrasen über die Oktoberrevolution) zum Eigentlichen, nämlich der Liebe kommt, ganz ohne Chor und Kommunismus: ja, denkt man da, sie lebe, die französische Revolution.
Ein Chor irrt sich gewaltig, UA
nach dem Film "Un éléphant ça trompe énormément"
Text und Regie: René Pollesch, Bühne und Kostüme: Bert Neumann, Chorleitung: Christine Groß. Mit: Sophie Rois, Jean Chaize, Brigitte Cuvelier, Christine Groß. Und dem Chor: Claudia A. Daiber, Jana Hampel, Lisa Hrdina, Anna Kubelik, Maria Löcker, Silvana Schneider, Nele Stuhler, Lisa Wenzel.
www.volksbuehne-berlin.de
Mehr lesen? Der letzte Pollesch ging im Februar 2009 als Ping Pong d'Amour über die Bühne der Münchner Kammerspiele. Ebenfalls im Februar brachte Martin Laberenz Dietmar Daths Maschinenwinter in Leipzig höchstselbst auf die Bühne.
Kritikenrundschau
Zwar fühlte sich Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (4.4.2009) beim Stück selbst unentwegt an DDR-Pioniernachmittage erinnert – "da wurde auch immer unterstellt, dass verblendet ist, wer die eine, unumstößliche DDR-Wahrheit nicht anerkennt, zum Beispiel die Wahrheit, dass der Kapitalismus bös und der DDR-Sozialismus gut ist" – so sendungsbewußt tritt dieser Abend aus seiner Sicht mit seinen gefühlten Verblendungszusammenhängen in Sachen Liebe und Kapitalismusakritik diesmal auf. Doch zum Kritikerglück von Dirk Pilz "ist der Regisseur Pollesch klüger als der Autor Pollesch". Denn "während der Autor uns unentwegt pionierleitermäßig belehrt, wie das mit dem Leben und der Liebe und dem Kapitalismus eigentlich ist, nimmt der Regisseur diese Besserwisserei als Comedy". So komme es, dass der Text dann auf der Bühne die herrlichsten Komödienfunken schlage.
Der Abend passe perfekt in diesen morbiden Schuppen, befindet Peter Hans Göpfert in der Berliner Morgenpost (4.4.2009) über René Polleschs Eröffnungsstück im renovierten Prater. "Vielleicht hat Pollesch ja etwas viel Dietmar Dath und Boris Groys gelesen. Aber das dort verdaute kapitalismuskritische Material wird zur Schwemmmasse zwischen durchgeknallten und quasselnden Lustspielgestalten. Wir erhalten Einsichten in die Relationen von Sex und Kapital oder den Zusammenhang von Croissants und einer Sprinkleranlage. Das Ergebnis ist ein verrückter Nonsens-Schwank."
Von einem "vollkommen sinnfreien Lust- und Frustspiel", einer "hauptstädtischen Vorstadtklamotte" spricht Rüdiger Schaper im Berliner Tagesspiegel (4.4.2009). Bemerkenswert findet er "an dieser philosophischen Soap-Opera mit Opern-Karaoke und französischen Uralt-Hits in Endlosschleifen" jedoch zweierlei: dass Pollesch die reine Komödienmechanik präsentiert und seziert, und das Stück das Stück dabei mehr die Funktion eines Bauplans als seiner Ausführung erfüllt. Und dass er es tatsächlich schafft, "in knapp siebzig Minuten sein Hysterie-Prinzip 'Alles ist schon gesagt, aber noch nicht von jedem, und auch noch nicht oft genug' vollkommen ad absurdum zu führen." Für Schaper ein "Theaterabend wie ein Croissant: schmeckt süß und knusprig und ist doch am Ende bloß dünner Teig und gebackene Luft. Sehr zu empfehlen."
Peter Laudenbach schreibt in der Süddeutschen Zeitung (7.4.2009): René Polleschs Theater gehorche auch diesmal nicht "dem ewigen Wunsch des Marktes nach Abwechslung". Wie gewohnt drehten Pollesch und seine Schauspieler eine Runde mit der Diskurs-Mischmaschine, "die wieder mal sehr lustig die Freuden des Boulevards mit Theoriesplittern von Dietmar Dath bis Agamben und Boris Groys" kurzschließe. Weil sie "zwischen französischen Schlagern, Boulevard-Versatzstücken von möchtegern-ehebrechenden Spießern und den Eiswüsten der Abstraktion so unvermittelt, aufgedreht und lässig" hin und her springe. Zu Polleschs Liebe zum Boulevard passe der Umbau des Praters zu einer "Bude für frivoles Hau-drauf-Entertainment". Auch wenn das Theater "des Theoriesurfers Pollesch" mit Vorliebe "bürgerliche Subjektpositionen" und die "Repräsentations-Muster des Theaters" konterkariere, komme es nicht ohne Menschen auf der Bühne aus. Die spielten "gleichzeitig sich selbst, schnell angerissene Komödienfiguren, Theoriebaustein-Lieferanten eines hippen Berlin-Mitte-Antikapitalismus-Radical-Chic und lauter abgelebte Diva-Posen samt ihrer aufgekratzten Travestie". Das sei so "sinnfrei wie entzückend". Und einfach "hinreißend" im Falle von Sophie Rois, die dieses Spiel mit "bestenfalls lose verknüpften Sprecher-Positionen zwischen Diva, Sozialrevolutionärin und Boulevard-Knallcharge" beherrsche.
Etwas nerve bei allem Spaß, den dieser Abend mache, aber doch, schreibt Eva Behrendt in der Tageszeitung Die Welt (9.4.2009) "Vielleicht ist es der Gestus des Besserwissers, den das unermüdliche Entlarven vermeintlicher Gewissheiten (des ultimativen Wertes der Liebe, der Autonomie des Künstler, des bösen Kapitalismus und der guten Chöre usw.) beinahe zwangsläufig mit sich bringt. Apropos: Setzt nicht die Komplexität dieses Theaters jede Menge Deutungsfreude und Bildungslust voraus? Das sind, wenn nicht alles täuscht, am Ende doch ziemlich bürgerliche Tugenden."
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Die Vorstellung, die "kreativen" Freiberufler, von denen das Publikum im Prater bevölkert ist, wären "reich" zeugt von einer rührenden Naivität. Jede Einkommensstatistik belegt doch, dass die nicht mehr zum Leben haben als jeder Hartz-IV-Empfänger. Die geben nur nicht soviel Geld für Flachbildschirme und Schlangen (offenbar DAS Must-Have bei Deutschlands Armen) aus. Eine Linke, die einen dermaßen verschwommenen Reichtumsbegriff hat, sitzt zurecht auch noch die nächsten Jahrzehnte im Abseits.
Die chancen dafür jedenfalls stehen gar nicht schlecht, findet ihr nicht auch??
(Und sein chefberater sollte dann endlich wieder carlchen sein...)
Wer Antworten sucht, der hat natürlich ein Problem mit Pollesch. Es gibt gar keinen Grund, Pollesch als moralischen Aufklärer zu verstehen, weil seine Figuren sich ständig selbst widersprechen.
Außerdem ist es doch total absurd, dass jemand, der bestimmte Verhältnisse in Frage stellt, gleichzeitig nicht in ihnen Leben darf (das kann man sich halt so schlecht aussuchen, das System oder das Geschlecht in das man hineingeboren wird und das einen sozialisiert). Und warum darf jemand, der im und mit dem Kapitalismus lebt, nicht auch Kritik äußern dürfen gegen diesen? Ich finde das nicht verlogen, sondern eine konsequenten Auseinandersetzungen mit den eignen Lebensentwürfen und seinem Umfeld. Das ist so als wenn ich nicht sexy und schön sein darf, nur weil ich gleichzeitig Feministin bin.
Und zur Beruhigung aller: Pollesch reflektiert sehr wohl seine eigenen Produktionsprozesse und Hospitanten werden bezahlt, gut behandelt und sitzen ganz demokratisch in der großen Runde! Aber jeder hat halt seine Aufgaben und da verteilt sich auch die Verantwortung, und natürlich gibt es da Hierarchien. Aber man muss ja nicht gegen Hierarchien sein, nur weil man mal nachfragt, wer da eigentlich spricht und wieso derjenige, der spricht, mich da immer ausblendet.
Pollesch ist für Bewegung. Das bedeutet, dass man für eine gewisse Ordnung oder Produktivität natürlich Hierarchien braucht, so wie man Worte zum reden braucht, diese sind aber nicht fest, können immer wieder hinterfragt werden und müssen sprachlich immer wieder neu mit Sinn gefüllt werden, eben wie mit Worten: ein Pollesch ist ein Pollesch ist ein Pollesch.
@ unbezahlte Hospitantin: Wenn das der Fall ist, wird es Zeit für den Showdown. Du solltest Pollesch gegenübertreten und ihn, aber auch dich selbst, mit folgendem Pollesch-Text konfrontieren: "Das ist das Abgeschmackteste am Kapitalismus: Plötzlich wollen alle nur noch Liebe und keiner will mehr Geld. Die wollen alle für die Liebe arbeiten, auch ich, und warum ist das so? [...]"
das was hier an politik rüberkommt, wird zu einer bloßen marke. schlagworte wie: grundeinkommen, sozialismus, marx werden völlig zusammenhangslos verwendet und zum reinen nervpotential.
Das Publikum kann an der richtigen Stelle lachen kann : "grundeinkommen" oh ich höre etwas was ich kenne, da kann ich ja lachen, in einem stück dessen sinn sonst "absichtlich" nicht erkenntlich ist.
man muß sich fragen, ob so eine verwendung von politischem diskurs nicht einfach heißen soll,
politik ist doch sowieso sinnentlehrt, intellektuelle geben doch sowieso nur nonsens von sich: und das ist ein ur-rechter impuls!
es nervt außerdem, dass unter einem chor ein paramiltärisches sprechverhalten von 20 jungen schauspielaspriantinnen (die selbstverständlich nicht bezahlt werden) verstanden wird. spätestens die dramaturgie hätte pollesch darüber aufklären können, was in dem begriff "chor" für unendliche möglichkeiten fürs theater stecken.
ein chor ist viel mehr als das. der titel "ein chor irrt sich gewaltig" verspricht weit mehr als das stück einhält.jedes theater ist irgendwie chor, und chor heißt nicht das alle das gleiche machen. das ist nicht chor, sondern misglücktes schülertheater, in dem eine deutschlehrerin mit ihrer romantisierten brechtauffassung vor die wand fährt.
was aber am allermeisten nervt, ist dass das stück absolut humorlos ist. ich möchte mich nicht über den französischen akzent lustig machen müssen. das ist eine antipatie der deutschen, die seit weit mehr als 300 jahren völlig hirnfrei weitergetragen wird. übrigens hat das bürgerliche taruerspiel mit seinem fest gefahrenen ästhetik-regeln, die durch pollesch ja angeblich aufs korn genommen werden, genau das gleiche gemacht: sie haben über franzosen gelacht. es ist schlichtweg einfach nur rassistisch. vielleicht könnte pollesch ja demnächst ein paar junge türken einladen, um das publikum über ihren "gehettoslang" lachen zu lassen, dann würde vielleicht der ein oder andere überlegen, über wen oder was sie da lachen. über ihr eigenes unverständnis einer anderen kultur gegenüber?
und schließlich, das was an dem stück gut funktioniert hat, nämlich die opernverarsche ist geklaut und zwar aus den eigenen reihen. baumgarten macht schon seit jahren oper mit nicht-sängern.dort ist die verarsche aber in eine echte reflektion eingebaut: in einem metier, in dem so viel perfektionszwang herrscht, nämlich der oper,muss einfach mal auf die kacke gehauen werden.
übrigens: wenn man keine ahnung hat, wie sich armut äußert, wie jemand aussieht, wenn er und seine gesamte familiengeschichte schon immer ohne geld auskommen musste, dann ist es vielleicht die bessere lösung einfach "echte" arme auf die bühne zu stellen, so wie lösch es getan hat. der unterschied zu einem armen künstler ist nämlcih folgender: diese kommen meistens aus mittelständischen familien, und haben die armut als preis für ihr künstlerlebn mehr oder weniger in kauf genommen. ein armer armer hat überhaupt nicht die möglichkeit sich für oder gegen die armut zu entschließen und vor oder nachteile von dieser oder jenen lebensweise abzuwägen.
Ihre Forderung nach "'echten' Armen" auf der Bühne finde ich direkt putzig. Das klingt beinahe wie aus der Werbung eines führenden Joghurtherstellers geklaut: "hergestellt aus richtiger Allgäuer Milch".
Und natürlich haben Sie vollkommen Recht, Pollesch' Stücke sind nicht sofort kenntlich bzw. eindeutig lesbar. Und das ist auch gut so. Wo Politik oftmals zu vereinfachender Rhetorik verkommt, eröffnen Pollesch' Texte die volle Wucht und Komplexität der Widersprüche des (eigenen künstlerischen) Lebens.
Schließlich, die (fehlschlagende) Einübung in den Gebrauch der französischen Sprache soll hier meines Erachtens keine Abwertung des französischsprachigen Kulturraums darstellen. Vielmehr zeigt sich darin die Parodie des Versuchs, die wieder-geholte (höfische) Etikette (des Ancien régimes) zu wahren, obgleich es "darunter" bereits brodelt - nach einem wieder-holenden Sturm auf die Bastille zum Beispiel.
französische sprache heranzuziehen?
- dass ein ganzes stück sofort jedem eingänglich ist möchte ich bei weitem nicht verlangen. was aber bis ins extrem wiederholt wird und als ästhetische praxis verkauft wird, ist der bruch:
unvermittelelt in das gespräch über treue oder untreue hinein so etwas wie "sind sie eigentlich für den mindestlohn" zu bringen ist einfach über ein ganzes stück hinweg nervig oder besser über mehrere stücke. es verkommt zum schlagwort. außerdem habe ich hier nicht nach echten armen gerufen, ich habe nur pollesch ruf nach echt politischen regisseuren zurückgewiesen.
politik wird auf dem theater ebenso wenig gemacht indem man "politik" sagt, wie indem dem man "politik" durch echte arme auf der bühne zur schau stellt.
übrigens habe ich jetzt das besagte pollesch interview gelsen und es ist ja schon ein wahnsinnig "politischer" anspruch, wenn der grund für das eigene stück so formuliert wird: ich wollte meinen kumpels einen job verschaffen und ich wollte andere kunst damit kritisieren.
dass ist keine politik sondern marktpositionierung
Auch die häufigen Brüche bei Pollesch beziehen sich auf die Alltagskommunikation. Jede/r kennt die Art von Gesprächen, in welchen ohne Vorankündigung plötzlich von einem Thema zum anderen gehoppt wird. Hierin zeigt sich möglicherweise eine Parallele zum Prinzip der Informationsgesellschaft, wo man eben mal schnell was googelt (nach Pollesch "gurgelt"), um dann kurz drüberzugehen und es schlagwortartig wieder auszuspucken, möglicherweise ohne wirklich etwas verstanden und/oder hinterfragt zu haben. Auch könnte in dem Zusammenhang gefragt werden, ob man sich heute eigentlich noch gegenseitig zuhört oder ob jede/r letztlich nur auf die Gelegenheit der diskursiven Selbstdarstellung wartet. Pollesch zitiert und parodiert also das Medienformat der Oberflächenbehandlung, überlässt die Kritik bzw. Haltung dazu aber dem einzelnen zuschauenden Subjekt.
Die Tatsache, dass Pollesch sich oft und gern selbst zitiert und wiederholt, ist ebenfalls nur im profitorientierten Kontext des Konsumkapitalismus zu verstehen, wo es umgekehrt darum geht, immer neue Produkte auf den Markt zu werfen.
Schließlich, seien wir realistisch. Letztlich muss sich doch jede/r Künstler auf dem Markt positionieren, und jede/r tut das in einer anderen Form. Wer heute noch daran glaubt, dass die Kunst unabhängig von den umgebenden soziökonomischen Verhältnissen existieren könnte, der ist, mit Verlaub, etwas blauäugig.
wer hat hier gesagt, dass ich für kunst jenseits von ökonomie wäre? übrigens sind die arbeitsplätze, die pollesch da so großzügig an seine freunde verteilt, hoch subventioniert.
es ist ein akt von panikartigem verhalten: schnell noch den eigenen machtanspruch sichern. mir fällt zwar nichts ein, aber dafür mache ich meine kollegen runter und zitiere mich selbst bis zum erbrechen.
diese einfalllosigkeit dann auch noch unverblühmt in interviews zur schau zu stellen verlangt einfach nach einem gegenangriff.
übrigens medienapokalypse ist immer ein guter vorwand schlechte dramaturgie zu verkaufen.
brüche funktionieren eben auch nur dann, wenn sie imstande sind, mit einer gewohnheit zu brechen.
wenn der "bruch" aber zum standart wird dann ist er als solcher nicht mehr erkennbar.
im übrigen wäre es in bezug auf informationstechiken viel interssanter verfolgungstechniken, tracking etc. ästhetisch zu untersuchen.
mit dem wort "informationsgesellschaft" oder "medien" wird schließlich so ein weites feld geöffnet dass deine argumentation völlig beliebig wird.
Und was haben Sie gegen die Subventionierung von Theater? Das ist doch gerade das Einmalige des deutschen Theatersystems gegenüber anderen europäischen Ländern wie zum Beispiel Frankreich oder England. Möchten Sie das wieder abschaffen? Aber vielleicht verstehe ich Sie hier ja wieder nicht.
Ausserdem funktioniert es doch überall so, dass Stellen im Theater innerhalb der eigenen Reihen/Freunde usw. vergeben werden. Das kann man jetzt natürlich problematisch finden, aber es ist eben so und erscheint mir irgendwie auch logisch. Schließlich geht es um Teamarbeit. Und dafür muss natürlich die Chemie stimmen.
Ach, jetzt habe ich Sie vielleicht doch verstanden. Sie meinen, dass Pollesch sich durch das Engagement von Freunden gegen Kritik absichert? Glaub ich nicht. Der ist kritikfähig. Und ausserdem, warum sollten Freunde sich nicht wechselseitig kritisieren? Dann doch gerade!
Medienapokalypse trifft es übrigens nicht. Es geht nicht um Apokalypse. Es geht um die Tatsache, dass die eigene Identität heute in hohem Maße durch die Medien geprägt wird und/oder umgekehrt, dass sich die Medien zunehmend an der kreativen Alltagsgestaltung einzelner Subjekte ausrichten und diese sofort vereinnahmen. Sie haben doch sicher auch bereits von den sogenannten "Talentscouts" gehört, welche auf der Straße nach willigen Laborratten für ihre neuen Shows und Serienformate suchen.
Um Informationstechniken wie die von Ihnen genannten geht es im Theater Polleschs eher nicht, sondern vielmehr um die Techniken des Selbst, das heisst um die Disziplinierung des Körpers in Bezug auf eine heute vor allem über Medienbilder vermittelte vermeintliche Verhaltensnorm.
Ja, die jungen Frauen waren süß.
Sie werden kein Wort kapiert haben - was ihnen nicht anzulasten wäre.
Och Pollesch - Wie aufregend authentisch, sich mit dem eigenen Kopfchaos in Sachen Politik - Sinn - Welt - Ästhetikzusammenhängen dem damit ebenso überforderten Publikum anzubiedern, wir singen gemeinsam: "Grundeinkommen - Neolib - o la la!"