Platonow - Jan Bosse schaut dem lethargischen Personal von Tschechows Erstling beim Dauercamping zu
Misere der Dauercamper
von Falk Schreiber
Hamburg, 1. September 2012. "Und?" fragt Nikolaj Iwanowitsch. "Langweilig!" stöhnt Anna Petrowna, "Jetzt schon!" Nach gerade mal fünf Minuten. Raffiniert nimmt Jan Bosse den Kritikern den Wind aus den Segeln, den Kritikern, die bemängeln, dass sein "Platonow" am Hamburger Thalia durchaus Längen hat: Das hier ist Tschechow! Natürlich ist das langweilig, was erwartet ihr denn? Und immerhin ist das uferlose Frühwerk des erst 18-jährigen Dramatikers von über sieben auf gute vier Stunden zusammengekürzt, da braucht man sich wirklich nicht über Langeweile zu beschweren.
Es ist das bekannte Tschechow-Bestiarium, das sich an einem brütend heißen Sommerabend in einem gepflegt runtergekommenen Wohnwagen eingefunden hat, auf ein paar Lieder, ein paar Teigtaschen und viele Gläser Wodka: die verarmte Gutsbesitzerin. Der Geschäftemacher. Der Landarzt. Und der Provinzintellektuelle, der Lehrer Platonow, dessen Berufswahl keinem pädagogischen Eros entspringt, sondern einem Scheitern an der Universität. Einem Scheitern, das Platonow einerseits durch ätzenden Spott gegenüber allem und jedem kompensiert, andererseits durch eine gewisse sexuelle Unbeständigkeit: Jede auftretende Frau bietet sich ihm mindestens einmal im Laufe des Stücks an.
Hölle der Ironie
Das ist vor allem deswegen nachvollziehbar, weil Platonow von Jens Harzer gespielt wird. Regisseur Bosse schafft es, dessen oft raumgreifendes Spiel soweit zu zügeln, dass Harzer um sich ein erotisches Vibrieren aufbauen kann, bei gleichzeitiger Antriebslosigkeit, die sich an der Grenze zur vollkommenen Lethargie bewegt. Überhaupt ist dieser "Platonow" ein wahres Schauspielerfest. Jörg Pohl als verzweifelter Possenreißer Nikolaj, Matthias Leja als brutaler Gewinnertyp Bugrow, Sebastian Zimmler als gehörnter Ehemann Sergej: Jeder hat sein Kabinettstückchen, niemand spielt sich unnötig in den Vordergrund. Einmal leistet sich Pohl ein Slapsticksolo, ein tolles, sturzbetrunkenes Stolpern über die Bühne, zwei, drei Minuten, dann passt der Schauspieler sich wieder ein ins Ensemble. Einmal versucht Victoria Trauttmansdorffs Anna Petrowna, Platonow zu verführen, hilflos, verheddert, ein paar wundervolle Sätze von Sophie-Rois-hafter Derbheit lang, und schon läuft die Handlung weiter.
Manchmal wird Jan Bosses Inszenierungen ein Übermaß an Coolness vorgeworfen, da mag etwas dran sein, aber man kann definitiv nicht sagen, dass dieser Regisseur sich nur für die glatte Oberfläche interessiert, und dabei die Schauspielerführung vernachlässigt. "Platonow" funktioniert auf der Schauspielerebene, weil Bosse den Figuren immer den Ausweg in die Ironie offen hält, und für einen Schauspieler wie Harzer ist Ironie ein Geschenk. Tschechows Provinzestablishment ist ironisch bis zur völligen Verblödung. Und dann gibt es noch die anderen, die Jugendlichen und die Frauen: die Unironischen, die gnadenlos scheitern. Platonows Frau Sascha, die von Marina Galic irgendwo zwischen gutwillig, solidarisch und ein wenig öde angelegt ist. Sofia, die bei Patrycia Ziolkowska mit dem Pathos unbedingter Leidenschaft agiert (und außerdem mehrere atemberaubende Kleider trägt). Eine Chance haben sie genauso wenig wie die Ironiker, dafür aber fehlen ihnen deren großartige Punchlines. Ironie mag die Hölle sein, aber wenigstens ist sie unterhaltsam.
Großartige Einlullung
Am Ende passiert dann doch noch etwas: Bugrow hat das Gut gekauft und rollt erstmal den Wohnwagen von der Bühne, der dumpf-bequeme Zustand des Dauercamping ist überraschend zu Ende. Und Platonow wird erschossen, von der enttäuschten Liebhaberin Sofia – eine Erlösung, die nicht so recht passen will zur Aktionsarmut der vorangegangenen Stunden. Immerhin rütteln einen die Schüsse auf und erinnern daran, dass man sich zwar unterhaltsam einlullen ließ, darüber aber vergessen hat, zu fragen, was Bosse eigentlich an "Platonow" interessiert. Als "Krisenstück" bezeichnet der Regisseur die Vorlage, und Krise, das passe doch zur Gegenwart. Und dann: "Das hätte man aber vor zehn Jahren auch schon so gesagt." Nicht nur die Figuren flüchten sich in die Ironie, auch der Regie fällt nichts Besseres ein. Immerhin: Die ökonomische Misere, in der Tschechows Dauercamper gefangen sind, entspringt einem undurchschaubaren Wirrwarr von Schuldscheinen, und von dort ist es nicht weit zur Finanzkrise. Gut, man muss nicht jeden aktuellen Bezug ausspielen, der sich anbietet. Aber: gar keinen?
Diejenigen, denen das reicht, schauen diesen wundervollen Schauspielern beim Nichtstun zu. Dämmern weg. Langweilen sich ein bisschen. Langweilen: Großartig!
Platonow
von Anton Tschechow
Deutsch von Andrea Clemen
Regie: Jan Bosse, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Kathrin Plath, Musik: Jonas Landerschier, Dramaturgie: Gabriella Bußacker.
Mit: Christoph Bantzer, Bruno Cathomas, Marina Galic, Jens Harzer, Jonas Landerschier, Matthias Leja, Marie Löcker, Peter Maertens, Jörg Pohl, Sven Schelker, Rafael Stachowiak, Victoria Trauttmansdorff, Sebastian Zimmler, Patrycia Ziolkowska.
www.thalia-theater.de
Mehr Platonow? Im Mai 2011 inszenierte Alvis Hermanis das uferlose Drama vom Provinzerotomanen, den am Wiener Burgtheater Martin Wuttke gab.
"Kein wirklich grandioser Abend", so Michael Laages in der Sendung "Kultur Heute" beim Deutschlandfunk (2.9.2012). Wenn der erste Charme und Zauber des Wohnmobils verflogen ist, es all seine Funktionen erfüllt hat erst recht. Im Finale gönne Jan Bosse den Figuren keine Gedanken mehr, "nur noch verlorene, verlassene Auftritte im leeren Raum. Und deutlicher denn je in vier Stunden zuvor wird sichtbar, dass die Inszenierung keinen wirklichen Entwurf hatte, keinen grundsätzlichen Gedanken für dieses so wortreich und unablässig vor sich mäandernde Stück."
Für einen mit "asti" kürzelnden Kritiker vom Hamburger Abendblatt (3.9.2012) kommt das Leichte an diesem Abend mitunter zu federgewichtig daher. Dafür gehe die Tiefe mancherorts in einer Zähigkeit verloren. "Das Stück ist von ursprünglich acht auf vier Stunden verkürzt, eine weitere hätte dem Abend gutgetan. So fahren viele längst weggedämmerte Besucher in ihren Sitzen zusammen, als dann doch der erlösende Schuss erklingt, mit dem Sofja Platonow erledigt. Die Langeweile ist dem Stück eingeschrieben, es hätte allerdings einer entschiedeneren Tat der Regie bedurft, sie zu ironisieren."
Von "bis in die kleinste Nebenrolle faszinierenden Schauspielern" und einem " erstaunlich wachhaltend über vier Stunden geretteten Theaterabend" spricht Matthias Heine auf Welt online (3.9.2012). Wie so oft in den Inszenierungen des Regisseurs Jan Bosse sei das Bühnenbild seines Szenografen Stephane Laimé das stärkste Statement: "Die Figuren sind schon zu Beginn ziemlich weit unten angekommen. Ihre "Güter" sind nur Parzellen eines Trailerparks." Den Titelhelden spiele "der fast immer anbetungswürdige Hauptrollenspieler" des Hauses, Jens Harzer, "der schon manche mittelmäßige Inszenierung auf seinen schmalen Melancholikerschultern ins Ziel getragen hat." Doch im letzten Viertel des Abends, "wenn die Mitternacht schon näher zieht und die Langweile hin und wieder nicht nur tschechoweskes künstlerisches Mittel ist", möchte dieser Kritiker Harzer und Victoria Trauttmannsdorff, die Heine zufolge mit "erotischen Vulkanismus" die Witwe spielt, zurufen: "'Nun springt doch endlich in die Kiste, Kinder!' Platonows Ehe ist eh im Eimer, und der Spannung hätte es aufgeholfen."
Ohne Not schrumpfe Jan Bosse in seiner "immerhin vier Stunden dauernden" Inszenierung erstklassige Schauspieler zu "Kleinbürgerstadttheaterzwergen", schreibt Volker Corsten in der FAZ (3.9.2012). Jens Harzer halte in der Titelrolle "die Dinge halbwegs in der Schwebe, aber vor allem am Laufen – bis er und der Regisseur endgültig den Stecker ziehen. Dann, zu Beginn des dritten Aktes, werden die Figuren endgültig zu Gefühlszombies, die Kostüme durchweg grau, das Licht fahl und die Nacht ewig. Platonow, durch die Begegnung mit der Studentenliebe Sofja aus der Bahn geraten, die bei Patrycia Ziolkowska vor allem bebende Brust und starrer Blick ist, wird zum verlausten, verwirrten, haltlosen Sonderling, der das Spiel nicht mehr beherrscht. Und der einen Abend, der nie richtig in Form war, endgültig kippt: ins Matte."
Wie eine Parodie auf Alvis Hermanis' Wiener Platonow-Ausstattungsorgie aus der letzten Spielzeit wirkt Jan Bosses Inszenierung auf Anke Dürr in der Frankfurter Rundschau (3.9.2011). Allerdings ist es aus Sicht dieser Kritikerin trotzdem kein bedeutender Abend. Zwar sei Jens Harzer in der Titelrolle eine Idealbesetzung und auch sonst mancher Auftritt sehr "charming". Im Ganzen bleibe alles auf unverbindlicher Distanz. Nur im zweiten Teil sieht Dürr den Abend einmal kurz auf den Punkt kommen.
Auf taz.de (3.9.2012) schreibt Simone Kaempf, Jan Bosses Inszenierung von "Platonow" finde einen "nicht unbedingt radikalen", aber doch "bezwingenden Weg", den Text "ganz selbstverständlich" wie aus "unserer Zeit daherkommen" und ihm doch "ureigenste Qualitäten zu lassen". Den "Selbsterniedrigungen und Schuldbezichtigungen einer kleinen in die Sinnkrise geratenen Gesellschaft" verhelfe Bosse zu "äußerster Lebendigkeit". Die Inszenierung lebe von den Schauspielern, die "ihre Figuren scharf konturieren" könnten. Jens Harzer sei ein "entwaffnend ironischer" Platonow, Victoria Trauttmannsdorff verleihe der Gutsbesitzerin "Lebenstüchtigkeit" und Bruno Cathomas wirke wie ein "Kavalier aus anderer Zeit, der nicht weiß, wo er gelandet ist". Richtig "rund" sei Bosses Arbeit nicht, doch die Schauspieler könnten sich "feiern lassen".
Jan Bosses "Platonow" sei von ausschweifender Detaillust, schreibt Peter Kümmel in der Zeit (6.9.2012), "ein Dickicht der Lüste, der am Rand blühenden Kostbarkeiten: ein Füllhorn des Verfalls." Bosse inszeniere das Stück gekonnt auf schlechten Geschmack und abgesunkene Aristokratie hin. Jens Harzers Spiel als Platonow sei auf zei Ebenen zu genießen: "Er ist gleichzeitig Moralist und hemmungsloser Spieler – und aus großer Höhe schaut der Moralist dem Spieler zu, ohne ihm das Handwerk zu legen."
"Spätestens nach drei Stunden ergreift das Verhängnis des Gejammers diese Inszenierung", schreibt Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (8.9.2012). Dann verliere auch Jens Harzers Platonow samt seiner multiplen Persönlichkeit den Umriss. "Ständig geht dieser Platonow in die Knie und brüllt seinen Selbsthass heraus, um prompt wieder in blasierte Zungenfertigkeit zu wechseln. Das hat so viel Methode, dass man es besser Monotonie nennt. Aber auch alle anderen gehen zu Grunde mit Ansage. Im fliegenden Wechsel erklärt das Ensemble dem Zuschauer, was dieser längst weiß: Enttäuschung ist ein hartes Brot." "Wundersame Brotvermehrung durch immer neue Verzweiflungskost" als Inszenierungsprinzip würde hier leider kein Theaterwunder ergeben.
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Es geht heute eher um den Begriff der Selbstbestimmung von Lehren und Lernen:
"Eine Revolution gegen jene Formen von Privileg und Macht, die auf dem Rechtstitel professionellen Wissens beruhen, muß von einer gewandelten Auffassung vom Wesen des Lernens ausgehen. Dies bedeutet vor allem, daß die Verantwortung für Lehren und Lernen in andere Hände übergeht. Wissen läßt sich nur als Ware definieren, solange es als Resultat eines institutionellen Unternehmens oder als Erfüllung institutioneller Ziele begriffen wird. Nur wenn der einzelne das Gefühl seiner persönlichen Verantwortung für das, was er lernt und lehrt, wiedergewinnt, kann dieser Bann gebrochen und die Entfremdung des Lernens vom Leben überwunden werden."
(Ivan Illich, "Entschulung der Gesellschaft")
den "pädagogischen Eros" spürt jemand in sich, der zum Lehrer oder Lehren geboren ist und seinem Beruf mit Leidenschaft (Eros) nachgeht.
Wer von "pädagogischen Eros" statt vom geborenen Lehrer spricht, will im Leser, der Leserin an das Vergnügen erinnern, das er/sie beim Lesen von Platons "Symposion" empfunden hat. In der Diskussion über dieses hoch ironische Werk über den pädagogischen Eros ist der Begriff entstanden.
Seien auch Sie eingeladen, es zu lesen. Es macht einen Riesenspaß und wer es kennt, wird es nie wieder vergessen.
danke für die Präzisierung.
Ich sprach aber von einem geborenen Lehrer, nicht von einem gezüchteten Lehrer.
lichkeiten anläßlich des 100jährigen Hausjubiläums im Vorfeld der Premiere. Herr Lux habe hierbei in seiner Rede darauf hingewiesen, daß das Thalia sich nicht mit Publikumsmagneten an die Zuschauer heranschmeiße, nein, man sei unbequem, sperrig, mache einen "Platonow" zum Saisonauftakt, so in etwa. Ein sonderbares Statement
(wie ich finde) angesichts dessen, daß "Platonows" in den vergangenen Jahren regelmäßig zum Theatertreffen geladen wurden
(zuletzt Hermanis, nicht lange her: Karin Henkels Stuttgarter Fassung mit Felix Goeser als Platonow -für diese Rolle dann auch Schauspieler des Jahres seinerzeit-), daß die Suche nach dem "Tschechow-Rezept" (siehe "Bestiarium" - wirklich "Bestiarium" ??!)
sowohl inszenatorisch (steter Rollenwechsel im Leipziger "Kirschgarten") als auch in der Dramatisierung tschechowscher Prosa ("Krankenzimmer Nr. 6") immer neue Blüten treibt und nicht zuletzt kaum ein Autor nach wie vor beliebter und mehrgespielter auf deutschsprachigen Bühnen ist als Tschechow (das Thalia selbst hat jetzt den Vorsaison-Kirschgarten von Perceval aufzubieten und den neuen Bosse-Platonow, gewissermaßen Anfang und Ende des tschechowschen Dramenkosmos, und, wie auch immer man zu den Inszenierungen steht, der Zugriff auf die Stoffe (Stichwort: Depression und Kapitalismus -siehe Carl Hegemann zuletzt im TheaterHeute-Jahrbuch (Interview)-) bliebe allemal diskutabel.
Daß die Darstellung von "Langeweile" nicht zwangsläufig auch selbst langweilig ausfallen muß, sollte eine Binsenweisheit sein (zB. Goesers Platonow ist gewiß nicht langweilig gewesen), allerdings scheint der eine oder andere Kritikentext mir ein wenig von dieser Unterstellung angekränkelt zu sein. Wenn das uns (??) höchstbekannte sogenannte Tschechow-Bestiarium uns anspringt und zwar vom Erstlingswerk Tschechows her, dann ist das meineserachtens mindestens eine Randnotiz wert in Richtung: Wieviel Vorannahme und Vorkenntnis balanciert diese Inszenierung und zu welchem Zweck, und wie steht es um eine etwaige Rezeption ganz "tschechowunbeleckter" Provenienz ?? Das kommt mir fast in allen Kritiken zu kurz: allerdings haben diese in ihren Gazetten einen gewissen Raummangel (war das nicht -nebenbei- eines der Gründungsargumente für nachtkritik de., mehr Raum für "Diskussionen" zu bekommen ??? und hier nun: all diese unterschiedlichen Kritiken und keine Argumentationslinien ?!!), insofern ist Brieglebs Clooney-Zugriff recht erfrischend in seiner bewußten Reduktion (um ein Beispiel zu nennen). Auch hätte ich selbst nach diesen 4,5 Stunden keinesfalls noch eine Nachtkritik schreiben mögen, so ermattet ging ich aus alledem hervor..
(gewiß hat Stemanns Faust-Marathon sowohl als Inszenierung als auch von Einzelleistungen her (siehe den zurecht ausgezeichneten Rudolph-Monolog) Schlagzeilen gemacht, "Immer noch Sturm" von Peter Handke ist Mülheimsieger geworden, Till Briegleb zB. sah das Thalia als Theater des Jahres etcpp.) wahrgenommen: die Thalia-Tendenz geht für mich hier deutlich zu Leuchtturm- und Festivalkooperationsprojekten, darüber können auch launige Zuschauerbefragungen nicht hinwegtäuschen, und den Ton am Haus nahm ich, wenn ich es besuchte, auch eher als selbstbelobigend/selbstzufrieden/selbstgefällig wahr (nicht nur zum Jubiläum). Natürlich ist es ein schönes Haus mit großartigen Spielerinnen und Spielern, aber die interessieren mich mehr als zB. Olaf Scholz beim Friseur und Inszenierungen, die darauf gebürstet sind, das Abonnententum nicht allzusehr mit sich selbst zu konfrontieren. Glauben Sie, der jetzige "Platonow" kratzt da irgendjemanden im Parkett dermaßen, daß er/sie sich selbst und seine Lebensgewohnheiten, gar den Zusammenhang von Kapitalismus und Depression, infrage gestellt sieht, das "Bestiarium der ThaliabesucherInnen", wenn Sie so wollen ??
Da finde ich die "HAWAI"-Ausrichtung des Hamburger Schauspielhauses bei weitem offener, roher, explorativer, spannender.
Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2012/12/12/untergehen-im-wohnmobil/