Wassa Schelesnowa - Am Deutschen Theater Berlin zeigt Stephan Kimmig Maxim Gorkis Vorrevolutionsklassiker als eiskaltes Stück von heute
Vom Lechzen nach Liebe und Geld
von Nikolaus Merck
Berlin, 16. Mai 2014. Am Anfang gibt es Apfelschnitze und ein altspanisches Schlaflied. Am Ende liegt ein einsamer Revolver auf dem Stuhl. Der Revolver ist aus der Requisite, das Lied von Emanuel Geibel. Aber eigentlich tut das nichts zur Sache. Zwischen Apfelschnitz und Revolver indes ereignet sich im Deutschen Theater Beachtliches. Ist das hier wirklich noch dasselbe wohltemperierte, wohlmeinende Ensemble, dem man immerzu alles Gute wünscht, aber nie ein Wort, eine Absicht, eine Haltung zu glauben=abzunehmen imstande ist?
Unter der Decke rumort der Kapitalismus
Diesmal spielt man am Deutschen Theater "Wassa Schelesnowa". Von Maxim Gorki. 1910. Aber eigentlich ist die Aufführung sprachlich und plotmäßig eher zurechtimprovisiert. Die Aufgabe: erzähle mit einer ollen Familienkamelle, in der der sterbende Kapitalismus unter der Decke rumort, eine Geschichte von heute. Wo der sterbende Kapitalismus jeden Tag fröhlich totalitäre Urständ feiert. Von einem Familienunternehmen, das Muttern führt, weil Vaddern, der alte Kapitalist, an seinen Sünden und Hurereien langsam im Hinterzimmer krepiert, was zwei Akte lang dauert. Von einer "dysfunktionalen" Familie, mit tepperten Söhnen, verstoßener Tochter, rachsüchtig-habgierig-hurenböckischem Schwager, romantisch-revolutionärer Schwiegertochter Nr. 1 und lebensgieriger Schwiegertochter Nr. 2. Kurz: von einer ganz normalen Bürgerfamilie, in der die Liebe durch die Firmenkasse geht, diese Firmenkasse aber leider wegen Oligopolen und dem entsprechenden Konkurrenzdruck auf kleine Familienunternehmen beklagenswert leer ist. Dabei kommt heraus: ein aktualisierter Klassiker. In Stahlrohrgestänge (Katja Hass) und aktweiser Unterwäschen-/Rock-und-Pullover-/Trauerklammotten-Kostümierung (Anja Rabes).
Liebesbedürftige und Zukurzgekommene
Nun... zum Beachtlichen. Es ist korrekt, wenn das Theater Zeitgenossenschaft sucht. Wie kann es das erreichen? Unter anderem, indem es die Figuren, wenn schon Figuren gespielt werden, ernst nimmt. Spielleiter Stephan Kimmig und seine Leute nehmen die Figuren ernst. Das bedeutet zum Beispiel: Sohn Pawel, den Alexander Khuon gibt, ist am Anfang völlig gaga. Er sabbert und brabbelt vor sich hin, er sei ein Schiff, das durch Eis ... und solches Zeug. Was ihn aber nicht daran hindert, Mutter und Eheweib und Onkel brutalst zu bedrängen und dabei dennoch den Liebesbedürftigen, Zukurzgekommenen, Bemitleidenswerten nicht nur im Knopfloch zu tragen.
Desgleichen Christoph Franken als der zweite Bruder Semjon. Gemeinsam mit Pawel eine rechte Skorpionenbrut, die Mutters Assistenten Alexander (in Vertretung von Gorkis Dienstmägden: Marcel Kohler, beachtlich) zusammenschlägt, Schwester Anna um den Esstisch jagt, wenn sie in Verdacht gerät, das Familienerbe zu erschleichen. Und doch gelingt es auch Franken, am Ende, wenn er mit gespitztem Kussmund um die Liebe der sich vor ihrer Ausgeburt ekelnden Mutter Wassa bettelt, als armer Junge, den man trösten möchte, vor den Herzen des Publikums zu erscheinen.
Selbst Bernd Stempel als steifstöckiger Verwalter Michailo macht als vergeblich liebender Ljudmilla-Vater Punkte. Und Michael Goldberg, obwohl er sich über Kratzer im Autolack beschweren muss und nicht mehr wie bei Gorki über getötete Tauben, steht am Ende alleine im Regen seiner unglücklichen Liebe zu Verwaltertochter und schaut nicht nur wie gewöhnlich auf diesem Theater übermüdet, sondern geradezu verloren und deshalb sehr menschlich drein. Bevor er erschlagen wird, weil er die Orgasmen mit Pawels Frau Ljudmilla als Morphium für seine Herzkrankheit gefeiert hatte.
Aber wie es, ungewöhnlich genug, ein Abend der Männer ist im Deutschen Theater, ist es auch ein Abend der Frauen. Wundersam, verrückt und tränenumflort somnambul gibt Katharina Marie Schubert Schwiegertochter Nr. 2, Michailos, also Stempels, Tochter Ljudmilla, die zugleich knüppelhart ihrem Mann Pawel jede Zärtlichkeit verweigert ("Meine Haut würde ich Dir gerne da lassen, wenn ich nur weg könnte"). Als revoluzzendes und ihren Kerl Semjon mit Klauen verteidigendes Springteufelchen Natalja, Schwiegertochter Nr. 1, sorgt Lisa Hrdina für den comic relief. Mit ihrem Auftrittsmotz "Gibt's keine Eier?" sollte sie sich für tragende Rollen in "Fuck ju Goethe" 2 bis 17 aufgedrängt haben. Nur Franziska Machens als Tochter und Erbin Anna, genauso verschlagen und berechnend wie Mamma Wassa, bleibt in ihrer lispeligen, die Arme vor der Brust verschränkenden Zurückhaltung ein wenig blasser.
Aber nicht nur der Schauspielkunst halber ragt dieser Abend aus dem derzeitigen deutschtheatrigen Einheitsbrei heraus. Spielleiter Kimmig führt die Sache straff mit einem guten Gefühl für Tempo und Zuspitzung. Wenn die bösen Buben Khuon und Franken explodieren und nach Blut und Moneten lechzen, kann's einem identifikationssüchtigen Zuschauerherzen recht blümerant werden im Parkettsitz.
Die Liebe aus der Seele schneiden
Und natürlich ... natürlich ist da, wir haben's, der geneigte Leser ahnt' es schon, rezensionsdramaturgisch aufgespart bis zuletzt, die Diva Corinna Harfouch als Wassa. Harfouch ist die Seele und das Zentrum, Harfouch hält den Laden zusammen. Kraft ihrer Präsenz. Nüchtern, zurückgenommen, mit kleinen Zeichen der Sache Fahrt und Richtung gebend. Recht eigentlich etabliert sie eine Natürlichkeitsspielweise bereits zu Beginn, wenn sie in aller Ruhe einen Teebeutel aufbrüht, woraus dann ihre Hass-Liebes-Not zum Sohne umso mehr sich beglaubigt, wenn sie Sohn Pawel verzweifelt davon abzuhalten versucht, das gesamte Familiengeschirr zu zerdeppern.
Harfouch bebt innerlich und zeigt es außen, Harfouch kommandiert und Harfouch liebt, Harfouch kämpft um "ihren", also Wassas Besitz, den sie schließlich mit Tricks vor den untauglichen Söhnen in Sicherheit bringt, und Harfouch zeigt, dass sie sich die Liebe zur Familie aus der Seele schneiden muss, will sie die Firma behalten, die wiederum den Kitt abgeben soll, den Rest, allerdings den von Wassa selbst auserwählten Rest der Familie, Anna und Ljudmilla und sie selbst, zusammenzuhalten. Man könnte auch sagen, die Weise, wie die kapitalistischen Gesetze "in der Familie privatisiert werden" (Programmheft), gewinnt in Corinna Harfouchs Darstellung der Familienunternehmerin Wassa Schelesnowa eine vorbildliche Gestalt. Großer Jubel und Chapeau.
Wassa Shelesnowa
von Maxim Gorki
Fassung von Sonja Anders unter Zugrundlegung einer Linearübersetzung von Maiko Miske.
Regie: Stephan Kimmig, Bühne: Katja Haß, Kostüme: Anja Rabes, Musik: Michael Verhovec, Dramaturgie: Sonja Anders.
Mit: Corinna Harfouch, Franziska Machens, Christoph Franken, Alexander Khuon, Lisa Hrdina, Katharina Marie Schubert, Michael Goldberg, Bernd Stempel, Marcel Kohler.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.deutschestheater.de
"So weinerlich und selbstgerecht, wie die vermeintliche Erbengeneration hier zwischen Designermobiliar abhängt, kann man sich nur wundern, dass Wassa nicht noch öfter mit Handtüchern und anderen Gebrauchsgegenständen zuschlägt", bedauert Christine Wahl im Berliner Tagesspiegel (18.5.2014), die die Figuren eher schlicht gezeichnet findet. Denn eigentlich treffe der von Kimmig in herausgearbeitete Konflikt zwischen elterlicher Macher- und kindlicher Gratismentalität ja einen empfindlichen Gegenwartspunkt: "Die ewigen Töchter und Söhne, die in Papas Eigentumswohnung leben und sich von seinem Geld hippe Galeristenkarrieren leisten, um dann mit kapitalismuskritischer Kunst gegen die moralisch fragwürdigen Eltern rebellieren, sind nicht nur in Berlin-Mitte ein Massenphänomen." Dass der Konflikt aber "in plakativen, dem Gorki-Text aufgepfropften Vorabendseriensätzen à la 'Was seid ihr denn für eine Generation; kein Kampfgeist, keine Visionen, nichts!' vergegenwärtigt wird", macht ihn aus Sicht dieser Kritikerin eher klein.
Es sei "ein Abend der großen Darsteller, doch die Harfouch überragt sie alle", so Kathrin Pauly in der Berliner Morgenpost (18.5.2014) wesentlich begeisterter. Kimmig habe die Geschichte "klar konturiert, er hat überzeugend modernisiert und alle Figuren scharf herausgearbeitet". Zwar gebe es "arg überzeichnete Szenen", dennoch sei der Abend ein "handwerklich extrem präziser Abend" geworden, der zudem mit einem überraschenden Schluss aufwarte.
Begeisterung auch bei Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (19.5.2014) über den "sehr streitbaren und ungemein aufschlussreichen Abend", Theater, "das dem schnellen Blick schlichter Gemüter nach plumper Fernsehdramatik aussehen mag, nach einem Realismus, der auch mir oft wie die schiere Verdopplung einer schlechten Wirklichkeit vorkam (...). Diesmal aber ist es psychologischer Realismus schärfsten Wassers, kein weich gezeichnetes Gegenwartsaquarell, sondern ein Kupferstich, spitz und beißend." Kimmig zeige Figuren, deren Bewusstseinshaushalte nicht mit ihrem Wissensstand Schritt halte. "Man sieht es an ihren Gängen, an den Blicken, den Verkrampfungen der Finger."
Not amused hingegen Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (19.5.2014): So "lust- und freudlos und, man muss es sagen, so hirnlos inszeniert, so völlig unüberzeugend gezeichnet war wohl selten eine Wassa", die bei Kimmig "auf eine banale heutige Mittelstandstussi reduziert" werde. Corinna Harfouch nehme man weder die verzweifelte Mutter ab noch die emanzipierte Chefin. "In dieser fehlkalkulierten Aufführung genügt das freilich, dass sie wie ein schwarzes Loch, das der Regisseur sich selbst (und dem armen Gorki) gegraben hat, alle Energie in ihrem Umfeld vernichtet, weshalb die anderen Schauspieler fad und farblos bleiben."
Kimming straffe und modernisiere das Stück, so Christiane Rösinger in der tageszeitung (19.52014). Das Umgangssprachliche wirke jedoch hölzern und bemüht, die Absurditäten des Originaltextes gingen verloren. Auch der Schluss bleibe "seltsam unentschlossen".
Aus Sicht von Mounia Meiborg in der Süddeutschen Zeitung (20.5.2014) schwebt die intendierte politische Aussage der Inszenierung im Ungefähren. Doch übrig bleibe "eine packende Sozialstudie über eine vom Geld zerfressene Familie. Und das Psychogramm einer Frau, die sich mit Härte in einer Männerwelt behaupten will."
"Kimmigs Inszenierung begreift Gorki als einen Propheten, der unsere Verhältnisse hell vorgezeichnet hat", schreibt Peter Kümmel in der Zeit (22.5.2014). "Aber er löscht den gesellschaftlichen Hintergrund von damals." Wassa sei, in der Darstellung von Corinna Harfouch, eine moderne Frau mit den kurzen Geduldsfäden von heute, "sie erträgt nicht die verschlafene Egozentrik ihrer Kinder, welche, terroristische Dauerinsassen von 'Hotel Mama', verkatert aus ihren Löchern kriechen – untüchtige, verwöhnte Pyjamagestalten."
Rabiat würden "die semantischen Schonbezüge von den Zusammenhängen gerissen", und man sehe, "was darunter liegt: die nackte Gier von heute". Wie auch Michael Thalheimer mit seiner Frankfurter Ibsen-Inszenierung Nora, die Kümmel mit "Wassa" zusammen bespricht, sei Kimmig in die Theatervergangenheit aufgebrochen und hätte nichts gefunden, was zu verteidigen sich lohnte. "Beiden Inszenierungen ist anzusehen, dass die Regisseure die Schuld daran nicht bei sich selbst suchen."
Matthias Heine schreibt in der Welt (25.5.2014), die Konzeption sei, dass "die Familienbeziehungen und überhaupt die Sphäre des Privaten in den letzten 100 Jahren noch weiter ökonomisiert worden sind als sie es – nach Gorkis Darstellung – schon damals waren." Trotz dieses "Programmbuchstusses" könne man die Aufführung "streckenweise mit staunend offenem Mund genießen". Corinna Harfouch dominiere, "andere Schauspielhöchstleistungen ergäben sich fast immer in direkter Konfrontation mit ihr". Sie schaffe es, diesen "verzweifelten Mutterdragoner unaufdringlich als Liebesuchende ein bisschen sympathisch zu machen". Wenn Wassa am Ende gewahr werde, dass ihre Machenschaften wirkungslos waren, gelinge es Harfouch vor den Augen des Publikums "um zehn Jahre zu altern". Um diese "Wassa Harfouchowa" herum: lauter Schauspieler, die "heller leuchten als sonst meist im Alltagsgeschäft des Deutschen Theater üblich". Regisseur Kimmig erweise sich als der einzige Stammregisseur des DT, der "Verlässlichkeit und Innovation einigermaßen zuverlässig auszubalancieren" in der Lage sei.
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Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2014/05/17/keine-eier/
Danach braucht niemand weiter lesen. Kapitalismus und Totalitarismus schließen sich aus. Und wir kranken auch nicht an einem freien Markt, sondern durch und durch regulierten und manipulierten Korporatismus. Dass in der Theaterwelt so langsam niemand mehr in der Lage zu sein schein, die Realität beim Namen zu nennen, weil jegliches wirtschaftliche Verständnis entweder fehlt oder der linken Ideologie zum Opfer fällt: erschütternd.
Wohl zu heiss gebadet worden.
Manipulierter Korporatismus!
Jesus Christus!
Und wenn, ist es nach einer längeren Phase der Sympathie mit wirtschaftsliberalem Gedankengut (auch unter Theaterleuten) an der Zeit sich wieder etwas nach Links zu bewegen.
Muss ja nicht gleich wieder "Genosse" heissen.
http://pagewizz.com/deutsches-theater-berlin-kritik-von-wassa-schelesnowa-30450/
Vielleicht erklären Sie kurz das "Totalitäre" an einem freien Markt.
Wer so überzeugt daher kommt wie Sie, kann seine Haltung ja sicherlich sachlich und in sich logisch begründen.
Um aber zum Stück zurückzukommen: es war ja so inszeniert, daß es auch (oder gerade?) fürs bürgerliche Zielpublikum gut verdaulich ist. Kapitalismuskritik war nicht, die muß man schon rein-interpretieren.
Dass das gut geht ist halt auch eine Qualität.
"Das Geld hat Gott abgelöst und ist zu unserer neuen Religion geworden. Eine noch nie da gewesene universelle, totalitäre Religion! Wir können uns dem Zwang, unsere Arbeitskraft verkaufen und das Lebensnotwendige kaufen zu müssen, nicht entziehen... Die Theokratie von Ware und Geld durchdringt permanent unser alltägliches Handeln, sodass wir uns dieses Vorgangs gar nicht mehr bewusst sind. Das christliche Reich Gottes war nicht von dieser Welt – die Markt-Theokratie hingegen hat das Diesseits zu etwas Jenseitigem gemacht." Und das ist nicht von Karl Marx oder Gorki sondern sehr heutig. Maria Wölflingseder in:
http://www.krisis.org/2007/der-markt-ist-eine-universale-totalitaere-religion
In China herrscht ein Freier Markt? Tatsächlich? Es gibt keine regulierende, benachteiligende und bevorzugende Partei und keine die Menschen in ihrem Handeln einschränkenden Gesetze? Da sind Sie sich sicher?
@Steckel
Die These, der freie Markt sei Totalitär, wurde bereist aufgestellt. Herzlichen Dank für die Wiederholung. Ich fragte nach wenigstens einem sachlichen, in sich logischem Argument.
@Stefan
Zitieren kann jeder. Das könnte ich den ganzen Abend, wenn ich wollte. Das ist doch aber etwas langweilig, nicht?
Ich beziehe mich mal auf ihr einleitendes, selbst formuliertes "Argument".
Ihrer Logik folgend wäre ein Wolf, der alternativlos frei im Wald lebt und sich für das Überleben alternativlos selbst ernähren muss, in einem totalitären System gefangen?
ich fragte nicht nach einer Legitimation persönlicher Ansichten.
Sondern nach einem einzigen Argument, welches die aufgestellte These, der Freie Markt sei totalitär, belegt. Man darf doch erwarten, dass jemand seine Aussagen irgendwie untermauern kann, nicht wahr?
Bisher habe hier allerdings nicht ein einziges Argument gelesen.
Zu Ihrem kleinen Text:
"Diese kleine Fabel bedeutet, auf die These Totalitarismus und Markt übertragen, dass das freie ungezügelte Kapital"
Frage: Was ist denn "das Kapital?" Haben Sie je darüber nachgedacht, dass es "das Kapital" vielleicht gar nicht gibt?
"mit seinen Marktgesetzen den Menschen zwingt entsprechend zu handeln"
Interessant. Erläutern Sie gerne die Marktgesetze auf einem _freien_ Markt. Und in wiefern sie Menschen zwingen oder zwingen können. Ich bin gespannt.
"Sie mögen in der kapitalistischen Welt frei sein, zu tun und zu lassen was immer Sie wollen, so lange Sie nicht den Rahmen der Gesetze verlassen."
Wer macht die Gesetze und warum? Bestimmen Gesetze die Moral, oder die Moral die Gesetze?
Zum Abschluss ein kleiner Denkanstoß: ein Freier Markt setzt Freiwilligkeit und Vertragsfreiheit auf allen Seiten voraus. Existiert diese nicht, ist der Markt nicht frei.
Einen schönen Tag
dass linke Ideologen meinen zu wissen, was andere Menschen denken und wollen, ist ja ein bekanntes Phänomen. Leider liegen sie meistens, und so auch Sie jetzt, daneben.
Ich frage noch immer nach einem sachlichen und logischen Argument, das die hier aufgestellte These belegt, der Freie Markt sei totalitär. Ja, in einem Theaterforum. Theater, gerade solches, das politisch sein möchte, muss sich inhaltliche Fragen gefallen lassen. Auch die Unbequemen.
Dass Sie die Folgen zentraler Finanz-Planwirtschaft einem System unterschieben, das Sie Kapitalismus nennen, aber doch nicht verstanden haben, untermauert nur meine Kritik: es wird nicht oder will nicht verstanden werden, was der Ideologie widerspricht.
Darüber mit jemandem zu diskutieren, der mir in voller Ernsthaftigkeit „Das Kapital“ zu lesen empfiehlt ist allerdings so sinnvoll, wie mit bibeltreuen Christen über Sinn und Unsinn von Religion zu sprechen.
Linke Ideologie ist eine Religion von Fanatikern.
Ein Argument, das belegt warum der Freie Markt totalitär ist, fehlt übrigens noch immer.
Und warum man nun nicht Marx' Kapital lesen soll, das verstehe ich auch nicht ganz. Marx ist doch gar nicht das Problem, er hat doch "nur" die Bewegungsgesetze des Kapitals beschrieben. Das Problem sind die Menschen.
"Marx wird das später einmal die 'abstrakte Genusssucht' des Kapitalisten nennen, dessen Akkumulation von Geld und Kapital sich mit keinem konkreten Bedürfnis abgleichen lässt. Und das ist eine weitere Komponente des ökonomischen Menschen und des von ihm betriebenen wirtschaftlichen Systems. Dessen Gegenstände und Elemente sind nicht einfach Güter oder Dinge des Bedarfs, sondern Objektverhältnisse, Präferenzen, Wünsche und Begierden, die gerade in ihrer Maßlosigkeit ein Maß des Ausgleichs garantieren." (Joseph Vogl, "Das Gespenst des Kapitals")
@Stefan: Wenn man keine Argumente hat, bleibt einem nur die Beleidigung, nicht wahr?
Dass Sie in Ihrem Irrtum nicht alleine sind, gibt Ihnen noch lange kein Recht.
Und dass Marx zeitlebens auf Kosten von Freunden lebend, keinen Tag gearbeitet hat, fällt jetzt vermutlich unter Gotteslästerung. Mit Vernunft kommt man gegen Ihre Religion nicht an. Machen Sie's gut, Marx hab' Sie selig.
Vereehrter Micha, was meinen Sie mit zentraler Finanz-Planwirtschaft?
Klären Sie mich auf, mein Herz schlägt links.
Besten Dank, Achim
Wenn Sie sich beleidigt fühlen, ist das nicht mein Problem, sondern resultiert aus Ihrer Überheblichkeit dem Gesprächspartner Fragen aufzuzwingen, ohne eigene Erklärungen zu bringen und auf Gegenfragen zu reagieren. So kann sich kein Gespräch entwickeln. Sie meinen wohl, zum freien Markt und möglichen Alternativen wäre alles gesagt. Demzufolge scheint er Ihnen als alternativlos und Allheilmittel. Wenn da der Dogmatiker nicht mal auf der anderen Seite sitzt.
Übrigens die Philosophie, oder Ideologie (ganz wie Sie wollen) des Sozialismus oder Kommunismus macht den Menschen nicht zum Problem, sondern zum zentralen Thema. Die Kritiker von Marx haben den Menschen nur zum Problem erklärt, weshalb der Kommunismus nicht funktionieren kann. Stichwort: allseitige Entwicklung des Individuums, der Begriff sollte gerade auch Ihnen etwas sagen. Wie man dahin kommt, ist freilich so umstritten, wie die Frage der tatsächlichen Freiheit des Menschen im Kapitalismus, oder der momentan praktizierten parlamentarischen Demokratie, mit ihren verschiedenen Interessengruppen. Jeder wird da etwas finden, was ihm nicht passt. Der Mittelweg ist meist ein Konsens, oder auch fauler Kompromiss. Auch da werden Sie mir zustimmen. Da Sie den freien Markt ja auch noch nicht erreicht haben und daher von Finanzplanwirtschaft sprechen (man könnte auch zwangsstaatliche Maßnahmen wie Rettungsschirme für Banken darunter zählen), die das verhindern (und da könnten Sie dann ruhig auch mal ins Detail gehen, damit ich dumm sterbe).
Ich muss noch mal Marx zitieren, tut mir leid:
1. „Was könnte die kapitalistische Produktionsweise besser charakterisieren als die Notwendigkeit, ihr durch Zwangsgesetz von Staats wegen die einfachsten Reinlichkeits- und Gesundheitsvorrichtungen aufzuherrschen?" Karl Marx, Das Kapital
2. „Die Freiheit besteht darin, den Staat aus einem der Gesellschaft übergeordneten in ein ihr durchaus untergeordnetes Organ zu verwandeln" Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms
Will das nicht auch der freie Markt? Was wären nun die Aufgaben des Staates nach Marx, bzw. nach den Gesetzen des freien Marktes? Und wo bleibt da der Mensch als Individuum? Bitte klären Sie mich auf. Marx Thesen zähle ich hier nicht noch einmal auf. Die setze ich als bekannt voraus. Sie können aber auch gerne noch mal nachlesen. Ist ja frei verfügbar.
Und die Frage nach dem Totalitarismus des Marktes hat Herr Steckel in Punkt 10 bereits hinreichend beantwortet. Das könnte ich nicht besser formulieren.
um mal wieder zum Theater zurück zu kommen, ähnliches hat auch Bernd Stegemann in der Zeit bezüglich aktueller performativer Theaterarbeiten festgestellt (ich weiß nicht, ob das hier schon mal verlinkt war):
http://www.zeit.de/2014/18/neuer-realismus-3/komplettansicht
"In seiner gegenwärtig häufigsten Form wird das Performative zu einer selbstreferenziellen Figur. Das Theater untersucht das Theater und entfaltet all die Spielformen von Verweigerung und Überforderung, die das postdramatische Theater kennzeichnen. Der Text wird zu einem Bestandteil unter anderen, seine Dramaturgie strukturiert weder die Theaterereignisse, noch wird darin eine Geschichte erzählt. Das Sprechen auf der Bühne ist nicht mehr das Handeln von Figuren in Situationen, sondern formale Übung. Das Schauspielen entwirft keine Figuren, deren Handlungen plausibel und anschaubar gemacht werden, sondern verweist zuerst auf die eigene Anwesenheit, die mit sich selbst ins Spielen kommt. Der postmoderne death of character wird konsequent vollstreckt, indem sowohl die dramatische Figur als auch die dialektische Lüge des Schauspielers abgeschafft werden.
So begleiten die performativen Formate im Theater den Umbau des Subjekts von einem widerständigen Menschen in die postmoderne Form einer allzeit reaktionsbereiten Service- und Konsumkraft: Widersprüche werden nun nicht mehr als kritisierbare Entfremdungen, sondern als Herausforderungen begriffen, und Vereinzelung wird nicht mehr als beklagenswerte Entsolidarisierung verstanden, sondern als Chance zur Selbstverwirklichung. Damit zementiert der postmoderne Realismus die ewige Gegenwart des Marktes als Natur. Dialektik wird zerschlagen in Selbstreferenzen und Paradoxien."
Und da ist meiner Meinung nach Kimmigs Wassa-Inszenierung eben nicht. Dirk Pilz spricht in seiner Kritik dann auch von einem, wie man neuerdings sagt, Neuem Realismus.
"Es wird jetzt also abermals zu prüfen und durchdringen sein, was gestern noch altmodisch, womöglich gar überwunden schien. Es gilt abermals, die eigenen und allgemeinen Vorurteile über uns Gegenwartsleute und unser Gegenwartstheater zu überdenken. Besseres kann einem nicht geschehen."
Und das finde ich auch.
Die Diskussion nimmt ja lächerliche Ausmaße an.
Ach so, und @Micha: China hat natürlich keinen freien Markt, allerdings doch wohl Kapitalisten, die reichsten davon sitzen im nationalen Volkskongress. Vielleicht sollte ich also präzisieren: Totalitarismus schließt Kapitalisten nicht aus...
Ich stellte mir einen Sonntagabend mit solidem Theater vor, guten Schauspielern, geistigem Nachhall, aber...
Das war ja totale Zeitverschwendung. Jetzt muss ich eine ASS nehmen, damit mein Blut nicht verklumpt.