Vom Lechzen nach Liebe und Geld

von Nikolaus Merck

Berlin, 16. Mai 2014. Am Anfang gibt es Apfelschnitze und ein altspanisches Schlaflied. Am Ende liegt ein einsamer Revolver auf dem Stuhl. Der Revolver ist aus der Requisite, das Lied von Emanuel Geibel. Aber eigentlich tut das nichts zur Sache. Zwischen Apfelschnitz und Revolver indes ereignet sich im Deutschen Theater Beachtliches. Ist das hier wirklich noch dasselbe wohltemperierte, wohlmeinende Ensemble, dem man immerzu alles Gute wünscht, aber nie ein Wort, eine Absicht, eine Haltung zu glauben=abzunehmen imstande ist?

Unter der Decke rumort der Kapitalismus

Diesmal spielt man am Deutschen Theater "Wassa Schelesnowa". Von Maxim Gorki. 1910. Aber eigentlich ist die Aufführung sprachlich und plotmäßig eher zurechtimprovisiert. Die Aufgabe: erzähle mit einer ollen Familienkamelle, in der der sterbende Kapitalismus unter der Decke rumort, eine Geschichte von heute. Wo der sterbende Kapitalismus jeden Tag fröhlich totalitäre Urständ feiert. Von einem Familienunternehmen, das Muttern führt, weil Vaddern, der alte Kapitalist, an seinen Sünden und Hurereien langsam im Hinterzimmer krepiert, was zwei Akte lang dauert. Von einer "dysfunktionalen" Familie, mit tepperten Söhnen, verstoßener Tochter, rachsüchtig-habgierig-hurenböckischem Schwager, romantisch-revolutionärer Schwiegertochter Nr. 1 und lebensgieriger Schwiegertochter Nr. 2. Kurz: von einer ganz normalen Bürgerfamilie, in der die Liebe durch die Firmenkasse geht, diese Firmenkasse aber leider wegen Oligopolen und dem entsprechenden Konkurrenzdruck auf kleine Familienunternehmen beklagenswert leer ist. Dabei kommt heraus: ein aktualisierter Klassiker. In Stahlrohrgestänge (Katja Hass) und aktweiser Unterwäschen-/Rock-und-Pullover-/Trauerklammotten-Kostümierung (Anja Rabes).

wassa 9379-280 arno declair xWassa (Corinna Harfouch) und Pawel
(Alexander Khuon) © Arno Declair

Liebesbedürftige und Zukurzgekommene

Nun... zum Beachtlichen. Es ist korrekt, wenn das Theater Zeitgenossenschaft sucht. Wie kann es das erreichen? Unter anderem, indem es die Figuren, wenn schon Figuren gespielt werden, ernst nimmt. Spielleiter Stephan Kimmig und seine Leute nehmen die Figuren ernst. Das bedeutet zum Beispiel: Sohn Pawel, den Alexander Khuon gibt, ist am Anfang völlig gaga. Er sabbert und brabbelt vor sich hin, er sei ein Schiff, das durch Eis ... und solches Zeug. Was ihn aber nicht daran hindert, Mutter und Eheweib und Onkel brutalst zu bedrängen und dabei dennoch den Liebesbedürftigen, Zukurzgekommenen, Bemitleidenswerten nicht nur im Knopfloch zu tragen.

Desgleichen Christoph Franken als der zweite Bruder Semjon. Gemeinsam mit Pawel eine rechte Skorpionenbrut, die Mutters Assistenten Alexander (in Vertretung von Gorkis Dienstmägden: Marcel Kohler, beachtlich) zusammenschlägt, Schwester Anna um den Esstisch jagt, wenn sie in Verdacht gerät, das Familienerbe zu erschleichen. Und doch gelingt es auch Franken, am Ende, wenn er mit gespitztem Kussmund um die Liebe der sich vor ihrer Ausgeburt ekelnden Mutter Wassa bettelt, als armer Junge, den man trösten möchte, vor den Herzen des Publikums zu erscheinen.

Selbst Bernd Stempel als steifstöckiger Verwalter Michailo macht als vergeblich liebender Ljudmilla-Vater Punkte. Und Michael Goldberg, obwohl er sich über Kratzer im Autolack beschweren muss und nicht mehr wie bei Gorki über getötete Tauben, steht am Ende alleine im Regen seiner unglücklichen Liebe zu Verwaltertochter und schaut nicht nur wie gewöhnlich auf diesem Theater übermüdet, sondern geradezu verloren und deshalb sehr menschlich drein. Bevor er erschlagen wird, weil er die Orgasmen mit Pawels Frau Ljudmilla als Morphium für seine Herzkrankheit gefeiert hatte.

wassa3 560 arnodeclair u 0161Wassa Schelsnowa (Corinna Harfouch), Tochter Anna (Franziska Machens), Sohn Pawel (Alexander
Khuon) und Sohn Semjon (Christoph Franken). © Arno Declair

Aber wie es, ungewöhnlich genug, ein Abend der Männer ist im Deutschen Theater, ist es auch ein Abend der Frauen. Wundersam, verrückt und tränenumflort somnambul gibt Katharina Marie Schubert Schwiegertochter Nr. 2, Michailos, also Stempels, Tochter Ljudmilla, die zugleich knüppelhart ihrem Mann Pawel jede Zärtlichkeit verweigert ("Meine Haut würde ich Dir gerne da lassen, wenn ich nur weg könnte"). Als revoluzzendes und ihren Kerl Semjon mit Klauen verteidigendes Springteufelchen Natalja, Schwiegertochter Nr. 1, sorgt Lisa Hrdina für den comic relief. Mit ihrem Auftrittsmotz "Gibt's keine Eier?" sollte sie sich für tragende Rollen in "Fuck ju Goethe" 2 bis 17 aufgedrängt haben. Nur Franziska Machens als Tochter und Erbin Anna, genauso verschlagen und berechnend wie Mamma Wassa, bleibt in ihrer lispeligen, die Arme vor der Brust verschränkenden Zurückhaltung ein wenig blasser.

Aber nicht nur der Schauspielkunst halber ragt dieser Abend aus dem derzeitigen deutschtheatrigen Einheitsbrei heraus. Spielleiter Kimmig führt die Sache straff mit einem guten Gefühl für Tempo und Zuspitzung. Wenn die bösen Buben Khuon und Franken explodieren und nach Blut und Moneten lechzen, kann's einem identifikationssüchtigen Zuschauerherzen recht blümerant werden im Parkettsitz.

Die Liebe aus der Seele schneiden

Und natürlich ... natürlich ist da, wir haben's, der geneigte Leser ahnt' es schon, rezensionsdramaturgisch aufgespart bis zuletzt, die Diva Corinna Harfouch als Wassa. Harfouch ist die Seele und das Zentrum, Harfouch hält den Laden zusammen. Kraft ihrer Präsenz. Nüchtern, zurückgenommen, mit kleinen Zeichen der Sache Fahrt und Richtung gebend. Recht eigentlich etabliert sie eine Natürlichkeitsspielweise bereits zu Beginn, wenn sie in aller Ruhe einen Teebeutel aufbrüht, woraus dann ihre Hass-Liebes-Not zum Sohne umso mehr sich beglaubigt, wenn sie Sohn Pawel verzweifelt davon abzuhalten versucht, das gesamte Familiengeschirr zu zerdeppern.

Harfouch bebt innerlich und zeigt es außen, Harfouch kommandiert und Harfouch liebt, Harfouch kämpft um "ihren", also Wassas Besitz, den sie schließlich mit Tricks vor den untauglichen Söhnen in Sicherheit bringt, und Harfouch zeigt, dass sie sich die Liebe zur Familie aus der Seele schneiden muss, will sie die Firma behalten, die wiederum den Kitt abgeben soll, den Rest, allerdings den von Wassa selbst auserwählten Rest der Familie, Anna und Ljudmilla und sie selbst, zusammenzuhalten. Man könnte auch sagen, die Weise, wie die kapitalistischen Gesetze "in der Familie privatisiert werden" (Programmheft), gewinnt in Corinna Harfouchs Darstellung der Familienunternehmerin Wassa Schelesnowa eine vorbildliche Gestalt. Großer Jubel und Chapeau.

 

Wassa Shelesnowa
von Maxim Gorki
Fassung von Sonja Anders unter Zugrundlegung einer Linearübersetzung von Maiko Miske.
Regie: Stephan Kimmig, Bühne: Katja Haß, Kostüme: Anja Rabes, Musik: Michael Verhovec, Dramaturgie: Sonja Anders.
Mit: Corinna Harfouch, Franziska Machens, Christoph Franken, Alexander Khuon, Lisa Hrdina, Katharina Marie Schubert, Michael Goldberg, Bernd Stempel, Marcel Kohler.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.deutschestheater.de

 

Kritikenrundschau

"So weinerlich und selbstgerecht, wie die vermeintliche Erbengeneration hier zwischen Designermobiliar abhängt, kann man sich nur wundern, dass Wassa nicht noch öfter mit Handtüchern und anderen Gebrauchsgegenständen zuschlägt", bedauert Christine Wahl im Berliner Tagesspiegel (18.5.2014), die die Figuren eher schlicht gezeichnet findet. Denn eigentlich treffe der von Kimmig in herausgearbeitete Konflikt zwischen elterlicher Macher- und kindlicher Gratismentalität ja einen empfindlichen Gegenwartspunkt: "Die ewigen Töchter und Söhne, die in Papas Eigentumswohnung leben und sich von seinem Geld hippe Galeristenkarrieren leisten, um dann mit kapitalismuskritischer Kunst gegen die moralisch fragwürdigen Eltern rebellieren, sind nicht nur in Berlin-Mitte ein Massenphänomen." Dass der Konflikt aber "in plakativen, dem Gorki-Text aufgepfropften Vorabendseriensätzen à la 'Was seid ihr denn für eine Generation; kein Kampfgeist, keine Visionen, nichts!' vergegenwärtigt wird", macht ihn aus Sicht dieser Kritikerin eher klein.

Es sei "ein Abend der großen Darsteller, doch die Harfouch überragt sie alle", so Kathrin Pauly in der Berliner Morgenpost (18.5.2014) wesentlich begeisterter. Kimmig habe die Geschichte "klar konturiert, er hat überzeugend modernisiert und alle Figuren scharf herausgearbeitet". Zwar gebe es "arg überzeichnete Szenen", dennoch sei der Abend ein "handwerklich extrem präziser Abend"  geworden, der zudem mit einem überraschenden Schluss aufwarte.

Begeisterung auch bei Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (19.5.2014) über den "sehr streitbaren und ungemein aufschlussreichen Abend", Theater, "das dem schnellen Blick schlichter Gemüter nach plumper Fernsehdramatik aussehen mag, nach einem Realismus, der auch mir oft wie die schiere Verdopplung einer schlechten Wirklichkeit vorkam (...). Diesmal aber ist es psychologischer Realismus schärfsten Wassers, kein weich gezeichnetes Gegenwartsaquarell, sondern ein Kupferstich, spitz und beißend." Kimmig zeige Figuren, deren Bewusstseinshaushalte nicht mit ihrem Wissensstand Schritt halte. "Man sieht es an ihren Gängen, an den Blicken, den Verkrampfungen der Finger."

Not amused hingegen Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (19.5.2014): So "lust- und freudlos und, man muss es sagen, so hirnlos inszeniert, so völlig unüberzeugend gezeichnet war wohl selten eine Wassa", die bei Kimmig "auf eine banale heutige Mittelstandstussi reduziert" werde. Corinna Harfouch nehme man weder die verzweifelte Mutter ab noch die emanzipierte Chefin. "In dieser fehlkalkulierten Aufführung genügt das freilich, dass sie wie ein schwarzes Loch, das der Regisseur sich selbst (und dem armen Gorki) gegraben hat, alle Energie in ihrem Umfeld vernichtet, weshalb die anderen Schauspieler fad und farblos bleiben."

Kimming straffe und modernisiere das Stück, so Christiane Rösinger in der tageszeitung (19.52014). Das Umgangssprachliche wirke jedoch hölzern und bemüht, die Absurditäten des Originaltextes gingen verloren. Auch der Schluss bleibe "seltsam unentschlossen".

Aus Sicht von Mounia Meiborg in der Süddeutschen Zeitung (20.5.2014) schwebt die intendierte politische Aussage der Inszenierung im Ungefähren. Doch übrig bleibe "eine packende Sozialstudie über eine vom Geld zerfressene Familie. Und das Psychogramm einer Frau, die sich mit Härte in einer Männerwelt behaupten will."

"Kimmigs Inszenierung begreift Gorki als einen Propheten, der unsere Verhältnisse hell vorgezeichnet hat", schreibt Peter Kümmel in der Zeit (22.5.2014). "Aber er löscht den gesellschaftlichen Hintergrund von damals." Wassa sei, in der Darstellung von Corinna Harfouch, eine moderne Frau mit den kurzen Geduldsfäden von heute, "sie erträgt nicht die verschlafene Egozentrik ihrer Kinder, welche, terroristische Dauerinsassen von 'Hotel Mama', verkatert aus ihren Löchern kriechen – untüchtige, verwöhnte Pyjamagestalten."
Rabiat würden "die semantischen Schonbezüge von den Zusammenhängen gerissen", und man sehe, "was darunter liegt: die nackte Gier von heute". Wie auch Michael Thalheimer mit seiner Frankfurter Ibsen-Inszenierung Nora, die Kümmel mit "Wassa" zusammen bespricht, sei Kimmig in die Theatervergangenheit aufgebrochen und hätte nichts gefunden, was zu verteidigen sich lohnte. "Beiden Inszenierungen ist anzusehen, dass die Regisseure die Schuld daran nicht bei sich selbst suchen."

Matthias Heine schreibt in der Welt (25.5.2014), die Konzeption sei, dass "die Familienbeziehungen und überhaupt die Sphäre des Privaten in den letzten 100 Jahren noch weiter ökonomisiert worden sind als sie es – nach Gorkis Darstellung – schon damals waren." Trotz dieses "Programmbuchstusses" könne man die Aufführung "streckenweise mit staunend offenem Mund genießen". Corinna Harfouch dominiere, "andere Schauspielhöchstleistungen ergäben sich fast immer in direkter Konfrontation mit ihr". Sie schaffe es, diesen "verzweifelten Mutterdragoner unaufdringlich als Liebesuchende ein bisschen sympathisch zu machen". Wenn Wassa am Ende gewahr werde, dass ihre Machenschaften wirkungslos waren, gelinge es Harfouch vor den Augen des Publikums "um zehn Jahre zu altern". Um diese "Wassa Harfouchowa" herum: lauter Schauspieler, die "heller leuchten als sonst meist im Alltagsgeschäft des Deutschen Theater üblich". Regisseur Kimmig erweise sich als der einzige Stammregisseur des DT, der "Verlässlichkeit und Innovation einigermaßen zuverlässig auszubalancieren" in der Lage sei.

Kommentare  
Wassa Schlesnowa, Berlin: verstörend präzise
Natürlich geht es bei Kimmig um die Kälte eines kapitalistischen Systems, dessen Mechanismen auch die nicht mehr durchschauen, die die Fäden ziehen, ein System, das auch die zu Opfern macht, die Grundpfeiler seines Aufbaus waren, die Wassas, deren eigene Brutalität und Unnachgiebigkeit ihren Niedergang erst ermöglichen. Gleichzeitig vermeidet Kimmig den Zeigefinger und auch wenn die Typisierung der Figuren ein wenig subtiler sein könnte, das eine oder andere inszenatorische Mätzchen (etwa das Umziehen auf offener Bühne) eher stört, so gelingt ihm doch ein verstörend präzises Gesellschaftsporträt, das nicht verurteilt, sondern beschreibt, das sich speist aus der schauspielerischen Kraft und Unmittelbarkeit mit dem dieses so oft unterforderte Ensemble hier agiere darf. Vielleicht ist dieses Schauspielertheater, das Kimmig es hier auf die Bühne bringt, theaterästhetisch nicht auf dem neuesten Stand. Dass es eine ganz unerhörte Kraft entwickeln, dass es erhellen und aufzeigen, berühren und erschüttern kann, zeigt dieser Abend. Und vielleicht auch, woran das, was er hier vorführt, krankt: Wenn Lisa Hrdina bei ihrem ersten Auftritt herrisch motzt, dass es zum Frühstück keine Eier gäbe, mag das ein etwas plattes Bild sein. Treffend ist es allemal.

Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2014/05/17/keine-eier/
Wassa Schelesnowa, Berlin: langweilig
Beachtlich? Tut mir leid, die Einschätzung kann ich nicht teilen. Es war unterhaltsam, solide inszeniert mit wie immer hervorragenden Schauspielern. Aber am Ende für mich eine null-acht-fünfzehn Geschichte aus dem Fernsehprogramm, vorhersehbar, ohne Risiko, ohne etwas zu wollen. Theater kann mehr.So: etwas langweilig.
Wassa Schelesnowa, Berlin: linke Ideologie
"Wo der sterbende Kapitalismus jeden Tag fröhlich totalitäre Urständ feiert."

Danach braucht niemand weiter lesen. Kapitalismus und Totalitarismus schließen sich aus. Und wir kranken auch nicht an einem freien Markt, sondern durch und durch regulierten und manipulierten Korporatismus. Dass in der Theaterwelt so langsam niemand mehr in der Lage zu sein schein, die Realität beim Namen zu nennen, weil jegliches wirtschaftliche Verständnis entweder fehlt oder der linken Ideologie zum Opfer fällt: erschütternd.
Wassa Schelesnowa, Berlin: Jesus Christus!
@Micha
Wohl zu heiss gebadet worden.
Manipulierter Korporatismus!
Jesus Christus!
Und wenn, ist es nach einer längeren Phase der Sympathie mit wirtschaftsliberalem Gedankengut (auch unter Theaterleuten) an der Zeit sich wieder etwas nach Links zu bewegen.
Muss ja nicht gleich wieder "Genosse" heissen.
Wassa Schelesowna, Berlin: Chapeau für die Kritik
Das erschüttert mich nun wiederum, lieber Micha, Ihnen scheint demnach ein Stückchen Totalitarismus zu fehlen. Aha, da lege dann Gorki mit seiner zweiten Fassung doch nicht ganz falsch. Aber es reicht wohl auch die erste, um solche Art von Realitäten zu offenbaren. Übrigens auch ein Chapeau an Nikolaus Merck für die treffende Kritik.
Wassa Schelesnowa, Berlin: Kritik
Hier ist eine weitere Kritik, liebe Nachtkritik, es ist kein Blog:
http://pagewizz.com/deutsches-theater-berlin-kritik-von-wassa-schelesnowa-30450/
Wassa Schelesnowa, Berlin: bitte erklären
@Pink, Pinke und @Stefan:

Vielleicht erklären Sie kurz das "Totalitäre" an einem freien Markt.
Wer so überzeugt daher kommt wie Sie, kann seine Haltung ja sicherlich sachlich und in sich logisch begründen.
Wassa Schelesnowa, Berlin: auch eine Qualität
@Micha:'Kapitalismus und Totalitarismus schließen sich aus.' Naja, außer in China vielleicht...

Um aber zum Stück zurückzukommen: es war ja so inszeniert, daß es auch (oder gerade?) fürs bürgerliche Zielpublikum gut verdaulich ist. Kapitalismuskritik war nicht, die muß man schon rein-interpretieren.
Dass das gut geht ist halt auch eine Qualität.
Wassa Schelesnowa, Berlin: Lob an die Dramaturgie
In die laufende Diskussion mag ich hier gar nicht eingreifen, - aber ich war tief beeindruckt von der Leistung dieses Ensembles, - alle zusammen einfach großartig. Auch Franziska Machens! Herausragend auch, wie Gorkis Stoff hier bearbeitet worden ist, - zeitgemäß. Dieses Lob geht wohl an die Dramaturgie, denke ich.
Wassa Schelesnowa, Berlin: Gleichung
Zu Nr. 7: Kapitalismus = Totalitarismus des Kapitals.
Wassa Schelesnowa, Berlin: aktuell und packend
Ich meine: Diese Inszenierung sollte man nicht verpassen - aktuell und packend mit einer überragenden Corinna Harfouch, mehr dazu in meinem Blog "Die Erben-Nesthocker-Generation" www.capakaum.com
Wassa Schelesnowa, Berlin: Markt-Theokratie
Lieber Micha, sie predigen den freien Markt und haben sich so eine neue in ihrem Wirken als alternativlos bezeichnete und somit an sich totalitäre neue Religion geschaffen. Denken Sie mal in diese Richtung weiter.
"Das Geld hat Gott abgelöst und ist zu unserer neuen Religion geworden. Eine noch nie da gewesene universelle, totalitäre Religion! Wir können uns dem Zwang, unsere Arbeitskraft verkaufen und das Lebensnotwendige kaufen zu müssen, nicht entziehen... Die Theokratie von Ware und Geld durchdringt permanent unser alltägliches Handeln, sodass wir uns dieses Vorgangs gar nicht mehr bewusst sind. Das christliche Reich Gottes war nicht von dieser Welt – die Markt-Theokratie hingegen hat das Diesseits zu etwas Jenseitigem gemacht." Und das ist nicht von Karl Marx oder Gorki sondern sehr heutig. Maria Wölflingseder in:
http://www.krisis.org/2007/der-markt-ist-eine-universale-totalitaere-religion
Wassa Schelesnowa, Berlin: nach den 80ern müffelnd
Schauspielerisch einwandfrei, aber na und? Inszenatorisch sah ich da leider absolut gar nichts. Der eine oder andere Moment, an dem der Abend aus seinem TV-Realismus-Korsett auszubrechen versprach -- wie Frankens gestört-verstöhrende "Iiiih" Geräusche, oder Machens' Unfähigkeit, sich von den schützenden Pfeilern des Bühnenbildes zu lösen -- führte dann auch nirgends hin. Vom Inhalt her moderat aktualisiert, vom Ansatz und der Spielweise her grösstenteils stark nach 80er Jahre müffelnd. Langweilig.
Wassa Schelesnowa, Berlin: Argumentations-Fragen
@dabeigewesen
In China herrscht ein Freier Markt? Tatsächlich? Es gibt keine regulierende, benachteiligende und bevorzugende Partei und keine die Menschen in ihrem Handeln einschränkenden Gesetze? Da sind Sie sich sicher?

@Steckel
Die These, der freie Markt sei Totalitär, wurde bereist aufgestellt. Herzlichen Dank für die Wiederholung. Ich fragte nach wenigstens einem sachlichen, in sich logischem Argument.

@Stefan
Zitieren kann jeder. Das könnte ich den ganzen Abend, wenn ich wollte. Das ist doch aber etwas langweilig, nicht?
Ich beziehe mich mal auf ihr einleitendes, selbst formuliertes "Argument".
Ihrer Logik folgend wäre ein Wolf, der alternativlos frei im Wald lebt und sich für das Überleben alternativlos selbst ernähren muss, in einem totalitären System gefangen?
Wassa Schelesnowa, Berlin: aus der Perspektive des Lamms
Lieber Micha, wenn Sie das Wolfsgesetz der Natur unbedingt in die Welt des Kapitals übertragen wollen. Es ist eben immer nur eine Fabel, die lediglich besagen soll, dass der Starke dem Schwächeren überlegen ist. Der Wolf ist in der Natur frei, das sei im gegönnt. Er hat dort jede Menge Alternativen, wenn der Mensch sie ihm nicht nimmt. Ich betrachte das Ganze aber, wieder auf den Menschen übertragen, eher aus der Perspektive des Lamms, das sich nicht selbst des Wolfes erwehren kann. Es sei denn, es würde selbst zum Wolf. Vermutlich schaffen es aber viele Lämmer höchstens noch zum Schakal und leben von dem, was der Wolf für sie übrig lässt. Andere wiederum mutieren zu Hofhunden und blaffen den Wolf gelegentlich mal an. Das nur am Rande. Demzufolge bedarf es jetzt also Alternativen, die den Wolf in seiner Freiheit zwar beschränken, dem Lamm damit aber eine Überlebenschance einräumen, ohne das es sich dem Wolf anbiedern, oder um sein Leben betteln muss. Diese kleine Fabel bedeutet, auf die These Totalitarismus und Markt übertragen, dass das freie ungezügelte Kapital mit seinen Marktgesetzen den Menschen zwingt, entsprechend zu handeln, und es diktiert mit seiner Logik die Politik und diese wiederum der Gesellschaft was geht und was nicht. Sie mögen in der kapitalistischen Welt frei sein, zu tun und zu lassen was immer Sie wollen, so lange Sie nicht den Rahmen der Gesetze verlassen. Und so lange Sie fähig sind mitzuspielen, wird es Ihnen gut gehen, ohne Frage. Nach Ihren Werten werden Sie sich auch moralisch nichts vorzuwerfen haben. Für den Rest wird dann schon gesorgt. Ich finde es sehr überheblich, andere Leute nach der Legitimation für Ihre Ansichten zu fragen, ohne selbst mit einer Silbe zu erwähnen, wie man zu seinen Überzeugungen gekommen ist. Sind die empirisch gewachsen? Können Sie beweisen, was Sie da so frei von der Leber weg behaupten? Und kommen Sie mir bitte nicht mit Stalin oder der DDR. Das haben Sie vermutlich nicht selbst erlebt, sondern auch nur irgendwo gelesen. Auf die Zitate bin ich gespannt.
Wassa Schelesnowa, Berlin: Fragen und Denkanstoß
Lieber Stefan,

ich fragte nicht nach einer Legitimation persönlicher Ansichten.
Sondern nach einem einzigen Argument, welches die aufgestellte These, der Freie Markt sei totalitär, belegt. Man darf doch erwarten, dass jemand seine Aussagen irgendwie untermauern kann, nicht wahr?
Bisher habe hier allerdings nicht ein einziges Argument gelesen.

Zu Ihrem kleinen Text:
"Diese kleine Fabel bedeutet, auf die These Totalitarismus und Markt übertragen, dass das freie ungezügelte Kapital"
Frage: Was ist denn "das Kapital?" Haben Sie je darüber nachgedacht, dass es "das Kapital" vielleicht gar nicht gibt?

"mit seinen Marktgesetzen den Menschen zwingt entsprechend zu handeln"

Interessant. Erläutern Sie gerne die Marktgesetze auf einem _freien_ Markt. Und in wiefern sie Menschen zwingen oder zwingen können. Ich bin gespannt.

"Sie mögen in der kapitalistischen Welt frei sein, zu tun und zu lassen was immer Sie wollen, so lange Sie nicht den Rahmen der Gesetze verlassen."

Wer macht die Gesetze und warum? Bestimmen Gesetze die Moral, oder die Moral die Gesetze?

Zum Abschluss ein kleiner Denkanstoß: ein Freier Markt setzt Freiwilligkeit und Vertragsfreiheit auf allen Seiten voraus. Existiert diese nicht, ist der Markt nicht frei.

Einen schönen Tag
Wassa Schelesnowa, Berlin: Markt-Fragen
Lieber Micha, ich weiß doch worauf Sie hinauswollen. Sie träumen von einem Laissez-faire-Kapitalismus, den es so noch nie gegeben hat und auch nie geben wird, genau wie es auch noch keinen wirklichen Kommunismus gegeben hat. Aus ihren hübschen Ayn-Rand-Utopien picken sich seit Jahren die westlichen Wirtschaftswissenschaftler, -Institute und -Lobbyisten das Beste heraus, um die Politik damit zu zwingen, sie gewähren zu lassen. Die Folge sind globale Bankenkrisen, Schulden, Staatspleiten, Verelendung etc. etc. Wollen Sie wirklich darüber mit mir diskutieren, wie der freie Markt die Probleme der Menschheit löst? Und das auch noch in einem Theaterforum. Ich kenne Sie ja nicht, aber Sie scheinen mir einer zu sein, der gern anderen Unwissenheit unterstellen möchte, ohne sein Wissen je unter Beweis gestellt zu haben. Bitte belehren Sie mich doch mal über die Freiheit Ihres freien Marktes. Was ist denn Markt überhaupt, wenn es das Kapital nicht gibt (…), oder wollen Sie Waren tauschen? Wäre ja auch eine Möglichkeit. Aber auch hier, ohne Kapital (Produktionsmittel und/oder Geld) keine Ware. Und dafür brauchen Sie auch noch die Arbeitskraft, die Sie, sofern Sie nicht selbst darüber verfügen, auch noch einkaufen müssen. Und die genauen Zusammenhänge können Sie im "Kapital" nachlesen. Denn das gibt es nämlich tatsächlich. Ich wünsche Ihnen auch einen schönen Tag.
Wassa Schelesnowa, Berlin: Argument fehlt
Lieber Stefan,

dass linke Ideologen meinen zu wissen, was andere Menschen denken und wollen, ist ja ein bekanntes Phänomen. Leider liegen sie meistens, und so auch Sie jetzt, daneben.
Ich frage noch immer nach einem sachlichen und logischen Argument, das die hier aufgestellte These belegt, der Freie Markt sei totalitär. Ja, in einem Theaterforum. Theater, gerade solches, das politisch sein möchte, muss sich inhaltliche Fragen gefallen lassen. Auch die Unbequemen.

Dass Sie die Folgen zentraler Finanz-Planwirtschaft einem System unterschieben, das Sie Kapitalismus nennen, aber doch nicht verstanden haben, untermauert nur meine Kritik: es wird nicht oder will nicht verstanden werden, was der Ideologie widerspricht.

Darüber mit jemandem zu diskutieren, der mir in voller Ernsthaftigkeit „Das Kapital“ zu lesen empfiehlt ist allerdings so sinnvoll, wie mit bibeltreuen Christen über Sinn und Unsinn von Religion zu sprechen.
Linke Ideologie ist eine Religion von Fanatikern.

Ein Argument, das belegt warum der Freie Markt totalitär ist, fehlt übrigens noch immer.
Wassa, Berlin: Marx' Kapital
@ Micha: Ich kann Ihre Argumentation nachvollziehen, verstehe aber den Vergleich nicht ganz. Denn es gibt doch auch religiöse Fanatiker. Alles im Extrem ist problematisch. Vor allem dann, wenn sich Menschen wegen unterschiedlicher Meinungen entsolidarisieren lassen. Schön blöd, sowas. Aber manche sind eben (leider) hardcore.

Und warum man nun nicht Marx' Kapital lesen soll, das verstehe ich auch nicht ganz. Marx ist doch gar nicht das Problem, er hat doch "nur" die Bewegungsgesetze des Kapitals beschrieben. Das Problem sind die Menschen.

"Marx wird das später einmal die 'abstrakte Genusssucht' des Kapitalisten nennen, dessen Akkumulation von Geld und Kapital sich mit keinem konkreten Bedürfnis abgleichen lässt. Und das ist eine weitere Komponente des ökonomischen Menschen und des von ihm betriebenen wirtschaftlichen Systems. Dessen Gegenstände und Elemente sind nicht einfach Güter oder Dinge des Bedarfs, sondern Objektverhältnisse, Präferenzen, Wünsche und Begierden, die gerade in ihrer Maßlosigkeit ein Maß des Ausgleichs garantieren." (Joseph Vogl, "Das Gespenst des Kapitals")
Wassa, Berlin: Realität, nicht Ideologie
Lieber Micha, ich dachte Sie hätten einen schönen Tag. Aber Sie lassen nicht locker. Hat Ihnen die Finanzplanwirtschaft die Bilanz verhagelt? Gehen Sie raus und fragen Sie die Leute an der nächsten Ecke oder auf dem Arbeitsamt, wie die den freien Markt finden. Oder besser noch einen Hartz-IV-Empfänger, der weiß am besten was Zwangsmaßnahmen sind. Das alles hat leider sehr wenig mit Ideologie zu tun, sondern ist bittere Realität. Erklären Sie mir, was diese Leute vom freien Markt haben und ich mache vielleicht mit. Ansonsten trollen Sie sich, oder machen FDP-Wahlkampf. Die brauchen gerade wieder ein paar fesche Marktideologen.
Wassa, Berlin: Probleme
@Inga: Das ist das Problem von Sozialisten und Kommunisten, dass sie die Menschen als "Problem" betrachten.

@Stefan: Wenn man keine Argumente hat, bleibt einem nur die Beleidigung, nicht wahr?
Dass Sie in Ihrem Irrtum nicht alleine sind, gibt Ihnen noch lange kein Recht.
Und dass Marx zeitlebens auf Kosten von Freunden lebend, keinen Tag gearbeitet hat, fällt jetzt vermutlich unter Gotteslästerung. Mit Vernunft kommt man gegen Ihre Religion nicht an. Machen Sie's gut, Marx hab' Sie selig.
Wassa Schelesnowa, Berlin: nichts anderes übrig
Wird das jetzt der neue Scheiss? Europa rückt nach rechts und das Theater auch? Nicht falsch verstehen, sie dürfen ihre Meinungen ja gerne vertreten. Ich finde das interessant. Das Theater war ja schon immer so eine Art Vorreiter des ausbeuterischen Kapitalismus, Arbeitskraft plus Eigenmotivation mal Abhängigkeit plus Idealismus gleich Turbokapitalismus. Dass der freie Markt totalitäre Züge hat, allein deshalb, weil er überall auf der Welt wirkt und wirken will, versteht sich von selbst. Das muss ja nicht gleich eine faschistische Ideologie sein, aber er will das alle sich ihm unterwerfen( Entschuldigen sie dass ich in diesem Fall den Markt personalisiere). Und wir wollen, dass alle Länder freie Märkte haben. . . Damit es Ihnen besser geht, das leuchtet doch ein. Aus unserer christlichen Geschichte heraus, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als überall freie Märkte zu fordern und diese dann vollkommen frei und ohne Einfluss laufen zu lassen.

Vereehrter Micha, was meinen Sie mit zentraler Finanz-Planwirtschaft?
Klären Sie mich auf, mein Herz schlägt links.

Besten Dank, Achim
Wassa Schelesnowa, Berlin: kein Gespräch
Lieber Micha, so leicht kommen Sie hier dann doch nicht weg.
Wenn Sie sich beleidigt fühlen, ist das nicht mein Problem, sondern resultiert aus Ihrer Überheblichkeit dem Gesprächspartner Fragen aufzuzwingen, ohne eigene Erklärungen zu bringen und auf Gegenfragen zu reagieren. So kann sich kein Gespräch entwickeln. Sie meinen wohl, zum freien Markt und möglichen Alternativen wäre alles gesagt. Demzufolge scheint er Ihnen als alternativlos und Allheilmittel. Wenn da der Dogmatiker nicht mal auf der anderen Seite sitzt.

Übrigens die Philosophie, oder Ideologie (ganz wie Sie wollen) des Sozialismus oder Kommunismus macht den Menschen nicht zum Problem, sondern zum zentralen Thema. Die Kritiker von Marx haben den Menschen nur zum Problem erklärt, weshalb der Kommunismus nicht funktionieren kann. Stichwort: allseitige Entwicklung des Individuums, der Begriff sollte gerade auch Ihnen etwas sagen. Wie man dahin kommt, ist freilich so umstritten, wie die Frage der tatsächlichen Freiheit des Menschen im Kapitalismus, oder der momentan praktizierten parlamentarischen Demokratie, mit ihren verschiedenen Interessengruppen. Jeder wird da etwas finden, was ihm nicht passt. Der Mittelweg ist meist ein Konsens, oder auch fauler Kompromiss. Auch da werden Sie mir zustimmen. Da Sie den freien Markt ja auch noch nicht erreicht haben und daher von Finanzplanwirtschaft sprechen (man könnte auch zwangsstaatliche Maßnahmen wie Rettungsschirme für Banken darunter zählen), die das verhindern (und da könnten Sie dann ruhig auch mal ins Detail gehen, damit ich dumm sterbe).

Ich muss noch mal Marx zitieren, tut mir leid:

1. „Was könnte die kapitalistische Produktionsweise besser charakterisieren als die Notwendigkeit, ihr durch Zwangsgesetz von Staats wegen die einfachsten Reinlichkeits- und Gesundheitsvorrichtungen aufzuherrschen?" Karl Marx, Das Kapital

2. „Die Freiheit besteht darin, den Staat aus einem der Gesellschaft übergeordneten in ein ihr durchaus untergeordnetes Organ zu verwandeln" Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms

Will das nicht auch der freie Markt? Was wären nun die Aufgaben des Staates nach Marx, bzw. nach den Gesetzen des freien Marktes? Und wo bleibt da der Mensch als Individuum? Bitte klären Sie mich auf. Marx Thesen zähle ich hier nicht noch einmal auf. Die setze ich als bekannt voraus. Sie können aber auch gerne noch mal nachlesen. Ist ja frei verfügbar.

Und die Frage nach dem Totalitarismus des Marktes hat Herr Steckel in Punkt 10 bereits hinreichend beantwortet. Das könnte ich nicht besser formulieren.
Wassa Schelesnowa, Berlin: wie man neuerdings sagt
Lieber Achim,
um mal wieder zum Theater zurück zu kommen, ähnliches hat auch Bernd Stegemann in der Zeit bezüglich aktueller performativer Theaterarbeiten festgestellt (ich weiß nicht, ob das hier schon mal verlinkt war):
http://www.zeit.de/2014/18/neuer-realismus-3/komplettansicht

"In seiner gegenwärtig häufigsten Form wird das Performative zu einer selbstreferenziellen Figur. Das Theater untersucht das Theater und entfaltet all die Spielformen von Verweigerung und Überforderung, die das postdramatische Theater kennzeichnen. Der Text wird zu einem Bestandteil unter anderen, seine Dramaturgie strukturiert weder die Theaterereignisse, noch wird darin eine Geschichte erzählt. Das Sprechen auf der Bühne ist nicht mehr das Handeln von Figuren in Situationen, sondern formale Übung. Das Schauspielen entwirft keine Figuren, deren Handlungen plausibel und anschaubar gemacht werden, sondern verweist zuerst auf die eigene Anwesenheit, die mit sich selbst ins Spielen kommt. Der postmoderne death of character wird konsequent vollstreckt, indem sowohl die dramatische Figur als auch die dialektische Lüge des Schauspielers abgeschafft werden.

So begleiten die performativen Formate im Theater den Umbau des Subjekts von einem widerständigen Menschen in die postmoderne Form einer allzeit reaktionsbereiten Service- und Konsumkraft: Widersprüche werden nun nicht mehr als kritisierbare Entfremdungen, sondern als Herausforderungen begriffen, und Vereinzelung wird nicht mehr als beklagenswerte Entsolidarisierung verstanden, sondern als Chance zur Selbstverwirklichung. Damit zementiert der postmoderne Realismus die ewige Gegenwart des Marktes als Natur. Dialektik wird zerschlagen in Selbstreferenzen und Paradoxien."

Und da ist meiner Meinung nach Kimmigs Wassa-Inszenierung eben nicht. Dirk Pilz spricht in seiner Kritik dann auch von einem, wie man neuerdings sagt, Neuem Realismus.
"Es wird jetzt also abermals zu prüfen und durchdringen sein, was gestern noch altmodisch, womöglich gar überwunden schien. Es gilt abermals, die eigenen und allgemeinen Vorurteile über uns Gegenwartsleute und unser Gegenwartstheater zu überdenken. Besseres kann einem nicht geschehen."
Und das finde ich auch.
Wassa Schelesnowa, Berlin: die gleiche Platte
Noch was vergessen. Zu Stegemanns Zeitartikel passt natürlich auch wunderbar der von Klaus Völker. Er scheint das gelesen zu haben. Die Antwort auf Stegemanns These zum Urvater der Performer Brecht, bezieht sich ja unmittelbar auf den Artikel. Und was Völkers Befürchtungen zur "März"-Inszenierung von Johann Simons betrifft, kann ich ihn beruhigen. Simons nimmt Kipphardt Figuren sehr ernst, auch wenn es in Teilen nicht so aussieht oder sich so anhört. Stadelmaier spielt auch nur die gleiche Platte immer wieder ab.
Wassa Schelesnowa, Berlin: lächerliche Ausmaße
Kurze Frage, sozusagen am Rande: hier wird doch administriert? Mir erschließt sich nicht, was das ganze noch mit dem besprochenen Stück zu tun hat, zumal ich den Eindruck habe, daß weder 'Micha', noch 'Stefan' das Stück gesehen haben.
Die Diskussion nimmt ja lächerliche Ausmaße an.

Ach so, und @Micha: China hat natürlich keinen freien Markt, allerdings doch wohl Kapitalisten, die reichsten davon sitzen im nationalen Volkskongress. Vielleicht sollte ich also präzisieren: Totalitarismus schließt Kapitalisten nicht aus...
Wassa Schelesnowa, Berlin: Warum sind die so unglücklich?
@ Micha: Ich meinte das jetzt aber gar nicht im Sinne von Brechts "Maßnahme" und dergleichen kommunistischer Ideologie, sondern vielmehr in dem Sinne, dass sich Menschen in ihrem Handeln oftmals nicht von solidarischen Werten (Liebe, Prinzip des Gemeinsamen, Fürsorge usw.) leiten lassen, sondern von materiellen Werten (Geld), was teilweise sicher auch durch eine materielle Zwangssituation begründet ist. Vor allem auch global betrachtet. Ich frage mich manchmal allerdings tatsächlich, ob der Mensch nicht vielleicht auch ein "Fehler" der Evolution ist. Was ja auch in dieser Familie Wassa Schelesnowa zu beobachten ist. Denen geht's materiell doch immer noch sehr gut. Wo also liegt hier dann das gravierende Problem? Warum sind die eigentlich so unglücklich, diese Menschen? Weil sie ihr Leben schon längst mit der Bewegung des Kapitals koordiniert haben?
Wassa, Berlin: auf verlorenem Posten
An der Hauptdarstellerin Corinna Harfouch lag es nicht, aber auch sie konnte diesen Abend über den Untergang nicht alleine stemmen. Sie steht auf ähnlich verlorenem Posten wie die Figur, die sie verkörpert: Wassa Schelesnowas Firma droht der Bankrott, ihr Mann liegt im Sterben, sie ist nur noch von Waschlappen umgeben. Gereizt tigert Wassa Schelesnowa/Corinna Harfouch über die Bühne - ähnlich genervt von den unfähigen, faulen Kindern, die nur auf das Erbe schielen, wie Harfouch an selber Stelle, als sich Gregor Gysi bei einer Matinee im November 2013 ungewohnt kleinlaut mit der miesen Laune der Schauspielerin abmühte. Keine Haltung, kein Biss, kein Standpunkt! Recht hat sie, als sie das ihrer Sippschaft an den Kopf wirft. Dieser Vorwurf trifft aber leider auch auf Kimmigs Inszenierung zu, die sich knapp zwei Stunden lang mit einigen Längen dahinschleppt und schon zäh beginnt (in den ersten Minuten passiert wenig mehr, als dass Corinna Harfouch einen Apfel in Stücke schneidet und dazu Tee trinkt). http://www.e-politik.de/kulturblog/archives/322-Wassa-Schelesnowa-Untergang-einer-Familie.html
Wassa Schelesnowa, Berlin: großartige Harfouch
An alle, die das Theater lieben: seht euch diese Inszenierung an. Es lohnt sich. Ein wunderbarer Abend mit einer in jeder Sekunde großartigen Corinna Harfouch.
Wassa Schelesnowa, DT Berlin: Zeitverschwendung
Premiere ist eine Weile her...
Ich stellte mir einen Sonntagabend mit solidem Theater vor, guten Schauspielern, geistigem Nachhall, aber...
Das war ja totale Zeitverschwendung. Jetzt muss ich eine ASS nehmen, damit mein Blut nicht verklumpt.
Wassa Schelesnowa, Berlin: Begriffstrias
Nicht sicher, was #30 vorab über die Leber gelaufen war. Es war ein sensationeller Abend. Tragisch, witzig, kritisch.
Wassa Schelesnowa, Berlin: tragisch
Tragisch flach.
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