Tod eines Handlungsreisenden – Bastian Kraft inszeniert Arthur Millers kapitalismuskritischen Klassiker mit Ulrich Matthes am Deutschen Theater Berlin
Schattenspiel mit Dämonen und Schauspielern
von Michael Wolf
Berlin, 17. März 2017. Vor Kurzem präsentierte Kanzlerkandidat Martin Schulz die Zielgruppe seines Wahlkampfs: hart arbeitende Menschen. Die Kollegen von Spiegel bis Anne Will fragten sich daraufhin, ob Deutschland überhaupt ein Gerechtigkeitsproblem hat. Den Zahlen nach gilt im Großen und Ganzen der berühmte Satz der Kanzlerin: "Deutschland geht es gut." Keineswegs selbstverständlich also, abstiegsbedrohte Arbeitnehmer ins Zentrum des Interesses zu rücken. Trotzdem hat im Deutschen Theater Berlin Bastian Kraft nun Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden" auf die Bühne gebracht.
Die Tragödie um eine verunsicherte Mittelschicht mag ja noch aktuell sein. Jedoch: Willy Loman krankt vor allem an seinem unbedingten Glauben an den American Dream, geradezu ein Kontrapunkt zur German Angst. Mit Deutschland 2017 scheint das Stück wenig zu tun haben. Vielleicht was zum neuen Lieblingsthema der Theater – den USA unter Präsident Trump?
Die Stimme brüchtig, die Haltung schief
Nein, Bastian Kraft setzt mit seiner Inszenierung eher ein ästhetisches, denn ein politsches Statement: für die Schauspielkunst. Im Zentrum natürlich Ulrich Matthes, der all seine Energien bündelt, um als Willy Loman auszubrennen. Malt der sich eine glänzende Zukunft aus, funkeln Matthes' Augen im gleißenden Scheinwerferlicht. Verliert er sich im Streit mit seinen Dämonen, sind es schwarze Löcher, bereit alles Reale zu verschlingen, um seinem Versagen zu entgehen.
Das Ehepaar Loman: Ulrich Matthes und Olivia Grigolli © Arno Declair
Der Rest des Ensembles kreist leider allzu oft nur als Stichwortgeber um ihn herum. Die zweite Hauptrolle, Benjamin Lillie als Willys Sohn Biff, duckt sich etwas leichtfertig unter Matthes' Virtuosität weg. Camill Jammalls zweiter Sohn Happy changiert zwischen egozentrischem Nichtsnutz und bemitleidenswertem Loser. Olivia Grigolli gibt pflichtschuldig die treusorgende Ehefrau, leidet aber am Fokus auf den Männerfiguren. So richtig Gegenwehr bietet Matthes nur Moritz Grove als Willys Chef, der sich viel mehr für sein neu gekauftes Tonbandgerät interessiert als für den bettelnden Angestellten. Beiläufig und hochkomisch bietet er Matthes Gelegenheit, Willy noch tiefer in die Verzweiflung stürzen zu lassen.
Der Handlungsreisende kann es nicht ertragen, dass er es nicht geschafft hat im Geschäftsleben. Die Stimme brüchtig, die Haltung schief, humpelt er durch die Illusion einer guten alten Zeit. Hilfsangebote weist er stolz zurück und bringt sich am Ende um, damit seine Familie die Lebensversicherung kassieren kann. Vielleicht baut ja sein Sohn mit dem Geld doch noch ein Geschäft auf. Bis über den Tod hinaus projiziert Willy all seine Hoffnung auf Biff.
Die Zeichen sind deutlich
Videokünstler Stefan Bischoff, Bühnenbildner Ben Baur und Lichttechnikerin Cornelia Gloth zaubern dazu ein beeindruckendes Schattenspiel an die Wand. Willys Dämonen wohnen in den Wänden seines Hauses: Seine Söhne als Kinder beim Baskettballspiel, der schwer reiche, inzwischen tote, Bruder und eine verhängnisvolle Affäre zeichnen sich dunkel auf weißen Grund ab. Am Anfang steht er klein und schwach neben den meterhohen Schatten des Küchentischs – Sinnbild für das Haus, die Familie, an deren Versorgung er scheitert.
Die Zeichen sind deutlich. Loman ist ein Schattenboxer. Er müsste seine Ansprüche überdenken. Er kämpft gegen sich selbst, sieht alles nur schwarz und weiß. Gewinnen oder verlieren, es zu etwas bringen oder untergehen. Die Inszenierung reduziert das Stück konsequent auf die verhängnisvolle Überschätzung gesellschaftlicher Ansprüche. Entschieden, kurzweilig, mit einem grandiosen Matthes glänzt dieser "Handlungsreisende", ein bisschen zu blitzsauber für unsere Gegenwart ist der Abend aber auch. Kraft hat den Text auf eineinhalb Stunden zusammengestrichen. Zu fehlen scheint trotzdem nichts. Das ist dann vielleicht auch schon Grund genug, das Stück zu spielen: für leicht verunsicherte Angestellte, die am nächsten Tag früh raus müssen.
Tod eines Handlungsreisenden
von Arthur Miller
Deutsch von Volker Schlöndorff und Florian Hopf
Regie: Bastian Kraft, Bühne: Ben Baur, Kostüme: Inga Timm, Video: Stefan Bischoff, Musik: Björn SC Deigner, Licht: Cornelia Gloth, Dramaturgie: Ulrich Beck.
Mit: Ulrich Matthes, Olivia Grigolli, Benjamin Lillie, Camill Jammal, Harald Baumgartner, Timo Weisschnur, Moritz Grove, Jürgen Huth, Ruby Commey, Linda Blümchen, Ulrike Harbort.
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten, keine Pause
www.deutschestheater.de
"Karge, ernste Sache, dieser von Bastian Kraft inszenierte 'Tod eines Handlungsreisenden'", findet Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (18.3.2017). Den gesamten Abend "diese ausgelaugte Schmucklosigkeit" ertragen zu müssen, verlange dem Zuschauer einiges ab. Aber: "Es bleibt immer noch genug an diesem Abend, das den Zuschauer packt", so Seidler: "Das 1949 uraufgeführte, viele Male verfilmte Arthur-Miller-Stück ist gut zusammengestrichen und aus seiner inzwischen historischen Gegenwart − der US-amerikanischen Depression in den 1930ern − in Richtung Zeitlosigkeit transponiert worden. Das unwürdige Frauenbild, aber auch die pathetische Kraft blieben erhalten."
"Bastian Kraft, sonst eher ein effektbewusster Kunsthandwerker als ein tiefenanalytisch interessierter Regisseur", zeige Loman als Jedermann-Figur und Durchschnittscharakter, schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (21.3.2017). Die Inszenierung lade den Zuschauer ein "zur Besichtigung eines Selbstbetrugs". Ulrich Matthes spiele den tapferen Loman empfindsam, aber genau und unsentimental. "Es ist Matthes’ bester Theaterauftritt seit Jahren, in denen er eher durch auskunftsfreudige Interviews als durch bedeutende Theaterrollen aufgefallen ist."
"In der berührendsten Szene dieses an kluger Rührung reichen Berliner Theaterabends bittet der alte Loman seinen jungen Chef um Gnade“, aber das nütze nichts, schreibt Simon Strauss in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (20.3.2017). Matthes spiele seine Rolle auf ihren Namen hin, "klein im Sinne von gemütsverletzlich und statusängstlich." Die Inszenierugn sei ganz und gar auf ihn maßgeschneidert. "Klugerweise verzichtet Bastian Kraft auf jegliche Form der Ironisierung oder Ideologisierung des Stoffes und verlässt sich ganz auf die psychologische Suggestivkraft seines Hauptdarstellers." Für sein facettenreiches Verzweiflungsspiel habe er die Bühne leergeräumt, alle Ausstattung und Regieeinfälle auf das Wesentliche reduziert. "Loman ist allgegenwärtig. Das ist seine ganze Tragik. Und – verkörpert von Ulrich Matthes – unser großes Zuschauerglück."
Eigentlich passe Willy Loman hervorragend ins postfaktische Zeitalter. "Mit letzter Kraft klammert sich der Handelsvertreter an seine Lebenslüge", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (20.3.2017). Bastian Kraft Inszenierung sei von einer zeitlosen Aktualitätsbehauptung, "die sich mehr für die schiere Schauspiel(er)kraft interessiert als für Textakzentuierungen und ultimative Konzeptionsschärfe". Er zeige eine Familie, "die die viel zitierten gesellschaftlichen Anforderungen stark verinnerlicht" habe. "Bleibt das Gefühl, dass aus Millers Stück regietechnisch deutlich schärfere Akzentuierungen herauszuholen gewesen wären."
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Regisseur Bastian Kraft zäumt das Pferd von hinten auf: das „Requiem“, das bei Arthur Millers modernem Klassiker aus dem Jahr 1949 den Epilog bildet, hat er seiner Inszenierung auf der Großen Bühne des Deutschen Theaters Berlin vorangestellt.
Erst nach dieser Szene betritt die Titelfigur, der Handlungsreisende Willy Loman (Ulrich Matthes), die riesige, bis auf einen Tisch und zwei Stühle leergeräumte Bühne. Langsam taucht er aus dem hintersten Winkel auf und kämpft sich ins Zentrum. Sein übergroßer Schatten, den er auf die weiße Wand wirft, droht ihn schier zu erdrücken.
Dies ist die zentrale ästhetische Idee von Bastian Krafts Regie-Arbeit: Die Schauspieler agieren in einer trostlosen Leere. Vor ihren übergroßen Schattenbildern (Videokünstler Stefan Bischoff, Bühnenbildner Ben Baur und Lichttechnikerin Cornelia Gloth) wirken sie einsam und verloren. Auch wenn sie aneinandergeraten, halten sie großen Abstand. Selbst wenn sie sich anschreien, bleiben sie körperlich auf Distanz.
Diese Lesart von Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ wird in den knapp 90 Minuten sehr stringent durchgehalten. Bei dieser Interpretation kommt aber ein wesentlicher Aspekt des Textes zu kurz: Bei Bastian Kraft sind die Figuren von vornherein zum Scheitern verurteilt. Sie schleppen sich als Gedemütigte durch ihr Leben. Wie vom großen, vor wenigen Monaten verstorbenen Soziologen Zygmunt Bauman im Programmheft beschrieben, leiden sie unter einem „Anschlag auf ihre Würde“. In einer individualistischen Gesellschaft, die Eigeninitative, Wettbewerb und Leistungsbereitschaft predigen, sind sie unter die Räder gekommen. Ihnen fehlt die Kraft zur Rebellion und erst recht wissen sie nicht, gegen wen oder was sie sich auflehnen könnten.
Arthur Millers Pulitzerpreis-gekrönter Text, der bei seiner Broadway-Uraufführung den Nerv einer von der „Großen Depression“ der 1930er Jahre tief verunsicherten und vom Zweiten Weltkrieg gezeichneten Nation traf, ist ambivalenter. Die Hoffnungen und Illusionen der Familie Loman kommen bei Bastian Kraft, der das tödliche Ende vorweg nimmt, zu kurz.
Komplette Kritik: daskulturblog.com/2017/03/17/tod-eines-handlungsreisenden-am-deutschen-theater-berlin-werden-die-figuren-von-ueberlebensgrossen-schatten-erdrueckt/
Finden Sie,dass die anderen Schauspieler Fernsehrealismus gespielt haben?
Gerne zukünftig mehr fordernde Rollen. Uns Zuschauer würde es freuen.
Komplette Rezension: stagescreen.wordpress.com/2017/04/17/postfaktischer-schattenmann/
Das Deutsche Theater Berlin gastierte mit dem „Tod eines Handlungsreisenden“ von Arthur Miller am Thalia Theater während des Hamburger Theaterfestivals in der Inszenierung von Bastian Kraft. Bastian Kraft vertraut auf sein Ensemble, indem die Hauptakteure (Ulrich Matthes, Olivia Grigolli, Benjamin Lillie und Camill Jammal) den Abend zum Erlebnis machen. Der zweite große Wurf des Abends sind die Bühne (Ben Baur), die Videos (Stefan Bischoff) und das Licht (Cornelia Gloth). Willy Loman (Ulrich Matthes) ist gefangen in seinem wahnhaften Glauben an den „American Dream“ und Schatten dieses Wahns bedrohen ihn und wenn es sein eigenes riesiges Schattenbild ist, auf großer leerer Bühne. Willy Loman (Ulrich Matthes) träumt immer wieder von Erfolg und glänzender Zukunft für sich oder seine Söhne, in diesen Momenten funkeln seine Augen und seine Gesichtszüge strahlen vor (Zweck)optimismus. Doch ihn holt die trostlose Realität ständig wieder ein und Willy scheint im Nichts zu versinken und kann seinem Versagen doch nicht entrinnen, was sich in leeren, verzweifelten Blicken ausdrückt. Willy Loman lebt mit der Selbstlüge des „American Dream“, den er für sich nicht verwirklichen konnte und deshalb projiziert er ihn auch noch in seine Söhne Biff und Happy. Willy Loman ist das Abbild einer verunsicherten Mittelschicht, die in der Angst lebt in die Armut abzurutschen, wenn Arbeitslosigkeit oder Altersarmut droht, da die Schere zwischen reich und arm ständig größer wird. Dies wird deutlich, wenn Matthes darüber philosophiert, dass man nur lebt um die Miete oder das Haus zu bezahlen, bzw. Konsumgüter nur solange funktionieren bis sie abbezahlt sind. Biff (Benjamin Lillie) hingegen hat schon längst aufgegeben an den „American Dream“ zu glauben. Er ist der hoffnungslose Hoffnungsträger Willy Lomans aber bereit die Lebensrealität zu akzeptieren. Bezeichnend für die Inszenierung ist, dass es trotz emotionaler Dialoge fast nie zu körperlichem Kontakt zwischen den Familienmitgliedern der Familie Loman kommt. Immer existiert körperliche Distanz auf einer kahlen trostlosen riesigen Bühne. Es gibt nur zwei Augenblicke körperlicher Zuneigung während der gesamten Inszenierung zwischen Biff und seiner Mutter und Biff und seinem Vater am Ende des Disputes über die Selbstlüge seines Vaters. Biff ist der Einzige, der erkennt, dass er ein Verlorener ist und sich nicht mit Selbstlügen retten kann. Biff ist noch zu menschlicher Nähe und Wärme fähig, da für ihn Leben noch mehr ist als Geld, Erfolg und gesellschaftliche Anerkennung. Dialogische Höhepunkte der Inszenierung sind die Szenen in der Willys Chef (Moritz Grove) Willy Loman kündigt und die Szene in der Biff (Benjamin Lillie) seinem Vater klar macht mit welcher Selbstlüge Willy lebt. Stark wie Willy (Matthes) voller Verzweiflung bei seinem Chef um einen Job bettelt und sich bis aufs Äußerste erniedrigt, um dann noch tiefer in der Verzweiflung zu versinken. Andererseits Biff (Benjamin Lillie) der seinem Vater verzweifelt deutlich macht, dass er mit dieser Selbstlüge des „American Dream“ nicht länger leben will. Ein ganz starker Auftritt indem Lillie und Matthes auf Augenhöhe kommunizieren. Ulrich Matthes und Benjamin Lillie waren für mich die absoluten Stars an diesem Abend. Bastian Krafts Inszenierung des „Tod eines Handlungsreisenden“ eine interessante, beeindruckende Variante zur Inszenierung von Sebastian Nüblings Inszenierung des „Tod des Handlungsreisenden“ die deutlich macht wie spannend und lebendig Theater ist, da viele Sichtweisen auf ein Stück, dieses ganz unterschiedlich ausleuchten können und somit ständig neue gedankliche Auseinandersetzungen herausfordern können. So lebendig ist Theater.