Out of Order - In ihrer Clownsstudie testen Forced Entertainment am Schauspiel Frankfurt, ob auch das Monotone faszinieren kann
Gefangen in der Dauerschleife
von Alexander Jürgs
Frankfurt, 27. April 2018. Der Clown ist eine traurige Figur, sein Humor kommt nicht ohne Melancholie aus. Der Clown soll die Kinder zum Lachen bringen, und doch reagieren besonders die Kleinen oft mit Furcht auf ihn. Weißes Gesicht, Schwarz um die Augen, der knallrote Mund: Er ist eine Figur von grotesker Gestalt. Und hier, auf dem Bühnenplateau im Bockenheimer Depot, in gleich sechsfacher Ausführung präsent. Ein Tisch, einige einfache Stühle, Neonröhren am Bühnenrand, ein paar Leuchtkugeln an der Decke: Vom Zirkus-Glamour ist diese Bühne weit entfernt. Es gibt auch keine runde Manege, nicht einmal Sägemehl.
Forced Entertainment – Gallionsfiguren des postdramatischen Theaters aus dem britischen Sheffield, seit mehr als 30 Jahren aktiv, 2017 mit Real Magic auch beim Berliner Theatertreffen vertreten – sind es, die sich die Clownsfigur vornehmen. Tim Etchells, der Leiter des Kollektivs, führt wie immer Regie. Text hat das Stück keinen, er wurde bei den Schlussproben in Frankfurt komplett gestrichen. Der Titel lautet "Out of Order", eine nicht funktionierende Uhr prangt auf Plakat und Programmheft.
Das Frankfurter Schauspiel hat das Stück in Kooperation mit dem Künstlerhaus Mousonturm produziert. Von diesem Schulterschluss zwischen Stadttheater und freier Szene versprechen sich vermutlich beide Häuser einiges: Das Schauspiel-Programm schmückt eine innovative Performance, Forced Entertainment bekommen die große, grandiose Bühne im historischen Bahndepot. "Weltpremiere" steht in großen Lettern auf dem Billboard vor dem Veranstaltungsort.
"Und täglich grüßt das Murmeltier" trifft Beckett
Zu Beginn von "Out of Order" sitzen die sechs Darsteller auf den Stühlen. Dann erhebt sich einer, dann beginnt ein Streit, dann jagen die Clowns über die Bühne, zerren aneinander, drohen einander, rüpelhaft, aber stumm. Stühle kippen, der Tisch wird gedreht. Dazu erklingt ein alter Song, Orchesterpop, es geht um das Verlassenwerden, um vergossene Tränen, um Küsse, das ganze Programm. Sobald das Musikstück ausklingt, setzen sich alle wieder, man hört die Darsteller schnaufen, doch schon einen Moment später geht es wieder von vorne los. Wieder laufen, wieder drohen, wieder Fäuste ballen, wieder der kitschige Song. Dann wieder alle am Tisch, dann wieder alle unterwegs. Eine Mischung aus "Und täglich grüßt das Murmeltier" und Beckett. Gefangen in der Dauerschleife.
"Out of Order" spielt mit den Erwartungen des Theaterbesuchers, es widersetzt sich den Gewohnheiten. Im ersten Moment wirkt es so, als ob die Inszenierung sich nicht entwickeln würde, als ob nichts passieren würde, aber das stimmt natürlich nicht. Runde für Runde variiert der Kampf, verändert sich das Geschehen mindestens in Nuancen, kehrt nur immer wieder zum Anfang zurück.
Das Immergleiche bleibt faszinierend
Nach etwa der Hälfte des Abends werden Luftballons ausgepackt, die Musik bleibt nun still, erst fliegt ein orangefarbener Ballon in die Luft und wieder zu Boden, dann ein blauer, dann ein roter, dann ein grüner. Die Darsteller spielen mit diesen Ballons, das Geschehen wird bald slapstickhaft, ein paar Blechtröten kommen auch zum Einsatz. Die Schauspieler beginnen, das Mobiliar über die Bühne zu schleppen, sie formieren sich zu einer Prozession, zu einer Art Trauermarsch. Der Popsong vom Anfang läuft nun wieder, nach einem Durchlauf wird er aber durch Strauß' "Donauwalzer" ersetzt. Das Raufen setzt auch wieder ein, das Rennen, das Trippeln über die Bühne, das Wechselspiel aus Verfolgungsjagd und stummem Sitzen der versammelten Mannschaft am Tisch. Der Kreis schließt sich.
Es ist erstaunlich, wie gut das funktioniert, wie das Immergleiche, das nur in Details variiert, interessant, ja: faszinierend, bleibt. Man folgt den Darstellern, man bleibt an ihnen hängen. Doch Tim Etchells weiß auch, dass er den Bogen nicht überspannen darf. Nach eineinhalb Stunden gehen seine Darsteller einer nach dem anderen von der Bühne ab, der Raum wird dunkel. Es ist wahrscheinlich genau der richtige Moment, bevor es beginnen würde, zu ermüden.
Out of Order
von Forced Entertainment
Regie: Tim Etchells
Mit: Robin Arthur, Nicki Hobday, Jerry Killick, Richard Lowdon, Cathy Naden, Terry O’Connor
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.schauspielfrankfurt.de
"Sechs Menschen in Clownskostümen zeigen sie eine stumme Abhandlung über Sinn und Unsinn des Theaters und des Lebens. Und nebenbei zeigen sie mal wieder, dass es nichts Schöneres gibt, als tollen Schauspielern beim Nichtstun zuzusehen", schreibt Mounia Meiborg in der Süddeutschen Zeitung (30.4.2018). Eine Konfliktszene werde immer wieder variiert: "Mal neckt einer den anderen wie ein Torero den Stier. Mal bilden mehrere eine Mauer wie beim Freistoß." Existenziell gehe es zu, "die formalen Setzungen sind konsequent, die wenigen Mittel gut eingesetzt".
"Out Of Order" nimmt keinen Bezug zu einem Draußen, so Sylvia Staude in der Frankfurter Rundschau (30.4.2018). Forced Entertainment choreografiert hier die Leere und sie tun dies, indem sie über lange Strecken nur Varianten des im Prinzip immergleichen Geschehens, der immergleichen Aktionen zeigen würden. "Auf diese Weise ist ein seltsam gleichförmiges, ein unerklärlicherweise doch faszinierendes Spektakel entstanden."
In der taz schreibt Shirin Sojitrawalla (2.5.2018): Ähnlich durchgedreht, wenn auch nicht so radikal wie im Vorgänger "Real Magic", präsentierten sich Forced Entertainment in "Out of Order". Eine "Feier des Abwegigen", "herrlich albern in seiner Verweigerungshaltung und berührend in seinem Wiederholungszwang". Das "Aus-der-Reihe-Tanzen" gerate zur "Geste des Widerstands". Die Performer trieben sich und ihr Publikum in "immer neue Erregungs- und Erschöpfungszustände", verbarrikadierten sich "zu umwerfenden Pas de deux", zögen "Gesichter wie Notbremsen" und reizten ihr Spiel so lange aus, bis der Stillstand drohe. Eine Aneinanderreihung absurder Momente ohne Worte. "Etwas Unfertiges, Unausgeprobtes" umgebe den Abend, gebäre dabei immer wieder "wunderbare Glanzlichter".
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Ich habe auch überdeutlich Beckett gesehen und die entfesselte Form selbst. So gesehen, war der Verzicht auf jedes Sprechen, eine gute Entscheidung. Die 90 Minuten schafft man locker...
Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2018/06/30/die-magie-des-scheiterns/