Kindskopf mit Monsterattitüde

15. April 2023. Mikrofone als Waffen, Presseauftritte als Kampfarenen: Der russische Regisseur Timofej Kuljabin versetzt die blutige Shakespeare-Tragödie um den unbedingten Machtwillen in unser Medienzeitalter. Ähnlichkeiten zu lebenden Personen sind ausdrücklich gewollt: Eine tragende Rolle spielt ein grotesk langer Tisch.

Von Shirin Sojitrawalla

"Macbeth" in der Regie von Timofej Kuljabin am Schauspiel Frankfurt © Thomas Aurin

15. April 2023. "Macbeth" ist das Stück der Stunde: Freilich nicht nur heutzutage, sondern immer schon und immerfort, denn Tyrannen sterben nie aus. Wlliam Shakespeares Erzählung von Aufstieg und Fall des grausamen Mörders Macbeth bleibt demnach ewig en vogue.

In Frankfurt am Main bringt der russische Regisseur Timofej Kuljabin jetzt eine verkürzte Version heraus. Macbeth erscheint bei ihm als böser Geist. Der als Gast engagierte Moritz Kienemann spielt ihn mit schräg gelegtem Kopf als Zähne fletschenden, kinskihaft tobenden und Mick-Jagger-mäßig auftrumpfenden Performer, der alle um sich herum in den Schatten stellt.

Stückgemäß bleibt es die meiste Zeit eh ziemlich dunkel. Oleg Golovko hat eine Art Führerbunker auf die Bühne des Schauspielhauses geklotzt, hinten führt eine Schiebetür in den Gruselkerker des Verderbens, rechts versteckt sich eine unwirtliche Dusche hinter einem Vorhang. Sie dient den Eheleuten Macbeth zumeist als abhörsicherer Rückzugsort und taugt als Sinnbild ihrer schmucklosen Emotionen.

Eine Frau, die was zu melden hat

Die Bühnenfassung von Kuljabin und Ko-Dramaturgin Olga Fedyanina verknappt das Stück, streicht Figuren und nimmt ein paar Änderungen vor. Macbeth ist nicht nur Untertan, sondern Sohn von Duncan, des Königs von Schottland. Er wird also nicht "nur" zum Mörder, sondern auch zum Vatermörder. Banquo (Mark Tumba) und Macduff (Torsten Flassig) sind bei Kuljabin nicht mehr Macbeths Freunde beziehungsweise Kontrahenten, sondern seine Brüder. Diese Änderungen stören nicht weiter, bringen den Text aber auch nicht entscheidend voran.

Die drei Hexen sind ebenfalls gestrichen, ihr Text ist Kindern, Stimmen aus dem Jenseits und sonst wem in den Mund gelegt. So bleibt an diesem Abend nur eine Frau übrig, die was zu melden hat: Lady Macbeth. Wohl eine der ungewöhnlichsten Frauenfiguren der Theatergeschichte. In Frankfurt verkörpert Lotte Schubert sie in elegantem Königsblau (Kostüme: Vlada Pomirkovannaya).

Macbeth1 Thomas AurinMick-Jagger-mäßig auftrumpfender Performer: Moritz Kienemann (Mitte) als Macbeth mit Sebsatian Reiß (l.) und Mark Tumba © Thomas Aurin

Anfangs geht sie dem Gatten noch tatkräftig an die Gurgel, später wankt sie bloß opheliahaft umher, um schließlich jämmerlich klein beizugeben. Kein großer Auftritt. Lady Macbeth ist bei Kuljabin auch keine große Intrigantin und Einflüsterin. Dass Macbeth sie an die Wand knallt, um seine Stärke auszuspielen, wirkt in der Art der Gewaltdarstellung auf der Bühne echt out. In ihrer Brachialität ist die Szene, die so realistisch inszeniert ist, dass das Publikum vor Entsetzen aufstöhnt, bezeichnend für einen Abend, der die Grausamkeit überbetont: Düstere Gestalten treten im Halbdunkel dunkel gekleidet auf. Dazu tönen unheilvolle Klänge. Das ist natürlich so gewollt, so drastisch, so theatralisch.

Familienidylle mit Fußballtor

Demgegenüber inszeniert Kuljabin vermeintliche Familienidyllen wie aus dem Katalog: ein Stück Rasen, ein Grill, ein Minifußballtor. Der zeithistorische Horizont des Originals interessiert nicht, das Ganze ist in unser Medienzeitalter verpflanzt. Fechtszenen, von denen es im Stück wimmelt, gibt es keine, Kampfszenen indes schon. Doch die Herrschenden und nach Macht Strebenden treten wie Politiker vor die Presse: Mikrofone warten, Scheinwerfer leuchten, Kameras laufen.

Macbeth3 Thomas AurinDie Nasszelle als abhörsicherer Rückzugsort: Lotte Schubert und Moritz Kienemann als Ehepaar Macbeth © Thomas Aurin

Die Ermordeten liegen dann erst in nummerierten schwarzen Plastiksäcken herum, wie man sie noch aus den Fernsehbildern aus Butscha in Erinnerung hat. Später tragen sie ebensolche Leibchen aus Plastik. Dann hat Macbeth eine rote Krawatte um den Hals, die auf Trump weisen könnte, aber dafür ist sie wahrscheinlich zu wenig knallrot. In Frankfurt erinnert man sich noch gut an Wolfram Kochs rote Krawatte als Richard III. Eindeutig dann der lange Tisch, an dessen Ende Macbeth zu allen anderen auf Distanz geht, wie Putin zu Macron und Scholz. Doch Macbeth guckt nicht extra finster, sondern stopft Äpfel in sich hinein wie ein Superschurke im Kino. Für die große Leinwand inszeniert Kuljabin auch seinen Protagonisten, als neurotischen Kindskopf mit Monsterattitüde.

Publikumsumschmusung mit Fats Domino

Manchmal drückt sein Macbeth ein bisschen zu viel auf die Tube, dann aber ist er einfach nur virtuos. In einem Moment hämmert er wie blöd aufs Klavier ein, im nächsten umschmust er das Publikum mit Fats Dominos "Blueberry Hill". Mit dem Mikrofon in der Hand steht Moritz Kienemann an der Rampe und wirft gleichermaßen verführerische wie Angst machende Blicke ins Publikum. Das Mikrofon als Waffe, zuvor war es schon als Dolchersatz im Einsatz, verweist wohl auf unsere Mediendemokratie. Auf die wirft der Abend ein unbarmherziges Licht. Macbeth erscheint darin oft wie Richard III. Kienemann wirkt zuweilen fast bucklig, so gebückt geht er umher. Eine grundüble Gestalt, mit der wir nichts gemeinsam haben. Nach dieser Lesart sind Macbeth immer die anderen. Schön wär's.

 

Macbeth
von William Shakespeare
Regie: Timofej Kuljabin, Bühne: Oleg Golovko, Kostüme: Vlada Pomirkovanaya, Musik/ Sounddesign: Timofey Pastukhov, Koordination und Assistenz: Rustam Akhmedshin, Dramaturgie: Olga Fedyanina, Julia Weinreich, Licht: Marcel Heyde.
Mit: Moritz Kienemann, Lotte Schubert, Peter Schröder, Torsten Flassig, Anna Kubin, Mark Tumba, Sebastian Reiß, Michael Schütz, Miguel Klein Medina, Marie Julie Bretschneider.
Premiere am 14. April 2023
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, keine Pause

www.schauspielfrankfurt.de

 

Kritikenrundschau

Timofej Kuljabin arbeite einen neuen Aspekt an der Figur des Macbeth heraus, findet Natascha Pflaumbaum auf DLF Kultur (14.4.23): Shakespeares Titelheld sei hier "von intrinsischem Sadismus getrieben". Moritz Kienemann verkörpere ihn in einer bemerkenswerten "Doppeldeutigkeit aus Minderwertigkeit und Größenwahn". Die Kernfrage, die der Abend stelle, laute: "Wie kann es sein, dass alle zusehen? Warum leistet eigentlich keiner Widerstand?" Überhaupt bringe Kuljabin den Shakespeare-Text ganz "extraordinär auf die Bühne" und bediene sich eines völlig "neuen Storytellings".

Natürlich lade die Erfahrung des Ukrainekrieges zu eindeutigen Parallelisierungen ein, wenn man wie der russische Regisseur Timofej Kuljabin jetzt "Macbeth" inszeniere, schreibt Tilmann Spreckelsen in der FAZ (16.4.23, €). Allerdings lasse seine "Macbeth"-Umsetzung "Raum genug für Interpretationen, die eher aufs Allgemeine zielen als auf den aktuellen Aggressor". Am Ende bleibe Macbeth' Untergang aus, das Stück breche ab, so der Kritiker. "Die Überwindung des Tyrannen findet nicht statt, die Hoffnung darauf, so scheint es, ist angesichts der Zeitläufte nicht glaubwürdig. Und so avanciert das, was nicht gespielt wird, zum deprimierendsten Befund dieser Inszenierung."

Timofej Kuljabin lasse sich auf viele Aspekte des Stückes gar nicht erst ein, schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (16.4.23).  Stattdessen konzentriere er sich "auf den Weg eines Machtmenschen nach oben in einer Gesellschaft, in der Öffentlichkeit, PR und Medien eine zentrale Rolle spielen, also durchaus der hiesigen, unsrigen". Dies führe der Regisseur "straff, deutlich und doch subtil genug vor", urteilt die Kritikerin. "Viele Szenen sind messerscharf durchgefeilt, großes Theater und finsterer Gegenwartsblick eliminieren sich nicht gegenseitig. Man lernt dabei nicht viel Neues, aber man erlebt etwas."

Ein "sehr überzeugendes" Regiekonzept hat Ursula May für hr2 (17.4.23) in Frankfurt gesehen: Timofej Kuljabin habe das Stück "deutlich nach Russland verlegt" und einen "aktuellen Kommentar zur Gegenwart" geliefert – "starke, intensive Bilder" weckten Assoziationen zu Putin und den Krieg gegen die Ukraine. Allerdings: Der Regisseur habe einges hinzugefügt, vieles aber auch gekürzt, und "die Kürzungen nehmen dem Stück doch einiges von seiner Tiefe, von seiner Rätselhaftigkeit", befindet die Kritikerin. Macbeth sei hier kein Zauderer, der von seiner ehrgeizigen Frau angetrieben werde, sondern - "etwas eindimensionaler" – ein "Psychopath" und "Monster, das auf Mord programmiert ist".

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