Mutter Courage und ihre Kinder - Staatstheater Augsburg
Jetzt spricht Kattrin
24. Februar 2024. Die Courage, die mit ihrem Planwagen durch den Dreißigjährigen Krieg zieht, nach und nach ihre Kinder verliert und trotzdem noch glaubt, im Krieg gewinnbringende Geschäfte machen zu können, gilt als Brecht-Klassiker schlechthin. David Ortmann hat in seiner Auftakt-Inszenierung zum Brechtfestival allerdings ein Novum in petto.
Von Michael Laages
24. Februar 2024. Das ist schon ein Statement – das Festival in der Geburtsstadt des Stückeschreibers Bertolt Brecht zu eröffnen mit jenem Historien-Tableau, dass sich beharrlicher als jeder andere Klassiker aus Brechts Werkstatt gesträubt hat gegen jeden neueren Blick; und zwar ohne dass die Erbverwalter früherer Jahrzehnte darauf hätten Einfluss nehmen müssen. Denn wer hätte denn die Geschichte über "Mutter Courage und ihre Kinder" wann und wo jemals anders erzählen können oder auch nur wollen, als sie ab 1938 in Brechts skandinavischem Exil geschrieben und 1941 in Zürich uraufgeführt wurde?
Das ist jetzt, da der deutsch-britische Künstler und Kultur-Anthropologe Julian Warner als Festivalleiter die jüngste Ausgabe des Brechtfestivals eröffnet hat, überhaupt nicht anders – an der Version von David Ortmann, Hausregisseur am Staatstheater der Stadt, ist zwar einiges prägnant und überraschend, aber tendenziell nichts wirklich anders und neu.
Das Wichtigste zuerst: Kattrin (Anne Zander) spricht. Das junge Mädchen wurde vom Autor "stumm" konzipiert – der Legende nach, damit Brechts Ehefrau Helene Weigel diese Rolle auch bei Aufführungen im nicht-deutschsprachigen Raum hätte spielen können. In Brechts eigener, zum Modell gewordener Berliner Nachkriegsinszenierung wurde sie dann von Angelika Hurwicz gespielt. Hier nun kommuniziert Kattrin – als Gehörlose – mit den Mitgliedern der Familie in zwei gängigen Varianten der Gebärdensprache: mit der Mutter mit "lautsprachunterstützenden Gebärden" (LUG), mit dem jüngeren Bruder Schweizerkas in deutscher Gebärdensprache (DGS).
Europäisches Muster
Zwar basiert diese zentrale Idee der Inszenierung nicht auf historisch verbürgtem Material: Wie mit gehörlosen Menschen umgegangen wurde in der beginnenden Moderne, ist erst nach Ende des Dreißigjährigen Krieges ansatzweise dokumentiert. Aber Brechts Idee der Mehrsprachigkeit in der Familie Courage führt sie weiter – Eilif, der älteste Sohn, gilt ja als Sohn eines Finnen, wuchs aber mit französischem Vater auf, der jüngere Sohn hat womöglich einen Vater aus der Schweiz, die Mutter aber war jetzt mit einem Ungarn unterwegs. Als Mutter war die Courage extrem international, ein Muster für Europa schon vor dem Krieg, der Deutschland, den Kern des Kontinents, drei Jahrzehnte lang verheerte und verwüstete. Tochter Kattrin wird im Stück als "halbe Deutsche" definiert – und eben als stumm. Hier nimmt sie nun teil am Dialog der sprachlich so überaus diversen Familie.
Die Idee hat Potenzial – führt aber zu Problemen für alle im Publikum, die nicht notwendigerweise der Übertitelung folgen, auf der Bühne selber in deutscher, per Mausklick auf dem Handy aber auch in englischer, türkischer und russischer Version. Denn wenn mit Kattrin gesprochen wird, teils in hinzugefügten Szenen, teils in Passagen des Textes, in denen über die Tochter verhandelt wird, breitet sich im Ablauf der Handlung eine Art Leerlauf aus. Und David Ortmanns extrem konventionelle Inszenierung leidet ja ohnehin schon unter beträchtlichen Problemen mit dem Timing – zu Beginn etwa setzt sie sogar auf Verzögerungen und Pausen im Text, die überhaupt nicht nachvollziehbar sind. Auch die dramaturgische Gestaltung der Übertitel weist – etwa in den verständnisfördernden Zeilen-Umbrüchen – deutliche Mängel auf. Im "stummen Gespräch" dann, mit viel Text zum Lesen und nichts zum Hören, läuft der Spielfluss erst recht aus dem Ruder. Das ist schade, aber eine kaum vermeidbare Konsequenz der an sich sehr seriösen Idee.
Wummernder E-Bass, präpariertes Klavier
Noch eine ambitiöse Entscheidung für die Aufführung führt zu nicht viel – die "Augsburger Philharmoniker" spielen die "Courage"-Musik von Paul Dessau. Konkret: sechs Orchester-Mitglieder sitzen in einer Versenkung rechts auf der Bühne im Martini-Park. Mehr Musikerinnen und Musiker sind aber auch sonst nie im Einsatz. In der Augsburger Instrumentierung und unter Leitung von Stefan Leibold fällt ein wummernder E-Bass auf neben Flöte, Trompete, Tuba, Harmonium-Klang und präpariertem Klavier. Da entsteht nichts Großes – aber die Lieder, die Brecht für die Marketenderin Courage schrieb, sind gut aufgehoben bei Ute Fiedler in der Titelrolle, Julius Kuhn und Gerald Fiedler, Klaus Müller und Natalie Hünig.
Aber darüber hinaus ist halt alles wie immer. Und eben das wirkt so sonderbar an Julian Warners Festival-Konzept: Diese Version des Klassikers führt zwar zur kommunizierenden Kattrin, aber sonst zu überhaupt nichts von Belang. Und auch im Bühnenbild von Jürgen Lier bildet sich kein wirklich starker Raum – zwar malen die Soldaten (natürlich in neuzeitlicher Camouflage und mit zeitgenössischer Bewaffnung) Unmengen von Fünfer-Strichen für die vielen Kriegstoten an die Wände (auf die dann Kattrin im Finale statt auf eine Trommel hämmert), und tief hinten rotiert sogar eine Art kleiner Drehbühne, aber das Bild von Courages Verkaufs- und Wohnwagen auf dem endlosen Weg durch das Schlachten ist so nicht herstellbar.
Handel und Wandel im Wohnwagen
Überhaupt: der Wagen. Eher abstrakt sind auf ihm Koffer drapiert, ein paar Tüten, Kisten und Kästen sowie ein Schrank, in dem sich Kattrin, immer in Gefahr, verstecken kann. Niemand aber könnte hier wohnen – auch das jedoch gehört zum Basis-Zauber der Courage-Idee, gerade weil er schließlich zerstört wird: dass Überleben möglich wäre im Krieg, inklusive Handel und Wandel im Plan- und Wohnwagen.
Mutter Courage und ihre Kinder
von Bertolt Brecht
Regie: David Ortmann, Musikalische Leitung: Stefan Leibold, Bühne: Jürgen Lier, Kostüme: Ursula Bergmann, Licht: Ron Heinrich, Dramaturgie: Melanie Pollmann.
Mit: Gerald Fiedler, Ute Fiedler, Natalie Hünig, Julius Kuhn, Klaus Müller, Sebastian Müller-Stahl, Kai Windhövel und Statisterie sowie Mitgliedern der Augsburger Philharmoniker.
Premiere am 23. Februar 2024
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
www.staatstheater-augsburg.de
Ute Fiedler spiele die Titelrolle " wunderbar hemdsärmelig, zupackend und doch zerbrechlich", so Yvonne Poppek in der Süddeutschen Zeitung (26.2.2024). "Ihre äußere Härte hat sie sich angelegt wie einen Mantel, der im Dreißigjährigen Krieg - dem Zeitraum der Handlung - immer weiter zerschlissen wird." Regisseur Ortmann habe sich entschieden, der Sprache Brechts möglichst viel Gewicht einzuräumen. "Die Bilder sind sehr klar, wirken bisweilen fast statisch." Obwohl es gerade Krieg in Europa gibt, bleibe der Abend entrückt. "Da reichen die Zitate heutiger Militärkleidung und Waffen nicht. Er ist solide, konventionell, vermutlich eine Freude für traditionell geprägte Brecht-Fans."
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