Presseschau vom 13. August 2016: Die SZ reist durch die kriselnde Theaterlandschaft Mecklenburg-Vorpommern
Das letzte Aufgebot
Das letzte Aufgebot
13. August 2016. Thomas Hahn begab sich für die Süddeutschen Zeitung (12.8.2016) auf eine Reise durch die Theaterlandschaft Mecklenburg-Vorpommerns. Vor allem das Sprechttheater befinde sich dort in der Krise. An seiner ersten Station, dem Schauspielhaus Neubrandenburg, werden "Die Drei von der Tankstelle" gegeben. "Eine süßliche Musical-Aufführung nimmt ihren Lauf, streng nach dem Vorbild der gleichnamigen Filmkomödie. In der Pause gibt es gegen Gutschein einen 'Boxenstopp' mit Bockwurst und Bier. War das das letzte Aufgebot einer aufgegebenen Kunst?", fragt der Autor.
Aufrütteln? Wachrütteln? "Das interessiert mich nicht."
Die Kulturszene des Landes befindet sich im Umbruch. Theater werden zusammen gelegt, um erhalten werden zu können. Zuletzt erregte vor allem der lange Streit zwischen der Rostocker Kulturpolitik und Intendant Sewan Latchinian die Gemüter. Der geschasste und der neue Intendant Kümmritz könnten nicht unterschiedlicher sein. "Latchinian, Leipziger armenischer Abstammung, ist ein feingliedriger Intellektueller, der gerne selbst auftritt. Kümmritz spricht im Ton seiner Heimatstadt Berlin, ist ein Wirtschaftsingenieur ohne Flausen und mag keine Selbstinszenierungen." Auf die Frage nach dem Anspruch der Bühnenkunst "aufzurütteln, wachzurütteln", antworte Kümmritz "prompt und ehrlich: 'Das interessiert mich nicht.'"
Kulturminister Brodkorb hat für Kümmritz viel Lob übrig. Immerhin habe der es "mit einem Fingerschnippen" geschafft, die Einnahmen in Neubrandenburg / Neustrelitz um zwanzig Porzent zu steigern. U.a. mit "Die Drei von der Tankstelle". "Ich find’s nicht schlimm, wenn sich Menschen unterhalten lassen wollen", pariert Brodkorb, der die Theaterreform durchsetzt, die von einer Münchner Unternehmensberatung vorgeschlagen wurde. Ziel sei Sparsamkeit und Effizienz. Dafür verschlankt die Landesregierung die Theaterlandschaft gerade. Auf Kosten der Qualität?
Anspruch ist nicht durchzuhalten
Dirk Löschner, Intendant des Theater Vorpommern, sieht in der Bevölkerungsstruktur ein großes Problem: "In Greifswald leben inklusive 10000 Studenten knapp 60000 Menschen. Die Zuschauer müssen auch aus dem Hinterland kommen, und da gibt es deutliche Unterschiede bei Bildung und Geschmack." Wenn man sich mit seinem Programm auf den besonders kulturinteressierten Kern in den Städten konzentriere, gehe man am Publikum vorbei. "Das hält man nicht lange durch."
(miwo)
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Ein Blick auf die Neustrelitzer Tanzkompanie öffnet da schon eher die Augen: so muss man Theater machen! Mit Herzblut, Seele, immer bereit, über Grenzen zu gehen. Aber, über so etwas wird Joachim Künmritz wohl nur müde lächeln...
Dass bessere Kunst in Rostock unter Latchinian nicht mehr Zuschauer bedeutete, gibt leider Kümmritz recht - scheinbar. Dabei setzt Kümmritz in Rostock nur auf Bewährtes, also das Durchschnittlichere aus der Latchinian - Ära, also Wiederaufnahmen, ohne wesentliche Veränderungen von dessen Spielplanungen. Da wäre mir das Original weiter lieber gewesen. Latchinians Entlassung wird immer unverständlicher.
Aber was aus den 4 Sparten werden wird, welche Latchinian knapp retten konnte, gegen Rosinskis Übergriff, das wird die Wahrheit über Kümmritz zu Tage fördern. Ob da Berlinern und Rumgekumpele und Gewurschtel reichen wird?
Doch der Blick über den Tellerrand?! Nun ja.
Die Zuschüsse seit den 90ern unverändert? Klar kann man am Theater sparen. Also: Weg mit den Denkern. Weg mit den Dramaturgen. Die Theater sind ausgeblutet. Der Betrieb wird zwar am Laufen gehalten, aber zum reflektierenden Innehalten stehen doch gar keine Ressourcen bereit.
Der Mut der Politik zum Risiko fehlt. Lasst doch mal jemanden machen. Auch Scheitern. Nicht: "Die können das, weil sie das schon seit 30 Jahren machen." Man kann Dinge auch mal anders machen, neu machen.