meldung
Deutscher Bühnenverein antwortet auf die Kritik von Bundestagspräsident Norbert Lammert
Mehr Grandezza bitte
Köln, 30. November 2010. Nachdem Bundestagspräsident Norbert Lammert den Deutschen Bühnenverein gestern für das "Fernseh-Unterhaltungsformat" der "Faust"-Preisverleihung in einem Offenen Brief scharf kritisiert hatte, antworteten nun die Kritisierten wiederum in einem Offenen Brief. Klaus Zehelein (Präsident des Deutschen Bühnenvereins) und Rolf Bolwin (Geschäftsführender Direktor) werfen Lammert vor, die Veranstaltung bereits nach etwa einer Stunde wieder verlassen zu haben und sich sein Urteil deshalb nur auf "fragmentarischer Grundlage" bilden zu können.
Desweiteren zeigen sie sich enttäuscht, dass Lammert "weder über den Humor noch das Verständnis für eine Parodie auf ein Fernsehformat wie die Saalwette" verfüge und "dem Anliegen von zwei wunderbaren Schauspielern, einer Preisverleihung mit künstlerischem Wagemut und Ironie einen eigenen Stil zu geben", mit "Ignoranz" begegne. "Mehr Grandezza gegenüber der Kunst und ein liebevollerer Blick auf das, was da in Essen geleistet wurde, hätten den zahlreichen dort anwesenden Künstlern sicher gut getan."
(ape)
Mehr zur Verleihung des Faust-Theaterpreises am 27. November 2010:
- Meldung zu den Faust-Preisträgern
- Blog-Beitrag über die Veranstaltung von Sarah Heppekausen
- Meldung zum Offenen Brief von Bundestagspräsident Norbert Lammert an den Deutschen Bühnenverein
Wir halten Sie auf dem Laufenden
Wir sichten täglich, was in Zeitungen, Onlinemedien, Pressemitteilungen und auf Social Media zum Theater erscheint, wählen aus, recherchieren nach und fassen zusammen. Unterstützen Sie unsere Arbeit mit Ihrem finanziellen Beitrag.
mehr meldungen
meldungen >
- 12. September 2024 Heidelberg: Intendant Holger Schultze hört 2026 auf
- 12. September 2024 Auswahl des "Augenblick mal"-Festivals 2025 in Berlin
- 12. September 2024 Freie Szene Hamburg: Protest-Aktion zur Spielzeiteröffnung
- 12. September 2024 Baden-Baden: Nicola May beendet Intendanz 2026
- 12. September 2024 Berlin: Aufruf der Komischen Oper zu Musikschulen-Problem
- 12. September 2024 Literaturpreis Ruhr für Necati Öziri
- 12. September 2024 Eggenfelden: Dreierteam leitet Theater an der Rott
- 11. September 2024 Regisseur und Theaterintendant Peter Eschberg gestorben
neueste kommentare >
-
Buch Ideologiemaschinen Klarsichtigkeit
-
Tabori-Preis Danke für die Aufklärung
-
Buch Ideologiemaschinen Eine Bitte
-
Tabori-Preis Preisgeld ist Projektgeld
-
Tabori-Preis Produktionsgebundenes Geld?
-
Tabori Preis Mehr Abstand
-
Tabori Preis Einzelleistung, hervorgehoben
-
Tabori Preis Nur halb so viel wie...
-
Tabori Preis Höhe des Preisgelds
-
Theater Görlitz-Zittau Qual der Wahl
So lange man Geld für solche Aktionen hat, scheint die (pekuniäre) Not des Systems Stadttheater nicht groß genug. Da scheinen andere Nöte (Eitelkeiten, Wichtigkeiten) mehr zu drängen.
"Theater muss sein" eben. Das übliche Gewerkschaftsdenken.
Ich darf verbessern, dass der Bühnenverein keine Gewerkschaft ist, sondern der Verband für die deutschsprachigen Theater-, Opern, etc, quasi die "Arbeitgeberseite". Und das ist dann meiner Meinung doch bemerkenswert: da veranstaltet der Arbeitgeberverband für die Künstler eine Preisverleihung und alle sitzen irgendwie in einem Theaterboot ... oder könnten es, wenn sie denn wollten ...
Aha, also alle in einem Boot. Na hoffentlich geht nicht irgendwann mal das Licht aus oder Vorhang nicht mehr hoch.
Denn die einen sind im Dunkeln
und die andern sind im Licht
und man siehet die im Lichte
die im Dunkeln sieht man nicht.
Bertolt Brecht: Dreigroschenoper
Und warum diese Gleichung Dekonstruktion = Zerstörungswillen aufstellen? Die Dekonstruktion befragt vermeintlich ein für alle mal feststehende Wahrheiten. Sie bewegt sich somit immer zwischen Affirmation und Negation. Zudem schließt das die Poesie nicht aus. Man muss nur zuhören können.
Die Erzählung wird als Beispiel angeführt, um Leichtgläubigkeit und die unkritische Akzeptanz angeblicher Autoritäten und Experten zu kritisieren – vergleichbar mit Kleider machen Leute und dem Hauptmann von Köpenick. Also: In die Tiefe gehen und die Märchen und Stücke richtig lesen. Sie geben genug her. Und stellen feststehende Wahrheiten in Frage. Bei vielen Inszenierungen habe ich den Eindruck, daß die Stücke eben nicht richtig gelesen werden, sondern nur als Wichsvorlage für gestörte Regisseure dienen. Leider werden heute nur noch selten die Stücke so aufgeführt, daß ein Wiedererkennungseffekt stattfindet. Es ist in Deutschland fast alles nur noch intellektuelles, unsinnliches Theater, einer Interpretation der Interpretation u.s.w. Ein Theater für Eliten, wenn man das Stück nicht kennt, hat man keine Chance mitzukommen. Da lobe ich mir England. Die gehen auch unorthodox, spielerisch mit den Stücken um, erzählen aber die Geschichte. Und orientieren sich am Publikum. Wenn in Deutschland ein Theater leer ist, hat es Erfolg bei der Presse. Etwas überspitzt formuliert. Aber es ist viel Wahrheit drin. Je weiter eine Interpretation vom Stück entfernt ist, desto besser für die Presse.
Ich dachte bloß, dass Sie jetzt wieder auf das Vorurteil der Nacktheit als vermeintlich reine Provokation des sogenannten "Regietheaters" abzielen wollten. Was sich durch Ihren Begriff der "Wichsvorlage für gestörte Regisseure" leider bestätigt. Das klingt beinahe lustig. Sind denn jetzt alle nackten Schauspieler bzw. die diese inszenierenden Regisseure verhaltensgestört? Brauchen die jetzt alle ne Psychoanalye? Und ist der (nackte) Körper nicht DER Ort einer naiven und unschuldigen Sinnlichkeit? Kommt drauf an, wie man das inszeniert und ob's in Bezug auf das Stück stimmig ist.
Zudem, was heisst Ihrer Meinung nach "Wiedererkennungseffekt"? Ich habe neulich bei Slavoj Zizek ("Auf verlorenem Posten") etwas Interessantes zu diesem Thema gelesen und möchte das abschließend zitieren, weil es meiner Denkweise in Bezug auf die Inszenierung sogenannter "Klassiker" entspricht:
"Schon für Kierkegaard ist Wiederholung 'umgekehrte Erinnerung', eine Vorwärtsbewegung, die Produktion des Neuen, nicht die Reproduktion des Alten. [...] Man kann einem Autor nicht nur dadurch wirklich die Treue halten, daß man ihn (den tatsächlichen Buchstaben seines Denkens) verrät, die umgekehrte Aussage ist sogar noch zutreffender: Man kann einen Autor nur wirklich verraten, indem man ihn wiederholt und ihm dadurch im Kern seines Denkens treu bleibt. Wiederholt man einen Autor nicht (im wahren Kierkegaardschen Sinne des Wortes), sondern 'kritisiert' ihn nur, dreht und wendet ihn usw., dann heißt das im Grunde, daß man, ohne es zu wissen, innerhalb seines Horizontes, seines begrifflichen Rahmens bleibt."
Das Lesen eines Textes ist also immer schon, und mit Gadamer gesprochen, der Versuch einer Horizontverschmelzung zwischen dem Stückkontext und dem aktuellen Kontext des jeweiligen Lesers. Dadurch entstehen quasi automatisch Verständnislücken und Brüche, weil niemand von heute wissen kann, wie der Autor es damals gemeint haben könnte. Und das ist auch nicht weiter schlimm. Denn gerade dadurch, dass man einen Text neu liest bzw. erstmal für sich sprechen lässt, entsteht das Neue einer Inszenierung.
in der Diskussion ging es nie um wirkliche Nacktheit oder nackte Schauspieler. Wenn ein Schauspieler nackt ist und es nicht nur Provokation ist (und wer läßt sich denn heute noch von Nacktheit auf der Bühne provozieren?), sondern es zum Konzept paßt... warum nicht? Aber ich glaube, da sind wir uns einig. Ich bin auch nicht in jener Ecke, in die Sie mich stellen wollen. Ich will keine Inszenierungen, wie sie "damals" waren, am besten noch zu Uraufführungszeiten. Das staubt und man hustet. Und die Zeichen versteht man nicht mehr. Wir sind ja nicht im Museum.
Aber, meine persönliche Ansicht - und Sie mögen mir nachsehen, daß ich nicht gleich mit Herrn Zizek, Kierkegaard und Gadamer komme, ich fahre nicht gleich alle Geschütze auf und überlasse dies dem Programmheft, sondern versuche es mit eignen Worten - ist, daß eine Geschichte erzählt werden sollte. Ich will mitgenommen werden. Ich unterschreibe alles, was Sie da schreiben. Trotzdem werde ich zu oft im Theater alleingelassen, das heißt, auf der Bühne findet etwas statt und ich fühle mich verarscht oder ich habe das Gefühl, der Regie war es egal, ob der Zuschauer mitkommt oder nicht. Für mich persönlich ist eine Regie gut, wenn sie sich nicht eitel in den Vordergrund drängt.
Ich muß mich übrigens revidieren: es gibt auch Abende, wo ich Dekonstruktion als wohltuend empfand. Beispiel: Wessis in Weimar am BE von Schleef inszeniert hat das Werk gerettet. Ein Abend voll Sinnlichkeit, Spannung und es wurde eine Geschichte erzählt. Und das ist doch das Wichtigste. Vielleicht ist Offenheit im Theater wichtig, von beiden Seiten. Und wir sind vielleicht gar nicht so weit auseinander. Und über Geschmack läßt sich halt streiten. Und ich werde eben gerne im Theater verzaubert. Der Zauber ist wichtig. Und der wirkt bei allen anders.
@ Thomas Ostereier: Belesenheit simulieren? Wie geht das denn? Copy/Paste ist etwas anderes als Lesen bzw. Denken mit anderem Verstand, um den eigenen Horizont immer wieder zu erweitern und möglicherweise zu verändern. Und inwiefern ich "die Hirnlosigkeit des Gegenwartstheaters" illustriert haben soll, das verstehe ich nicht. Auf welche meiner Äußerungen beziehen Sie sich da?