Der Diener zweier Herren - Württembergische Landesbühne Esslingen
Pasta, äh basta!
18. September 2022. Hackenknallen, Ahs und Ohs, Degenkämpfen gegen Unsichtbare: Mit Carlo Goldonis "Diener zweiter Herren" gibt's in Esslingen Commedia dell'arte satt. Und ein besonderer Wackelpudding kommt auch zu Ehren.
Von Verena Großkreutz
18. September 2022. Ziemlich aufgedreht, der Haufen. Commedia dell'arte eben. Alle stets am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Außer vielleicht Florindo (Felix Jeiter), der galant und stehend die Rampe, die in den Zuschauerraum führt, hinunterzuschliddern weiß. Und der immer wieder unterstreicht, jetzt erstmal "ruhen" zu müssen. Den Schnurrbärtigen umgibt ein Hauch von Fin-de-siècle-Décadence. Zu träge jedenfalls ist er, um seinem Diener Truffaldino wirklich Gewalt anzutun wie im Original. Hier schlägt er halbherzig zu.
Rhythmus und Präzision
Carlo Goldonis 1746 uraufgeführte Komödie "Der Diener zweier Herren" beginnt an der Württembergischen Landesbühne Esslingen vielversprechend: Die Heiratsverhandlungen rund um die junge Clarice (Eva Dorlaß) werden in eine Fotoperformance hineingebaut: Piep – klick, piep – klick. Hektisch werfen sich alle auf Kommando wild in irgendeine Position, bevor weiterdiskutiert wird bis zum nächsten Break. Solche präzise durchgeformten Szenen, in denen der Rhythmus der Texte wie von selbst aufzugehen scheint, sind die Spezialität des Regisseurs Markus Bartl, der in Esslingen schon mehrere glänzende Inszenierungen vorgelegt hat – von Ionescos "Nashörnern" bis hin zur Filmadaption "Good bye, Lenin!".
Auch in seinem augenscheinlichen Unterfangen, in seiner aktuellen Inszenierung der Tradition der Commedia dell'arte – so gut es eben geht – nahezukommen, ist Bartls Handschrift klar und stringent. Etwa was den ausgewogenen Einsatz von Slapsticks angeht: vom duettierenden Hackenzusammenknallen über Gruppen-Ahs und -Ohs mit synchroner Kopfbewegung bis hin zu Wiederholungsschleifengestik und Degenkämpfen gegen Unsichtbare.
Offenbar interessieren Bartl an diesem Stück nicht so sehr etwaige sozialkritische Aspekte oder der altertümliche Blick auf die Geschlechter, den es heute zu brechen gäbe, sondern die Gesetze der Commedia dell'arte, die sich eben auch im lateinisch quakenden Dottore (Achim Hall) oder im herzinfarktgefährdeten, ständig Tabletten einschmeißenden Pantalone (Daniel Großkämper) erfüllen.
Zwei Herren gilt es zu bedienen, das schlaucht
Gespielt wird jedenfalls stilgetreu auf leerer Bühne, vor einem kunterbunten Lamellenvorhang, durch den sich problemlos flugs auf- und abtreten lässt. Sein Augenflimmern verursachendes Streifenmuster erinnert an die historischen Kostüme der Commedia-Truppen, wie auch die Rauten und Karos, die der Bühnen- und Kostümbildner Philipp Kiefer in die schlichte Kleidung heutiger Zeit aufgenommen hat. Sie finden sich nun in schachbrettgemusterten Socken und Karo-Pollundern wieder.
Vieles ist stimmig an diesem Abend, einiges hinkt hinterher. Etwa das Spieltempo der Titelfigur, des stets hungrigen Truffaldino, des eigentlich ständig zwischen seinen Dienstherren hin und her hetzenden Dieners. Martin Theuer, in Esslingen aufs komödiantische Fach gebucht, kann im sehr körperlichen Theater der Commedia dell'arte nicht zu sich selbst finden. Zu behäbig geht er die komplizierten Verwicklungen an, in die sich Truffaldino hineinlaviert hat – vor allem, wenn's ums parallele Bedienen beider Herren geht, die zur selben Zeit in getrennten Räumen ihr Menü einnehmen. Und ob man diesen Truffaldino wirklich als "süß" bezeichnen kann, wie es sein Herzblatt Smeraldina (Gesine Hannemann) tut, steht auch in den Sternen.
Beim einen zu wenig, beim anderen zu viel: Markus Michalik als Silvio, Clarices Gatte in spe, geht wiederum ab wie eine Rakete, sobald er die Bühne betritt – tollpatschig und doof guckend wie Jerry Lewis und mit einem Körpereinsatz, der Bruce Lee in (fast) nichts nachsteht. Was dann wiederum den Rahmen sprengt, in dem sich die Inszenierung bewegt.
Der Humor: jugendfrei
Die stärksten Momente der Inszenierung gehören jedenfalls der resolut auftretenden Kristin Göpfert alias Beatrice: Truffaldinos zweitem Herren respektive Florindos als Mann verkleideter Geliebten. Schlüsselszene: Wenn sie vor Clarice exaltiert (nicht sichtbar fürs Publikum) ihre Brüste entblößt, um den visuellen Beweis für ihr Frausein zu liefern. Zwischen Beatrice und Clarice, die nunmehr vom Heiratszwang des vermeintlichen Mannes befreit ist, beginnt eine subtil erotische (nur angedeutete) Annäherung, aus der Clarice – zuvor ständig von kindlich-cholerischen Heulanfällen durchschüttelt – als geläuterte Erwachsene hervorgeht. Dass sie sich dann doch wieder dem Trottel Silvio zuwendet und Beatrice sich Florindo an den Hals wirft (der ihren Bruder im Duell getötet hat), entspricht der Nicht-Logik solcher Komödien.
Ansonsten: Klischees, Italien betreffend, werden ironisch in Italo-Schlager-Titeln und Wortspieleinsprengseln auf die Schippe genommen: Pantalone: "Was Menüs?! Macht was Einfaches und pasta, äh basta!" Und der Humor bleibt (leider) jugendfrei. "Huch, der lebt ja!", ruft Truffaldino und meint damit den roten Wackelpudding, den er gleich vertilgen wird. Gefiel den Kindern im Publikum sehr.
Der Diener zweier Herren
von Carlo Goldoni
Deutsch von Geraldine Gabor
Regie: Markus Bartl, Bühne & Kostüme: Philipp Kiefer, Dramaturgie: Sarah Frost.
Mit: Kim Patrick Biele, Eva Dorlaß, Kristin Göpfert, Daniel Großkämper, Achim Hall, Gesine Hannemann, Felix Jeiter, Markus Michalik, Martin Theuer, Birte Westerhoff.
Premiere am 17. September 2022
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.wlb-esslingen.de
Kritikenrundschau
"Was als Commedia-dell'arte-Stilisierung anhebt, verliert zusehends an zündendem Brio", findet Martin Mezger in der Esslinger Zeitung (19.9.2022). Regisseur Markus Bartl führe "Kumpanentum und Machenschaften" zwar "gekonnt" als "Upperclass-Comedy" vor, was "für sich genommen recht lustig" sei. Aber die Inszenierung hangele sich dennoch "gestisch bemüht von Pointe zu Pointchen". So diene sie letztlich selbst zwei Herren: "Einerseits jenem Stilisierungsprinzip, das auch Philipp Kiefer als bunten Lamellenvorhang, provisoriumshafe Markierungen (...) und seine retromoderen Kostüme zieht; andererseits der Grenze der Möglichkeiten eines Ensembles, das eben nicht aus Commedia-Atisten besteht, originale Finesse und Rasanz nicht erreicht", meint der Rezensent.
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