Besucher - Theater Hof
Verhextes Deutschland
von Christian Muggenthaler
Hof, 5. Oktober 2019. In der vergangenen Saison wurde im benachbarten Bamberg das Stück "Die Zeit und das Zimmer" von Botho Strauß wieder ausgegraben, wobei unklar blieb, warum eigentlich. Jetzt versucht es am Theater Hof Intendant Reinhardt Friese mit Straußens "Besucher" und damit ebenfalls mit einem Bühnenwerk, dem nach der Münchner Uraufführung keine große Bühnenpräsenz beschieden war. Ob es sich denn diesmal gelohnt hat?
Fettschicht
Botho Strauß' Text wirkt zunächst einmal statisch und kreist mit Vorliebe um sich selbst. Wobei diese Kreiserei ganz gut die Zeit trifft, in der das Stück entstanden ist, 1988 nämlich, also kurz vor dem Ereignis, was nachher "Die Wende" hieß. Es wird einem allmählich bewusst, dass sich das satte West-Deutschland irgendwie auch hinter einer Mauer befunden hat und die ganze Nabelschau der 1970er und -80er, die auch im "Besucher" durchaus betrieben wird, sich schon allein deshalb als so schwierig erwies, weil vor lauter Fettschicht kaum Nabel mehr erkennbar war. Diese Erkenntnis bewegt im Stück auch den Schauspieler Maximilian Steinberg, der aus der DDR geflüchtet ist und sich jetzt im Westen, einem Baukasten der Werbewelt, gehörig fremd fühlt.
Da hat dann Botho Strauß schon auch ein Näschen gehabt: Das Fremdeln scheint seitdem geblieben. Und eigentlich hat auch das Theater Hof Näschen bewiesen: Weil ein Jahr danach, 1989, die Stadt im Zonenrandgebiet plötzlich zu einer kurzfristig äußerst belebten Durchgangsstation geworden war zwischen DDR und BRD; da muss so ein Stück Ost-West-Geschichte doch passen? Tut es im Prinzip auch, nur ist da ganz schön viel Kunst-Wollen in den Text gepfropft, das nicht immer hilfreich wirkt. Herrn Steinbergs Befremdetsein mit dem Westen weitet sich in surreale, mutmaßlich alkoholgetriebene Halluzinationen aus, und zugleich kommt "Besucher" im Gewand einer Schauspiel-Komödie daher: Da wächst dann tatsächlich nicht zusammen, was auch nicht zusammengehört.
Künstlerkomödie einerseits
Zunächst beginnt alles als Stück im Stück, das Publikum ist zu Gast bei Proben, in die drei Spieler*innen ihre jeweiligen Biografien mitbringen. Maximilian Steinberg die des Rübergemachten, sein berühmter Kollege Karl Joseph den selbstverliebten alten Grandseigneur der Mimenzunft, eine Mischung aus hochmütigem Besserwisser und Anekdötchen-Onkel (Volker Ringe gibt diesen Gecken hinreißend süffisant), Edna Gruber die leicht esoterische Ur-Grüne (Julia Leinweber verleiht der Figur eine sachte Melancholie über alles Karikaturhafte hinaus). Das würde ja reichen, um daraus eine boshafte BRD-DDR-Künstlerkomödie zu stricken.
Aber das Unbehagen des Flüchtlings muss ausufernd besprochen und bebildert werden. Der Schauspieler Steinberg (sehenswert trotzig dargestellt in langmähniger Ernsthaftigkeit von Oliver Hildebrandt) wendet sich gleich zu Beginn explizit gegen jeglichen Bühnen-Realismus in einem programmatischen Dialog, und also hält besagter Surrealismus Einzug. Dem Mann, dessen Freundin Lena (gekonnt verständnisinnig: Carolin Waltsgott) einem Zigarettenreklameplakat entsprungen zu sein scheint, erscheinen reihenweise wunderliche Wesen, die andeuten, dass das ganze Westland auf ihn seltsam verhext wirkt; die Wirklichkeitsebenen verrutschen.
Sürrealismus andererseits
Frieses Inszenierung macht das Beste daraus, die Bühne, geprägt von zwei großen quadratischen Projektionsflächen, hilft beim Entwerfen von Parallel-Wirklichkeiten, der Puppenbauer Radovan Matijek hilft beim Bauen von schrägen, bemerkenswerten Bildern mit skurril vergrößerten Körperteilen und belebten Objekten, die Kostüme (Ausstattung: Annette Mahlendorf) helfen mit Plateau-Schuhen, Öko-Outfit und Vokuhila-Frisur bei der 80-er-Verortung. Mit all diesen wahrlich schön anzuschauenden Bildern zeigt sich: Dem Mann aus dem Osten erscheint der Westen im Wirtschaftswunderabklingbecken erstrangig erratisch.
Die Kehrseite der Medaille ist halt nur, dass genau deshalb auch das Bühnengeschehen manchmal erstrangig erratisch wirkt. Es hat Liebreiz, zwingt sich aber nicht auf, verführt kaum durch erkennbare Entwicklungen, nachvollziehbare Motive, Bruchlinien zum gedanklichen oder empathischen Eindringen, Erkenntnismomenten – außer eben jener einer großen Fremdheit zwischen Ost und West. Ein sauber und gekonnt ausformulierter Befindlichkeitsschnappschuss. Ob das reicht? Es bleibt ein großes Fragezeichen.
Besucher
von Botho Strauß
Inszenierung: Reinhardt Friese, Choreographie: Barbara Buser, Bühne und Kostüme: Annette Mahlendorf, Puppen und Objekte: Radovan Matijek, Dramaturgie: Thomas Schindler, Videographie: Kristoffer Keudel.
Mit: Oliver Hildebrandt, Volker Ringe, Julia Leinweber, Carolin Waltsgott, Jannik Rodenwaldt, Ralf Hocke, Marina Schmitz, Johannes Schug, Anja Stange.
Premiere am 5. Oktober 2019
Dauer; 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.theater-hof.de
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 11. Oktober 2024 Theater Ansbach: Großes Haus bleibt bis 2026 geschlossen
- 10. Oktober 2024 Berlin: Neue Teamleitung fürs GRIPS Theater ab 2025
- 10. Oktober 2024 Literaturnobelpreis für Han Kang
- 08. Oktober 2024 euro-scene Leipzig: Kritik an Einladung palästinensischer Produktion
- 05. Oktober 2024 Zürich: Klage gegen Theater Neumarkt wird nicht verfolgt
- 04. Oktober 2024 Interimsintendanz für Volksbühne Berlin gefunden
- 04. Oktober 2024 Internationale Auszeichnung für die Komische Oper Berlin
- 04. Oktober 2024 Kulturschaffende fordern Erhalt von 3sat
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
neueste kommentare >