Die Kommune - Am Deutschen Theater Berlin distanziert sich Rafael Sanchez improvisierend von Thomas Vinterberg
Pyjamas für die Kommunarden
von Rudolf Mast
Berlin, 22. Januar 2012. Der Däne Thomas Vinterberg ist vor allem als Mitbegründer der "Dogma"-Bewegung bekannt, die mit formalen Neuerungen einen zeitgenössischen Realismus schaffen wollte. Niederschlag fand das Vorhaben in Vinterbergs Film "Das Fest", der vermeintlich intakte familiäre Strukturen seziert und die von Gewalt gebildeten Fundamente freilegt. Die kammerspieltaugliche Vorlage trat den Weg durch die Theater an, und auch Vinterberg selbst ist inzwischen dort gelandet.
Im Herbst 2011 inszenierte er in Wien sein aus der Probenarbeit entstandenes neues Stück "Die Kommune". Auch hier findet sich eine quasi familiäre Struktur, doch von formalen Neuerungen ist so wenig eine Spur wie von einem zeitgenössischen Realismus. Einen Grund dafür benennt bereits der Titel: Die Kommune als Lebensform ist seit Jahrzehnten erledigt. Und auch wenn das Geschehen in den 70er Jahren ansiedelt ist, bleibt das Stück antiquiert, weil es als Beschreibung einer wie auch immer gearteten Gegenwart ebenso wenig funktioniert wie als Auseinandersetzung mit der Utopie, die sich einst mit der Kommune verband: Nicht gemeinsame Interessen oder Ziele führen die "Kommunarden" zusammen, sondern ein geerbtes Haus, in das Erek mit Frau, Kind und einigen Mitbewohnern einzieht, die das Auswahlverfahren überstehen.
Zurück zur Improvisation
Das Zusammenleben, das sich auf die gemeinsame Haushaltskasse und gelegentlichen Sex beschränkt, gerät in die Krise, als sich Erek in die 20 Jahre jüngere Emma verliebt. Das Zeug zum Drama hat das allein für Ereks Frau Anna, und wegen des falschen Ernstes der Dialoge wird auch keine Komödie daraus. Gleichwohl hat sich das Deutsche Theater in Berlin entschlossen, das Stück nachzuspielen, obwohl vor wenigen Wochen noch eine andere Premiere für den 22. Januar angekündigt war.
Während der Proben müssen dann aber doch Zweifel aufgekommen sein. Davon kündet ein Vorwort im provisorischen Programmheft, in dem sich der Regisseur Rafael Sanchez im Namen des Ensembles vom Stück ein Stück weit distanziert, indem er ankündigt, den umgekehrten Weg wie der Autor zu gehen und von der Vorlage zur Improvisation zurückzukehren. Dabei hilft das Bühnenbild von Simeon Meier. Quer auf der Vorbühne der Kammerspiele steht eine reich gedeckte Tafel, die an eine Abendmahlszene erinnert. Hier haben sich die Bewohner des Hauses im Pyjama zum Frühstück versammelt, auch die, die laut Text noch gar nicht hier wohnen. In ihrem Rücken steht statt eines naturalistischen Interieurs ein Flügel, der im Wechsel mit dem Klavier vorn rechts vom Musiker Cornelius Borgolte bespielt wird. Die Musik ist zwar hinzuerfunden, erfüllt aber eine wichtige Funktion, denn wenn das Ensemble wiederholt im Chor singt, stellt sich auf unmittelbare Art eine Gemeinschaft her, wie man sie im Stück vergeblich sucht.
Kalauer und satirische Echos
In dessen Zentrum steht Erek (Matthias Neukirch), der in seinem Haus das Wort führt und die neuen Mitbewohner unter die Lupe nimmt. Dass sie schon da sind, mindert die Peinlichkeit der Fragen und rückt die Befragung selbst in den Mittelpunkt. So erhalten nach und nach alle Bewohner Gelegenheit, sich zwischen einem Croissant, einem Glas Sekt und vielen Zigaretten vorzustellen. Dabei lassen sie mit leichter Hand Versatzstücke aus der Gegenwart einfließen, die von der "Saturn"-Werbung bis zum Rubikon reichen. Und der Mut zum präzise gesetzten Kalauer tut der Sache ausgesprochen gut.
Auch Emma (Anita Vulesica) hat sich verwandelt: Anders als im Stück ist sie nicht 20 Jahre jünger als Erek, sondern immerhin auch schon fast 40 – was die Situation für Anna (Judith Hofmann) kaum leichter machen dürfte. Insofern ist es die vielleicht wichtigste Änderung, dass Anna am Ende der 100 Minuten das letzte Wort behält. Unbeirrt auf ihrer Seite steht Mona (Susanne Wolff), die zwar etwas schwer von Kapee ist, aber resolut genug, um durchzusetzen, dass sich die Männer ausziehen – im Original sind es selbstredend die Frauen. Wie ein satirisches Echo darauf wirkt der pseudotheoretische Exkurs von Ole (Peter Moltzen) über die Aporien des Feminismus der 70er Jahre.
Was zu hoffen bleibt
In Momenten wie diesen ist die Distanz zur Vorlage am größten – und die Inszenierung am ehesten bei sich. Deshalb sollte man die Premiere noch weniger als in anderen Fällen als Endpunkt begreifen. Die Probenzeit war kurz, und es steht zu hoffen, dass die Aufführung mit den nächsten Vorstellungen an Eigenleben gewinnt. Den Schauspielern, die alles dafür mitbringen, wäre das zu wünschen. Wenn mit dieser "Kommune" trotzdem kein Staat zu machen ist, liegt das wahrlich nicht an ihnen.
Die Kommune
von Thomas Vinterberg, Mitarbeit Mogens Rukov
Regie: Rafael Sanchez, Bühne: Simeon Meier, Kostüme: Ursula Leuenberger, Musik: Cornelius Borgolte
Mit: Ernest Allan Hausmann, Thorsten Hierse, Judith Hofmann, Zoe Hutmacher, Felicitas Madl, Peter Moltzen, Matthias Neukirch, Anita Vulesica, Susanne Wolff
www.deutschestheater.de
In einer Doppelbesprechung in der Süddeutschen Zeitung (30.1.2012) beschreibt Peter Laudenbach eine "eher banale, aber immerhin unterhaltsame" Inszenierung mit klischeenaher und fast kabarettistischer Figurenzeichnung. Mit ihrem Geplauder seien die WG-Insassen allerdings ein paar Jahrzehnte zu spät dran. "So kehrt man nach diesem handwerklich ordentlichen Scherzartikel gerne und frei vom Gefühl, in der Lebensplanung Wesentliches verpasst zu haben, in den Schoß der heimischen, gutbürgerlichen Ehe zurück."
"Gemeinsamkeitsglück" praktiziert das Ensemble für Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung (24.1.2012). Großer Reiz liege darin, dass die unmögliche Utopie der Kommune gerade von einem tief harmonischen Schauspielerensemble gespielt werde. Da beim Vinterberg-Text die Pointen "sitzen wie bei einem sauber durchkalkulierten Boulevard-Schmuckstück", freut sich Seidler, dass Sanchez den Schaffensprozess mitdenkt, aus dem dieser Vinterberg-Text ursprünglich entstand – der Improvisation. Die Spielenden erhalten dafür durchwegs Lob: "Sie dämmern absolut organisch in die Situationen hinein und wieder aus ihnen heraus, wozu freilich große spielerische Wachheit gehört."
Auch Barbara Behrendt weist im Berlin-Teil der tageszeitung (25.1.2012) aus Berlin auf die andere Situierung der Inszenierung hin: Sanchez habe das Stück aus den 70ern in die Jetzt-Zeit, in eine heutige Wohngemeinschaft geholt und gebe dem Ensemble "Raum zur Improvisation". Er entpolitisiere das Stück und befreie es von Flower-Power-Idealen. Ihn interessiere die Kluft zwischen "der Sehnsucht nach dem Schutz in der Gemeinschaft und der Suche nach individuellem Glück". Vinterbergs Plot sei ohne das "historische Kommuneumfeld" allerdings "erstaunlich schlicht und absehbar", ein "beliebiger Dreiecksplot". Auf der Bühne wirke das "sehr statisch". Immerhin gebe es "durchaus witzige Momente". Aber "das endlose Essgelage ohne Szenenwechsel" führe "zu viel Geschwafel und wenig Spiel". Vielleicht hätte man den "pointenreichen Text Vinterbergs eher in den schrillen Boulevard spielen sollen", doch Sanchez setze "mehr auf Rührung als auf Belustigung".
Im Berliner Tagesspiegel (25.1.2012) schreibt Christine Wahl: Vinterbergs Wiener Inszenierung sei konsequent in den 70er Jahren verortet, Sanchez gehe den umgekehrten Weg. Er stutze Vinterbergs Text aufs "grobe Handlungsgerüst zurück", das die Schauspieler aus "zeitgenössischer Perspektive improvisierend füllen". Dabei ersparten "die vierzig Jahre Gender Studies, die die Berliner den Wiener Kommunard(inn)en voraus haben" dürften den Zuschauern "viel ungebrochenes, wimmernd am Fuß des Kommunen-Machos klammerndes Frauen-Elend". Clever sei es, dass Sanchez den Abend komplett am Küchentisch bei ständiger Anwesenheit sämtlicher Bewohner spielen lasse. So verschwinde die WG nicht zusehends, wie in Vinterbergs Text, hinter dem Kernfamilienkonflikt. Zum anderen habe das bestens aufgelegte DT-Ensemble sichtlich Spaß am Erfinden – und Kommentieren – des Kommunenpersonals. Bloß der Punkt, an dem die scheiternde Utopie auch für heute noch interessant sei, lasse sich in Berlin nicht recht erkennen, da ohnehin schon jeder alles längst wisse.
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