Schwarzes Tier Traurigkeit - Jorinde Dröse hat Anja Hillings Text in die Kammerspiele des Deutschen Theater installiert
Große Göttin Katastrophe
von Dirk Pilz
Berlin, 6. Juni 2010. Aber ein bisschen mehr Theater spielen und weniger Theater behaupten wäre schon möglich gewesen, oder? So nämlich schaut dieser kurze Abend lediglich wie eine hastig hingetupfte Tuschezeichnung aus. Und es ist ja nicht so, dass Jorinde Dröse eine Regisseurin wäre, die sich gänzlich das Erfinden von Bildern, den Einsatz szenischer Phantasie, das Ausformulieren mehrstöckiger Figuren verbieten würde. Vor zwei Jahren zum Beispiel hat sie am Centraltheater Leipzig eine Hamlet-Version ersonnen, die durchaus das hatte, was man gemeinhin Bühnenphantasie und Doppelbödigkeit nennt. Diesmal aber speist sie uns mit Theater-Instant-Ware ab.
Man kann's freilich auch freundlicher nehmen: Dröse hat sich für ein installatives Verhältnis zur Textvorlage entschieden. Sie sucht ihr Regieglück im Andeuten statt Ausspielen. Allein, es ergibt sich kaum etwas daraus. Es ist nur eine gut gehandwerkelte Szenenherrichtung entstanden, freundlich genommen
Im Tapetenwald
Die Textvorlage ist ein Stück von Anja Hilling, in dem sechs Menschen zwischen 30 und 40 eine Ausfahrt in den Wald unternehmen. Sie grillen, sie scherzen, sie stänkern ein bisschen. Die eine war mit dem anderen mal verheiratet, der jetzt mit einer Neuen ein Baby hat, Gloria. Gloria schläft im VW-Bus. Das ist der erste Teil von "Schwarzes Tier Traurigkeit".
Dann wird es Nacht, dann bricht ein Feuer aus. Das ist der zweite Teil, "Das Feuer" betitelt. Der Text verzichtet hier auf Figurennamen, das Geschehen wird in kollektiver Schockberichterstattung verhandelt. Im dritten Teil, "Die Stadt", sind Gloria und ihre Mutter tot, gestorben im Waldflammenmeer. Und die Überlebenden versuchen, dem Veränderungsdruck durch das Erlebte standzuhalten. Jeder scheitert auf seine Weise, aber was heißt in solchen Schreckensfällen schon Scheitern.
Am Anfang lässt Jorinde Dröse schmale Blumentapeten aus dem Schnürboden herabgleiten. Es wird auf einer Bierbank gesessen, die Regieanweisungen spricht man in Mikrofone. Mal krabbeln die in allem souveränen Schauspieler in ihre Rollen hinein, mal führen sie die Figuren an der langen Leine neben sich her. Bernd Moss schaukelt einen Stoffballen, das ist das Baby. Judith Hofmann sitzt rauchend auf dem Boden, das soll uns Coolness bedeuten. Natali Seelig robbt sich an Moritz Groves Knie heran, das will Erotik beweisen.
Alles ist, wie es eben ist, wenn Andeuten schon alles ist. Man installiert Figuren, man stellt sie hin und aus und überlässt das Weitere dem Zuschauer, der dabei dies und das denken darf oder es einfach bleiben lässt. Ganz wie's beliebt.
Im Geräuschfeuer
Dunkel wird es hernach. Es knistert, knackt und knirscht aus den Lautsprechern. Das ist das Feuer. Man hört Stimmen und sieht Schwarz-Weiß-Videos. Lange schaut Natali Seelig aus dem Film heraus dem Publikum eindringlich ins Aug'. Bis sie weint, bis die Kamera auf anderen Gesichtern ruht. Die Flammen erlöschen, und die Tapeten sacken zu schwarzen Haufen zusammen.
Am Ende schließlich fallen die Schauspieler viel um, werden sie laut und grob, aber die Figuren nie konkret, nie charakterscharf, nirgends kenntlich. Man hüpft auch im dritten Teil ungerührt vom Erzähl- ins Dialogverhalten, als ob keine Katastrophe dem Theater etwas anhaben könne. Wir hören von Tod und Leid und Traurigkeit – und sehen in ascheverschmierte Gesichter. Als ob die Maske ersetzen müsste, was die Regie nicht auszudrücken vermag.
Am Ende fällt diese Theaterinstallation einfach in sich zusammen: Sie hat zum Stück, zu den Figuren, zum Thema nichts anzumerken.
Im Behauptungstheater
Die Hannoveraner Uraufführung von "Schwarzes Tier Traurigkeit" hat vor drei Jahren mit einer wirren Material- und Kostümschlacht, also mit hemmungsloser Veräußerlichung versucht, diesem Text beizukommen. Das ging nicht gut. Jorinde Dröse hat's jetzt mit szenischer Verzwergung probiert. Auch das ist kaum mehr als eine Verlegenheitsweise, dem Stück aus dem Weg zu gehen.
Denn ist es nicht so, dass dieses Dramentriptychon noch Umgreifenderes als die Deformationskraft des Katastrophischen im Privatleben zum Inhalt hat? Handelt es nicht genauso davon, wie Katastrophen unter nachmetaphysischen Verhältnissen schrecklicherweise zum quasireligiösen Substrat mutieren? Es geht doch, so scheint's immerhin, bei Hilling auch darum, dass sich die globale Krise als "Große Katastrophe" erweist, als eine Katastrophe, die zu jener "Göttin des Jahrhunderts" zu werden droht, von der Peter Sloterdijk in seinem seltsam krisenveherrlichenden Buch "Du musst dein Leben ändern!" jüngst gekündet hat.
Die Flammen, die in "Schwarzes Tier Traurigkeit" lodern, entfachen jedenfalls mehr als einen Waldbrand. Sie weiten sich zum Weltenbrand. Oder sollt's doch bloß ein Stück Theaterbehauptung sein?
Schwarzes Tier Traurigkeit
von Anja Hilling
Regie: Jorinde Dröse, Bühne: Anne Ehrlich, Kostüme: Johanna Pfau, Video: Niklas Ritter, Dramaturgie: Juliane Koepp. Mit: Natali Seelig, Harald Baumgarten, Helmut Mooshammer, Judith Hofmann, Bernd Moss, Moritz Grove.
www.deutschestheater.de
Mehr zu Anja Hilling gibt es im nachtkritik-Archiv. Von Regisseurin Jorinde Dröse besprachen wir zuletzt den Black Rider, den sie im April 2009 im Centraltheater Leipzig inszeniert hat, und Tom Lanoyes Mamma Medea brachte sie im Januar 2009 am Hamburger Thalia Theater in der Gaußstraße auf die Bühne.
Volker Trauth schreibt auf der Webseite von Deutschlandradio Kultur (6.6.2010): Fast immer stünden bei Anja Hilling "Glücksucherfiguren" im Zentrum. Oft werde ein "apokalyptisches Verhängnis" zum "Auslöser des Handelns", zwinge die Figuren zur Konsequenz. Das Problem der Inszenierungsei, dass das Interesse an den Figuren "irgendwann aufgebraucht" sei. Waren sie im ersten Teil in "ihrer Weltsicht und Biografie andeutend nähergebracht" worden, so seien sie im Rahmen der "Textkomposition" des zweiten Teils nur noch "Funktionen im allgemeinen Stimmengewirr" und im dritten Teil falle es ihnen schwer, an das Verhalten der Protagonisten im ersten Teil anzuknüpfen.
Im Berliner Tagesspiegel (8.6.2010) schreibt Christine Wahl: Jorinde Dröse nehme sich das Stück so vorsichtig vor, dass man "momentweise geneigt" sei, "von Nicht-Regie zu sprechen". Die Momente individueller Figurenzeichnung, die sich im ersten Teil angedeutet hätten, seien "ab dem zweiten Teil passé". Die von Hilling "beklemmend minuziös geschilderte Brandpassage" löse Dröse in einer "installativen Schwarz-Weiß-Videosequenz" auf. Womit sich der Abend in "Richtung Hörspiel" bewege und die "persönlichen Tragödien austauschbar" wirkten. Schade, dass Dröse so wenig "ausdeutungs- und differenzierungsfreudig zu Werke" gegangen sei. Da wirke der Text "merkwürdig verkleinert".
In der Berliner Zeitung (8.6.2010) schreibt Ulrich Seidler: Anja Hilling liefere in ihrem Stück eine Beschreibung der "durchschnittlichen deutschsprachigen Gegenwartstheaterfiguren": "Leidenschaftslosigkeit, Unverbindlichkeit, Oberflächlichkeit, Eitelkeit" bestimmten das postdramatische "Menschenbild". Wie solle man mit "diesen Leuten" eine Geschichte erzählen? Wenn Anja Hilling über diesen Personen den Wald anzündet, treffe "Katastrophe" das "Einerlei". "Es sei verraten, dass das Einerlei trotz der Opfer ... keinen Schaden nimmt." Regisseurin und Schauspieler bewiesen ein "sicheres Gefühl" für das "dialogische Geplänkel", die "Fiesheiten", die "erstickten Sehnsüchte", die "psychischen Lädierungen". Die Figuren würden durch das Feuer "auf ihre Existenz zurückgeworfen", "Beziehungen archaischen Prüfungen unterzogen". Und am Ende habe niemand etwas begriffen. "Es war Gegenwartstheater (...) Es will sich gefallen."
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Sind in den Texten von Hilling Naturüberwältigungen, Vergewaltigungen, Katastrophen und Einsamkeit zentral? Wer stimmt mir zu, dass Hillings Autorenhaltung von tiefer Menschlichkeit und Zuwendung (nein: eben nicht Kitsch) geprägt ist?
Berührt der Text den Leser? Wenn ja, warum die Inszenierung des Textes dann nicht?
Ihre Setzung des "Menschlichen" im Menschen kann auch eine (Selbst-)Täuschung sein. Ein frommer Wunsch, aber nicht alle haben immer den von Ihnen gewünschten guten Willen. Und zudem sollten Sie ein Stück nicht mit der Realität verwechseln. Der folgende, von Ihnen beschriebene Begründungszusammenhang klingt für mich beinahe komisch: "Es sollte in zukünftiger Regiearbeit nicht darum gehen, welche Deformationskraft Katastrophen im Privatleben auslösen, das ist nicht die einzige Frage, die sich mir nach Stücklektüre stellte, in Deutschland gibt es Traumazentren, sondern wie generell Zivilgesellschaften mit den Opfern von Katastrophen umgehen, umgehen werden." Es geht hier sicher nicht um das Thema "Traumazentren", nein. Aber vielleicht geht es in diesem Stück um den Schmerz des Vergänglichen des Seienden. Und vielleicht auch um das Paradox der Schärfung der Wahrnehmung von Selbst und Welt durch Katastrophen. Kurz: Müssen wir wirklich erst Katastrophen erfahren, um das Wesentliche im Leben zu erkennen?
Schließlich, was verstehen Sie unter der "Atomarisierung" von menschlichen Bindungen? Meinten Sie Atomisierung?
Dieser Schmerz könnte ein speziell meschliches Moment sein: im B e w u ß t s e i n von Vergangenheit und Zukunft - dafür muss er, der Schmerz erst mal kommen - das ist Berührtsein. Transzendens von Traumabildern.
Darauf habe ich die Ihnen so lächerliche Zukunftsvision vom globalen Denken zu Katastrophenbewältigung aufgebaut. Meine Forderung von zukünftiger Regiearbeit ist nichts weiter als die Forderung von gesellschaftlicher Relevanz, Gesellschafft von mir gemeint als Menschenbund - ja, das muss Kunst nicht immer sein, aber es wäre schön, WENN es so wäre. Ich habe Vorschläge gemacht, ich habe keine Weltmaxime behauptet. Es gibt keinen Grund mein Menschenbild anzugreifen.
Wollten Sie jetzt von mir hören: Ja, wir sind so blöd und brauchen echte Katastrophen, Bilder genügen uns nicht mehr? - Ich hab doch gesagt, das mich der Text berührt hat.
Generell: nein, Stücke und auch Inszenierungen müssen nicht berühren, auch langweiliges Theater oder intellektuell spannendes Theater Z.B. hat seine Berechtigung heutzutage. Ich sprach nicht von Katharsis. Ich sprach von Zukunftsentwürfen. Und für Zukünftsentwürfe allgemein braucht es aber auch nicht nur kühle Intelligenz allein. Glauben sie mir oder auch nicht, Sie wissen ja alles so gut,kluger/e IS, für Gefühle kann man sich besonders im Falle eines Traumas nicht frei entscheiden, Trauma beschreibt Determiniertheit, die Verantwortung für diese Gefühle sollten Menschen, die soziale Umwelt vorläufig übernehmen - man kann erst durch andere Menschen Mensch werden. Man wird auch in den übelsten Allmachtsphantasien als traumatisierter Mensch niemalts eine Ratte, man glaubt vielleicht eine zu sein, weil man das undenkbare oder gar nicht mehr denkt. Menschlichkeit nur vom Willen abzuleiten ist Quatsch. Der Mensch bleibt Mensch, nur die Koordinaten von Raum und Zeit (ZUKUNFT)müssen andere Menschen vorläufig herstellen, das meine ich mit Menschlichkeit geben. Wir brauchen keine eigenen Katastrophen um Naturkatastrophenopfern, Kriegsopfern, Kind-von-Hund-totgebissen-Tramatisierten etc. Menschlichkeit (Zukunftentwürfe) zu geben - wir müssen selber Menschlichkeit haben: Zugewandheit, Mitgefühl, Bewußtsein. Und ich meinte tatsächlich Atomisierung als Zerfallsprozess, Entschuldigung.
Für mich gibt es dieses universale Menschenbild, wie "der Mensch" sei, eben gerade nicht. Ich würde vielmehr sagen, dass der Mensch, um menschlich zu sein, sich als Nicht-Mensch erkennen muss. Aber das wird in diesem Stück auch eher am Rande verhandelt.