Nur die Liebe zählt

12. Oktober 2023. Gigantische Wasserfälle, fliegende Frauen am Bungee-Trapez, Signature-Pieces von Jean Paul Gaultier: Die neue Grand Show in Berlins Mitte spielt in einer völlig eigenen Opulenz-Liga. Es werden aber auch Inhalte über die Rampe transportiert – und am Schluss sogar eine Gewissheit. 

Von Esther Slevogt

"Falling in Love" von Berndt Schmidt, Oliver Hoppmann und Jean Paul Gaultier im Friedrichstadt-Palast © Nady El-Tounsy

12. Oktober 2023. Passend zur Weltlage strahlt der gigantische Zuschauerraum des Berliner Friedrichstadt-Palasts beim Reinkommen erst einmal die Finsternis des Stadttheaters von Gotham City aus: eine düstere Showkathedrale, die sich aber in den nächsten drei Stunden in eine farb- und sensationssprühende optimistische Welt der Superlative verwandeln wird, die immer neue spektakuläre Bilder für die Sehnsucht nach Liebe, Freiheit und Gemeinschaft findet.

Ein Farb- und Kostümrausch, mit der palasttypischen Mischung aus Akrobatik, Show und Tanz. Unterstützt von hundert Millionen Swarowski-Kristallen, die zunächst unsere in Erstarrung geratene und so erlösungsbedürftige westliche Glitzerwelt symbolisieren. Die aber natürlich aufgrund ihres Glanzes die Macht der Erlösung auch schon in sich tragen. Sie wollen halt nur illuminiert werden, belebt, animiert. Und das werden sie dann ja auch in der märchenhaften Erzählung, die den Abend rahmt – durch die Macht der Liebe natürlich.

Maximaler Empowerment-Wille

"Falling in Love" heißt die neue Grand Show im Friedrichstadt-Palast und die Premiere fängt mit einer Rede von Intendant Berndt Schmidt an. Er spricht vom Gefühl des Fallens in die Dunkelheit, das unsere Zeit so stark vermittelt und dem man sich nicht ergeben dürfe. Er weist auf die 28 Nationen hin, aus denen die Mitarbeiter seines Hauses stammen, "wir lieben alle Geschlechter", sagt er. Am Haus arbeiteten agnostische, christliche, jüdische und muslimische Menschen zusammen. "Was wir hier gemeinsam auf die Beine stellen, werden Sie ja gleich sehen." Schon die letzte Grand Show "Arise" trat mit dem maximalen Willen zum Empowerment an. Und so ist es auch jetzt. Lasst die Finsternis nicht siegen, ist die Botschaft dieser überbordendenden Show, die das Publikum zwischendurch immer wieder zu Standing Ovations von den Sitzen reißt.

Die Liebe erlöst alle - und alles in der neuen Grand Show des Friedrichstadt-Palasts © David Baltzer

Muss man die märchenhafte Geschichte erzählen, an der entlang der Abend seine Botschaft ausbreitet? Es geht los in Diamond City, wo nur drei Farben erlaubt sind: Blau, Rot, Grün. Hier kommen auch die beiden Protagonist*innen des Abends her – You and Me –, deren Liebe am Ende alles erlöst. You ist ein gehörloser Poet, der in seinem weißen Anzug ein bisschen an populäre Bilder von Goethes Werther oder auch Lord Byron erinnert. (Der romantische Dichter William Blake und sein Gedicht "The Garden of Love" sind Inspirationsgeber des Abends.) Counterpart Me wird als freiheitsliebende Rebellin eingeführt, die aus der beschränkten Diamond City bereits entkommen konnte. Bloß der Poet sitzt hier noch fest mit seiner Schreibfeder, die verzweifelt die Wände mit geisterhafter Schrift befüllt, und soll sich für eine Farbe entscheiden. Das kann er aber nicht und stürzt also bald ins Bodenlose, und auch seine Feder aka Kunst zerbricht.

Zwischen Star Wars und Oskar Schlemmer

Und wir stürzen mit ihm durch berauschende Bilder: Enorme Wasserfälle etwa, wo in schwindelnder Höhe schwebende Akrobaten tauchen, fliegende Riesennixen in Slowmotion mit ihren ungeheuren Fischschwänzen durch die Lüfte navigieren. Die Vertreter von Rot, Grün und Blau (Marc Chardon, Floor Krijnen und Jara Buczinski) versuchen, uns nach allen Regeln der Kunst für die monochrome Welt ihrer jeweiligen Farbe zu begeistern. Dann tritt Leon, das letzte Chamäleon auf (Olivier St. Louis). Er glaubt nicht mehr an Farben. Auf dem Weg heraus aus der Dunkelheit geraten wir auf den Friedhof der Perlen, der von alienhaften Unterweltgeistern bewohnt wird. Wir treffen den Artisten Andreis Jacobs Rigolo, der in einer atemberaubenden Performance dreizehn riesige Palmblatt-Rispen zu einem fragilen Mega-Mobile zusammenbaut, dessen Balance allein von einer Feder gewährleistet wird – als Jacobs Rigolo sie am Ende wegnimmt, stürzt alles zusammen. Was für ein Bild für unsere aus den Fugen geratene Welt.

Falling in Love 02 805 Nady El Tounsy uIn Signature-Pieces von Jean Paul Gaultier: Das Ensemble des Friedrichstadt-Palasts © Nady El Tounsy

"Unsere Welt ist so versteinert", singt Chamäleon Leon in knarziger Rockstarmanier. Mit den opulenten Waffen des Musicals werben Rot, Grün und Blau immer wieder um ihre Welten. Tableauhafte Ballettnummern trumpfen mit immer neuen, surrealistischen und manchmal auch beängstigenden Bildern auf – zwischen Star Wars und Oskar Schlemmer. Die Bühne spuckt Feuer und Wasser. Der Tänzer Callum Webdale gibt seinem Poeten mit der Schlabberhose immer wieder auch Bewegungen aus dem Modern Dance mit auf die Reise in den Garten der Liebe, "wo jede Farbe zählt", wie Laura Panzeri als Rebellin "Me" einmal singt – bis auch er irgendwann im Glitzershirt dasteht. Dieser Garten der Liebe ist dann natürlich auch das regenbogenfarbene Finale des Abends. Der französische Modeschöpfer Jean Paul Gaultier hat seine Gärtner*innen der Liebe dafür in hinreißende Glitzerschürzen gesteckt. Aber natürlich fehlen an diesem Abend auch die glitzernden Variationen seiner Signature-Pieces nicht: die Matrosen, die Korsagen, die Bustiers (u.a. von Madonna zu Weltruhm gebracht).

Wir schaffen das! 

Ein Höhepunkt der Grand Shows ist immer die Chorus Line des ganzen Balletts – und die Frage jedesmal spannend: Wie machen sie es diesmal? Was sagen sie uns jetzt mit dieser eigentlich standardisierten, genrehaft beschränkten und dann doch immer überraschend kodierten Choreografie? Jetzt kommt das über fünfzigköpfige Ballettensemble aus dem Dunkel der farblosen Welt – ganz in schwarz, aber mit weißen Handschuhen bis zum Ellenbogen. Erst sind sie nur ein finsterer Bewegungscluster, der aus Charlie Chaplins "Modern Times" oder Fritz Langs "Metrolpolis" stammen könnte – dann aber formieren sie sich zur berühmten beinschwingenden Line. Es sind die standardisierten Bewegungen des Maschinenzeitalters, die diese Choreografie einmal geboren haben. Im Friedrichstadt-Palast machen Alexandra Georgieva und Sadek Waff nun ein stylisches wie mitreißendes Bild für Gemeinschaft und Zusammenhalt daraus, das auch das Publikum zu Standing Ovations aus den Sitzen reißt. Die fliegenden Frauen am Bungee-Trapez steigern die Euphorie kurz darauf noch, weil ihnen mit ihrem zirzensischen wie schwindelerregenden Spektakel tatsächlich so etwas wie die Vermittlung eines Freiheitsgefühls gelingt. Alles ist möglich. Wir schaffen das!

Ja, lachen Sie nur über die Euphorie der Feuilletonistin! Sie hat nun ohnehin keine Worte mehr. Gehen Sie einfach selber hin und schauen.

 

Falling in Love
Grand Show von Berndt Schmidt, Oliver Hoppmann und Jean Paul Gaultier
Text und Regie: Oliver Hoppmann, Visual Design: Jean Paul Gaultier, Kostümdesign: Elisabetta Pian, Fecal Matter, Hannah Rose Dalton, Steven Raj Bhaskaran, Sasha Frolova, Choreografie: Alexandra Georgieva, Ashley Wallen, Sadeck Waff, Boram Kim, Leo Mujic, Georges Momboye, Jay Alpuerto-Ritter, Maik Damboldt, Alexandra Georgieva, Mark Smith. Musik: Daniel Behrens, Zoe Wees, Ricardo Munoz, Patrick Salny, Michael David Needle, Emma Rosen, Jasmin Shakeri, Ketan Bhati, Viva Bhati, Albin Janoska.
Mit: Callum Webdale, Hearns Sebuado, Laura Panzeri, Oliver St. Louis, Marc Chardon, Floor Krijnen, Jara Buczynski, Andreis Jacobs Rigolo, Maritza Mela Zambrano, Marie-Élaine Mongeau, Nicola Willis, Anthony Brew, Magnus Dahl-Hanse, Michael Hills, Oleksii Milodan, Luis Moya, Joel Ramseier, Luke Schupp, Denis Sushko, Iurii Terentev, Aliaksandr Tsikhanovic, Dillon Vance, Laura Yee, Anthonie Brew, Michael Hils, Luke Schupp, Dillon Vance, Ballettensemble des Friedrichstadt-Palast, Showband des Friedrichstadt-Palast.
Premiere: 11. Oktober 2023
Dauer: 3 Stunden, 1 Pause

www.palast.berlin

 

Kritikenrundschau

Johanna Adorján von der Süddeutschen Zeitung (online | € | 12.10.2023) findet, "man kann es nicht nacherzählen, ohne dass es klingt, als wäre man verrückt geworden. Man stelle sich einfach Zirkus vor, nur ohne Zirkus. Oder die Teletubbies, falls diese noch ein Begriff sind, nur als Musical." Und weiter heißt es in dem ziemlich berauschten Text: "Und was nach der Pause kommt, übertrifft alle Erwartungen, die man an eine solche Grand Show überhaupt nur haben kann. Wirklich. Es wird alles aufgefahren, was man sich in diesem Zusammenhang vorstellen kann, und als Fazit kann gelten: Viel mehr ist viel mehr!"

"100 Millionen (!) Swarovski-Steine, Kostüme von Gaultier und Kosten von 13 Millionen Euro machen das Stück vor allem zu einer Materialschlacht – die sich allerdings wirklich sehen lassen kann", berichte Sören Kittel in der Berliner Zeitung (13.10.2023). Er erzählt von Kontroversen in der Pause über die als zu lang oder zu eigenwillig modern empfunden Sanddorn Balance Performance und resümiert: "Die fast 50-jährige Geschichte dieses Palastes wird auch diese sehr spezielle Performance überleben. Sie wird irgendwann vielleicht auch Kult werden wie die weltberühmte Frauenreihe, die auch dieses Mal nicht fehlen wird."

"Der Drang, mit 'Falling/In Love' die ganze Menschheit zu umarmen, sorgt leider dafür, dass sich die Sinnlichkeit verflüchtigt", klagt Frederik Hanssen im Tagesspiegel (13.10.2023) "'Falling/In Love' will ein Feelgood-Musical sein, eine 'Piep, piep, piep, wir hab'n uns alle lieb!'-Show. Die Buntheit, die im Palast früher einfach gefeiert wurde, lustvoll, eskapistisch, überwältigend, wird jetzt vor allem wortreich beschworen. In Reimen, die klingen, als hätte sie der Senator für gesellschaftlichen Zusammenhalt zugeliefert: 'Ignoranz besiegen, Unterschiede lieben'". Und weiter: "Selbst die Artistikeinlagen sind diesmal harmlos."

"Es funkelt", vermeldet Ulrike Borowczyk in der Morgenpost (13.10.2023). Der "Sanddorn Balance Act" von Andreis Jacobs Rigolo, der eine gigantische Schreibfeder baut und balanciert, sei einer "der seltenen und stillen Momente in einer Produktion, die alle Sinne überwältigt. Am Ende des eindrucksvollen Bilderreigens wird nicht nur kunterbunte Diversität, sondern auch die Liebe gefeiert. Volle Showpower im Friedrichstadt-Palast."

Kommentare  
Falling in Love, Berlin: Gänsehaut und Schnappatmung
Grandios...Super...Gigantisch...habe die Show gesehen und erlebt, mit Gänsehaut und Schnappatmung...werde die nächsten 2 Jahre Dauergast...
Falling in Love, Berlin: Liebe und Frieden
Wenn Bernd Schmidts Friedrichstadt Palast Herrscharen von Choreographen und Kostümbildnern für die nächste Grand Show rekrutiert, kann mit dieser Opulenz kaum ein anderes Haus mithalten. Die Kreationen von Jean Paul Gaultier sind natürlich das Highlight dieser Revue voller glitzernder Swarowski-Steine, wobei die schillerndsten Kostüme gleich beim Intro zu erleben sind.

Der Plot, der die Tanz- und diesmal erstaunlich raren Artistik-Szenen lose verbindet, spielt in einer märchenhaften Welt und erzählt diw klassische Heldenreise des gehörlosen You (Callum Webdale). Die Musik hat die SZ treffend als Mix zwischen Enya-Sound und Entspannungsmusik beschrieben.

Den stärksten Beifall vor der Pause bekommt Andreis Jacobs Rigolo für sein nur auf einer Feder balancierendes Palmholz-Mobile. Höhepunkte der zweiten Hälfte sind die beinewerfende Chorus Line, die bei keiner Show fehlen darf, und die Trampolin-Nummer vor der Zielgeraden des Abends.

Mit manchmal etwas zu kitschigen und schlagwortartigen Texten beschwört „Falling in Love“ eine Fantasy-Welt voller Liebe und Frieden. Etwas mehr davon könnte die graue, kriegerische November-Realität auf jeden Fall vertragen!

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2023/11/03/falling-in-love-friedrichstadt-palast-kritik/
Falling in Love, Berlin: 2. Teil
Eine 2 teilige Revue. Nach dem 1 Teil will man wieder los gehen und sein Geld zurück.
Der 2 Teil ist dann wieder Palast Niveau.
Falling in Love, Berlin: Tolle Show
Sehr schöne Show hat uns sehr gefallen kommen auch noch mal wieder ganz toll
Dankeschön
Falling in Love, Berlin: Wieder übertroffen
Man geht ja seit Jahren in diesen Palast, immer mit der Erwartung, ob die vorherige (schon auf höchstem Niveau) gezeigte Show diesmal wieder übertroffen wird. Und ja, sie schafft das auch diesmal wieder.
Ich weiß gar nicht, was mich mehr beeindruckt hat: die Musik, die visuellen Effekte, die Akrobatik, die Kostüme, die Bühnenbilder?
Es gab auf jeden Fall mehrere Szenen, die einem vor Erstaunen und Rührung die Freudentränen in die Augen getrieben haben, vor Glück, diese Momente live erleben zu dürfen.
Wer bisher nur darüber nachgedacht hat, in diese Show zu gehen, sollte dies jetzt unbedingt tun.
Falling in Love, Berlin: Neunmalschlau
Obwohl ich in Berlin, in Westberlin, aufgewachsen bin und auch oft ins Theater gegangen bin, war ich noch nie im Friedrichstadtpalast.
Für mich war der Friedrichstadtpalast etwas extrem Peinliches. Da versuchte „der Osten“ seine Bürger auf höchstem Weltniveau zu unterhalten. Die Übertragungen des DDR-Fernsehens aus dem Friedrichstadtpalast waren legendär, wurden aber selbstverständlich von unsereins ignoriert oder spätestens dann sofort abgeschaltet, wenn diese gefühlt 100 Balletttänzerinnen ihre legendäre Reihe bildeten und die Beine extrem exakt und extrem synchron in die Höhe warfen und das gesamte Publikum im Takt brav mit klatschte. Immer auf die Eins. Organisierte Begeisterung. Würg! Die tatsächliche (oder vermeintliche) Spießigkeit des DDR-Sozialismus sprang einem geradezu in die Augen.

Dank der riskant-euphorischen Kritik hier in der Nachtkritik hatte ich nun endlich einen Vorwand gefunden, meine kulturellen Berührungsängste abzubauen.
Als sich dann nach der Pause das Bühnenbild auf einmal in Richtung der berühmt-berüchtigten Chorus-Line bewegte, hielt ich die Luft an. Die Tänzerinnen waren schwarz gekleidet, hatten vorher gerade mit ihren weißen Handschuhen vor dem schwarzen Hintergrund eine Rap-Choreo gekonnt hingelegt. Dann aber auf einmal doch die Chorus-Line. Begeisterter Szenenapplaus, auch von mir, aber anschließend kann ich immer noch nicht „im deutschen Takt“ mit klatschen. This is an iconic scene in the German entertainment industry, raunte ich meiner Freundin, die in Nairobi geboren ist, neunmalschlau ins Ohr. „We are one, we are one, we are one“ dröhnt es im schnellen Takt beim Beinehochwerfen und meine Freundin klatscht wie wild mit. Richtig so. Was für ein wunderbarer Abend. Wir waren uns sehr einig. We are one.
Falling in Love, Berlin: Superlative
Wir buchten die Show mit großen Erwartungen. Was wir dann erlebten kann man nicht in Worte fassen. Man muss die Show, das Spektakel, die absolut professionelle Leistung der Akteure miterleben. Egal ob Spielende, Singende oder Techniker und Musiker, es war grandios.
Falling in Love, Berlin: Tolle Leistungen
Wir hatten bei unserer Buchung hohe Erwartungen an diese Show. Doch was wir erlebten wurde allen Superlativen gerecht. Egal ob Tänzer, Musiker oder Techniker, hier wurden tolle Leistungen abgeliefert. Völlig gefläscht gingen wir nach rund 3 Stunden nach Hause.
Kommentar schreiben