Kluge Gefühle - Niels Bormanns Inszenierung von Maryam Zarees preisgekröntem Stück am Berliner HAU
Reden in Scheinwerferkegeln
von Michael Wolf
Berlin, 9. Juni 2018. Vor zwei Jahren weinte Maryam Zaree bitterlich auf der Bühne des Maxim Gorki Theaters. Sie spielt in der Premiere von Yael Ronens Denial die Tochter einer Iranerin, die von den Schergen der islamischen Revolution gefoltert wurde. Sie selbst kam im Gefängnis zur Welt, bevor die beiden in Deutschland Asyl fanden. Nie habe sie mit ihrer Mutter über die traumatische Vergangenheit sprechen können, jetzt sei es an der Zeit. Aber kaum erhob Zaree ihre Stimme, brach sie ihr schon wieder.
Biographie, ein Gespräch
Yael Ronen spielt gerne mit den Biographien ihrer Schauspieler. Auch Maryam Zarees Auftritt hatte einen realen Hintergrund. Sie dreht einen Dokumentarfilm zu diesem, ihrem Thema. Und im letzten Jahr gewann sie mit ihrem ersten Stück "Kluge Gefühle" den Heidelberger Stückemarkt. Die Geschichte ähnelt der aus "Denial". Die auf Asylrecht spezialisierte Anwältin Tara wuchs mit ihrer Mutter in Deutschland auf. Geboren ist sie in einem iranischen Foltergefängnis. Ihr Vater wurde ermordet. Mehr weiß sie nicht über die Geschichte ihrer Familie, weil ihre Mutter sich weigert, mit ihr darüber zu sprechen. Bis sie anlässlich eines Volkstribunals endlich ihr Schweigen bricht.
Nach der fahrigen Heidelberger Uraufführung nimmt sich nun Niels Bormann am Berliner HAU des Stückes an. Es ist die erste Regiearbeit des Schauspielers, die Dramaturgie übernimmt Zaree selbst. Die beiden waren auch schon zusammen in Inszenierungen von Yael Ronen zu sehen. Hier bleibt alles in der Familie. Auch ästhetisch hat sich Bormann etwas bei Ronen abgeschaut. So besetzt er mit Takako Suzuki und Ali Kamrani zwei Spieler*innen, die mit der deutschen Sprache ihre Mühe haben. Takako Suzuki übernimmt Stimmen von einem Anrufbeantworter. Kamrani spielt einen Taxifahrer, den das iranischen Regime ebenfalls verfolgte.
Kreisbildung und Wortgefechte
Womöglich sind die beiden, wie auch Tara und ihre Mutter, nach Deutschland geflüchtet, vielleicht auch nicht. Sicher wirkt zumindest Kamranis laienhaftes Spiel wie ein Fremdkörper auf der Bühne. "Darf ich Sie kurz umarmen, damit die Situation nicht noch unangenehmer wird?", fragt er Tara. Gemeint ist der Gefühlsausbruch seiner Figur, aber angesichts seines hilflosen Spiels wirkt der Satz unfreiwillig selbstironisch. Es mag anders gemeint gewesen sein, und doch setzt die Regie hier einen Spieler als ästhetisches Faustpfand den Blicken aus. Und wofür? Anders als bei Ronen ergibt sich keine Spannung aus dem Spiel der Identitäten. Hier bremst der Einbruch des Realen nur das dramaturgisch gut geölte Stück aus.
Die Inszenierung kommt ohnehin nicht allzu gut von der Stelle. Die Spieler stehen auf der leeren Bühne in einzelnen Scheinwerferkegeln und blicken aneinander vorbei ins Publikum. Licht an: Auftritt, Licht aus: Abgang. Erst später, nachdem Taras Mutter sich offenbart hat, bilden sie einen Kreis. Die Botschaft kommt an. Erst wenn wir miteinander reden, finden wir zusammen und müssen nicht mehr allein bleiben mit unserem Schmerz. Bormanns Konzept ist konzentriert und konsequent, aber eben auch statisch. Interaktion zwischen den Spielern findet nur über Bande statt, oder durch genaue Spracharbeit. In dieser liegt die große Herausforderung des Stücks. "Kluge Gefühle" ist eine Suche nach einem angemessenen Ton für das Unaussprechliche. Es ist eine Tragikomödie. In Taras Wortgefechten mit ihrer Mutter, ihrem Psychiater oder ihrer Freundin hat Zaree die Pointen dicht gesetzt. Dem Humor zugrunde liegt die Verzweiflung – es ist ein Witz, der darauf hofft, das Lachen könne den Schmerz verbergen.
Anke Engelke kann auch Theater
Hautptdarstellerin Eva Bay tut sich schwer mit diesem Drahtseilakt. Sie spielt ihre Tara defensiv, auf Nummer sicher, scheint so sehr damit beschäftigt, ihre Figur greifbar zu halten, dass sie ihre eigene Interpretation versäumt. Anders Christian Steyer als Taras Psychiater. In einem Monolog über den Tod seiner Frau malt er Bilder mit seiner Stimme und lässt sie uns in aller Ruhe bestaunen.
Auch Stargast Anke Engelke beweist, dass sie Theater kann. Als ebenso lebenskluge wie schlagfertige Mutter der Hauptfigur zündet sie einige Ladykracher. Klar, das ist ein Heimspiel für die Comedienne. Aber auch den emotionalen Höhepunkt des Abends meistert Engelke eindringlich. In der Befragung zu ihrer Folter vertraut sie dem Text, bringt ihre Stimme auf Temperatur und lässt sie eisig zittern. Hier erahnt man den Horror der Geschichte, der persönlichen und der Weltgeschichte. Und zugleich die Erlösung, die darin liegt, sie zu erzählen.
Kluge Gefühle
von Maryam Zaree
Regie: Niels Bormann, Dramaturgie: Maryam Zaree, Künstlerische Beratung: Paul Bauer, Bühnenbild: Karin Betzler, Kostüm: Ingken Benesch, Maske: Janet Abraham, Regieassistenz: León Sievert-Langhoff, Assistenz Bühnenbild: Valentina Primavera, Produktionsassistenz: Katharina Rösch.
Mit: Eva Bay, Anke Engelke, Ali Kamrani, Sarah Masuch, Christian Steyer, Takako Suzuki.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.hebbel-am-ufer.de
Mehr über Maryam Zarees Stück Kluge Gefühle auf dem dem nachtkritik-Festivalportal des Heidelberger Stückemarkts 2017, wo es mit dem Autorenpreis ausgezeichnet wurde.
"Weil Maryam Zaree eine genaue Beobachterin und eine Erzählerin mit Sinn für Situationskomik und Ambivalenzen ist, gelingt ihr das Kunststück absurder und selbstironischer Szenen", schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (15.6.2018). "Niels Bormanns Regie ist von dokumentarischer Kargheit, der man die Vorsicht und den Respekt vor dem Stoff und der Autorin anmerkt. (…) Das ist nicht die schlechteste Form, mit diesem Text umzugehen."
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Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2018/06/10/kluge-gefuehle-mit-anke-engelke-theater-kritik-berlin/
Mit ihrem Film-Essay „Born in Evin“ erreicht Mayram Zaree eine neue Stufe in der jahrelangen Beschäftigung mit ihrem großen Lebensthema. Sie wurde 1982 in Evin geboren, einem berüchtigten Foltergefängnis des iranischen Mullah-Regimes.
„Born in Evin“ dokumentiert die jahrelange Reise von Maryam Zaree auf der Suche nach ihren Wurzeln: die Gespräche mit anderen Regimegegner*innen, die ähnliches erlebt haben und vor allem die schwierigen Anläufe, mit ihrer Mutter ins Gespräch zu kommen.
Diese ZDF(Das kleine Fernsehspiel)/ORF-Koproduktion ist ein intimer, berührender Film, in dem Zaree sehr offen darüber spricht, was sie seit Jahren umtreibt. Ihre Auseinandersetzung mit den schlimmen Umständen ihrer Geburt ist auch künstlerisch für Zaree ein Lebensprojekt und beschäftigte sie vor "Kluge Gefühle" bereits 2016 in "Denial" am Gorki Theater. In diesem Film gelingt diese Auseinandersetzung bisher am konsequentesten und überzeugendsten.
Komplette Kritik zum Film: https://daskulturblog.com/2019/10/23/born-in-evin-film-kritik/