Heldinnen des Arbeitskampfes

19. Januar 2024. Das Gorki Studio Я ist ein Kleinod für zeitgenössisches Erzählen. Sein neuer Leiter Murat Dikenci eröffnet mit einem Blick in die Wirtschafts- und Migrationsgeschichte der BRD: Gün Tanks Roman "Die Optimistinnen" in der Regie von Emel Aydoğdu. Ein Feel-Good-Abend über die Kraft der Solidarität.

Von Georg Kasch

Gün Tanks "Die Optimistinnen" in der Regie von Emel Aydoğdu am Gorki Berlin © Ute Langkafel MAIFOTO

19. Januar 2024. Die Enthüllungen von Potsdam werfen ihre Schatten auch auf diesen Abend. "Der Witz ist, dass man sich nie öffentlich traut darüber zu spekulieren, wie es wohl sein wird, wenn sie uns eines Tages deportieren", sagt Aysima Ergün einmal.

Das ist nicht von Gün Tank, Autorin des titelgebenden Romans über eine Gruppe von so genannten Gastarbeiterinnen, die mit Streiks ihre Firma aufmischen und ihre unwürdigen Arbeitsbedingungen verbessern. Sondern aus einer gut fünf Jahre alten Theaterkolumne Mely Kiyaks. Nach den Correctiv-Enthüllungen hatte das Gorki sie erneut per Mail verschickt. Vor fünf Jahren las der Text sich grimmig komisch. Heute prophetisch.

Heldinnen des Arbeitskampfes

Wenn die selbsternannten Patrioten das mit der "Remigration", also: Deportation ernstmachen, dann wird das vermutlich auch Menschen wie Nour treffen. Sie und ihre Freundinnen Tüley und Mercedes stehen im Mittelpunkt der Geschichte um erst rebellierende, dann streikende Frauen, die 1973 in Neuss gegen alle Widerstände – Sprachbarrieren, Spaltungsversuche, Polizeigewalt – mehr Geld und bessere Bedingungen erkämpften.

Gün Tank hat das in kurzen Kapiteln und einer schlichten Sprache notiert, mit großer Achtung vor der Lebensleistung dieser Arbeiterinnen, die in deutschen Geschichtsbüchern keinen Platz finden, "Optimistinnen ihrer eigenen Geschichte", wie es einmal heißt.

In Liedern und Arbeitskämpfen vereint: Yanina Cerón, Ceren Bozkurt, Aysima Ergün, Sema Poyraz © Ute Langkafel MAIFOTO

Für ihre Inszenierung rafft Regisseurin Emel Aydoğdu die Geschichte und rahmt sie mit Originalstimmen, die von der Zeit damals erzählen. Über die weiße Gaze der langen Wand, die Eva Lochner ins kleine Gorki-Studio Я gebaut hat, flimmern Zeitungsartikel, Fotos, historische Filmausschnitte. Manchmal klappen hier die Spielerinnen auch eine Pritsche aus, auf der sie sich drängeln, so dass die Beengtheit des Vier-Quadratmeter-Zimmers spürbar wird, während in den Kostümen kaum etwas zusammenzupassen scheint.

Monotone Arbeit, spielerische Kraft

Überhaupt gehört es zu den Qualitäten dieses kleinen Feel-Good-Abends, dass er trotz etlicher dokumentarischer Ansätze nicht mit dem Papier raschelt, sondern lebendig pulst. Aydoğdu findet schöne chorische Rhythmen für die Arbeit am Fließband und lässt ihre Spielerinnen Kunststoffplatten von links nach rechts stapeln. Dass nicht mal diese monotone Arbeit beim Zuschauen langweilt, liegt an den Spielerinnen.

Vor allem an Aysima Ergün, die schon in mehreren Gorki-Produktionen auffiel und auch hier als Nour wieder etwas Flirrendes und zugleich Bannendes besitzt. Bei aller Klarheit ihrer Charakterzeichnung bleibt ein Geheimnis. Sie harmonisiert wunderbar mit Yanina Cerón sowie mit Ceren Bozkurt, die die Musik antreibt mit Gitarre und Saz.

Bei den türkischen Liedern, die von Heimweh und vom Barrikaden-Kampf handeln, steigt auch Sema Poyraz mit ein. Sie wirkt eigentlich viel zu nett für die fiesen Chefs und Aufpasser, die sie von der Seite aus einspricht. Aber sie ist auch als Zeitzeugin dabei, die 1961 als Elfjährige mit ihren Eltern nach Deutschland kam und später Filmemacherin und Schauspielerin wurde.

Neue Leitung am Gorki Studio Я

Mit den "Optimistinnen" beginnt Murat Dikenci seine Leitung des Studio Я, die vor ihm unter anderen Sasha Marianna Salzmann und Necati Öziri innehatten. Der Abend ist so menschenfreundlich wie ermutigend, weil er zeigt, wie wichtig Solidarität ist und wie falsch es wäre, einmal Erreichtes als selbstverständlich zu nehmen. Gilt ja so alles auch für die Demokratie.

Die Optimistinnen
von Gün Tank
Regie: Emel Aydoğdu, Ausstattung: Eva Lochner, Musik & Live-Musik: Ceren Bozkurt, Dramaturgie: Simon Meienreis, Medienkunst: Natascha Zander.
Mit: Ceren Bozkurt, Yanina Cerón, Aysima Ergün, Sema Poyraz.
Premiere am 18. Januar 2024
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.gorki.de

Kritikenrundschau

"Es entsteht eine ästhetisch unaufregende Inszenierung, mitreißend und herzerwärmend", berichtet Barbara Behrendt im RBB Kultur (19.1.2024). Das sei wichtig gerade in einer Zeit, in der uns Optimistinnen allzu naiv erscheinen. "Dabei gibt ihnen das Leben oftmals Recht: Gün Tanks Mutter, Azize Tank, von der dieses Buch (auch) handelt, hat sich von der Arbeiterin in der Porzellanfabrik zur Politikerin im Bundestag hochgearbeitet." Es sei höchste Zeit, dass das verzerrte Bild von migrantischen Arbeiterinnen berichtigt werde - "die beste Gegenwehr gegen krude Deportationspläne von Rechtsextremen".

"Aydoğdu lenkt den Fokus weg von den persönlichen Geschichten der Protagonistinnen und nutzt sie stattdessen, um die kollektive Erfahrung der Gastarbeiterinnen aufzuarbeiten", schreibt Jerrit Schloßer im Freitag (20.1.2024). Auffällig sei die Ambivalenz der Charaktere in ihrer Inszenierung. Die Figuren seien überzeichnet. "Diese Elemente erheitern und machen die Aufführung lebendig. Folgt darauf eine nüchterne Beschreibung der Missstände, wirkt sie intensiver. Die beiden Pole reiben gegeneinander und erzeugen Spannung." Allerdings nehme es den Charakteren auch Tiefe.

Einen gelungenen programmatischen Auftakt für die neue Leitung des Studios (Murat Dikenci) hat Elena Philipp erlebt, wie sie in der Berliner Morgenpost (20.1.2024) schreibt. "Im Publikum wird mitgesungen, die Atmosphäre ist gelöst und gemeinschaftlich." Als Nour spiele Aysima Ergün "aufrecht und durchsetzungstark".

Regisseurin Emel Aydoğdu nehme den semidokumentarischen Charakter des Stoffs auf, indem sie die geschickt zusammengestrichene Handlung mit dokumentarischem Material anreichere, so Michael Wolf in der taz (23.1.2024). Der Abend sei "eine postmigrantische Arbeit mustergültiger Ausprägung" mit dem Ziel, vergessene Biografien und übersehene Geschichten zur deutschen Historie hinzuzufügen und den Einsatz ihrer Protagonistinnen zu würdigen. "Aydoğdu wählt hierfür goldrichtig einen emotionalen Zugang, der vor allem über die Musik funktioniert."

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