Lachen über dem Abgrund 

9. Juni 2023. Das bewährte Team Yael Ronen und Itai Reicher ist zurück. Nach ihrem Debattenmusical-Hit "Slippery Slope" legen sie nach: Es geht um das Artensterben. Hier singen Fuchs, smarte Ameise und weitere Gesellen mit Endzeithumor der Menschheit ein großes Untergangsständchen – so famos, dass man über des Menschen Ende fast wehmütig werden kann.

Von Georg Kasch

"Planet B" von Yael Ronen und Itai Reicher am Maxim Gorki Theater Berlin © Stefano Di Buduo

9. Juni 2023. Wie war das noch mal, als die Menschen ausstarben? Das klären die Wesen einer fernen Zukunft mit einem Medium der Verstellung: dem Theater. Und spielen uns, dem galaktischen Publikum, nun eine dieser fiesen Reality-Auslese-Shows vor. Wer entkommt der Auslöschung: Fuchs, Panda, Ameise, Krokodil, Fledermaus, Huhn oder Mensch?

Eine grimmige Komödie 

Das ist die Ausgangslage von "Planet B", dem neuen Stück von Yael Ronen und Itai Reicher. Gemeinsam haben sie – nach ihrem Debattenmusical-Hit Slippery Slope – für das Maxim Gorki Theater eine grimmige Komödie über das sechste Massenartensterben geschrieben. Was, schon wieder die menschengemachte Klimakrise und ihre Folgen auf der Bühne? Die wird einem ja gerade in allen erdenklichen Theaterformaten dargereicht, in der Klimatrilogie von Thomas Köck, in Rechercheformaten (Die Klima-Monologe und viele andere) oder in Klassiker-Überschreibungen wie Alexander Eisenachs Anthropos Antigone.

Nur: Infos, Anklage und Zerknirschung haben wir uns jetzt lange genug angesehen (Ausnahmen wie Sören Hornungs Arche NOA und "Die letzte Geschichte der Menschheit" bestätigen die Regel). Hat's geholfen? Lächerlich sind ja auch nicht Klimakrise und Artensterben. Sondern unser Umgang damit, unsere Hybris und Arroganz. Ronen besitzt einen ausgeprägten Galgenhumor. Folgerichtig, dass sie den Menschen – Boris, Versicherungsvertreter aus Bremen – mit Niels Bormann besetzt hat, schon seit Dritte Generation der Inbegriff für deutsche Penetranz mit Empathiedefizit.

Die Weltkugel ist angefressen

Auf Wolfgang Menardis Bühne, die wirkt, als sei die Weltkugel ordentlich angefressen (ihre schräge Spielfläche wird später zur Rampe in den Abgrund), tritt er gegen die anderen Spezies an: Aysima Ergüns smarte Ameise spricht nur in der Wir-Form und berührt ihre Fühler derart beiläufig, als richtete sie ihre Frisur. Alexandra Sinelnikovas Fuchs ist ein wendiger Neoliberaler, der die Anpassung preist. Jonas Dassler singt als gruftiger Fledermaus-Rockstar mit Sehnsuchts-Allüren zur E-Gitarre melancholische Untergangssongs. Maryam Abu Khaleds depressiver Panda hat alles so satt.

Man kennt diese Typen und Situationen aus anderen Ronen-Stücken, die Beleidigten wie Orit Nahmias' Huhn, das dem Menschen Genozid vorwirft und von Boris mit ein paar Euro Entschädigung abgespeist wird. Oder die längst ausgestorben geglaubten Typen wie Dimitrij Schaads Krokodil, das mit Machosprüchen den Überlebenskampf preist, sich später aber als PTBS-Opfer outet.

PlanetB c Stefano Di BuduoDie Welt in Schräglage und die Arten im Überlebenswettbewerb: Jonas Dassler (als Fledermaus) und Niels Bormann (als Mensch) © David Baltzer

Und doch wirkt das alles frisch und originell, weil die Charakterzüge – eine Verneigung vor der Fabel – auf allen Ebenen fein auf die tierischen Eigenschaften abgestimmt sind. Amit Epstein hat ihnen hinreißende Kostüme auf den Leib geschneidert, mehr menschliche Charakterhüllen als Tierhäute. Einmal erzählt die Fledermaus beiläufig: "Als ich gestern schlafen gehangen bin…", und das ist nur eine von unzähligen Binnenpointen. Wenn Nahmias den Kopf etwas ruckartiger bewegt, dann denkt man nicht gleich ans Huhn, sondern an nervöse Ticks. So auch bei Dasslers Fledermaus-Sänger, der nerdig unter einem fiesen Pony hervorlugt, seine Zunge rausschnellen lässt, während seine Hände in der Position kopfüber nicht zur Ruhe kommen.

Wir haben es vermasselt

Alle sieben Spieler:innen haben ihre Figuren derart famos im Griff – und den sehr lustigen, pointenreichen, treffenden Text. Überm Abgrund lacht es sich vortrefflich. Drunter aber gähnt es finster. Einmal werden in Stefano di Buduos Videoeinblendungen, die den Saal sonst in eine pulsierende TV-Sendung verwandeln, alle Tierarten gezeigt, die in diesem Wettbewerb schon ausgeschieden sind: der Blauwal, die Kegelrobbe, der weiße Hai. Da schweigen selbst die Kämpfenden auf der Bühne. Ebenso unvermittelt trifft es einen, als die ersten Tiere der Show die Rampe runterrutschen und links ihre Haut über eine der bereitstehenden Figurinen ziehen.

Ja, wir haben es vermasselt. Aus den aktuellen Nachrichten: Während bei uns das Heizungsgesetz am Pranger steht, die Wälder in Kanada und Brandenburg brennen und kein Tempolimit in Sicht ist, wird die Arktis wohl schon in den 2030ern eisfrei sein. Kaum vorstellbar, dass der Mensch seine eigene Bräsigkeit überlebt. Angesichts so großartiger Theaterabende wie "Planet B" denkt man sich: schade eigentlich.

Planet B
Von Yael Ronen und Itai Reicher
Regie: Yael Ronen, Bühne: Wolfgang Menardi, Kostüme: Amit Epstein, Musik: Yaniv Fridel, Ofer Shabi, Video: Stefano di Buduo, Lichtdesign: Connor Dreibelbis, Wolfgang Menardi, Dramaturgie: Clara Probst, Irina Szodruch, Outside Eye: Yunus Ersoy.
Mit: Maryam Abu Khaled, Niels Bormann, Jonas Dassler, Aysima Ergün, Orit Nahmias, Dimitrij Schaad, Alexandra Sinelnikova.
Premiere am 8. Juni 2023
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.gorki.de

 

Kritikenrundschau

Auch Superintelligenzen sind vor grandiosen Fehlschlüssen nicht gefeit, jedenfalls nicht in dieser "hintersinnig witzige SciFi-Komödie", wie Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (10.6.2023) schreibt. Die "Irrungen und Wirrungen, in denen Rand und Mitte, Ursache und Wirkung, vor allem aber sämtliche gesellschaftlichen Themen und Diskurse aufs schönste durcheinanderfliegen und dabei inhärent feststeckende Wahrheiten entfesseln, ist das, was das Ronen-Theater so aufgeweckt, witzig und überaus menschlich macht." Die Fabel-Figuren erzählten viel mehr über Menschen als über irgendein Tier. "Zweifellos ist genau das auch das eigentliche Problem der Natur. Fürs Theater aber ein Glück."

"Wenn man sich als Vertreterin der abgewirtschafteten Spezies nur noch einziges Mal aus dem Fenster lehnen dürfte, dann wäre es mit der Prophezeiung, dass das Gorki einen neuen Hit im Repertoire hat", prophezeit Christine Wahl im Tagesspiegel (10.6.2023). "Wer noch eines Beweises bedurfte, dass der Witz zu den absoluten Hochwirksamkeitssubstanzen gehört, wenn es darum geht, die größten anzunehmenden Krisen zu ihrer schonungsfreiesten Kenntlichkeit zu entstellen, der findet ihn an diesem Abend."

"Das wird auf jeden Fall ein Gorki-Renner", prognostiziert auch Barbara Behrendt im Deutschlandfunk Kultur (8.6.2023), auch wenn es für sie etwas böser und gedanklich anregender hätte sein dürfen. Immerhin: "ein großartiger Ensemble-Abend mit den Gorki-Stars" sei es auf jeden Fall.

"Planet B" habe eine solche Fülle an hingebungsvoll bescheuerten kleinen und großen Ideen, dass der Abend immer mal wieder aus der Kurve fliege, so Fabian Wallmeier im RBB Inforadio (9.6.2023). "Aber so lange er das so unterhaltsam tut: soll er doch fliegen." Zumal zwischen den Albernheit auch immer wieder Existenzielles hervorblitze. Zudem sei es "ein großes Vergnügen, den sieben Schauspieler:innen dabei zuzuschauen, wie sie sich liebevoll der (ebenso liebevoll detailreich geschriebenen) Tier-Comedy geben".

Yael Ronen wisse, "wie man politische Großdebatten so zuspitzt, dass sie ins Absurde kippen oder einfach explodieren". Ihr Theater sei mit seinen Doppelbödigkeiten ein ziemlich guter Immunschutz gegen zu simple Weltsichten, schreibt Peter Laudenbach von der Süddeutschen Zeitung (11.6.2023). "Wenn der Klimawandel eine Tragödie ist, liefert 'Planet B' das Satyrspiel dazu: Die Wirklichkeit ist schrecklich, lasst uns darüber lachen."

 

Kommentare  
Planet B, Berlin: Reality-Show
Dimitrij Schaad kommt nach vier Jahren wieder an seinen geliebten Stammplatz vorne an der Rampe des Gorki Theaters zurück. Als Krokodil, das schon zwei Artensterben überlebt hat, ist er der Chef im Ring bei der Reality-Dschungel Camp-Show, die Yael Ronen und Itai Reicher fürs Gorki Theater erdacht haben. Gleich die nächste gute Nachricht: an seiner Seite ist auch Jonas Dassler endlich zurück. Als depressiver, ständig unverstandener Fledermaus-Rockstar setzt er das zweite Ausrufezeichen des Abends.

Schaad/Dassler hätten sich locker drei Stunden lang die Bälle zuspielen können und es wäre ein Schauspielfest geworden. Doch die Stärke von „Planet B“ ist es, dass Ronen/Reicher ihre Stars in ein stimmiges Gesamtkonzept einbinden. Angefangen von den schillernden Kostümen von Amit Epstein bis zur schrägen Bühnen-Rampe von Wolfgang Menardi, auf der die Lebewesen ihrem Exitus entgegenschittern, fährt dieser Abend sehr viel Spektakuläres auf.

Diese Show wird zum Ensemble-Abend, in der nicht nur Dassler/Schaad glänzen dürfen, sondern alle Figuren präzise ausgearbeitet sind: Aysima Ergün als dienstbeflissene Ameise, Gorki-Neuzugang Alexandra Sinelnikova als Fuchs-Influencerin, Orit Nahmias als beleidigtes Huhn, Maryam Abu Khaled als Panda und vor allem Niels Bormann in einer Paraderolle als Boris aus Bremen, Vertreter einer Menschheit, die kurzsichtig in den Abgrund stolperte und bis zum Ende recht behalten will.

„Planet B“ lebt von einem Feuerwerk an vielen kleinen Gags und Nummern: eine große Weltuntergangs-Komödie, die sehr stringent inszeniert ist und bis zur letzten Pointe hervorragend unterhält.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2023/06/09/planet-b-gorki-theater-kritik/
Planet B, Berlin: Gastspiel Hamburg
Das Gorki Theater Berlin gastierte auf den Lessing-Tagen am Thalia Theater in Hamburg mit dem Stück „PLANET B“ von Yael Ronen und Itai Reicher in der Regie von Yael Ronen. Es ist eine dystopische Satire auf das Artensterben. Wesen aus einer fernen Galaxis suchen uns Erdenbewohner heim und treten mit uns Menschen in der Gestalt eines Klinikclowns in Kontakt. Man hat uns auserwählt, um die Bewohner der fernen Galaxis zu unterhalten, weil wir so unglaublich lächerlich sind. Wir Erdenbewohner sollen die Stars einer Reality-Selektions-Show zur besten Sendezeit werden, an der wir Menschen im „Theat-re“ teilnehmen dürfen. In dieser „Comedyshow des Aussterbens“ kämpfen ums Überleben: Panda der Bär (Maryam Abu Khaled), Boris der Mensch (Niels Bormann), die Fledermaus (Jonas Dassler) mit typischer Udo Lindenberg Intonation, die Ameise (Aysima Ergün), das Huhn (Orit Nahmias), Juri das Krokodil (Dimitrij Schaad) und der Fuchs (Alexandra Sinelnikova). Das Spiel startet auf einer abschüssigen (Erd-)Scheibe, die am Ende als Rutschbahn in den Abgrund führt und in einer löcherigen Erdkugel (Bühne: Wolfgang Menardi). Die originellen mit wenigen Accessoires ausgestatteten Kostüme charakterisieren glänzend die einzelnen Tiere und ihre Eigenarten (Kostüme: Amit Epstein). Ronen gelingt es exzellent, dass die Tiere – Fabelwesen gleich – mehr über das Menschsein erzählen als über ihr tierisches Wesen. Dasslers Fledermaus, die auch gerne mal abhängt im wort-wörtlichen Sinne, glänzt mit melancholischen Apokalypse-Songs, oder Khaleds Panda, der alles so satthat, insbesondere die Kuschelorgien ihrer Bewunderer. Sinelnikovas Fuchs ein wendiger Meister der Anpassung von Mimese bis Mimikry und Schaads Krokodil – personifiziertes Machowesen – das den „fight of the fittest“ glorifiziert. Weiterhin Nahmias Huhn, das den Menschen des Genozids an ihrer Rasse bezichtigt und Ergüns Ameise parliert nur in der Wir-Form und schwärmt von Schwarmintelligenz und TEAM-Work (Toll Ein Anderer Machts) was ihr das Überleben sichern kann. Last but not least Boris – Versicherungsvertreter aus Bremen – der Mensch „die Krönung der Schöpfung“. Der Mensch in seiner Arroganz und Überheblichkeit ist der treibende Motor für das Artensterben und der Meister der Vernichtung. Der Abend ist keine düstere Dystopie des Artensterbens und des Weltunterganges sondernd eine mit schwarzem Humor geladene Satire über unsere menschliche Unzulänglichkeit diese Erde zu retten, trotz besseren Wissens. Yael Ronen brilliert in ihrer Regie von „PLANET B“ durch leichte, unbefangene, spielerische Herangehensweise an ernsthafte Themen und schafft einen bunten, komödiantischen Straus witziger bis aberwitziger Szenen, die einen ca. 100 Minuten bei der Stange halten. Was hier an Spielfreude und Spielwitz aus einem brodelnden Vulkan über Menschliches und allzu Menschliches ans Licht des Theat-res gelangt ist der Knaller. Das für seine Contenance bekannte Hamburger Publikum ließ sich von diesem Feuerwerk theatraler Unterhaltung mitreißen und spendete am Ende frenetischen Applaus. Theat-re so voller Witz und Leben ließe Hoffnung aufflackern, wenn die Realität nicht so ernüchternd wäre. Tanzen wir weiter auf dem Vulkan und wenn schon untergehen, dann mit einem Lachen! Bravissimo! Merci & Chapeau.
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