Das Kraftwerk - Staatstheater Cottbus
Das muss ans Tageslicht
24. September 2023. In der Lausitz wird im großen Stile Braunkohle abgebaut. Der Abbau belastet und gefährdet das Grundwasser in ganz Berlin-Brandenburg. Wie damit schmutzige Geschäfte gemacht werden, hat das Journalist:innenkollektiv CORRECTIV recherchiert. Auf ihrer Arbeit basiert das aufrüttelnde Theaterstück "Das Kraftwerk" in Cottbus.
Von Iven Yorick Fenker
24. September 2023. Es geht um Kohle. Und ums Wasser. Das sagt schon der Titel des Recherchestücks "Das Kraftwerk", das der Theaterautor Calle Fuhr geschrieben und für das das Journalist:innenkollektiv CORRECTIV recherchiert hat. Der Abend, in Cottbus inszeniert von Aram Tafreshian, zeigt, wie gewinnbringend Theater und Journalismus zusammen arbeiten können und welches politische Potential, welche aufklärende Kraft gemeinsam möglich ist.
Braunkohle ist schwarz und weich. "Hier, fühlen Sie mal" – "Nein, wirklich nehmen Sie, sonst geht das hier nicht weiter!", sagt auf der Bühne Torben Appel als Investor Julius. Appel reicht dem Publikum einen ganzen Batzen. Es ist geschreddertes, schwarzes Gummi, aber wir bleiben mal dabei: Es ist Braunkohle (die ist meist tatsächlich eher schwarz). Um die andere "Kohle" geht es natürlich auch, ums Geld, und damit um ein schmutziges Geschäft in unserer schmutzigen Gegenwart.
Verschmutzes Grund- und Trinkwasser
Da ist einerseits Investor Julius. Sein Freund Nevid (Gunnar Golkowski) arbeitet in der Kohleindustrie, bei der Fima LEAG (die gibt es wirklich), und will natürlich etwas verändern, auf erneuerbare Energien umstellen, für die Region, die Lausitz. Sein Chef Harrndorf (Kai Börner), auch Braunkohler, ist vom alten Schlag, aber mit Herz, wie sich zeigen wird – dieser Spoiler geht in Ordnung, denn um echte Figurenzeichnung geht es nicht, sondern um die recherchierten Fakten und Missstände.
Die Runde wird ergänzt durch Carla (Nathalie Schörken), Journalistin. Dazu kommt noch eine Ur-Cottbusserin, Alt-Linke mit Amerika-Aversion und Mutter von Julius. Als Kapitalistenschwein bezeichnet sie ihren Sohn nicht, aber sie ist nah dran. Soweit das Ensemble, das – toller erster Auftritt übrigens – wirklich gut aufgelegt ist. Es ist eine große Freude, ihr detailliertes Spiel voller Witz zu sehen: kleinteilig, einfallsreich, mit pointierten, eingestreuten gestischen Beiläufigkeiten. Und ja: als Figuren sind sie eher Klischee-Platzhalter, eingepresst in die Dramatisierung. Aber das wirkt, um die Recherche erlebbar, begreifbar, zugänglich zu machen.
Recherche rund um die LEAG
Die Spannung entsteht über das recherchierte Material, denn das ist wirklich dramatisch. Es geht um die Wassermafia. Immer wenn dieses Wort fällt, bleiben alle kurz eingefroren auf der Bühne. Suspense: real life. Je länger der Abend dauert, desto investigativer wird er, desto mehr kommt ans Tageslicht. Die Bühne ist dunkel. Über ihr dreht sich ein riesiges Neonröhrenrad, das mal mehr, mal weniger leuchtet. Auf dem Bühnenboden liegt die Kohle, dazwischen Felsformationen. Die Spieler:innen tragen Overall aus dickem Plastik, dazu Plastikschuhe, Crocs und dergleichen. Der Anfang des Abends ist noch deutlich abstrakter, das Ensemble bewegt sich und spricht im Chor, gibt Laute von sich, erkundet die Bühne und befördert erstaunlich viele Requisiten aus dem Bühnenboden – in dem sich später ein Loch auftun wird.
Die junge Journalistin Carla geht nach dem Tod ihres Großvaters nach Cottbus zurück, um sich mit dem Erbe auseinandersetzen, einem Haus. "Hütte!", wie Sonja, die Nachbarin, sagt. Der Bergbau findet auch in Wortspielen seinen Weg in den Abend. Das ist ganz lustig. Die Dimension hinter dem Witz ist klar: das Erbe, die Zukunft, Ewigkeit, der Planet und die Klimakatastrophe, die hier deutlich auf die Bühne dringt und präsent wird. Es ist heiß. Und "wer weiß, ob dein Opa noch da wäre, wenn es weniger heiß wäre...", wie Sonja sagt. Das geht alles auf und ist eindringlich. Die Atmosphäre also stimmt, während sie sich aufheizt.
Kiste mit Akten
Was sich dann entspinnt: Carla bekommt eine Kiste mit Akten, ihr Opa war da etwas auf der Spur, ein (fast filmisch konstruierter) Plot beginnt – die Suche nach der Wahrheit. Was ist mit der Wassermafia? Im Grunde geht es darum, dass schmutzige Unternehmen, die schmutzige Energie produzieren, schmutzige Geschäfte machen und dass das Wasser in Brandenburg (also auch: in Berlin) gefährdet ist. Und was auf der Bühne passiert, ist eben leider auch wahr.
Nach der Uraufführung veröffentlichte CORRECTIV ihr Dossier zu dem, was ihre Recherche ans Tageslicht gebracht hat: wie LEAG, der größte Wassernutzer des Landes, Unmengen Grundwasser abpumpt, um an die Braunkohle zu kommen. Bei dem Prozess wird viel Sulfat freigesetzt. Mehrere Wasserwerke in der Lausitzer Region mussten bereits umziehen. Jedes Mal gebe es eine Vereinbarung, über die Folgen des Bergbaus zu schweigen und keine rechtlichen Schritte zu unternehmen – das sind auch für die Versorger lukrative Deals. Es lohnt unbedingt, das Dossier zu lesen – und dieses Stück zu schauen.
Das Kraftwerk
Ein Theaterabend über Kohle, Wasser und die Ewigkeit
Recherche-Stück von Calle Fuhr in Kooperation mit CORRECTIV
Regie: Aram Tafreshian, Bühne & Lichtdesign: Mara-Madleine Pieler, Kostüm: Clarissa Freiberg, Mitarbeit Kostüm: Lisa Rüger, Musikalische Leitung & Arrangements: Tom Gatza, Vokalarrangements & Einstudierung: Tom Gatza, Hans Petith, Dramaturgie: Franziska Benack, Regieassistenz: Elisa Freigang, Inspizienz: Jana Marek, Soufflage: Jörg Trost.
Mit: Torben Appel, Kai Börner, Gunnar Golkowski, Nathalie Schörken, Susann Thiede.
Premiere am 23. September 2023
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.staatstheater-cottbus.de
Kritikenrundschau
"Was das Staatsschauspiel hier bietet, ist ein mutiger, ein im besten Sinne aufklärerischer Theaterabend. Wenn Sie etwas über Strukturwandel in der Region lernen wollen, gehen Sie in dieses Stück. Es hat das Zeug zum Stadtgespräch", schreibt Christina Tilmann in der Märkischen Oderzeitung (25.9.2023). "Obwohl es um unsinnliche Dinge wie Wasserrahmenrichtlinien geht, ist das Stück kein dürres Fakten- und Dokutheater, sondern auch ein hoch amüsanter Theaterabend mit einem spielfreudigen Ensemble."
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Das kann Correctiv belegen und hat das hier getan: https://correctiv.org/aktuelles/2023/09/27/kohlekonzern-leag-leugnet-schweigedeal-zu-unrecht/
Für weitere Informationen - auch zur PR Strategie der Leag, die ja ebenfalls Teil von DAS KRAFTWERK ist, würde ich eher diesen Artikel empfehlen:
https://www.n-tv.de/wirtschaft/Das-Dementi-der-LEAG-ist-voller-Fehler-sagt-Correctiv-Reporterin-Annika-Joeres-im-Klima-Labor-article24428658.html
René Wilke, um den es in der neuesten CORRECTIV Recherche geht, hat sich am Samstag auf ein Nachgespräch von DAS KRAFTWERK eingeladen und dort den bisher nicht öffentlichen Schweigeparagrafen selbst vorgelesen: https://correctiv.org/aktuelles/klimawandel/2023/10/02/zu-leag-deal-buergermeister-liest-schweigeklausel-selbst-vor/
Wenn das nicht mal politisches Theater ist: da, wo die Politik selbst hin will, um sich zu verhalten. Toll! Danke an das Staatstheater Cottbus! Ihr seid sehr mutig.
An dieser Stelle bietet sich der Crosslink zu Michael Wolfs jüngster Kolumne an: "Wem an der Veränderung des Status Quo wirklich gelegen ist, sollte zunächst zur Darstellung bringen können, wie dieser überhaupt verfasst ist."
https://nachtkritik.de/kolumnen-michael-wolf/kolumne-als-ob-wie-das-theater-die-realpolitik-fuer-sich-entdeckt
Cottbus und Correctiv tun das, das Wolf anmahnt bzw. hervorhebt. Klasse.
https://www.buehne-magazin.com/a/die-redaktion-in-den-bezirken-jetzt-wird-nachgebohrt/
Auch Correctiv hat bereits mehrfach mit Theaterleuten zusammengearbeitet, z.B.
https://correctiv.org/ruhr/2016/10/25/die-schwarze-flotte-eine-recherche-wird-buehnenstueck/
https://correctiv.org/aktuelles/cumex-files/2018/11/29/theater-tut-was-journalismus-nicht-kann/
Gratulation den tollen Menschen von Correctiv und am Staatstheater Cottbus! Bitte macht weiter so!!!!
Die Veranstaltung im BE schien mir ein Add-on, es war - live - auch eine aktivistische Versammlung. Dafür wird die Recherche noch einmal in verteilten Rollen vorgelesen, eine Info kommt neu dazu.
Das Genöle mit Aufmerksamkeitsgeilheit und non-Diversity ist so theaterblasenmäßig, die Erniedrigten und Beleidigten sind unterwegs, leider inzwischen Stammgäste in den Kommentarspalten.
Lustig fand ich, dass Nachtkritik zwar die Clicks über das ein wenig in Vergessenheit geratene Portal Nachtkritik plus einsammeln will und gleichzeitig den "marginalisierten Stimmen" Raum gibt (wie man heute so schön sagt) und die eigene Sendung schon vor der Ausstrahlung in ein schiefes Licht stellt. Theaterdialektik halt.
(Anm. Redaktion. Der Abend wurde nicht über nachtkritik.plus gestreamt, sondern hier auf nachtkritik.de. Und der kritische Diskurs über Theater sollte doch von der digitalen Abbildung von Theaterereignissen (selten genug ist es möglich) unbenommen bleiben. Zum Abend selbst gibt es jetzt auch einen Bericht. Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow)