Im Zeichen des Ignoranzdiktats

10. Dezember 2023. John von Düffel hat zwei Molière-Klassiker zusammengemischt um ein Stück über die Klimakrisenpolitik zu fabrizieren. Tim Egloff hat das Medley inszeniert – mit einem Ensemble, das Spaß hat an der feinen Komödie. 

Von Tim Schomacker

"Tartüff oder Der Geistige" in der Regie von Tim Egloff in Bremerhaven © Manja Herrmann

10. Dezember 2023. Dass am Schluss der scheinbar geniale Strippenzieher die Welt kaum mehr versteht, ist schon imposant. Eine Reihe von "Echt?", "Krass!", "Wow…!" hauchend und raunend verflüchtigt sich dieser Tartüff aus der Szenerie, die er knapp zwei Spielstunden vorher bestimmt hat. Ohne eigentlich so richtig vorzukommen. Außer im Off, in den Köpfen und Fantasien des Orgonschen Hausstands. Mit dem Geld – und darauf läuft diese Molière-Paraphrase hinaus – hat Tartüff gemeinsam, dass er im Wesentlichen als Wort existiert. Als Sprache, Versprechen, als etwas, an den oder das man glauben kann – und schon wird es wirkmächtig. Oder er.

Tartuffe + Der Geizige + Unsere Gegenwart

Am Ende heißt es: Geld 1, Tartüff 0. Der bisweilen gehassliebte Hausgast ist weg (schlägt anders als früher bei Molière auch nicht nochmal – rumms! – zurück voller Niedertracht & Nachtritt). Das Geld ist am Ende zwar auch weg. Doch schon schwärmt die Familie wieder aus, in vorher unvermuteter Eintracht, die Welt glauben zu machen, es sei noch da, das Geld. Was eine neue Runde einläutet in Sachen Kreditwürdigkeit. Und die Zukunft gewissermaßen (und mit dieser Boshaftigkeit lassen uns beide, Tartüff im Stück und sein ver-gegenwärtigender Dramatiker John von Düffel schlussendlich allein) auf Doppel-Pump stellt. Erkauft mit Geld, das die Familie gar nicht hat. Und erkauft auf Kosten derer, das wäre dann der größeren Bogen, die sich den Klimawandel nicht leisten können. Ein Schelm, wer grad die Tage an Benko dabei denkt.

Doch diese Bau- und Finanzruinen konnte von Düffel kaum konkret im Blick haben, als er sich dran setzte, Molières Tartüff nebst einigen Motiven aus dessen Geizigem mit unserer Gegenwart zu verschneiden. Herausgekommen ist eine Well-made-Komödie, die Regisseur Tim Egloff in Bremerhaven jetzt durchaus elegant und kurzweilig aus der Texttaufe hob. Das sechsköpfige Ensemble geht den durchaus dynamischen Weg von Ränkespielen und Retourkutschen ebenso fröhlich wie aufmerksam mit. Das macht schon alles Laune, so kurz vor den besinnlichen Tagen. Die Frage bleibt nur, ob die umgebaute Großkonstruktion am Ende aufgeht. Ob die Logiken des eingeführten Klassikers – die komödiantische einerseits, jene der Frömmelei andererseits – nicht schlussendlich eher hinderlich sind, der Gegenwart beizukommen, so, wie sie sich eben darstellt? Ob nicht gar der Klassiker selbst für letzteres vielleicht besser noch geeignet wäre?

Geiz ist geil?!

Inmitten eines zu allen Versteckspielen bereiten luftigen Vorhangrunds hat Luisa Wandschneider mit knapp skizzierten Mitteln eine hübsche Spielfläche gebaut. Leicht geschwungenes Treppengebilde, dazu hellabstrahierte Topfpflanzen und programmatisch wechselnde Beleuchtungselemente: Zwei in einander geschlaufte Retroleuchter in Hälfte eins, die zur zweiten Halbzeit ersetzt werden durch eine karg hängende Einzelbirne, die man zum vorwurfsvoll Strom sparenden Abdrehen gestisch wirkungsvoll gerade so erreichen kann.

TARTUEFF ODER DER GEISTIGE 1 Foto Manja Herrmann Molière-Figuren mit Gegenwartsbezug © Manja Herrmann

Der Birnenwechsel illustriert die gewandelte Tartüff-Figur. Denn statt des frömmelnden Doppelzünglers von kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg gibt er (wie gesagt: meist eher in den Köpfen und Worten des restlichen Hausstands in wahlweise Zustimmung und Ablehnung ultrapräsent) den Klima-Mahner. Darum auch der Glühbirnenwechsel in dem Moment, da Hausvorstand Orgon das Spardiktat des "Beraters" Tartüff zum Gebot der Stunde und somit für die Familie verbindlich erklärt.

Feine Komödie

Spardiktat, Klima-Mahner. Nun ja. Hier werden die Beschreibungsbegrifflichkeiten etwas flirrend. Was vielleicht daran liegt, dass die Grundidee dieser Molière-Paraphrase, nämlich an der Tartüff-Figur die Diskurse rund um Klimawandelfragen zu diskutieren, nicht wirklich aufgeht. Denn dieser Tartüff repräsentiert als Negativ-Influencer ausschließlich die als Be- und Einschränkung, als Verbot und fortgesetzte Freudlosigkeit wahrgenommene Regulierungspolitik (bzw. die Vorstufen und Vorschläge dazu). Das hat zwar einen Punkt, wenn sich kurz vor Schluss Julia Lindhorst-Apfelthalers Mme. Elmire in einer hinreißend über den Bühnenrand gespuckten Suada an klima- und auch sonstwie gerechtigkeitspolitisch komplett inkorrekten Wünschen ergeht und so – SO! – die Familie wieder vereint im Zeichen des Ignoranzdiktats. Aufgehen tut es über gut zwei Stunden trotzdem nicht.

Der Rest ist trotzdem feine Komödie. Kay Krause hat ganz offensichtlich viel Spaß mit dem Versuch seiner verdrucksten Madame Pernelle, der Altschachteligkeit zu entkommen. Marc Vinzing holt aus deren Sohn Orgon einen entzückend wiedersprüchlichen Barbie-Ken heraus. Und Justus Henke und Anna Caterina Fadda spielen die Orgon-Kinder Damis und Mariane sprudelnd und sprühend ganz nah ran an den Abgrund grenzwertiger Oberflächlichkeit. Das alles macht Freude beim Anschauen. Doch unterliegt diese Gegenwartsbetrachtung der Gegenwart spätestens in der Nachspielzeit.

Tartüff oder Der Geistige
von John von Düffel, sehr frei nach Molière
Regie: Tim Egloff, Bühne; Kostüme: Luisa Wandschneider, Dramaturgie: Peter Hilton Fliegel.
Mit: Anna Caterina Fadda, Richard Feist, Justus Henke, Kay Krause, Julia Lindhorst-Apfelthaler, Marc Vinzing.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause

www.stadttheaterbremerhaven.de

 

Kritikenrundschau

Chefdramaturg Fliegel und Regisseur Egloff hätten es geschafft, John von Düffels feinen Humor und seine nachhaltige 'Message' über die unbewuemen Herausforderungen unserer Zeit voller Leichtigkeit in Szene zu setzen, schreibt Rita Rendelsmann von der Nordsee-Zeitung (10.12.2023). "Diese mit Humor und 'eylichen' Dialogen in die Wunde geriebenen Wahrheiten sind dem Publikum wahrscheinlich erst im Nachhinein samt bitterem Beigeschmack hochgekommen."

"Diese Komödie trifft sicher viele Leute in ihrem Alltag und sie hat alles, um auch ein breites Publikum zum Nachdenken anzuregen. Und sei es nur auf der Meta-Ebene", so Marcus Behrens von Bremen 2 (11.12.2023). "Und so ist dieses Stück zwar kein echter Molière, der Text aber besser als jede Molière-Übersetzung!"

 

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