Ein bisschen Frieden, ein bisschen Feuer

6. Februar 2022. Markus Heinzelmann lässt in "Biedermann und die Brandstifter" zumindest nicht die ganze Welt brennen. Aktualisiert aber Max Frischs "Lehrstück ohne Lehre" um die bevorstehende Klimakatastophe und den damit einhergehenden Generationenkonflikt. 

Von Jan Fischer 

Das "einfache Glück" im Bungalow: die Biedermanns bewirtschaften ungewollte Gäste © Björn Hickmann / stage picture

6. Februar 2022. Da sind sie, die beiden, trinken Wein in einem jeweils eigenen Raum ihres geschmackvollen Bungalows, in dem sie das getrennte Leben eines Paares leben, das sich schon länger nicht viel mehr zu sagen hat als Vorwürfe. Gestatten: Herr und Frau Biedermann, ZEIT-Leser, FDP-nahe, zwei Gehälter, keine Kinder. Im Grunde keine schlechten Menschen.

Ungewollte Gäste

Jedenfalls wollen sie keine sein. So laden sie auch Herrn Schmitz in ihr Haus ein: eines Tages steht er vor der Tür ihres, auf einer Plattform vor sich hin rotierenden, Häuschens und hat ja auch kein einfaches Leben gehabt. Nach Herrn Schmitz kommt Herr Eisenring, und nach Herrn Eisenring auch noch Doktor Phil. Und während Brandstifter in der Stadt ihr Unwesen treiben, oder vielleicht auch im Rest der Welt, und die Biedermanns in ihrer Freundlichkeit den ungewollten Hausgästen nicht misstrauen wollen, schafft das Trio Benzin und Holzwolle und Zündschnüre heran.

Biedermann Brandstifter 3 BjoernHickmann uEin sich drehender Bungalow und eine Live-Kamera: die Bühne von Nicole Hoesli und Matthias Huser © Björn Hickmann / stage picture

Markus Heinzelmann inszeniert seine Version von Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter" in Braunschweig mit wohltemperiertem Pomp: Da ist der rotierende Bungalow mit kleiner Gartenanlage in der Mitte, der – auf seine Airbnb-Art – recht wohnlich aussieht. Da ist die Kamera, die von einem Kameramann die ganze Zeit um den Bungalow herumgefahren wird und deren Bild groß darüber projiziert wird. Da brezelt hin und wieder synthi- und beatlastige Musik durch den Saal.

Kleine Kunstgriffe

So weit, so wenig aufregend: Die Katastrophe bahnt sich ihren Weg, wie sie es in "Biedermann und die Brandstifter" nun einmal tut: Langsam, unaufhörlich, mit bitterem Ende. Wären da nicht zwei, drei Kunstgriffe mit denen Heinzelmann seiner Inszenierung noch einen anderen Geschmack verleiht. Das Nachspiel in der Hölle setzt er in seiner Inszenierung an den Anfang, so dass alles, was an dem Abend folgt in der Erzähllogik schon geschehen ist. Eine Erzählinstanz – im Programmheft als "Der Unbekannte" geführt – klärt zwar keine moralischen Fragen an der Handlung, versucht aber mit ein wenig Gesang (hauptsächlich Geraune von Schicksal und Schuld) doch herauszufinden, wie all das hätte verhindert werden können. Der Chor der Feuerwehrleute ist bei Heinzelmann ein Chor der Jugendlichen – die von gegenseitigem Respekt erzählen und all dem schönen, was sich auf der Welt zu schützen lohnt, aber auch davon, dass sie Angst vorm Zustand der Welt haben, vor der drohenden Klimakatastrophe. Und am Ende geht der Bungalow der Biedermanns eben nicht in Flammen auf – die Welt um sie herum brennt zwar, aber zumindest sind die Flammen noch nicht überall angekommen.

Biedermann Brandstifter 2 BjoernHickmann uDer Chor der Jugendlichen hat Angst vor einer brennenden Zukunft © Björn Hickmann / stage picture

Alle diese Änderungen sind recht kleine Änderungen. Frischs dehnbare Universalparabel "Biedermann und die Brandstifter" wird damit in Braunschweig zur Geschichte hauptsächlich über die Klimakatastrophe, aber wenn man so will auch über den allgemeinen Zustand der Welt, mit dem Unterschied, dass das Ende nicht festgeschrieben ist. Das Benzin ist in der Garage, die Streichhölzer in der Hand der Brandstifter – aber der Unbekannte bricht die Erzählung kurz vor der Katastrophe ab.

Holzhammer-Botschaft

Die Botschaft ist klar, und wird vom Chor der Jugendlichen auch durchaus mit dem Holzhammer heimgeholt: Noch ist es nicht zu spät, wenigstens ein bisschen was zu retten. Gleichzeitig wird hier – näher an Frisch – auch über Klassenunterschiede nachgedacht: Die Biedermanns sind gut gestellt, die Brandstifter sind es nicht. "Ich sehe hier Menschen", sagt der Unbekannte einmal, "die ein schlechtes Gewissen haben und gerne keines hätten, ohne etwas zu verändern." Der Unwillen der beiden tatsächlich etwas zu ändern, herauszufinden, was tatsächlich gebraucht wird, statt sich einfach nur zu belügen wird der Welt zum Verhängnis.

Biedermann Brandstifter 4 BjoernHickmann uNina Wolf als Anna steht bei Heinzelmann als Millenial auf der Bühne © Björn Hickmann / stage picture

Außerdem steckt in Heinzelmanns "Biedermann", wenn man es so lesen mag, auch eine Generationengeschichte: Dr. Phil. kommt hier als alternder Akademiker daher, vielleicht als desillusionierter Alt-68er lesbar, die Biedermanns als deren Nachfolgegeneration, Produkt fetter Jahre, ihre Dienstbotin Anna vielleicht als Millenial, der zwar der Zustand der Welt etwas unangenehm ist, die aber zu sehr mit sich selbst befasst ist, um etwas zu tun, und der Chor der Jugendlichen dann schließlich als aktivistische Generation Z.

Belehrendes "Lehrstück ohne Lehre"

So aktualisiert Heinzelmann an kleinen Stellschrauben "Biedermann und die Brandstifter" und haucht dem Stück sogar noch ein wenig Optimismus ein. Stellenweise kommt das "Lehrstück ohne Lehre" in dieser Fassung äußerst belehrend, oder besser: stark aktivistisch und wenig subtil daher. Das lässt sich sicherlich kritisieren, verleiht der Inszenierung und ihrer Botschaft aber auch eine gewisse Dringlichkeit, oder sogar Verzweiflung. Spaßig an der Inszenierung ist allerdings hauptsächlich, wie sie mit Frischs Material spielt: Eine kleine Umsortierung hier, ein vorzeitiges Ende da, Figuren, die sich ganz klar in der Jetztzeit bewegen: Und schon beleuchtet "Biedermann und die Brandstifter" – mal wieder – auf bösartige Weise die Gegenwart. Aber dieses Mal brennt wenigstens nicht alles. Noch nicht.

Biedermann und die Brandstifter
von Max Frisch
Regie: Markus Heinzelmann, Bühne, Kostüme und Kameraregie: Nicole Hoesli, Matthias Huser, Musik: Viktor Marek, Dramaturgie: Holger Schröder.
Mit: Georg Mitterstieler, Saskia Taeger, Nina Wolf, Cino Djavid, Götz van Ooyen, Klaus Meininger, Luca Füchtenkordt, Leni Becker, Hannah Roether, Maxima Singh, Juan Ojeda Téllez, Lukas Pergande.
Premiere am 5. Februar 2022
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause 

https://www.staatstheater-braunschweig.de/

Kritikenrundschau

"Ein ambitionierter, ästhetisch starker, gedankenreicher, aber auch etwas gedankenbleicher Abend", schreibt Florian Arnold in der Braunschweiger Zeitung (7.2.2022). Der, das Biedermann-Haus ständig umkreisende, Kameramann erzeuge "eine beklemmende Atmosphäre, in der sich die Sicherheit des Wohlstands-Bunkers auflöst." Cino Djavid verlasse sich als seltsamer Eindringling Josef Schmitz allerdings sehr auf die Wirkung seiner mürrisch-düsteren Miene in den Kamera-Projektionen und unterspiele seine Rolle streckenweise. "Wie überhaupt die durchaus schlüssig eingesetzte Projektionstechnik dazu führt, dass das direkte Bühnengeschehen an Eindringlichkeit verliert."

 

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