Der Sturm - Daniela Löffner inszeniert Shakespeare in Braunschweig
Sumpf der großen Themen
von Stephanie Drees
Braunschweig, 14. März 2013. Plötzlich tauchen sie auf, erheben sich gemeinschaftlich aus ihrem nassen Grab. Da stehen sie nun und triefen. Ihr Meister Prospero ist aus seiner Lethargie befreit, hat seine Geister gerufen. Zwölf Jahre der aufgestauten Frustration hat er hinter sich und dürstet nach Taten. Der große Intellektuelle und Strippenzieher – auf einer abgelegenen Insel ist er in Hinsicht Machtausübung völlig unterfordert. Das äußere Erscheinungsbild des Zauberers und Phantasten Prospero aus Shakespeares "Sturm" kommt auf der Braunschweiger Staatstheaterbühne eher einem sozialverwaisten Bibliothekar als einem großen Herrscher nahe: Die Strähnen des lichten Haares eine Glatzendecke, die Hände in der Buntfaltenhose. So steht er am Rande, Herrscher über alle, die nun verschreckt aus dem Wasser ragen. Die Spiele können beginnen.
Auf der Bühne von Claudia Kalinski steht dafür vor dem Eisernen Vorhang ein Becken, durch das die Schauspieler des Braunschweiger Ensembles waten – sie stehen mitten im Sumpf aus Machtmissbrauch, Intrigen, Gewalt und einem historischen Egoismus-Perpetuum-Mobile. Die ganz großen Themen schwimmen in dieser milchigen Suppe. Ausnehmend originell sind die symbolträchtigen Flüssigkeits-Spiele zwar nicht. Doch sie tragen zum Coup bei, der Regisseurin Daniela Löffner zu Beginn ihres "Sturms" gelingt.
Zwischen weltschmerzender Melancholie und Machtgeilheit
Statt die Schiffbrüchigen aus Mailand und Neapel wie beim Dichter-Großmeister an Prosperos Insel zu spülen, zieht sie der Herrscher Kraft seines Geistes buchstäblich aus den Untiefen. Gleichzeitig offenbart dieser Akt seine Unzulänglichkeiten als Erziehungsberechtigter. Denn neben ihm steht nun, herausgeklettert aus dem Wassergraben, seine Tochter Miranda, mit der er seit zwölf Jahren auf der Insel haust, nachdem er in Neapel von der Machtgier des eigenen Bruders und seines Kumpels entthront wurde. Es bahnt sich ein spätpubertärer Ablösungskonflikt an, denn die süße Exil-Prinzessin will endlich Klartext hören: "Wo sind wir?", fragt Ursula Hobmairs Miranda ihren Vater mit engagiertem Forschergeist. Das meint sie nicht im geographischen Sinne.
Hobmair zieht ihre Figur im hochgeschlossenen Rüschenkleidchen mit verschrecktem Lebenshunger auf. Enthusiastisch und in der Körpersprache nicht weniger linkisch als ihr Erzeuger, tapst sie am Beckenrand entlang. Sven Hönig, dessen Prospero zwischen weltschmerzender Melancholie und Machtgier pendelt, setzt ihr mit rührender Gefühlsblindheit ein Krönchen aufs nasse Haupthaar. So zeichnen die beiden emotionalen Insulaner nicht nur das interessanteste Beziehungsgeflecht des Abends. Sie zeigen auch einen Zauberer, den die Abgründe-Forscherin Löffner – wie ihre gesamte Inszenierung – auch als komödiantischen Kommentar anlegt.
Gift der Verführung
"Der Sturm" gilt als Shakespeares letztes Stück. Wissenschaftlich belegt ist das nicht vollkommen, doch werkimmanent wunderbar passend. Der alternde Prospero, der Schöpfer und Lenker, wird gerne als Alter Ego seines Schöpfers und Lenkers verstanden – eine Figur, deren Hände mit des Dichters zeitlosen Themen jonglieren. Diesen doppelten Genie-Mythos nimmt Löffner als Aufhänger, um eine Inszenierung an der Grenze zwischen Parodie und Psychodrama zu kreieren. Den Spagat müssen die begabten Schauspieler schaffen. Mal als lebende Comic-Typisierung, wie Tobias Beyer, der als Antonio, Prosperos irregeleiteter Bruder, eine ganze Kauleiste aus blinkendem Material im Mund trägt. Schmierige Polit-Typen sind die personifizierten Verweise zur Jetztzeit. Und da in der Jetztzeit-Comedy allgegenwärtig ist, läuft dem greisen Gonzalo der Speichel beim Inselgang schwallartig aus dem Mund.
Die Spucke wird von Ariel, dem metaphysischen Adjutanten Prosperos, im Reagenzglas aufgefangen. Der Luftgeist führt Miranda mit dem Sohn Antonios zusammen – einem Teenager in Jogginganzug – und zerschlägt die Intrige vom rachsüchtigen Ureinwohner Kaliban (Hanno Koffler), der sich um die Insel betrogen fühlt. Ariel (Oliver Simon) strippt und tanzt und lässt sich zitatbewusst das Gift der Verführung vom nackten Körper lecken. Jeder in diesem Stück spielt eine Rolle, so die Lesart der Regisseurin. Daher chargieren sie, werden zu Abziehbildern ihrer selbst. Auch diese Inszenierung ist auf eigentümliche Weise zwiespältig: Sie zeigt die inneren Stürme ihrer Figuren. Wenn nicht grade spaßbedingte Flaute herrscht.
Der Sturm
von Wiliam Shakespeare
Aus dem Englischen von Hermann Motschach
Inszenierung: Daniela Löffner, Bühne: Claudia Kalinski, Kostüme: Sabine Thoss, Dramaturgie: Katrin Breschke.
Mit: Sven Hönig, Ursula Hobmair, Tobias Beyer, David Kosel, Jannek Petri, Mattias Schamberger, Philipp Grimm, Oliver Simon, Hanno Koffler.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.staatstheater-braunschweig.de
Zu Shakespeares starkem Stück sei dem "bundesweit beachteten Regietalent" Daniela Löffner (der sonst selbst zu dünnen Texten noch etwas einfalle) wenig eingefallen, schreibt Florian Arnold in der Braunschweiger Zeitung (16.3.2013). Aus seiner Sicht "ersäuft die Spannung im Wasserbecken, in dem und um das herum das Ensemble anderthalb Stunden halb spielt, halb planscht." Die Inszenierung misstraue der magischen Welt Shakespeares, aber setze ihr nichts entgegen. Die Figuren würden ironisiert, ihr Zauber gegen einen zeitgenössischen Habitus getauscht, mehr nicht.
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