Spiel mir das Lied vom Tod - In Braunschweig sucht Klaus Gehre in dem Stoff von Sergio Leone nach dem Ursprung des Kapitalismus und den Grenzen der Frontier
Wer Visionen hat, sollte nach Westen gehen
von Jan Fischer
Braunschweig, 3. November 2017. Es ist für den US-amerikanischen Mythos der Frontier – dieser Grenze, hinter der das Unbekannte nur darauf wartet, einverleibt zu werden – ein Glücksfall, dass die öden Landschaften des Mars den ikonischen Felsformationen des Monument Valley verblüffend ähneln. Klaus Gehre macht sich diese Ähnlichkeit jedenfalls gleich zu Beginn seiner Inszenierung des Western-Klassikers "Spiel mir das Lied vom Tod" in Braunschweig zu nutze. In Großaufnahme erscheinen – in Anlehnung an eine Traumsequenz aus dem Sci-Fi-Klassiker "Total Recall" zwei Playmobil-Männchen in Raumanzügen groß projiziert vor einer Marslandschaft. Diese Landschaft wird, wiederum groß auf die den Raum der kleinen Bühnen beherrschenden Leinwand, direkt in einen Zug überblendet, der sich schnaufend in Richtung der Stadt Sweet Water schiebt. Und schon sind wir mittendrin im Western.
Der Frontier-Mythos ist, als einer der Gründungsmythen der USA, immer eine Art von Heldengeschichte von Menschen, die unter widrigen Umständen neue Gebiete erschließen. Der Western als Genre ist eine der Varianten, in denen diese Geschichte erzählt wird. Es ist immer die Geschichte der westlichen Zivilisation, die Dank einiger Weniger Einzug in als wild und gesetzlos wahrgenommene Gebiete hält – sei es die "Final Frontier" Weltraum oder eben der Wilde Westen. "Spiel mir das Lied vom Tod" – der Film – ist da keine Ausnahme. Es geht um einen Eisenbahnunternehmer, der eine Bahn bis zum Pazifik bauen will, es geht um einen Landbesitzer, der daraus Kapital schlagen will, es geht um harte Kerle mit Colts in der Hand.
Gehre inszeniert den Stoff in seinem eigenhändig zusammengebastelten Miniaturwunderland, das auf einem erhöhten Rundlauf über die Bühne aufgebaut ist. In Großaufnahme werden die Orte des Geschehens abgefilmt und auf eine Leinwand projiziert. Teilweise findet die Handlung mit Puppen in diesen Miniatur-Kulissen statt, teilweise wird sie mit diesen Kulissen als Hintergrund vom Ensemble gezeigt, das in glänzenden Kostümen die harten Männer und Frauen des Wilden Westens mimt.
Die Inszenierung arbeitet selbstverständlich nicht mit Fakten zur tatsächlichen Besiedelung der USA, sondern damit, wie der Mythos inszeniert wird. Es geht um Selbstwahrnehmung, Selbstmystifizierung. Der Abend reproduziert Filmbilder, versucht, wenn nicht einen harten Kern aus Fakten dann doch zumindest einen Kern Erkenntnis aus diesen künstlichen Bildern der Mythenmaschine Film zu gewinnen. Die Kostüme, die karikaturhaft überzeichneten Figuren und ihre Kostüme, die Miniaturen, die Elektro-Mixen von Ennio Morricones Filmmusik – das alles ist von gnadenlos übertriebener Plastikünstlichkeit, in der – vielleicht – etwas über das Herz dieses Gründungsmythos verborgen ist. Die Inszenierung stößt auf gesetzlosen Raubtierkapitalismus, Unternehmertum, das ohne Rücksicht auf Verluste eine Vision verwirklichen will, Menschen, die alle für ihren ganz eigenen Gewinn gegeneinander arbeiten und dabei alles verlieren, weil jeder Kompromiss – jeder Deal, wie der derzeitige Präsident der USA vielleicht sagen würde – verweigert wird.
Gehre gibt sich nicht damit zufrieden, einen einfachen Western zu inszenieren oder in Klischees zu überhöhen – immer wieder wird auf die aktuellen USA rekurriert, etwa wenn die Stadt Sweet Water sich in einer langen Kamerafahrt von einer Westernstadt zu einer modernen Stadt mit Wolkenkratzer-Skyline mausert, oder eben am Anfang, in dem die Frontier direkt vom US-amerikanischen Westen auf den Mars verschoben wird. Und damit eben auch der visionär-gierige Unternehmer Morton ein Stück weit zu Elon Musk wird, und die Schienen bis zum Mars reichen.
"Spiel mit das Lied vom Tod" in Braunschweig soll der erste Teil einer Trilogie sein, in der die USA, die seit letztem November soviel fremder geworden sind, näher erkundet werden. Der erste Teil befasst sich dementsprechend mit ihrem Gründungymythos, und ist von Gehre mit viel Liebe zum Detail, komplexer Kameraarbeit und einem spielfreudigen Ensemble – allen voran Yevgenia Korolov und Robert Prinzler als Jill McBain und Robert Prinzler als Morton – umgesetzt. Auch wenn die Geschichte des Films in den 80 Minuten arg gekürzt umgesetzt und damit teilweise etwas konfus wird, gelingt Gehre eine ungewöhnlicher Vorstoß ins Herz eines US-amerikanischen Mythos. Und ein Vorstoß in Richtung der Ursprünge des Kapitalismus, der ihn weder verteufelt noch vergöttert – sondern als Fakt feststellt.
Spiel mir das Lied vom Tod
von Klaus Gehre nach Sergio Leone
Regie, Text, Bühne: Klaus Gehre, Musik: Michael Lohmann, Kostüm: Mai Gogishvili, Dramaturgie: Alexander Kohlmann.
Mit: Yevgenia Korolov, Götz van Ooyen, Robert Prinzler, Tobias Beyer, Valentin Erb.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.staatstheater-braunschweig.de
Die neue kleine Spielstätte Aquarium habe zwei Spielebenen und "damit erheblich mer inszenatorische Möglichkeiten", und Klaus Gehre "nutz sie", schreibt Matin Jasper in der Braunschweiger Zeitung (6.11.2017). In seinen eigenwilligen, "auf originelle Weise heimwerkerlichen" Spaghetti-Western-Klassiker erstarre das Böse zu einer Statue. Gehre gelinge in seiner unterhaltsamen Parallelität aus puppig abgefilmten Bühnendetails und markigen Darstellern den Fokus zu verschieben, und "das geht nicht ohne ein paar Überzeichnungen, Albernheiten und schräge Modernismen."
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