Vor dem Fest - Schauspiel Hannover
Der Dunst der Geschichte(n)
12. Februar 2024. Lars-Ole Walburg kehrt mit seiner Inszenierung von Saša Stanišićs Roman "Vor dem Fest" an das einst von ihm geleitete Schauspiel Hannover zurück. Mit Chor und dem Geruch nach alter Eckkneipe ist seine Inszenierung eine Hommage an das Fabulieren in der Provinz.
Von Jan Fischer
12. Februar 2024. Über der Bühne baumeln die Artefakte des Dorflebens: Ein Bollerwagen, zum Beispiel. Ein Bushaltestellenschild. Ein Spielautomat. Ein Telefon aus einer alten Telefonzelle. Einer dieser Zigarettenautomaten mit Plastikverkleidung in Holzanmutung. Und einiges mehr, alles alt, aus der Zeit gefallen, irgendwie staubig.
Und tatsächlich ist es auch ein wenig gestrig: Saša Stanišićs Roman "Vor dem Fest" erzählt die Geschichte von Fürstenfelde, einem Dorf in der Uckermark. Oder besser: Lässt Geschichten erzählen, denn ein wenig fühlt sich der Text an, als hätte sich einfach jemand in eine Dorfkneipe gesetzt und den nie enden wollenden, mäandernden Geschichten zugehört, diesen Geschichten, die sich um einen unsichtbaren Mittelpunkt drehen und Alltagsbanalitäten, Mythen, Legenden und Märchen zu undurchdringbarem Lokalnebel vermischen.
"Wir haben keinen Fährmann mehr"
Der ehemalige Intendant des Schauspiel Hannover, Lars-Ole Walburg, lässt an seinem ehemaligen Haus diese Geschichten erzählen, wie sie auch im Buch erzählt werden. Das Dorf ist ein großer Chor, der von sich selbst als "Wir" spricht, "wir haben keinen Fährmann mehr", heißt es zum Beispiel am Anfang, "der Fährmann ist tot". Manchmal treten die Geschichten einzelner Figuren hervor, die von Lada (Philippe Goos) zum Beispiel, der sein Auto in den See fährt, oder von Herrn Schramm (Lukas Holzhausen), dem ehemaligen NVA-Offizier, der daran verzweifelt, Kippen zu holen, oder von Frau Kranz (Katja Gaugard), der örtlichen Malerin, zu deren Werken "Schlafender Neonazi" und "April, vielleicht Mai" gehören. Sechs Menschen ist der Chor stark, sie spielen unzählige Figuren mehr. Dazu kommt Lars Wittershagen, der als Live-Musiker an einem Schreibtisch sitzt.
Dunkle Geheimnisse
Auf der Bühne von Robert Schweer hat dabei alles irgendwie Ebenen. Darüber schwirren die Artefakte an Drahtseilen. Hin und wieder fährt ein Raum in der Bühnenmitte hoch, manchmal hat er zwei Etagen, manchmal eine. Manchmal ist es der Raum von Herrn Schramm, manchmal das Haus der Heimat, in dessen Keller ein dunkles Geheimnis des Dorfes lauert. Dann wieder saust eine Rakete aus der Bühne, auf der Herr Schramm davonsaust. Oder es werden im Hintergrund ein paar Leitern ausgefahren, auf denen zwei Diebe sitzen, die vor Jahren einmal im Dorf hingerichtet wurden. Und am Ende, als das große Dorffest endlich stattfindet und in einer Auktion endet, wird die ganze Bühne mit einem großen, weißen Tuch überzogen.
Dennoch passiert, auch wenn es sich nicht so anhören mag, auf der Bühne vergleichsweise wenig. Es werden Geschichten erzählt, mal chorisch, mal nicht. Die Inszenierung lebt stark von Stanišićs Text, der liebevoll und charmant auf den Alltag der Dorfbewohner blickt und ihn mit Mythen, Legenden und Dorfgeschichte vermengt, ohne dass eines wahrer oder wichtiger als das andere wäre. Immer wieder driftet er in zauberische Bilder ab: Frau Kranz malt ihre Bilder bis zu den Knien im Dorfteich stehend, der Fährmann fährt regelmäßig den Teufel über den See, Johann (Nikolai Gemel), der Glöckner in Ausbildung, spielt die drei Glocken der Dorfkirche am allerschönsten, Frau Schwermuth (Johanna Banzter) legt sich depressiv in ihre Blumenbeete. Walburg – der nach seiner Intendanz am Schauspiel Hannover übrigens begann, ein Haus in Mecklenburg zu renovieren – verlässt sich stark auf den Zauber des Textes und bebildert ihn zwar nicht spärlich, aber eher unterstützend.
Wie der Besuch einer Eckkneipe
Allerdings zerfasert der Dunst der Geschichten in den zwei Stunden Inszenierung ein wenig: Kaum ein Faden zieht sich da hindurch, es mag sich am Ende zwar ein Mosaik ergeben, aber nicht unbedingt eine Struktur. Die Geschichten ziehen zwar mit viel Energie und karikaturenhaft übertriebenen Figuren auf hohem Energieniveau dahin, werden manchmal wieder aufgenommen und fortgeführt, manchmal nicht, aber es gibt keine Spitzen, keinen Ausschlag nach oben oder unten. Das hat – wie der Besuch in einer Eckkneipe, in deren Wand der Zigarettenrauch von 60 Jahren steckt – etwas Heimeliges, Gemütliches. Aber eben auch etwas ein wenig Muffiges, Träges. Unterhaltend, sicherlich. Aber auch ein wenig unbefriedigend. Zwar nicht misslungen, das auf keinen Fall. Aber eher eine leichtfüßige Fingerübung als ein großer Wurf.
Vor dem Fest
von Saša Stanišić
Regie: Lars-Ole Walburg, Bühne: Robert Schweer, Kostüme: Nina Gundlach, Musik: Lars Wittershagen, Dramaturgie: Johanna Vater.
Mit: Johanna Bantzer, Katja Gaudard, Nikolai Gemel, Philippe Goos, Lukas Holzhausen, Viktoria Miknevich, Lars Wittershagen .
Premiere am 11. Februar 2024
Dauer: ca. 2 Stunden, keine Pause
staatstheater-hannover.de
Kritikenrundschau
Lars-Ole Walburg nehme "alles sehr wichtig" und lasse "weite Teile des Textes im Chor sprechen", berichtet Ronald Meyer-Arlt in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (13.2.24, €). Das scheine zwar "auf den ersten Blick ganz angemessen", nerve andererseits aber auch: "Die Sache bekommt dadurch nicht nur Gewicht, sondern auch Behäbigkeit. Man fühlt sich wie in der Theaterkirche", so der Kritiker. Sein Fazit: "Vom Theater erwarten wir zu Recht, dass es sich immer wieder neu erfindet. Doch Lars-Ole Walburg hat hier eigentlich nur die alten Mittel (inklusive reichlich Theaternebel) vorgeführt."
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