Ich wollt' ich wär' kein Huhn

von Katrin Ullmann

Hamburg, 25. April 2014. Gut, es ist naheliegend. Aber dennoch: Googelt man die beiden Begriffe "Dokumentarfilm" und "Fleisch" erhält man ungefähr 140.000 Treffer und gleich oben eine ganze Reihe Filmtitel: "Dürfen wir Tiere essen?", "Nie wieder Fleisch", "Unser täglich Gift", "Hunger", "Gabel statt Skalpell – Gesünder leben ohne Fleisch", "Akte Fleisch". Wie wirkt sich der Fleischkonsum der Industrieländer auf die Welt, auf das Klima, den Welthunger, auf unseren Körper aus? Das sind die immer wiederkehrenden Fragen in dem intensiv behandelten Feld. Das Thema ist komplex.

Wer ist Täter, wer ist Opfer?

Clemens Bechtel hat sich ihm dennoch genähert. Und zwar auf der Theaterbühne. Nun, der Malersaal des Hamburger Schauspielhauses ist tatsächlich nur ein regionaler Aufführungsort, denn der Abend "Cargo Fleisch" ist Teil des globalen Theaterprojektes Hunger for Trade. Das wiederum meint eine Zusammenarbeit mit acht weiteren, selbstverständlich internationalen Theatern, an denen zurzeit ebenfalls dokumentarisch-basierte Inszenierungen entstehen. Gemeinsamer Ausgangspunkt war eine Konferenz am Schauspielhaus im November 2013. Anschließend folgten Recherchen, die Venetzung derselben und der Austausch von Ergebnissen. Mit "Cargo Fleisch" zeigt Clemens Bechtel seinen Ausschnitt, seine Sichtweise, sein Ergebnis einer immerhin dreijährigen Recherche.

cargo fleisch1 560 klaus lefebvre uMan ist, was man isst: kritisches Kochen im Hamburger Schauspielhaus © Kaus Lefebvre

Bechtels Protagonist ist das Huhn. Es dient als Beispiel, was Globalisierung bedeutet, bewirkt, anrichtet. Das geht von der Massentierhaltung über die Aneignung großer Landstriche – beispielsweise im brasilianischen Urwald – für den Futtermittelanabau, die damit einhergehende Enteignung von indigenen Völkern, über Fuck for Forest-Aktivisten, Veganer und Großunternehmer, bis hin zu eitlen Vertretern internationaler Hifsorganisationen und die nicht abschließend zu klärende Frage von Täter und Opfer.

Hard Facts gegen individuelle Geschichten

Bechtel streift all diese Themen und Thesen, lässt sie von seinem neunköpfigen Ensemble debattieren und diskutieren. Er projiziert Videos an die kahlen Betonwände, zeigt Bilder von zerzausten Bodenhühnern, beschreibt Demonstationen in Indien genauso wie Einzelschicksale ruinierter Kleinunternehmer. Er erzählt von Zwangs-Allianzen, spontan ernannten Naturschutzgebieten und dem überflüssigen Fettgehalt im Körper. Da tritt ein kleiner dicker Junge auf, dessen Lieblingsessen Chicken McNuggets sind, da zerhacken die Schauspieler auf zwei Edelstahltischen geflügelähnlichen, tiefgefrorenen Kautschuk, da erzählt eine Aktivistin ("eine echte Aktivistin!") von ihrem erfolgreichen Containertauchen, während ein paar schwarzafrikanische Kinder Nahrung als Segen und Essen als Begegnung definieren. Da werden dramatische, bisweilen hektische Sounds (Musik: Andrew Pekler) eingespielt und da stehen Hard Facts gegen individuelle Geschichten. Da wird ein bisschen übertrieben, ein bisschen ironisiert und ein bisschen rekapituliert, und natürlich wird andauernd versucht, über Fleisch als Ware, als Containerladung nachzudenken.

cargo fleisch3 560 klaus lefebvre uJustin Yao  © Klaus Lefebvre

Appetit vergangen

Das Thema ist, wie gesagt, komplex. Die (theatralen) Mittel beschränkt. Und so bleiben am Ende des Abends, nachdem die Zuschauer mit Flugblättern, Parolen, Thesen, Antithesen, Meinungsmache und Umfragen beworfen wurden, alle Positionen gleichberechtigt. Clemens Bechtel will nicht belehren oder besserwissen. Er will, so sagt er selbst, "globales Theater" machen – ein Aspekt, der an diesem Abend allerdings völlig untergeht, aber der vielleicht am 30. Mai, wenn im Malersaal auch die Arbeiten der acht anderen beteiligten Theater präsentiert werden, zum Ausdruck kommt.

Bei "Cargo Fleisch", diesem Abend, der vergeblich versucht, das Genre Dokumentarfilm auf der Bühne abzubilden, sucht man zum einen nach dem theatralen Mehrgewinn – und findet keinen – zum anderen nach Bechtels eigener Haltung – und findet keine. Im Programmheft bekennt er, dass ihm der Appetit auf Hühnerbrust mittlerweile ein bisschen vergangen sei und er noch überlegen muss, ob er nun Vegetarier werde. Na, dann.

 

Cargo Fleisch
Ein dokumentarisches Theaterprojekt von Clemens Bechtel
Regie, Text & Konzept: Clemens Bechtel, Raum und Kostüme: Beatrix von Pilgrim, Video: Jakob Klaffs, Musik: Andrew Pekler.
Mit: Yorck Dippe, Sachiko Hara, Carlo Ljubek, Michael Prelle, Nicolas Rosat, Kathrin Wehlisch, Justin Yao, Bob Baiker, Natalie Mandeau.
Dauer: ca 1 Stunde keine Pause

www.schauspielhaus.de

 

Der Durchbruch von Clemens Bechtel als Theaterdokumentarist war der Abend Staat-Sicherheiten, 2008 für das Potsdamer Hans Otto Theater entstanden.

 

Kritikenrundschau

Ein "buntes Sammelsurium, das "nichts Neues erzählt" hat Armgard Seegers erlebt, wie sie im Hamburger Abendblatt berichtet (28.4.2014). Der Abend sei ein bisschen gefühlig, harte Fakten vermisse man leider. "Sie hätten für mehr Erkenntnis und Anteilnahme gesorgt", schließlich gäbe es aus der Welt der Fleischerzeugung Grausiges zu berichten. So aber bleibe der Abend "belanglos, beliebig und oberflächlich".

 

Kommentare  
Cargo Fleisch, Hamburg: irgendwie politisch
So dumm wie alles bisher. Groß aufgezogene, spektakulär betextete, hektische durchdachte, am ende dann irgendwie rausgebrachte theaterabende am deutschen schauspielhaus. Halt irgendwie politisch. So. Der nächste spielplan passt dazu, vor allem die neuzugänge pollesch und castorf.
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