In den Tennisklubs von Blankenese

24. Februar 2024. Wer hätte gedacht, dass in Nikolai Gogols "Revisor" stilechte Gegenwartsdramatik steckt? Felicia Zeller hat die böse Komödie für die heutige Hansestadt überschrieben. Entsprechend stolpern sie in Viktor Bodos Uraufführung treppauf und vor allem treppab: die Reeder, Wirtschaftslenker und CumExler.

Von Falk Schreiber

"Die gläserne Stadt" von Felicia Zeller in der Regie von Victor Bodó am Schauspielhaus Hamburg © Thomas Aurin

24. Februar 2024. Die Wirtschaftslenker der alten Kaufmannsstadt haben sich abgesetzt. Der Banker nebst Gattin, der Anwalt, die Reeder, die Medizinunternehmerin und der Immobilieninvestor verstecken sich im Bauch eines Containerschiffs: Es wurden illegale Geschäfte getätigt, man wartet besser, bis Gras über die Sache gewachsen ist, dann gründet man eine Stiftung, und in die lagert man das dreckige Geschehen aus. Allerdings gibt es Gerüchte, dass die Finanzaufsicht schon Wind von der Sache bekommen hat, womöglich ist ein Ermittler an Bord, ein Revisor? Als dann ein blinder Passagier auftaucht, glaubt die ehrenwerte Gesellschaft, es hier mit der Justiz zu tun zu haben. Und was macht man mit der? Man schmiert sie, was sonst?

Per Hubschrauber auf den Hautevolee-Kahn

Felicia Zeller hat "Der Revisor", Nikolai Gogols 1836 uraufgeführte Satire auf Korruption im zaristischen Russland, überschrieben, unter dem Titel "Die gläserne Stadt" mit Blick auf den CumEx-Skandal, der 2020 die Hamburger Privatbank M.M. Warburg erschütterte und seine Wellen bis ins Hamburger Rathaus schlug, zum damaligen Ersten Bürgermeister und heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz. Der heißt in Viktor Bodos Uraufführungsinszenierung am Hamburger Schauspielhaus Anton Schatz und wird von Samuel Weiss mit aasiger Souveränität gespielt, als Machttaktiker, der kurz per Hubschrauber auf dem Hautevolee-Kahn einschwebt, allen Beteiligten seine Unterstützung verspricht und hinterher von nichts gewusst haben will. Fast wie in der Realität also. (Das erstens informative und zweitens sehr lustige Programmheft beschreibt den Skandal und schwärzt die Namen der Beteiligten so nachlässig, dass man neben Scholz etwa den Banker Christian Olearius weiterhin erkennen kann.)

Fast wie in der Realität: das Hamburger Ensemble in der "Gläsernen Stadt" © Thomas Aurin

Ansonsten aber überzeichnet Bodo, wo er kann. Lina Beckmann rollt als Bankier Bernd Baktus die Augen, Jan-Peter Kampwirth glaubt als dessen Frau Jelena tatsächlich an das Gute im eigenen Handeln, Yorck Dippe und Michael Weber sind als Reederbrüder ebenso wie Jan Thürmer als Investor fröhliche Karikaturen eines Hamburger Möchtegern-Geldadels.

Das ist klug beobachtet, Bodo inszeniert mit einem genauen Blick für die Abhängigkeiten zwischen Geld und Politik, verliert allerdings zunächst die echten Abgründe eines Systems, das gar nicht so einfach als korrupt bezeichnet werden kann, aus den Augen. Dabei ist es nicht einmal so, dass diese Figuren unecht wären: Es gibt solche Typen ja, in den Tennisclubs von Pöseldorf und Blankenese. Aber diejenigen, die heute tatsächlich bezüglich verbrecherischer Bankgeschäfte auf der Anklagebank sitzen, sehen dann doch ein bisschen weniger nach Knallchargen aus.

Wohldosierte Running Gags

Als Komödie funktioniert die Inszenierung allerdings ausnehmend gut, mit genau getaktetem Slapstick, mit bösem Humor und mit wohldosierten Running Gags, die hier besser Stumbling Gags heißen müssten – sobald jemand die Schiffstreppe (Bühne: Zita Schnabel) heruntersteigt, stolpert er, und die Schiffstreppe wird praktisch ständig bestiegen. Das ist lustig.

Entsprechend ist es eine gute Idee, nach einer Weile Chlestakow aus Gogols Komödie nach Hamburg zu verpflanzen. Der ist bei Carlo Ljubek einfach ein Obdachloser, der es sich an Bord gemütlich gemacht hat, und freilich schnell kapiert, dass sich die finanzkriminelle Gesellschaft gut ausnehmen lässt. Entsprechend fungiert er als Katalysator, der die Inszenierung davon abhält, es sich vollkommen in der wirtschaftskomödiantischen Belanglosigkeit gemütlich zu machen.

glaeserne stadt13 Thomas AurinSlapstick und böser Humor: Carlo Ljubek, Yorck Dippe, Lina Beckmann, Henni Jörissen und Christoph Jöde © Thomas Aurin

Nach der Pause sorgt er dafür, dass Bodos gut funktionierende Humormechanik erst an Drive und dann ihre gesamte Form verliert: Es wird gekokst, gesoffen und gevögelt, stumpfer Techno dröhnt durch den Saal, das Schiff nimmt Kurs auf die Elbphilharmonie. Und was gerade noch Lacher auf Lacher schichtete, wird plötzlich zu einer Apokalypse des Finanzkapitalismus.

Zum Lachen ist hier eigentlich gar nichts mehr, und dass das Premierenpublikum auf Animationen zunehmend verzweifelt einsteigt, zeigt, dass diese Geschichte mehr mit ihm zu tun hat, als es wahrhaben möchte. "Ick heff mol en Hamborger Veermaster seen", grölt es von der Bühne, und "To my hoo day, hoo day, ho" jubelt das Publikum zurück.

Krachend in die Elbphilharmonie

In einem vielleicht zu langen, vielleicht zu erschöpfend erklärenden Schluss beschreibt Beckmanns Banker dieses nicht aufzulösende Problem des Abends: "Ihr lacht doch über euch selbst!" kekst sie das Publikum an, und das Publikum lacht. Dann kracht das Schiff in die Fassade der Elbphilharmonie, die Rolling Stones spielen "Paint it Black", und Alois Reitwinkel (Christoph Jöde) wendet sich ein letztes Mal an den Saal. Der Anwalt erklärt, dass hier, im Theater, die Bösen zwar zur Rechenschaft gezögen würden, in der Realität aber könne man ihnen nichts anhaben.

Reitwinkel erweist sich so als Brechtsche Figur, ähnlich wie Macheath, der am Ende der "Dreigroschenoper" das Happy End noch einmal relativiert (und dazu passt, dass Jöde schon zuvor einmal die "Ballade von Mackie Messer" angestimmt hatte). Dieser Schluss beweist, wie skeptisch Zeller und Bodo letztendlich gegenüber ihrem eigenen Stück sind. Aber ein großes Vergnügen ist "Die gläserne Stadt" dann eben doch, was nicht in jeder Hinsicht positiv gemeint ist.

Die gläserne Stadt
von Felicia Zeller
Nach "Der Revisor" von Nikolai Wassiljewitsch Gogol
Regie: Viktor Bodo, Bühne: Zita Schnabel, Kostüme: Ilka Giliga, Musik: Klaus von Heydenaber, Sounddesign: Gábor Keresztes, Video und Spezialeffekte: Bors Ujvári, Licht: Rebekka Dahnke, Dramaturgie: Anna Veress, Ludwig Hauck
Mit: Lina Beckmann, Yorck Dippe, Ute Hannig, Christoph Jöde, Henni Jörissen, Jan-Peter Kampwirth, Carlo Ljubek, Eva Maria Nikolaus, Jan Thümer, Samuel Weiss, Michael Weber
Uraufführung am 23. Februar 2024
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause

www.schauspielhaus.de

 

Kritikenrundschau

"Die Interpretation des ernsten und noch lange nicht abgeschlossenen Skandals, bei dem alle Vorurteile über skrupellose Finanzkapitalisten und vergessliche Politiker ihre Bestätigung erhielt, wurde in der Regie von Viktor Bodo zu einem Dividendenstrip der Humorgeschichte", schreibt Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (27.2.2024). Das sei lustige Unterhaltung, aber eben keine gute Komödie. Überzeugende Satire auf reale Vorgängen gebe den Verfehlungen durch Übertreibung zwar eine besondere Schärfe, aber "Substanzielles oder Enthüllendes wurden bei dieser Spaßarbeit allein ins Programmheft verbannt". Spätestens im zweiten Teil des Abends, einer ausufernden Koksparty zu Ballermannhits, werde das Spaßmachen eher zäh.

Viktor Bodo nutze die dankbare Vorlage, um die vermeintlich ehrenwerte Hamburger Gesellschaft klug und sehr bissig zu karikieren, schreibt Annette Stiekele im Hamburger Abendblatt (26.2.2024). "Vieles ist total überdreht, aber die Komödie ist perfekt durchgetaktet". Der Slapstick sitze. Wenn ein Ausgleiten in der Schmiere drohe, bekomme das sensationell aufspielende Ensemble gerade noch die Kurve.

"Zwischen pointiertem Wortwitz und Slapstick bewegen sich die völlig überzeichneten Typen wie braungebrannter Tennissnob und aalglatter Anwalt", so Pia Steinhaus in der Hamburger Morgenpost (26.2.2024). "Die gläserne Stadt" habe das Zeug zum Kultstück.

"Die an sich bissige Komödie schippert zahnlos daher", klagt Peter Helling im NDR (24.4.2024). "Politisch wird dieser Abend keine Sekunde. Man hört die Pointen schon Kilometer vorher um die Ecken biegen. Kein Charme, kein Witz, sondern: Nummern. Knaller. Hauptsache laut, wenn's auch leise ginge."

"Eine hinreißende Neuinterpretation von Gogols Stück über Korruption, Filz und strafbare Manipulationen in hohen politischen wie gesellschaftlichen Kreisen" hat Irene Bazuinger erlebt, wie sie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (29.2.2024) schreibt. Die "kluge wie aufgekratzte, böse wie mitreißende Unterhaltung" inszeiere  Viktor Bodo mit überbordender Phan­tasie und szenischer Tollkühnheit.

Kommentare  
Die gläserne Stadt, Hamburg: Verbindend und bezaubernd
An Peter Helling vom NDR

"Es ist ein bisschen wie bei Mario Barth: Stadion voll, Riesenshow, kommt super an, Witz groß, alle lachen. Diese Kracher-Komödie erleidet Schiffbruch."

Lieber Herr Helling, es ist so viel mehr als das. Virtuose Spielerinnen und Spieler, die als Ensemble großartig harmonieren, tolle Kompositionen, eine feine, wandelbare Bühne, eine hohe rhythmische, ideenreiche Inszenierung. Ich würde Ihnen raten Herrn Barth mal zu besuchen, dann erkennen sie vielleicht wie gut das ist, was sie gestern gesehen haben.

Es mag nicht sonderlich politisch gewesen sein - ok. Aber es zeigt was Theater (auch) sein kann: Lustvoll, verbindend und bezaubernd. Von einem Schiffbruch war dieser Abend viele, viele Seemeilen entfernt.
Die gläserne Stadt, Hamburg: Sinnfreie Virtuosität
@Peter Helling vom NDR

Ich wiederum stimme Ihnen und Ihrer Kritik voll und ganz zu. Die noch so virtuosen Schauspieler*innen konnten – meiner Erfahrung nach - bisher keinen sinnfreien Abend retten. So auch nicht diesen. Leider.
Die gläserne Stadt, Hamburg: Slapstick
Das Wort Slapstick wird ja für Bodos Sachen ja immer wieder bemüht. Ist nur halt nicht so. Echter Slapstick ist leicht und anarchistisch. Beides stellt sich an diesem Abend absolut nicht ein. Und so vieles hat man schon anderswo gesehen wie z.B. Thümers Performance oder das mit dem Treppenrunterfallen, nur halt so viel besser im Original.
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