Nur noch Klassiker!

von Falk Schreiber

Hamburg, 5. Dezember 2015. Was für ein Stoff: Eine Trauergesellschaft aus exzentrischen Künstlern schifft sich am Vorabend des Ersten Weltkriegs auf einem Luxusliner ein, zur Seebestattung einer Operndiva. Auf der Adria nehmen sie Schiffbrüchige auf, serbische Anarchisten, ängstlich werden die Neuankömmlinge beäugt, um nach einigen moralinsauren Diskussionen der österreichisch-ungarischen Marine ausgeliefert zu werden. Am Ende explodiert eine Bombe, und das Künstlerschiff versinkt in schönster Décadence, tief in den Schlund des Krieges.

Flüchtlinge, Mittelmeer, gutwillige Herzlosigkeit – kaum etwas muss man aktualisieren an Federico Fellinis 1983er-Film "E la nave va" (der in Deutschland unter dem Titel "Fellinis Schiff der Träume" im Kino lief), das ist schon von Anfang an ein Gleichnis auf Frontex, Dublin-Abkommen und Flüchtlingskrise. Und zunächst bleibt Karin Beier tatsächlich auf Fellinis Spuren bei ihrem "europäischen Requiem"  "Schiff der Träume" am Hamburger Schauspielhaus. Beerdigt wird keine Sängerin, sondern ein Komponist und Dirigent, die Trauergesellschaft ist das einander sowie dem Verstorbenen in herzlichem Hass verbundene Orchester, und die Route der CS Europa Cultural Cruising führt nicht durch die Adria, sondern durch die Straße von Gibraltar Richtung Ägäis.

Eine preisgekrönte Komposition namens "Human Rights Nr. 4."

Aber ansonsten sind die ersten 90 Minuten des Abends ganz nahe an der Vorlage – erzählt wird von einer Gesellschaft, die langsam an Eitelkeit und ästhetischer Verfeinerung erstickt. Es gibt schmerzhafte Witze auf Kosten der Untergebenen (wie schön ein Sprachfehler sein kann, wenn Lina Beckmann als Servicekraft Arschtritt, sorry, Astrid unter ihm leidet!), ein Hummer flüchtet vom Teller, und sobald die Nicht-Handlung stockt, wird musiziert. Das Opus Magnum des toten Maestros, "Human Rights Nr. 4", das vom stellvertretenden Dirigenten (Charly Hübner) so enervierend wie reizend als "Humen raits" angekündigt wird.

schiff 5 560 matthias horn uEuropa noch unter sich: Yorck Dippe, Rosemary Hardy, Sasha Rau, Rosemary Hardy, Josefine Israel,
Bettina Stucky, Julia Wieninger, Charly Hübner (hinten: Michael Wittenborn) © Matthias Horn

Großartige Langeweile also, die Beier da anrichtet, Marthaler im Mittelmeer. Nachdem man zum fünften Mal über Julia Wieningers österreichische Giftigkeit gekichert hat, nachdem Kathrin Wehlisch sich als nackter, schöner Engel über die Szene schleppte, nachdem Josef Ostendorf im roten Kleid "I am beautiful" sang und riesige Clownsfische über die ansonsten alles Maritime vermeidende Bühne (Johannes Schütz hat eine Art Wohnregal gebaut) geschwebt sind, nachdem man sich also an all den Schauwerten dieser Inszenierung sattgesehen hat, denkt man dann aber, dass da doch noch etwas kommen müsste. Schärfe, politische Härte, eine Einlösung des Versprechens, das das Programmheft mit Texten von Étienne Balibar bis Slavoj Žižek macht. Ein Kommentar zur Katastrophe, die ein sich nach Süden abschottendes Europa im Mittelmeer verantwortet.

Hilfe für den depressiven Kontinent

Es kommt: ein radikaler Schwenk. Die CS Europa nimmt wie bei Fellini Schiffbrüchige auf, dunkelhäutige Männer, die mehr oder weniger störend während der slapstickfrohen Bestattung auftauchen. Ihr Ensemble hat Beier hier mit fünf Performern aufgestockt, hauptsächlich aus der deutsch-ivorischen Theaterfamilie von Gintersdorfer/Klaßen, große Künstlerpersönlichkeiten also mit Anknüpfungspunkten an die westafrikanische Popkultur einerseits, an postdramatische Diskursfreudigkeit andererseits. Und diese Performer kapern zwar nicht das Schiff, aber zumindest das Stück. Europa helfen wollen sie, weil in Abidjan Dokus gezeigt würden, "Europa, der depressive Kontinent", da muss man doch was tun! Humor, Ironie, Aggression, am besten alles auf einmal.

schiff 6 560 matthias horn uMichael Wittenborn, Maurice Mustatea, Ibrahima Sanogo, Kathrin Wehlisch, Charly Hübner, Sayouba
Sigué, Gotta Depri, Michael Seganzi, Patrick Joseph © Matthias Horn

Nach der Pause kippt das Stück zeitweilig in eine Lecture zum Thema "Aussterbende Arten", Beispiel: die Deutschen, die kaum noch Kinder bekämen, ihre Alten abschieben würden, aber zumindest hohe moralische Standards hätten (während im Hintergrund Bilder von Beckenbauer, VW und Altkanzler Schröder Arm in Arm mit Putin zu sehen sind). Und Kathrin Wehlisch schließlich lässt die europäische Maske fallen: "Ich bin Künstlerin! Ich bin Linke!" Ja, die Europäer sind die Guten, aber die Kabine sollen die ungebetenen Gäste dann doch besser verlassen, weil: "Wenn ich euch jetzt meine Kabine überlasse, werdet ihr früher oder später das ganze Schiff haben wollen!" Ihr kann geholfen werden – die Refugees werden auf ein isländisches (die Arktis wird auch im Mittelmeer verteidigt!) Frontex-Aufklärungsboot abgeschoben. Und Tschüss.

Keine Helden, nirgends

Beier wagt sich also tatsächlich dahin, wo es weh tut. Das Stück gibt keine einzige Antwort, dafür schüttet es das Publikum mit Fragen zu: "Was wird länger existieren?" fragt Michael Sengazi, "die EU oder Deutschland? Und wenn es Deutschland ist, welches Deutschland ist es dann? Das vor zehn Jahren? Das vor 50 Jahren? Oder vor 80?" Zudem reproduziert der Abend Rassismen, aber es ist nicht klar, auf wessen Kosten diese überhaupt gehen: Die Afrikaner tanzen und singen, Europa schottet sich ab, und eine harmonisierende Refugees-welcome-Gesellschaft wünscht sich im Grunde ein koloniales Oben und Unten, mit edlen Rettern und dankbaren Geretteten. Keine Helden, nirgends: Das hochkreative Pingpong mit den Positionen hinterlässt eine tiefe Verstörung.

Patrick Joseph wendet sich ans Publikum, er möchte das Theater kaufen. Und phantasiert sich in eine Position der Macht: "Alles würde ich ändern. Erstens: keine Nackten mehr auf der Bühne! Und zweitens: nur noch Klassiker!" Gelächter, Angst. Indifferenz. "Schluss jetzt!", beendet Beckmann diesen großen Abend als kleine Probensituation, "Wer glaubt euch denn noch?" Wir wissen, bei Fellini geht die Geschichte nicht gut aus für Europa.

Schiff der Träume
Ein europäisches Requiem nach Federico Fellini
Textfassung: Karin Beier, Stefanie Carp, Christian Tschirner
Regie: Karin Beier, Bühne und Kostüme: Johannes Schütz, Komposition und Musikalische Leitung: Jörg Gollasch, Choreographie 1. Teil: Valenti Rocamora i Tora, Choreographie 2. Teil: Gotta Depri, Sayouba Sigué, Licht: Annette ter Meulen, Video: Meika Dresenkamp, Dramaturgie: Stefanie Carp, Christian Tschirner.
Mit: Lina Beckmann, Gotta Depri, Yorck Dippe, Rosemary Hardy, Charly Hübner, Josefine Israel, Patrick Joseph, Jan-Peter Kampwirth, Josef Ostendorf, Sasha Rau, Ibrahima Sanogo, Michael Sengazi, Sayouba Sigué, Bettina Stucky, Kathrin Wehlisch, Julia Wieninger, Michael Wittenborn, Musiker: Ruben Jeyasundaram, Michael Leuschner, Maurice Mustatea, Yuko Suzuki.
Dauer: 3 Stunden 25 Minuten, eine Pause

www.schauspielhaus.de

 

Kritikenrundschau

Michael Laages schreibt auf der Website des Deutschlandfunks (6.12.2015), Karin Beier habe sich Fellinis "Schiff der Träume" "vor dem Anwachsen des Zustroms" der Flüchtenden, "also 'vor Syrien'" gesucht. "So musste der Kreuzfahrtdampfer noch mal kurz ins Trockendock vor der Premiere, um mit beträchtlicher dramaturgischer Mühe sturmfest gemacht zu werden für die neue Gegenwart. Das ist einigermaßen gelungen." Im ersten Teil entfessele Karin Beier "ein hinreißend schwarzhumoriges Orchester-Gemetzel", und am Ende drifte "der merklich zu lange Abend" auch "noch herüber in die Gegenwart". Viel Mühe sei dafür nötig gewesen, "aber die ist gut angelegt".

"Den Spieß einmal umdrehen und der europäischen Gesellschaft den Spiegel vorhalten", das sei "an sich noch nicht originell", meint Katja Weise auf NDR (6.12.2015), "aber Karin Beier und ihre Schauspieler widmen sich hingebungsvoll und ohne Scheuklappen so ziemlich jedem Klischee. Sie deklinieren die Themen Flüchtlinge, Festung Europa und Tod rotzfrech durch". Beier gelinge "ein staunenswerter Abend, der getragen wird von einem hervorragenden Ensemble und der Musik von Jörg Gollasch, die das Schiff mal sanft bettet, mal durch schwere Wasser geleitet und zur gelungenen Gesamtkomposition ganz entscheidend beiträgt."

"Ist es eigentlich ein Zeichen der Dekadenz, ins Theater zu gehen und sich wie Bolle zu amüsieren?" fragt Maike Schiller im Hamburger Abendblatt (7.12.2015). Es sei jedenfalls "ein Zeichen von dramaturgischem Mut, ein ganzes Publikum fast zwei Stunden lang mit einer Inszenierung zu unterhalten, diese Inszenierung dann jedoch radikal, plötzlich und elementar zu brechen und in weiteren anderthalb Stunden einen komplett anderen Weg in einer gänzlich anderen Akzentuierung weiterzugehen. Es ist riskant – aber deutlich." Im zweiten Teil werde zwar noch immer gelacht, "allerdings deutlich unsicherer. Stattdessen wird der Abend nun laut, unverblümt, ironisch, körperlicher, offen provozierend." Mehr als "ein legitimer Versuch" sei "dieser ungewöhnliche Abend allemal. Nur leider viel zu lang und bisweilen dann doch ärgerlich didaktisch."

Beiers "Schiff der Träume" versinke "leider in einem Meer von Sprechblasen", meint Wolfgang Höbel auf Spiegel Online (7.12.2015), man meine diese Blasen "aus Fernsehtalkshows, mittelschlauen Essays und Polit-Kabarettnummern längst zu kennen". Das Ergebnis sei "ein Abend, der mehr und mehr im heiteren, aber intellektuell stark unterkomplexen Chaos versinkt." Man betrachte "ein paar halbherzige Versuche der weißen Trauergesellschaft, mit den afrikanischen Fremden ins Gespräch zu kommen – und sehen schließlich alle zusammen tanzen. Spätestens in dieser tänzerischen Verbrüderung" versinke die Aufführung "im schieren Kitsch". Mehr als "diskursives Kuddelmuddel" komme nicht heraus.

"Erst kommt das Spiel, dann die Moral", so Simon Strauss in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (8.12.2015). "Das, was die filmische Vorlage hergegeben hätte, nämlich die dramatische Suggestivkraft einer Parabel, schwächt Hausherrin Beier durch die unbedarfte Politisierung extrem ab. Sie wickelt gewissermaßen in diskursiven Plüsch ein, was – in seiner Urform belassen – durchaus eckig und kantig gewesen wäre."

"Das Ganze ist von einer derartigen Holzschnittartigkeit, dass man beinahe von positivem Rassismus sprechen möchte", schreibt Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (10.12.2015). "In dieser Form ist die hoch gepriesene Auseinandersetzung der deutschen Theater mit der Flüchtlingssituation jedenfalls nichts anderes als genau jene Bigotterie, die es seinem Publikum und der Politik eigentlich vorspiegeln möchte."

Der Abend schwimme "auf dem Kamm der aktuell mächtigsten Debattenwelle", so Oswald Demattia im Wiener Standard (14.12.2015). Beier sei zwar nie ganz auf Fellinis Höhe, aber stets so hinreißend stilsicher, "dass selbst die derbsten Kalauernummern wie mit eleganter Liebenswürdigkeit imprägniert wirken". Dann aber werde das Schiff geentert: "This is a Katastrophe, ach was, this is the naked Elend."

Kritiken zum Gastspiel der Inszenierung beim Berliner Theatertreffen 2016

"Der erste Teil sieht aus wie ein schwacher Marthaler-Abend", der zweite werde "eine schlechte Maxim-Gorki-Theater-Kopie", schreibt Rüdiger Schaper im Tagesspiegel (8.5.2016). Beier biete dort "einen Haufen selbstsüchtiger, dämlicher und im tiefsten Herzen rassistischer Künstlertypen" auf. Kurzum: "Ein dummer Abend, antirassistischer Rassismus, schon im Programmheft erkennbar: Die Weißen haben Rollen mit Namen, die Schwarzen spielen sich selbst. Zweiklassengesellschaft."

Dirk Pilz nimmt diesen Eröffnungsabend des Theatertreffens in der Berliner Zeitung (8.5.2016) vor allem als politisches Statement wahr: "Es ist wichtig, dass sich das Theater mit Flüchtlingen befasst. Ja. Aber so?" Beiers Inszenierung sei "zwar bühnenmittelmäßig ganz trendig auf der richtigen modischen Seite, tut aber so, als sei das Ausstellen von Dilemmata schon eine politische Antwort auf die gegenwärtige Gemengelage. Die Flüchtlingsfrage als ästhetische Auslegeware wohlfeiler Widersprüche. Meine Güte."

Katrin Bettina Müller von der taz (8.5.2016) lobt den Unterhaltungswert und die schauspielerischen Leistungen, kritisiert allerdings auch den etwas einfachen "Trick dieser Inszenierung: Sie lässt in den weißen und schwarzen Schauspielern zwei Kunstmilieus aufeinanderprallen, die dann als jeweils repräsentativ für Europa und Afrika, für die Konvention und das Andere stehen. Das hat zwar großen Witz, ahmt aber genau die Zuschreibungen nach, aus deren Korsett man ja eigentlich heraus will. Ein dann doch sehr einfaches Schwarzweiß."

 

Kommentare  
Schiff der Träume, Hamburg: peinlich ausgedacht
Sehr geehrter Herr Schreiber,
ist diese Beschreibung Ihr ernst? Waren Sie wirklich da?
Es war doch simpler Theaterkitsch, am Ende kuscheln und tanzen alle miteinander… Inhaltlich dünn, ästhetisch naja und einfach nur gutmenschgemeint ohne alles zu Ende zu denken?! Ich fands vor allem peinlich ausgedacht und schlecht gemacht.
Schiff der Träume, Hamburg: kam noch was
@Weichspüler: Naja, nach der Kuschelszene kam ja noch was - die Abschiebung, der ironische Schlusstwist. Nicht gesehen? Oder wollten Sie nur Ihren Ärger über die "Gutmenschen" loswerden.
Schiff der Träume, Hamburg: wohlfeil und unterkomplex
Dieser Abend ist ärgerlich unterkomplex geblieben und ging komplett am aktuellen Diskurs vorbei. Eine ärgerliche Afrika-Romantisierung fand da statt. Auch muss man hinterfragen, warum die schwarzen zweifellos tollen Edel-Performer nun stellvertretend für "Flüchtlinge" auftreten müssen - ist das nicht per se schon diskriminierend? Schwarzer = Flüchtling? Sie sahen genauso wenig wie Flüchtlinge aus wie die Edel-Schauspieler mit weißer Hautfarbe. Keins der drängenden Dilemmata unserer Tage wurde ernsthaft aufgegriffen. Was für ein wohlfeiles Europa-Bashing. Den Herausforderungen der Flüchtlingszahlen in Deutschland wird das nicht ansatzweise gerecht.
Schiff der Träume, Hamburg: peinlich und verfehlt
Ich kann mich dem Vor-Vorredner nur anschließen: peinlich ausgedacht. Dem Diskurs um Jahre hinterhergehinkt. Eine peinliche Gintersdorfer- und Gockel-Imitiation, die aber völlig aus den Augen verliert, dass dieses arme ach so veraltete Europa, das sein armen Alten in Altersheime steckt (ich bin froh, dass es sie gibt, in den meisten afrikanischen Ländern gibt es nicht mal Krankenhäuser für alle), immerhin Feminismus, Pressefreiheit, Kulturförderung, Diskursfreudigkeit und Säkularität als Werte mit sich bringt. Unter vielen anderen. Ein anbiedernder Abend. Eine Analyse oder gar Lösungsansätze der deutschen Zustände - leider völlig verfehlt.
Schiff der Träume, Hamburg: gegangen
Ich fand es ebenfalls peinlich und hohl mit Kalauern, bei denen es mir gruselte, und vor allem so bedeutungsschwanger, dass ich nach 80 Minuten, als sich die Urne leerte, gelangweilt gegangen bin....
Schiff der Träume, Hamburg: gegenüber Ohnsorg
Noch kürzlich wollte ich mich beim gegenüberliegenden Ohnsorgtheater beschweren, dass ein Plattdeutsches Stück nicht zwingend aus lauter unterirdischen Plattitüden bestehen muss. Und dass man schliesslich nicht in der Provinz sei, sondern das vorbildliche Hamburger Schauspielhaus direkt gegenüber liege. Diese Kritik geht nach Schiff der Träume nun komplett ins Leere.
Schiff der Träume, Hamburg: ärgerlicher Sexismus
Um Lina Beckmann zu paraphrasieren, die einen der letzten Sätze des Abends spricht: "Wir haben einiges gesehen, was uns schon ganz gut gefallen hat." Kulisse und Musik waren großartig. Und wenn sämtliche Klischees, die es zum Thema Flüchtlinge geben kann, an einem Stück und in unterhaltsamer Form vorgetragen werden, hat das schon einen gewissen aufklärerischen Ratlosigkeitseffekt. Die "Edel-Performer" könnte das Schauspielhaus gern häufiger mitspielen lassen, dann würden sie wahrscheinlich auch bald mal als Schauspieler bezeichnet. Ärgerlich war der Sexismus der Inszenierung. Die mitspielenden Schauspielerinnen, die schon im ersten Teil überwiegend begleiteten, hatten im zweiten Teil (in dem sie sich wenigstens nicht mehr permanent ausziehen und anfassen lassen mussten) kaum noch Sprechrollen. Anders als die expliziten Klischees zum Thema Flucht und Abschottung konnte das nicht als ironisch interpretiert werden. Am Ende viel Applaus im vollen Haus.
Schiff der Träume, Hamburg: virtuoses Spiel mit Klischees
Die wohlmeinende Mehrheitsgesellschaft hat nur zwei modi operandi den Flüchtenden gegenüber: Bevormundung und Angaffen des “Exotischen”. Ob sie ihre “werte” den Gestrandeten aufzuzwingen versuchen oder sich in einem grotesken Verbründerungsritus diesen regelrecht anbiedern: Der kolonialistische Blick auf das vermeintlich Fremde bleibt intakt und er ist immer einer der Selbstüberhöhung. So weit so klar, doch so leicht will es uns Karin Beier nicht machen. Der wirksamste Teil des Abends besteht in seinem virtuosen und zunehmend ambivalenten Spiel mit rassistischen Klischees und Vorurteilen. Die “Afrikaner” sprühen vor Lebensfreude, ihr Vortrag und Spiel ist voller Energie und “Vitalität”, sie performen, rappen und tanzen (das vor allem). Die “afrikanische Lebensfreude”, die unbändige “Energie”, das Rhythmusgefühl, all diese Klischees und Vorurteile, spielen die Performer genüsslich aus. wie Rattenfänger ziehen sie nicht nur die Trauergemeinde, sondern vor allem das Publikum in den Bann. Dass das nicht in purer Affirmation besagter Klischees passiert, kann dem unaufmerksamen Zuschauer durchaus entgehen, sind die Hinweise gewollt subtil eingestreut. So wird der vermeintliche Bewegungsdrang ein-, zweimal zum verkrampften Zwang, aus dem sich der “Tänzer” kaum zu befreien vermag, und weist einer der Darsteller halblaut darauf hin, dass er Schauspieler sei, kein Flüchtling. Aber nein, er ist ja Schwarzer, also arm, unterprivilegiert, Flüchtling. Zuweilen weiß man nicht, was schlimmer ist: Der offene Hass der sich überlegen Fühlenden (vor allem Katrin Wehlisch erschüttert in einer Szene ungefilterten Ressentiment-Ausbruchs samt ritualhafter Selbstkasteiung), der neokolonliastische Gestus der Möchtegernhelfer oder das unreflektierte Lachen von Teilen des Publiukums.

Auch wenn der Abend so manche Länge hat – das dann doch etwas unterkomplexe und sanft ironisierte Lecture Theatre nach der Pause etwa – ist der Spiegel, den er uns, den Wohlstands- und Kulturbürgern, deren verzerrten Entsprechungen auf der Bühne wir gezwungen sind zuzuschauen, ein ebenso unnachgiebiger wie präziser. Mann kann Karin Beier vorwerfen, dass das Spiel mit Klischees, Rollenzuweisungen und Vorurteilen zuweilen zu subtil, die Ambivalenz zu weit getrieben ist, weil sie dem Zuschauer die Option gibt, sich zurückzulehnen und das, was er sieht, nicht zu hinterfragen, doch sind die Störer, die Stachel im Unterhaltungsfleisch doch klar genug gesetzt, dem Publikum die Entscheidung abzuringen, wie es mit dem Gesehenen umgehen soll. Es ist ein Abend, der Fragen stellt, viele Fragen, nach der Basis und der Zukunft Europas, den Motivationen, zu helfen oder es nicht zu tun, den vielbeschworenenen “europäischen Werten” und danach, wie sehr wir rassistische Überzeugungen und kolonialistische Überlegenheitsgefühle wirklich abgeschüttelt haben. Die antworten verweigert er, geht irgendwann in einer Art Probensituation zu Ende, bricht einfach die Illusionsbehauptung und sich selbst ab, lässt uns allein, mit der Entscheidung, ob wir die gestellten Fragen annehmen und wenn ja, wie wir uns ihnen stellen. Wir können auch einfach unreflektiert weiterlachen. Nein, Karin Beiers “europäisches Requiem” macht es uns nicht leicht. Darf es auch nicht.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2016/04/17/europa-im-spiegel/
Schiff der Träume, Hamburg: zum Gähnen
Die erste Hälfte ist zum Gähnen. Erschreckend ideenlos schleppt sie sich dahin. Ein paar Slapstick-Nummern, Sprachfehler und Kalauer, ansonsten zu viel Leerlauf.

Die zweite Hälfte wird leider nicht besser, sondern scheitert beim hilflosen Versuch, mit Klischees zu spielen.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2016/05/08/theatertreffen-2016-eroeffnungs-kritik-schiff-der-traeume-geht-unter/
Schiff der Träume, Hamburg: Fragen
Das war jetzt der Beitrag zum Thema Theaterdeutschland 2016 Flüchtlinge und zugleich die TT-Eröffnung? Warum? Weils aus Hamburg ist? Frau Beier die besten Connactions hat? Warum?
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