Geld stinkt nicht, Fürze schon

22. September 2023. Mateja Koležnik, bekannt für ihre detailliert ausgestatteten, dennoch knappen Seelenerkundungsabende, wagt sich in Frankfurt an eine Komödie. Und zelebriert bei Molière den Bühnenslapstick, als erfände sie ihn eben neu.

Von Martin Thomas Pesl

"Der Geizige" am Schauspiel Frankfurt © Thomas Aurin

22. September 2023. An eine goldene Wand schmiegt sich ein Tänzer, Stiefel und Shorts in schimmerndem Schwarz; über den nackten Rücken fällt langes, helles Haar. Dann dreht er sich um, und es ist Peter Schröder, 65, als Harpagon, Titelheld in Molières Komödie "Der Geizige". Strahlend breitet er die Arme aus, alles seins – der Reichtum als Fetisch.

Arm, aber sparsam

So hebt am Schauspiel Frankfurt die neue Spielzeit an, für die Intendant Anselm Weber eine hundertprozentige Regiefrauenquote im großen Haus angekündigt hat. Es ist also klar, dass diesen Eröffnungsabend eine Frau verantwortet. Dass diese Frau aber Mateja Koležnik ist, würde angesichts ihrer Inszenierung wohl kaum jemand erraten.

Mit betont kurzen, beklemmend psychologischen Abenden hat sich die Slowenin im deutschen Sprachraum einen Namen gemacht, ihre Bochumer Kinder der Sonne waren 2023 zum Theatertreffen geladen. Die meisten ihrer Räume sind mit fast britischer Konkretheit ausgestattet. Hier hingegen arbeitet Koležnik mit dem Bühnenbildner Olaf Altmann, bekannt für abstrakte, archaisch-wuchtige Setzungen. Die Goldwand ist der Mittelteil eines portalhohen Triptychons aus Drehtüren, ihre Rückseite so schwarz wie das meiste andere, einschließlich der Kostüme von Ana Savić-Gecan, die die Barock-Ästhetik der Molière-Zeit spektakulär ins Groteske verzerren. Sarah Grunert als Tochter Élise etwa steckt in einem steifen Korsettkonstrukt, das ihr ein paar Silly Walks abverlangt.

der geizige1 1200 c thomas aurin uKostümexplosion vor der Goldwand: Peter Schröder als Harpagon (2. v.r.) und Familie © Thomas Aurin

Ungewöhnlich im Œuvre der Mateja Koležnik ist aber das Genre du jour: Hat sie schon einmal eine ausgewiesene Komödie gemacht, noch dazu eine mit so zugespitzten Typen und einer so simplen Botschaft (Geiz ist nicht geil)? Harpagon hat seinen Geldschatz im Garten vergraben, seine Kinder will er nach pekuniären Maßstäben verheiraten – ohne Mitgift die Tochter, gegen eine große Mitgift den Sohn –, für sich selbst macht er eine Ausnahme, weil ihm die Kupplerin vorrechnet, dass seine Auserkorene zwar arm, aber sparsam ist.

In der Drehtür

1668 uraufgeführt, ist "Der Geizige" einer der nicht gereimten Molières. Dramaturgin Sabrina Zwach musste die Fassung also nur behutsam modernisieren, nicht wie einst für Herbert Fritsch zum furiosen Wortkunstwerk umschreiben. Dafür machte sich Zwach die Mühe, Menschen in der Banken-und-Obdachlosen-Hochburg Frankfurt zum Thema Geiz zu befragen. Tief drang sie nicht vor, aber das launig verfasste Programmheft lohnt die Lektüre.

Ihre Regisseurin wagte sich unterdessen an das neuartige Genre aus interessierter Distanz heran. Klassiker des Slapstick wendet sie mit einer Bedächtigkeit an, als geschehe dies zum ersten Mal. Da jagen einander zwei durch die Drehtür im Kreis, und plötzlich taucht noch ein Dritter zwischen ihnen auf. Da sprechen zwei Angestellte abwechselnd je ein Wort und werden so zu einer Person. Da furzt einer und alle grausen sich, weil es stinkt. Später furzt er wieder und noch einmal und noch viele Male. Zwei Choreograf:innen waren für die verschiedenen Bewegungsformen engagiert.

Wo bleibt die szenische Effizienz?

Protagonist Peter Schröder trägt die gewagte Kluft mit Würde (nach dem Epilog darf er sich was drüberziehen). Sein Harpagon ist in seiner Selbstgerechtigkeit gefestigt und gar nicht so lächerlich, wie alle anderen ihn beschreiben. Nicht einmal, wenn er gegen die Wand knallt, weil er trotz intakter Sehkraft eine Brille aufgesetzt hat. Ebenbürtig Paroli bietet ihm Katharina Linder als "Gelegenheitsmacherin" Frosine. Die junge Generation der Liebenden, wie Torsten Flassig als Sohn Cléante und Jannik Mühlenweg als Fast-Schwiegersohn Valère, beweist körperliche und sprachliche Haltung.

der geizige4 1200 c thomas aurin uVerkupplungsversuche: Torsten Flassig, Peter Schröder, Tanja Merlin Graf, Katharina Linder © Thomas Aurin

Was fehlt, ist die szenische Effizienz à la Koležnik. Und um die ist es schon sehr schade. Dass der Frankfurter Schickeria kein Spiegel vorgehalten wird: geschenkt. Nur gilt die Dauer von mehr als zwei pausenlosen Stunden bei dieser Regisseurin sowieso als episch. Angesichts der eher unterkomplexen Handlung und des jungfräulichen Zugangs zum Thema Humor erscheint sie – nicht direkt langweilig, aber aufregend eben auch nicht.

Bis zur Schlussszene! Das Stück schreibt eine dieser unseligen Deus-ex-machina-Auflösungen vor: Die armen Geliebten sind eigentlich Söhne eines reichen und großzügigen Mannes. Zu den haarsträubenden Enthüllungen und einem Rhythmus von Bert Wrede tanzt das gesamte Ensemble eine elaborierte Choreografie, die auch das Aufwirbeln von Goldglitzer beinhaltet. Da kommt Freude auf! Und Premierenjubel. Diese fünf Minuten funktionieren wie das letzte Bild des einsamen, aber glücklich mit seiner Goldwand vereinten Harpagon: blendend.

Der Geizige
von Molière
Regie: Mateja Koležnik, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Ana Savić-Gecan, Musik: Bert Wrede, Choreografie: Matija Ferlin, Magdalena Reiter, Licht: Marcel Heyde, Dramaturgie: Sabrina Zwach.
Mit: Diana Birmann, Max Böttcher, Torsten Flassig, Tanja Merlin Graf, Sarah Grunert, Katharina Linder, Jannik Mühlenweg, Peter Schröder, Michael Schütz, Lara Seeger, Yannick Sturm, Wolfgang Vogler, Andreas Vögler, Uwe Zerwer.
Premiere am 21. September 2023
Dauer: 2 Stunden 5 Minuten, keine Pause

www.schauspielfrankfurt.de

 

Kritikenrundschau

In der Frankfurter Rundschau (23.9.2023) konstatiert Judith von Sternburg: "Einiger Jubel für einen auch handwerklich feinen Abend, der nicht viel über sich selbst hinaus bedeuten will und auch tatsächlich nicht viel über sich selbst hinaus bedeutet."

Bettina Boyens von der Frankfurter Neuen Presse (23.9.2023) hat "ein herrlich amüsierwilliges Ensemble, das mittels grotesk ins Extreme getriebenen schwarzen Barockroben (Ana Savic-Gecan) zu individuellen Charakteren heranreift“, erlebt und hält fest: "Nach jubilierenden Goldkonfetti-Kanonen geht auch das Publikum mit und spendiert großen Beifall für einen gelungenen Saisonstart."

Genervt ist Simon Strauß von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (22.9.2023): Von "Molières verantwortungsvollem Arztblick auf die krankgeschriebenen Menschen aller Zeiten, ist in der Frankfurter Inszenierung von Mateja Koležnik nicht viel zu sehen. Stattdessen kennzeichnet ihre Regie ein grell grotesker Zug. Neben deftige Schwülstigkeit reiht sich affiger Überausdruck: Überall wackelnde Brüste, kicherndes Schrittgrapschen, künstliches Husten – es wird viel nach Luft geschnappt, viel auf Knien gerutscht und viel übertrieben gestikuliert. Anziehungslose Absurditäten reihen sich aneinander."

Kommentar schreiben