Sie ist es so leid

16. März 2024. Die georgische Autorin Nino Haratischwili schreibt Mythen neu: mit Fokus auf der weiblichen Perspektive. Wie sähen die alten Geschichten aus, wenn die Protagonistinnen frei und selbstbestimmt Handelnde wären? Max Lindemann inszeniert ihre Version der Königsgattin Phädra.

Von Grete Götze

"Phädra, in Flammen" von Nino Haratischwili am Schauspiel Frankfurt © Jessica Schäfer

16. März 2024. Kann es sein, dass eine Inszenierung, der ein großer Mythos zugrunde liegt, die handwerklich sauber gearbeitet ist und gar nicht so wenige interessante Ideen hat, einen trotzdem nicht berührt? Leider schon.

Nino Haratischwili, die deutsch-georgische Autorin, in deren Texten die weibliche Perspektive einen gewaltigen Raum einnimmt, hat sich antike Frauen-Mythen vorgenommen und sie dramatisch überschrieben. Bisher aufgeführt wurden "Phädra, in Flammen" und "Penthesilea, ein Requiem". Dem Erstling, "Phädra, in Flammen", liegt die mythische Erzählung zugrunde, in der sich die Gattin des Königs von Athen und Enkelin des Sonnengottes Helios Phädra, von Aphrodite verzaubert, in ihren Stiefsohn Hippolytos verliebt und von ihm zurückgewiesen wird. Aus Rache beschuldigt sie ihn, sie geschändet zu haben, und tötet sich selbst. Auf ihn wird ein Meeresungeheuer gehetzt, so dass er von seinem Wagen fällt und zu Tode geschleift wird.

Traumartig-surreale Szenerie

Bei Haratischwili verliebt sich Phädra nicht in ihren Stiefsohn, sondern in ihre künftige Schwiegertochter Persea – gleichgeschlechtliche Liebe ist ihr Thema. In der Überschreibung sind es Hunde, welche die Geächtete am Ende in einer jubelnden Menge zerfleischen, endlich gibt es wieder ein Menschenopfer!

Phaedra in Flammen 3 CJessica Schaefer uLotte Schubert und Anna Kubin als Persea und Phädra © Jessica Schäfer

Dieser grausamen Erzählung angenommen hat sich in Frankfurt Max Lindemann, der zum ersten Mal am Haus Regie führt. Er und Bühnenbildnerin Signe Raunkjær Holm haben die Kammerspiele in eine der traumartigen Szenerien aus David Lynchs Film "Lost Highway" aus dem Jahr 1997 verwandelt. Auf eine Scheibe in der Bühnenmitte wird ein Auto geschoben, später werden noch Platten mit wilden Blumen auf die Bühne getragen, die den Eindruck einer surrealistischen Traumlandschaft verstärken.

Hinter dem Mann zurückgetreten

Das erste Wort hat natürlich Phädra, der Anna Kubin etwas Eiskalt-Mechanisches verleiht. Hier steht eine wohlhabende Frau auf der Bühne – blaues Hemd, Schnallenschuhe, erstaunlich glattes Gesicht – die zwei Kinder großgezogen hat und immer hinter den Bedürfnissen ihres Mannes Theseus und seinen Machtansprüchen zurückgetreten ist. In Frankfurt gibt es einige dieser Frauen, die, ausgestattet mit den besten Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben, ihren Ehrgeiz irgendwann in ihre Kinder und das berufliche Vorankommen ihres Mannes münden lassen. Phädras erster Satz, der auch ihr letzter sein könnte, ist: "Ich bin es so leid."

Wie ein Blasebalg pustet Anna Kubin die Worte aus sich heraus, verbittert, aufrecht, unbeweglich. Sie holt erst wieder Luft, wenn sie keine mehr hat, nicht, wenn die Satzlogik es verlangen würde. Umgeben ist sie von eindimensionalen Männerfiguren: Theseus ist machthungrig, der Erstgeborene Demophon in gleicher Weise ausgerichtet. Der Hohepriester Panopeus, der mit seinem religiösen Fundamentalismus Unheil über die Stadt bringen wird, ist einfach nur böse. Und hier wird es leider schon problematisch, denn feministisch sein, indem die Männerfiguren holzschnittartig sind, hilft dem Feminismus ja auch nichts. Einzig Acamas, der jüngere Sohn von Phädra und Theseus, gespielt von Mitja Over, stolpert unbeholfen-kindlich in seine Rolle herein und ermöglicht seiner Figur so ein wenig mehr Spielraum. Er möchte nicht ins Heer, sondern lieber Hunde streicheln und mit seiner künftigen Schwägerin Persea kiffen.

Antiklischeeromantische Setzung

Auch Lotte Schuberts Spiel unterscheidet sich wohltuend vom Rest des Ensembles. Offenbar zufällig in die Rolle der Verlobten des Königsnachfolgers geraten, hat sie sich einfach in ihre künftige Schwiegermutter verliebt und lässt sich gar nicht davon irritieren, dass diese sie zuerst ablehnt und ihr entgegenschmettert, sie stehe "auf Schwänze". Die kurzen Liebesszenen zwischen Persea und Phädra, sich aneinander schmiegend im Blumenfeld, zusammen im Auto kichernd, sind zwar eine interessante, antiklischeeromantische Setzung. Aber der Zuschauer kommt bei der Entwicklung nicht mit, oder es gibt keine. Phädra verharrt mit starrem Gesicht im Auto, während Panopeus in einer klassischen griechischen Mauerschau beschreibt, wie Persea wegen ihrer Homosexualität den Hunden zum Fraß vorgeworfen wird.

Phaedra in Flammen 2 CJessica Schaefer uGeschwisterliche Szene mit Unfallwagen: Lotte Schubert, Mitja Over © Jessica Schäfer

Max Lindemann verweigert sich dem von Haratischwili vorgesehenen Ausgang, dass es wieder die Frauen sind, die als Opfer den Abend beschließen. In seiner Lesart setzt sich Persea, nachdem sie von den Hunden zu Tode gefressen wurde, einfach wieder ins Auto zu Phädra. Das ist gar keine uninteressante Idee. Aber leider fehlt zu vielen Figuren in dieser Inszenierung die Entwicklung, was auch mit dem Stücktext zu tun hat. Demophon hat viel zu wenig Zeit, seine allmähliche Ablösung vom Vater, der sich an die Macht klammert, zu zeigen. Und auch Phädras Figur endet wie sie anfing, glatt, kühl, die Dinge hinnehmend.

Die Szenen in der Inszenierung greifen gut ineinander, die theatralische Art zu sprechen wird durchgezogen. Aber die Motive der Figuren für ihr Handeln erschließen sich nicht. Und es bleibt in ihrem Spiel kein Spalt von Freiraum, durch den eigene Gefühle und Gedanken der Zuschauer zu den Figuren entstehen könnten. Das Spiel ist allzu ernst gemeint.

 

Phädra, in Flammen
von Nino Haratischwili
Regie: Max Lindemann, Bühne: Signe Raunkjær Holm, Kostüme: Eleonore Carrière, Dramaturgie: Lukas Schmelmer, Licht: Jan Walther.
Mit: Miguel Klein Medina (Demophon), Anna Kubin (Phädra), Sebastian Kuschmann (Theseus), Mitja Over (Acamas), Lotte Schubert (Persea), Andreas Vögler (Panopeus).
Premiere am 15. März 2024
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspielfrankfurt.de

 

Kritikenrundschau

In einer Doppelbesprechung mit Don Carlos resümiert Judith von Sternburg "Phädra, in Flammen" für die Frankfurter Rundschau (20.3.2024) wie folgt: "Der Erkenntnisgewinn ist zweimal dezent und der Wachheit des Publikums überlassen, das Ende zweimal abgesägt, die schauspielerische Präsenz des handverlesenen Bühnenpersonals zweimal eine Freude."

Zeuge eines "kühl brennenden Abends" wurde Florian Balke vom Rhein-Main-Teil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (€ | 18.3.2024). Haratischwili deute den „Kern“ des Phädra-Mythos "auf faszinierende Weise um. Bei ihr geht die Leidenschaft nicht von Phädra aus. Es ist Persea, frisch an den Athener Hof gekommen, die der älteren Frau nachstellt", schreibt er. "Haratischwili hält ihren Text betont prosaisch, die Erklärungen für ihr Handeln liefern die Figuren gleich mit. Lindemann inszeniert das nicht gegen den Strich. Ruhig und gleichmäßig treten die Figuren auf Signe Raunkjær Holms Bühne zueinander, folgt Szene auf Szene."

"Was diese Aufführung stark macht, ist die Menschendarstellung, über Distanzen hinweg. Wir erkennen uns wieder", lobt Andreas Falentin für die Deutsche Bühne online (16.3.2024). "Max Lindemann verlässt sich in seiner Debüt-Inszenierung am Schauspiel Frankfurt vor allem auf das Wort. Der Text enthält keine Dopplungen oder Redundanzen. Er erzählt klar. Da, wo die Autorin bedeuten will, wo sie deutlich dem Inhalt und den Figuren eine Richtung gibt, hat der Regisseur gestrichen, etwa den kompletten Epilog."

Kommentare  
Phädra, Frankfurt: Glück
Der Abend ist gross und hat mich sehr bewegt und alles andere als kalt gelassen.
Die Bühne ist der Wahnsinn.
Danke für die intensiven 2 Stunden.
Phädra, in Flammen, Frankfurt: Link
https://www.die-deutsche-buehne.de/kritiken/duell-mit-feinen-klingen/
Phädra, in Flammen, Frankfurt: Wundersam beglückend
Ich war gestern in der 2. Vorstellung von Phädra und verstehe die Kritik überhaupt nicht.
Ein grossartiger Abend mit grossartigen Spielern.
Die Intensität ist auf eine wundersame Weise beglückend.
Phädra, in Flammen, Frankfurt: Ohne Klischees
mich lässt ein Abend nicht kalt, der zeigt, dass letztlich alle menschen, unabhängig von gender etc, an dem system erkranken, in dem wir leben. danke für eine (queere) geschichte, die ohne klischees auskommt. hat mir viel bedeutet.
Phädra, in Flammen, Frankfurt: Unbeding sehenswert
Schon lange nicht mehr hat mich ein Schauspiel so 'abgeholt' wie dieses.Ich wurde durch alle Gefühlsebenen geschleudert- ich habe gelacht geweint,war wütend ,angewiedert, verliebt,hilflos,traurig... Die Schauspieler *innen allesamt- großartig!
Jede Figur ist glaubhaft und es gibt genügend Freiraum für eigene Gedanken und Gefühle.
Unbedingt sehenswert!
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