Büchner goes TikTok

3. September 2023. Wie lässt sich die Welt zum Besseren verändern? Heiligt der gute Zweck die Mittel? Robert Borgmann befragt Büchners Revolutionsdrama auf der Folie unserer Gegenwart und spannt den Bogen von der Französischen Revolution bis zum Klimaaktivismus. Auch der Autor selbst kommt in seiner "theatralen Installation" zu Wort.

Von Karin Yeşilada

"Dantons Tod" in der Regie von Robert Borgmann am Schauspielhaus Bochum © JU Bochum

3. September 2023. War es nun ein großer Wurf oder inszenatorischer Overkill? Das Publikum war gespalten: einige hatten die Premiere von "Dantons Tod" schon lange vor Schluss verlassen. Die meisten waren nach gut zwei Stunden begeistert und jubelten Regisseur Robert Borgmann und dem Ensemble zu. Es gab aber auch etliche, die gar nicht klatschten, es gab welche, die vom "Missbrauchsfall gegenüber Büchner" sprachen, und wieder andere, die angesichts der Inszenierung ratlos blieben.

Borgmanns Ansinnen, Büchners Revolutionskritik von 1835 auf der Folie unserer von Umbrüchen und Krisen geschüttelten Gegenwart zu lesen, überzeugt, und sein von den französischen Revolutionär:innen hin zu den deutschen Klimaaktivist:innen gespannter Schlussbogen funktioniert, zumal er mit einem jungen Ensemble arbeitet. Hier wird die next generation angesprochen, "Am I Next?" steht auf dem immer wieder hochgehaltenen Demo-Schild.

Das Persönliche hinter dem Politischen 

Büchners kritische Reflexionen über den Einsatz von Gewalt als den Zweck bzw. die Revolution (ent-)heiligendes Mittel gehen, auch das macht seinen Text so stark, über 1789 bzw. 1835 hinaus, reichen auch bis hin zu heutigen Kriegs- und Klimakatastrophen. Stark ist hier auch die von Dramaturg Koen Tachelet erarbeitete Textfassung, die dem Dramentext noch Büchners eigene Stimme hinzufügt: "Durch seine Briefe rückt uns der Autor sehr viel näher", so Tachelet im Programmheft, und das Konzept geht auf: Das Persönliche hinter dem Politischen macht das Stück nahbarer, kommentiert die Handlung aus teils ironischer Distanz und wirkt zeitgemäß, zumal sich die Inszenierung der typisch medialen Mittel viraler Selbstinszenierung bedient. Büchner goes TikTok – so weit, so gut.

Danton2 805 JUBochumPersönlich und politisch: Alexander Wertmann, Marius Huth und Risto Kübar in der Bochumer "Danton"-Inszenierung © JU Bochum

Woran aber liegt es, dass die Inszenierung trotzdem nicht so ganz greift? Nicht am Setting aus der von Borgmann in Schwarz gehaltenen, nur mit wenigen schwarzen Gegenständen eingerichteten Bühne, auf der sich die streetstylish schwarz gekleideten Figuren bewegen (Kostüme: Birgit Bungum).

Die theatrale Installation ist als Triptychon angelegt, deren Teile unter Leitsprüchen aus Büchners Text firmieren. Der erste Part "Die Freiheit führt das Volk" spielt im unteren Bühnengeschoss, das über eine große, leicht geneigte Spiegelwand für die Zuschauer einsehbar wird. Dort unten, in einem durch Absperrgitter in kleine Parzellen unterteilten Raum, bewegen sich die Ensemblemitglieder wortlos zum Text aus dem Off. Es geht um die Ausdeutung von Eugene Delacroix' berühmtem Revolutionsgemälde und die Allegorie der Liberté. Stimmen überlagern sich, über allem liegt die von Borgmann komponierte Choralmusik, zu der sich die Figuren unten langsam und fließend bewegen, die errichteten Barrikaden überwinden, in eine Parzelle gepfercht werden, auseinanderstreben. Dieser Mikrokosmos der verlangsamten Körper ist visuell reizvoll, doch das Ganze wird nahezu erdrückt durch die Musik.

Robespierre im John-Lennon-Look

Das zweite Triptychon-Bild ist ein auf den Screen projizierter Film. Der Autor Georg Büchner (Risto Kübar) wandert im rosa Anzug durch einen grünen Wald; sein Bewusstseinsstrom oder auch die Beschreibung seiner Gefühle (Angst, Einsamkeit) werden auf transparente Leinwände projiziert, was sich teilweise schlecht lesen lässt. Zarte Violin- und Cellomelodien (Violine: Jae A Shin / Sunglum-Jennie Yang, Cello: Yiyang Zao / Laura Isbert Prades) untermalen die idyllische Waldkulisse mitsamt Vogelgezwitscher, und so begleiten wir den Autor minutenlang durch den Wald. Das ist, pardon, ziemlich langweilig. Nach zehn Minuten diskutieren sie in Reihe 5, ob sie schon nach Hause gehen sollen; in Reihe 6 fragen sie, was das mit Danton zu tun habe, und als eine Frau in Reihe 7 "Boah, langweilig!" seufzt, dreht sich jemand zu ihr um und pflichtet bei: "Stimmt!"

Danton3 805 JUBochumBüchner auf der Folie unserer Gegenwart © JU Bochum

Dann aber leitet anschwellendes Gewummer in den dritten Teil über, und nun ist die Inszenierung im Drama angekommen. Auf der jetzt ebenen Bühne tobt plötzlich hektisches Revolutions-Chaos, und die Liberté thront auf einem schwarzen Auto-Torso, der automatisch rollend immer seine Kreise um das Geschehen zieht. Endlich kommen die Figuren zu Wort, wird Büchners Text zum Leben erweckt. Da kann Danton (Alexander Wertmann in schwarzweiß gestreifter Trainingshose) seinen Gewissenskonflikt ausagieren, kann Camille (Abenaa Prempeh) vermitteln, Robespierre (Marius Huth mit Sonnenbrille im John-Lennon-Look) wütend antreiben und St. Just (William Cooper in Leder) schließlich richten.

Dazwischen wandelt Büchner umher (Kübar im jetzt abgerockt-zerfetzen Anzug), erklärend, sich bekennend, streckenweise wirr faselnd. Dieser längste Teil leidet ebenfalls unter großem Soundsurrounding, es wummert, sirrt und dröhnt den Text zu oft zu Boden, und auch minutenlanges Stroboskoplicht (in der ansonsten von Carsten Rüger stimmig ausgeleuchteten Bühne) überwältigt unangenehm. Inszenatorischer Overkill.

Wortgewaltig in den Seilen hängend

Dabei bietet der Büchner-Text beileibe genug Raum, den sich die Schauspieler:innen immer dann nehmen (können), wenn sie in Ruhe zu Wort kommen. Dann glänzen sie auch in ihrem Spiel, Abenaa Prempeh, die ihre geschulte Sopranstimme einsetzt, Alexander Wertmann, der auch in den Seilen hängend noch wortgewaltig leidet, William Cooper mit seiner wunderbaren Körperarbeit, Risto Kübar, der den Büchner nervig-vergeistigt gibt – warum muss Büchner eigentlich nerven? –, sowie der vielseitige Marius Huth, der nur zwei Quadratmeter Bühnenbrett benötigt, um darin eine ganze Welt an Charakteren darzustellen, und schließlich zwei couragierte Kinderdarstellerinnen (Tabea Sander und Elina Schäge). Ihr Spiel trägt das Stück, und nur die Hälfte der vielen guten Regie-Einfälle von Männergeknutsche, Autokorso bis Klimakleben hätten es auch schon gerockt, ganz ohne Wumms. Aber das ist nur (m)eine Meinung unter vielen.

 

Dantons Tod
Eine theatrale Installation nach Georg Büchner
Regie, Bühne und Komposition: Robert Borgmann, Kostüme: Birgit Bungum, Kostümmitarbeit: Cornelius Reitmayr, Video: Krysztof Honowski, Lichtdesign: Carsten Rüger, Dramaturgie: Koen Tachelet.
Mit: William Cooper, Niels Karlson Hering, Marius Huth, Risto Kübar, Abenaa Prempeh, Tabea Sander / Elina Schäge, Jae A Shin / Sungkum-Jennie Yang, Alexander Wertmann, Yiyang Zhao / Laura Isbert Prades.
Premiere am 2. September 2023
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspielhausbochum.de

Kritikenrundschau

"Beim emsigen Herbeischaffen sich einander überbietender Einfälle verliert Borgmann das Stück aus den Augen, statt sich auf die begnadete Vorlage zu konzentrieren", urteilt Sven Westerströer in der WAZ (4.9.23, €). Statt in "plausible Schauspielerführung" investiere der Regisseur in "dröhnende Bilder". Der Beifall falle entsprechend "zwiespältig" aus: "Einige jubeln energisch, andere wenden sich ratlos und genervt ab", so der Kritiker.

Die Inszenierung stelle "gute Fragen", kranke aber an einem "Übermaß der Ideen", schreibt Ronny von Wangenheim in den Ruhr Nachrichten (4.9.23, €). In ruhigeren Momenten könne das Ensemble glänzen. Oft jedoch gehe der Abend "unter in ohrenbetäubender Lautstärke, Stroboskoplicht inklusive".

Kommentare  
Dantons Tod, Bochum: Ausgewogen und verständlich
Auch dieses Mal überzeugt die Karin Yeşiladas Nachtkritik "Büchner goes TikTok"
durch Ausgewogenheit und gute Verständlichkeit.
Es macht Freude, sie zu lesen.

Dr. Maike Bouassida
Dantons Tod, Bochum: Feuerwerk ohne Tiefgang
Die bildgewaltigen Inszenierungen, die scheinbar aus einem fiebrigen Traum entsprungen sind, überwältigen die Sinne, doch lassen den Zuschauer im Dunkeln über das eigentliche Geschehen. Die opulenten Kulissen und die überladenen Kostüme ertränken jegliche Nuance der Handlung. Anstatt den revolutionären Geist zu entfachen, erstickt die visuelle Flut jeglichen Funken an Substanz.

Es ist schmerzhaft offensichtlich, dass der Regisseur den eigentlichen Inhalt von Büchners Werk nicht verstanden hat. Statt die Spannungen zwischen Danton und Robespierre zur Geltung zu bringen, wird die Handlung durch einen regelrechten Bilder-Tsunami ertränkt. Die politischen Intrigen und moralischen Debatten, die das Stück ausmachen, gehen in diesem visuellen Overkill verloren.
Dantons Tod, Bochum: Substanzlos
Anstatt sich auf die tiefgreifenden Dialoge und die politische Spannung zu konzentrieren, die Büchners Werk auszeichnen, scheint Ro besessen davon zu sein, die Bühne mit prunkvollen, jedoch substanzlosen Bildern zu füllen. Auch wenn diese visuellen Effekte vielleicht beeindruckend sind, dienen sie lediglich dazu, von der enttäuschenden Darbietung so mancher Schauspieler abzulenken. Es ist offensichtlich, dass Ro trotz seiner langjährigen Erfahrung und vergangenen Erfolge nicht mehr in der Lage ist, das zeitlose Werk von Büchner angemessen zu interpretieren.
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