Genannt Gospodin - Philipp Löhles Stück in Kristo Šagors Uraufführung
Kapitalismuskritik extra light
von Christian Rakow
Bochum, 21. Oktober 2007. Gospodin hat eine Pechsträhne. Mit der Freundin läuft es nicht richtig, seine Bekannten nutzen ihn ein wenig aus und zu allem Überfluss hat ihm Greenpeace sein Lama weggenommen. Mit dem Lama ging er in der Fußgängerzone betteln. Tierquälerei, sagt Greenpeace. Gospodin sagt: "Ich habe mir eine Einnahmequelle gesucht, die mich unabhängig außerhalb jeder Arbeitsmühle angenehm antikapitalistisch überleben lässt."
"Antikapitalistisch" ist überhaupt das Stichwort. Jungautor Philipp Löhle (Jahrgang 1978) macht mit seiner, auf dem Stückemarkt des diesjährigen Theatertreffens prämierten Aussteigerfantasie "Genannt Gospodin" thematisch dort weiter, wo er mit "Kauf-Land" (2005) begann: beim Überdruss an der modernen Warenkultur.
Ohne Geld, mit Moral
Einmal in der Besitzlosigkeit angekommen, richtet sich Gospodin darin auch ohne Lama behaglich ein. Er formuliert sein Dogma: "1. Ein Weggang ist auszuschließen; 2. Geld darf nicht nötig sein; 3. Jedweder Besitz ist abzulehnen; 4. Freiheit ist, keine Entscheidung treffen zu müssen." Mit dieser Ideologie dürfte sich Gospodin problemlos für die autarke Kommune Christiania in Kopenhagen qualifizieren. Dass ein solcher Ausstieg aus der Geldwirtschaft im Zeitalter der digitalen Kreditökonomie etwas antiquiert erscheint – geschenkt! Das Stück begnügt sich mit der liebenswerten Herleitung eines schrulligen, irgendwie integren Charakters.
Als Gospodin unverhofft (und aus dunkler Quelle) zu einer größeren Summe Geldes kommt, widersteht er allen Versuchungen, sie für sich oder die Verwandtschaft oder Freunde auszugeben. Die Kapitalismuskritik extra light entpuppt sich als Schule der Moral in der Nähe zu existenzialistischen Erwägungen. Kierkegaard gibt dem Stück das Motto ("Es kommt darauf an, dass einer es wagt, ganz er selbst, ein einzelner Mensch, dieser bestimmte einzelne Mensch zu sein"), und zwangsläufig endet Gospodins Weg im Gefängnis – eben dort, wo auch der Protagonist in Camus' "Der Fremde" sein selbst bestimmtes Glück findet.
Rennen, knutschen, rauchen
Der Name "Gospodin" ist nicht von ungefähr eine russische Anrede für Fremde. Man wünscht sich für diesen Text, der seine Fabel mit unprätentiöser Prosa, in Erzählpassagen und kürzeren Dialogen voranbringt, eine verspielte Regie vom Schlage eines Armin Petras. Doch Kristo Šagor begnügt sich in Bochum mit bravem Aufsagtheater, das er nur gelegentlich mit Einfällen aus der Regieklamottenkiste unterbricht (merke: Wenn Mama und Sohn zusammentreffen, dann immer Sexlust andeuten!). In einer Polsterkissen-Lounge Marke Berlin-Helmholtzplatz sitzt das Publikum bei gedimmtem Licht (Bühne: Sebastian Kloos). Die Schauspieler (Michael Lippold, Agnes Riegl, Karsten Dahlem, Jele Brückner) hocken dazwischen, gehen umher, sprechen gern mit Dramatik in der Stimme und Lächeln auf den Lippen.
Sie knutschen, rauchen, rennen, wechseln zwischen den diversen Rollen (wankende Besoffene, Testosteron-Prolet, Polizisten mit Sonnenbrillen etc.). Alles routiniert, nirgends eine unerwartete Nähe zur Figur. Wie auch – wo doch der Protagonist Gospodin (Michael Lippold) mit einer Peruaner-Strickmütze und Filzbart bis ins Lächerliche herabkostümiert ist und entsprechend einen Tonfall aufsetzen muss, als verweigere sich ein leicht zurückgebliebener Schuljunge einem elterlichen Rat ("Spießer" – Ohren zu, Arme verschränken, la, la, la)? Wo aber der Außenseiter gewissermaßen zum Erziehungsfall wird, da wirken auch seine Kapitalismuskritik und der Ruf nach Selbstbestimmung kaum mehr als halbstark.
Genannt Gospodin
von Philipp Löhle
Regie: Kristo Šagor, Bühne und Kostüme: Sebastian Kloos, Licht: Jan Bregenzer, Dramaturgie: Alexandra Althoff.
Mit: Michael Lippold, Agnes Riegl, Karsten Dahlem, Jele Brückner.
www.schauspielhausbochum.de
Kritikenrundschau
Für Bettina Jäger (Ruhr Nachrichten, 23.10.2007) ist Philipp Löhles Stück eine "so süße wie skurrile Geschichte" um einen "netten Naivling". Die Bochumer Uraufführung finde deshalb passend in einer "Wohnhöhle" mit "Tendenz zum Selbstgehäkelten" statt: "Schau an: So nett kann´s sein, wenn einer gar nichts hat." Überhaupt habe der junge Regisseur Kristo Šagor die Vorlage "charmant in Szene gesetzt"; es herrsche eine "entspannte Atmosphäre". Michael Lippold spiele dabei "verblüffend sympathisch" einen "liebenswerten Taugenichts und eine menschgewordene Provokation" zugleich. Einer, der "schwer auszuhalten ist". Allerdings poche "sanft eine Frage im Hintergrund: Hat Gospodin nicht ein bisschen Recht?"
Für Martina Schürmann (Neue Ruhr Zeitung, 23.10.2007) ist das Stück eine "irrwitzig-schräge, skurril überhöhte Gesellschafts-Utopie" ab. Ein Text mit "originellem Personal", das auf den "subversiven Untergrund-Charme" der Inszenierung treffe. Man sitze "stilecht auf alten Polsterhockern", was zwar die Bandscheiben strapaziere, aber auch Gospodin schlafe schließlich "auf Stroh". Dieser Gospodin, der Antikapitalist, werde am Ende ungewollt glücklich gemacht: "Ein kühner, fragwürdiger Schluss eines angenehm verrückten, gegen den Strom schwimmenden Stückes, für das der junge Philipp Löhle über die Tagesschau als thematisch-dramatische Matrize hinweg auf Menschen geschaut hat, die sich ihr Lebensgefühl nichts kosten lassen wollen."
In der Frankfurter Rundschau (24.10.2007) findet Stefan Keim , dass Philipp Löhle "das Porträt eines Aussteigers zwischen Vision und Lächerlichkeit" zeichnet. "Manche Szenen rutschen etwas zu sehr in die Parodie", heißt es über Šagors Regie. Doch insgesamt gelänge "eine stimmungsvolle, temporeiche Aufführung". "Gospodin", heißt es, "sieht sich nicht als 'Erziehungsberechtigter' wie die Helden im Kinofilm 'Die fetten Jahre sind vorbei'". Wenn er wütend ist, schläft er ein. "Seine Revolte ist eine private, er will einfach nach seinen eigenen Vorstellungen leben." Keim prognostiziert dem Stück "Theaterzukunft", zumindest im Vergleich mit dem ebenfalls besprochenen "trotzdem" von Sabine Harbeke.
In der Süddeutschen Zeitung (26.10.2007) fasst Martin Krumbholz Philipp Löhles "schönen Text" so zusammen: "Gospodin, was einfach "Herr" heißt, ist ein sympathischer Radikalverweigerer. ‚Sein Ruin, das ist sein Ziel’ – und er wird es zuverlässig erreichen. Seine prekäre Existenz hat er auf ein Streichel-Lama gegründet, das ihm von Greenpeace aus humanitären Gründen weggenommen wird. Arbeitslos meldet er sich nicht, das wäre zuviel der Anpassung. Er verachtet alle ‚Spießer’ und sucht nach einer ‚antikapitalistischen Lebensform’, nach dem richtigen Leben im falschen. Bald schläft er auf dem Heu, das sein Lama nicht mehr benötigt."
In der Zeit (8.11.2007) meditiert Peter Kümmel über "Genannt Gospodin": Gospodin entzöge sich "den Zumutungen des »Systems« nicht dadurch, dass er sich aus dem System herauskatapultiert". Er gehe ins Innerste, "dorthin, wo sie die Angst herstellen, mit welcher das System aufrechterhalten wird. Gospodin geht ins Gefängnis." Die "Nichtzuständigkeit, die manche jungen Leute durch Kiffen, Ohrenverstöpseln, temporäres Breitsein erlangen", gewinne Gospodin bei voller Nüchternheit.
Die filmische Erzählweise sei eine "vernünftige künstlerische Entscheidung": Denn Gospodins "mangelnde Weltmitarbeit" habe so viele große Vorbilder (von "Diogenes in seiner Tonne, Gontscharows Oblomow und Melvilles Bartleby bis zu der satirischen Rollenfigur des »glücklichen Arbeitslosen«"), dass er selbst wie ein Mythenwesen wirke, "das man nicht kennen und von dem man nur gehört haben kann". Wer ausschere und sich aufgebe, der falle "dem großen Passiv" anheim, "der wird zum Verschollenen." Gospodin allerdings könne man "einen gezielt Verschellenden" nennen."
Eberhard Rathgeb schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (18.11.2007): Gospodins "Freiheit erfüllt sich im Systemkonzentrat der Internierung. Der Weg dorthin ist eine Regression in eine widerspruchs- und schmerzfreie Privatzone, die nur das Pendant zum flächendeckenden System öffentlichen Glücksversprechens ist. Das ist die Einsicht der gospodinischen Dialektik."
"Genannt Gospodin", schreibt Hans-Christoph Zimmermann in Theater der Zeit 12/2007 sei eine "Mischung aus Versuchsanordnung, Stationen- und antikapitalistischem Erlösungsdrama, das gnadenlos durch den sarkastischen Wolf gedreht" wird. Der Autor schicke seinen Helden "als heiligen Narren" auf den "Weg der reinen Lehre". Allerdings beschränke sich Gospodins "argumentatives Rüstzeug" darauf, dass er "von Hitler über die Grünen bis zu seiner Freundin Annette alle für 'Spießer' hält."
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