Empörungssalat im Wellnessbad

10. März 2024. Ibsens Drama um einen Umweltskandal und dessen Vertuschungsversuche, hier in einer Bearbeitung von Julienne De Muirier, überschreibt sich eigentlich ganz von selbst für die Gegenwart: Da ein paar Striche, dort ein paar Parolen eingefügt, und fertig ist das Klimakrisendrama. Oder?

Von Gerhard Preußer

"Ein Volksfeind" von Julienne De Muirier nach Ibsen am Schauspiel Dortmund © Birgit Hupfeld

10. März 2024. Seid ihr alle wach? Ja, schallt es aus dem Zuschauerraum zurück. Und das Wellness-Badeteam auf der Bühne schwingt energetisch und taktsicher die Handtücher zu dem italienischen Schlager "Felicita". Der erste Mango-Minze-Aufguss wird mit der Kelle in Richtung des Publikums geschüttet, und der freundliche Nebel wallt zu uns herüber. Wir freuen uns auf eine Wellness-Komödie, auf eine Satire über diese expansive Industrie, die sich mit unseren gestressten Körpern beschäftigt. Babett Grubes Inszenierung von Julienne de Muiriers Katastrophenkömödie lullt das Publikum zunächst ein, um es dann langsam in die Ratlosigkeit zu führen.

Weltmetapher der Gegenwart

Eigentlich sollte es um Ibsens "Volksfeind" gehen, oder zumindest um Motive daraus. Eine Überschreibung kann man die Dortmunder Version kaum nennen, eher eine Motivleihgabe. Dass "Ein Volksfeind" das Theaterstück des 19. Jahrhunderts ist, das sich am schnellsten aktualisieren lässt, ist seit Jahrzehnten klar, seit es der allgemeinen Menschheit so langsam dämmerte, dass ihr Verhältnis zu ihrer natürlichen Lebensgrundlage irgendwie problematisch ist. Die Corona-Pandemie hat das nur bestätigt. Ein paar Striche, ein paar Parolen eingefügt, und fertig ist das Klimakrisendrama: das verseuchte norwegische Kleinstadt-Bad als Weltmetapher der Gegenwart.

Volksfeind 02 1200 Birgit Hupfeld uIbsen plattmachen: Das Dortmunder Ensemble bei der Arbeit auf Lan Anh Phams Bühne © Birgit Hupfeld

Julienne de Muirier, die bisher schon an Überschreibungsprojekten in Oberhausen und Lübeck beteiligt war, hatte die Idee, Ibsens Drama einfach plattzumachen. Protagonist und Antagonist gibt es nicht, kein kunstvoller Aufstieg zur Peripetie, nur die flache Ebene einer Zustandsbeschreibung. Das glückliche Team eines Wellnessbades und glückliche entstresste Kunden – das sind wir, die saturierte westliche Mittelstandsgesellschaft. In diese hygienische Erholungsinstitution fällt dann plötzlich ein schwarzer Klumpen. Ein Klumpen, den man lesen kann. Das Wasser ist verseucht, Kolibakterien, Aufgusstierchen, Infusorien – alles giftig, Ursachen unbekannt. Soweit das Ibsensche Handlungsmotiv.

Vergiftet von der "kompakten Majo"

Die Nachricht von der Wasserverseuchung führt dann im Team zu einem eskalierenden Streit, der aber mit völlig unzusammenhängenden Sätzen geführt wird. Argumente werden gegen Ziele geschleudert, die nicht da sind. Wie kommt man von der Wasserqualität zu Lastenrädern, Flugscham, Bienensterben und Permafrostböden in 20 Sekunden? Durch Sprünge, intellektuelle Querschläger. Empörungssalat. Es gibt noch eine weitere Ibsen-Reminiszenz: Dr. Stockmanns große Rede, dass die Grundlagen der Gesellschaft durch die "kompakte Majorität" vergiftet sind, wird im schrillen Ton gekürzt ("kompakte Majo") vorgeführt. "Die Minderheit hat immer Recht" wäre ja auch ein schön aktueller Ibsen-Satz gewesen. Das Mehrheitsteam aber erklärt, damit habe es kein Problem. Ganz postdramatisch korrekt gibt hier es also doch gar keinen Konflikt. Die Strategien sind Ignorieren, Begrenzen, Gesundbeten, Weitermachen wie bisher, nur neue Aufgussrezepte.

Die Bakterien feiern ein Fest: Dortmunder Statist:innen in den Kostümen von Hanne Lenze Lauch © Birgit Hupfeld 

Sah man bisher das Darstellerteam in wechselnden Kostümen in ihrem Bad herumturnen und trockenschwimmen, so kommen nun rote Riesenwuscheltiere (Statisten) auf die Bühne: die Bakterien. Sie feiern ein Fest. Der verfaulende Fluss ist ein Bakterienparadies. Aber sollen wir uns jetzt mitfreuen? Die Selbstzerstörung der Menschheit ist immerhin das Glück der Bakterien? Und was ist mit den Viren? Auch unter Artenschutz? Die Bakterien füttern schließlich das in Schwitzkästen gefangene Menschenteam beim letzten Abendmahl mit ekelhaftem Brei. Bakteriensieg und unappetitliche Endzeit.

Und zum Schluss: das Wasser

Noch eine neue Strategie wird ausprobiert: technische Alternativen, in diesem Fall Tiefbohrung, um frisches Wasser zu erhalten (entschlüsselt: CO2-Einlagerung im Meeresboden). Aber die technische Lösung des Umweltproblems führt zur Katastrophe: Das aus der Bohrquelle strömende Wasser überflutet das Bad. Und weil es eine Komödie sein soll, hält das Wasser zum Schluss eine versöhnliche Rede: "Ich bin die Gemeinsamkeit. Durch mich steht alles in Relation." Auch die Gedanken schwimmen dahin. Alles fließt? Was war eigentlich gemeint?

Babette Grubes Inszenierung versucht dem gedanklich eher assoziativen als folgerichtigen Stück eine unterhaltsame, satirische Ebene abzugewinnen, das gelingt aber immer weniger. Die Komödie scheitert an der Abstraktheit der im Text vorgegebenen Situationen.

Ein Volksfeind
von Julienne De Muirier nach Henrik Ibsen
Regie: Babett Grube, Bühne: Lan Anh Pham, Kostüme: Hanne Lenze Lauch, Dramaturgie: Viktoria Göke.
Mit: Lukas Beeler, Nika Mišković, Antje Prust, Sarah Quarshie, Viet Anh Alexander Tran und sechs Statist*innen.
Uraufführung
Premiere am 9. März 2024
Dauer: 1 Stunde 5 Minuten, keine Pause

www.theaterdo.de

Kritikenrundschau

Vom furios-witzigen Einstieg zeigt sich Bettina Jäger in den Ruhr Nachrichten (11.3.2024) begeistert. "Regisseurin Babett Grube kommt ganz ohne Wasser aus, punktet stattdessen mit unzähligen Ideen. Rückwärts kraulen – das geht überraschenderweise auch auf einer schiefen Ebene." Das alles habe Schwung und Erkenntnisgewinn. Doch die massive Überschreibung nehme dem Text die Konflikte. "Statt der Argumente schleicht sich bunte Beliebigkeit ein." So verliere der Abend an Spannung, zunehmend poetische Texte rissen ihn nicht raus. "So trägt diese unterhaltsame Show rund um ein bisschen Ibsen ziemlich genau die eine Stunde, die sie auch dauert."

Aus dem zeitlos aktuellen Stück über Egoismus, Profitgier und Umweltskandale werde bei Julienne De Muirier eine Bademeister-Plauderei, moniert Sven Westernströer in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (11.3.2024). Babett Grube tue einiges dafür, um der schrägen Stückverwandlung halbwegs unterhaltsame Noten abzuringen. "Nach nur einer Stunde Spielzeit bleibt ein schaler Nachgeschmack. Egal, ob sich Ibsen dabei im Grab herumgedreht hat: Um aus einer Überschreibung einen klug zugespitzten Theaterabend zu machen, braucht es etwas mehr Respekt vor dem Original."

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