Eigentum - Schauspiel Köln
My Diary of Denglish
29. September 2023. Thomas Köck hat wieder ein neues Stück geschrieben. Ein Auftragswerk, das eigentlich von der "kaputten Wohnraumsituation in einem der reichsten Länder der Erde" handeln sollte. Doch dann, so der Dramatiker, sei ihm "etwas explodiert beim Schreiben". Regisseurin Marie Bues inszenierte nun das Ergebnis dieser Eruption.
Von Max Florian Kühlem
30. September 2023. Fuck! Das ist mit Abstand das am häufigsten gebrauchte Wort in Thomas Köcks Uraufführung "Eigentum", die er als Auftragswerk für das Schauspiel Köln geschrieben hat. Schon im Untertitel kommt es vor: "Let's Face It We're Fucked". Damit meint er natürlich die Menschheit, die sich die Erde Untertan gemacht hat und drauf und dran ist, ihre Lebensgrundlagen zu zerstören. Damit könnten sich aber auch Theaterbesucher*innen gemeint fühlen, die spätestens nach der Pause der Inszenierung von Marie Bues entnervt aufgeben, den Durchblick zu behalten.
Verpasste Enden
"Ich möchte im besten Fall einen Text schaffen", sagt der oberösterreichische Autor im Programmheft, "der mich nicht braucht. Weder um Erklärungen zu liefern, noch damit der immer auf mich verweist. Und am Ende gehört er dem Raum, in dem er stattfindet, für den Moment, in dem das passiert, bis alles wieder verschwindet." Der Autor dieser Zeilen hätte gerne die Probe aufs Exempel gemacht und geschrieben, ohne nochmal nachzuschauen: Wie beschreiben sie diese krude Handlung in der Ankündigung? Wie äußert sich der Autor selbst? Was haben die Schauspieler*innen nochmal vorausgeschickt vor noch geschlossenem Vorhang, am Anfang des langen Abends, der doch eigentlich nur zwei Stunden und zehn Minuten dauern sollte, aber dann noch annähernd eine extra halbe Stunde voll verpasster Enden brauchte? Dann hat er sich das aber doch nicht getraut, geglaubt, dass sich ihm einfach zu wenig von selbst vermittelt hat, um eine Nachtkritik zu füllen.
Laut Textblatt haben die Schauspieler*innen (die sich übrigens auch über das Gendern lustig machen) zum Beispiel gesagt: "dieser text / entstand als auftrag fürs schauspiel köln / zwischen verspäteten zügen / nie abgelegten schiffen / in istanbul (danke tarabya akademie) / berlin zürich und gethen / auf meinem scheppernden rechner". Hier war also ein weltgewandter Autor am Werk, einer der vermutlich gar nicht anders kann als Deutsch und Englisch ständig zu vermischen zur Sprache der woken Bubble. Nice, oder? Andererseits würde diese Bubble sich nun wirklich nicht übers Gendern lustig machen. Aber gut, Autoren nehmen halt gern zwischen den Stühlen Platz. Und Thomas Köck ist ja auch Buddy von "Ja, Panik"-Mastermind Andreas Spechtl, der in solchem Denglisch wirklich großartige Songtexte verfasst.
Matrosin in Männergesellschaft
Ach Fuck, jetzt ist der halbe Text schon vorbei, und es steht noch gar nicht drin, worum es eigentlich ging. Zum Beispiel um eine Expedition unter der Leitung von James Cook in die Südsee. Nein, halt, "die Südsee", hält eine Schauspielerin Einspruch, das ist doch kein exakter geographischer Begriff, sondern vielmehr ein verwaschener Sehnsuchtsbegriff. In diese Männergesellschaft, die also korrekt in den Südpazifik gereist ist, fantasiert der Autor eine Matrosin, die sich als Mann verkleidet und den Namen Jonas gegeben hat. Sie schreibt ein Tagebuch, Entschuldigung: Diary, das Diary of Jonas. Darin ist vom Kapitän die Rede, der von einer Expedition auf eine zufällig gefundene Vulkaninsel mehr tot als lebendig und seiner Augen beraubt zurückkehrt und von einem Haus mit tausend Stockwerken berichtet, das in die Erde hineinragt. Oder so ähnlich.
Dieses rätselhafte Haus, das mit dem Vulkan in Verbindung steht, also den tiefsten Tiefen der Erde, also unser aller Lebensgrundlagen und ungelöster Fragen über unsere Existenz, ist ein gutes Motiv, auf das sich auch das Bühnenbild von Heike Mondschein stützt. Es hat etwas von dem Monolithen aus Stanley Kubricks "2001: Odyssee im Weltraum", und Thomas Köcks Komödie ist in Wirklichkeit auch ein Science-Fiction-Stück. Eigentlich habe er eine Komödie über die völlig kaputte Wohnraumsituation in einem der reichsten Länder der Erde schreiben wollen. "Aber dann ist mir das etwas explodiert beim Schreiben."
Cliffhanger, Cyborgs, Cyberkinderchor
Es ist explodiert zu einem Abend mit Cyberkinderchor, der mit Roboterstimmen spricht und singt. Zu einem Abend, der es offenbar auf die Generation Netflix abgesehen hat – mit brutalen Szenen, viel Hektik, Trubel und Geschrei und einem Cliffhanger vor der Pause. Am Ende werden irgendwie alle Menschen zu Cyborgs. Aber nicht, weil Thomas Köck Anhänger des Transhumanismus wäre, sondern eher weil er befürchtet, dass die menschliche Tendenz, die Natur zu beherrschen, zu besitzen ("Eigentum") und auszubeuten, schlussendlich dazu führt, dass die Menschen sich selbst ausbeuten – und ihrer eigenen Natur berauben. Das ist ein guter Gedanke, aber nach diesen zweieinhalb bis drei Stunden denkt man trotzdem erstmal: "Fuck."
Eigentum (Let's Face It We're Fucked)
von Thomas Köck
Uraufführung
Regie: Marie Bues, Bühne: Heike Mondschein, Kostüme: Amit Epstein, Musik: Kat Kaufmann, Licht: Michael Frank, Video: Camille Lacadee, Choreographie: Mason Manning, Dramaturgie: Sarah Lorenz. Mit: Florence Adjidome, Alexander Angeletta, Ariel Cohen, Lara Berenike Dabbous, Yuri Englert, Ruben Fritz, Nina Karsten, Melanie Kretschmann, Justus Maier, Jörg Ratjen, Katharina Schmalenberg, Birgit Walter
Premiere am 29. September 2023
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.schauspiel.koeln.de
Kritikenrundschau
"Weil die Handlung an kaum darstellbaren Orten spielt und, wie immer bei Köck, mit flapsig vorgetragenen Theorie-Hämmern versetzt ist, ist es nicht immer leicht, den Überblick zu behalten", schreibt Cornelia Fiedler in der Süddeutschen Zeitung (1.10.2023). Aber es mache – wiewohl eingedenk der Klimakrisen-Thematik des Textes freilich "auf finstere Art" – Spaß, mit der Uraufführungsregisseurin Marie Bues "durch die Gedanken-Geisterbahn des Abends zu rauschen". Aus Sicht der Kritikerin handelt es sich um die bis dato "sperrigste, aber auch spannendste Premiere" der letzten Spielzeit unter der Intendanz von Stefan Bachmann.
So lange wir die Welt "als Eigentum und Verfügungsmasse begreifen", verlören wir sie, fasst Christian Bos im Kölner Stadt-Anzeiger (2.10.2023) die Hauptthese Thomas Köcks zusammen. Das sei zwar keine "übermäßig originelle Einsicht", doch der Autor spanne "den weitest möglichen Bogen, um das, was mit unserer Spezies falsch läuft, beziehungsweise gelaufen ist, (...) sprachlich und szenisch in den Griff zu bekommen". Regisseurin Marie Bues wisse, dass man Köcks "sprachmächtige Beschreibungen am besten Sprache sein lässt und nicht mit großen Bildern dagegen arbeitet". Der "Stellungskrieg der einzelnen Parteien um jedes einzelne Zimmer" sei zwar "ganz vergnüglich", doch leider mutiere das letzte Kapitel bei Köck "zur bedeutungshubernden Tirade". Diese sei "eine Qual", zu der auch der Regie nicht mehr einfalle, "als ihre Darsteller inhaltsschwer die Bühne und ihre Erhebungen beschreiten zu lassen".
Um seine theater-sprengende Geschichte auf die Bühne zu bringen, setze Thomas Köck überwiegend auf Mauerschau und Botenbericht. "Er lässt erzählen, erzählen, erzählen", so Axel Hill von der Kölnischen Rundschau (2.10.2023). "Ein ziemliches Brett für das zwölfköpfige Ensemble, das sich damit aber mehr als nur bemerkenswert gut schlägt." Regie und Bühnenbild sorgten dazu für reichlich Schauwerte. Die 'Seht selbst zu!'-Haltung des Stücks schlage sich jedoch auch auf das Premierenpublikum nieder, in dessen Applaus sich das ein oder andere berechtigte Buh mische.
Stefan Keim vom WDR (2.10.2023) fand die Inszenierung durchaus unterhaltsam. Das Ensemble schmeiße sich mit einer großen Energie in diese Aufführung. Hinzu kämen einige wuchtige Bilder. Das Problem sei jedoch, dass Thomas Köck einfach nicht auf den Punkt komme. Eine Wirkung entfalte der Abend daher nicht.
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Als jemand, der den Abend noch nicht gesehen hat, bin ich nach Ihrem Text nicht schlauer, ob er ich mich interessieren würde oder nicht. Das wäre aber mein Anspruch an Kritik. Schade.
Da wollte einer viel und nix ist gelungen!
Ein tapferes, sich großartig aufopferndes homogenes Ensemble (!!!)
kämpft sich durch
- eine viel zu lange / langweilige Inszenierung
- sich wiederholende Textpassagen
- belanglose Licht-Projektionen
über
- eine viel zu große (!) und langweilige Bühnendeko
in
- erstaunlich schönen aber komplett unpassenden Kostümen
mit Null-Text-Aktions-Bezügen
und hinterlässt eine Leere und Fragen: was sollte das alles und warum?
Viel Text, wenig Sinn, wenig (zu) Schau(en)-Spiel
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Anm. der Redaktion: Dieser Kommentar wurde in gekürzter Form veröffentlicht, da Teile davon nicht unserem Kommentarkodex entsprachen. Dieser ist hier nachzulesen: https://www.nachtkritik.de/impressum-kontakt.
Alle Schauspieler waren energiegeladen und auf den Punkt präsent trotz der sehr schnellen Wechsel. Das Bühnenbild war eine geniale Minimalisierung, wichtig aber nicht vordergründig. Ich war angestrengt aber begeistert. Zwischen Ende und Applaus hätte ich eine Minute gebraucht, dann wäre der noch begeisterter ausgefallen.
3 Stunden ersetzen 30 Stunden Polittalkshow zu den Themen.
Es lohnt sich!
Das Zitat von Köck, ihm sei da beim Schreiben etwas explodiert, erklärt einiges, denn die Grundidee mit drei Ausgangspunkten (James Cook - Wohnungssuche - Cyborgs) sind irgendwie interessant, aber nachdem Köck seine Versuchsanordnung um die Ohren geflogen ist, hat er offenbar keine Zeit zum Aufräumen gehabt und kippt den Scherbenhaufen nun einfach aus, und die Regie lässt das dann halt so.
Sollte hier oder in der Kritik von nk versehentlich der Eindruck entstanden sein, dass daran irgendetwas interessant ist, so täuscht dieser Eindruck.
Sind Auftragswerke vielleicht das Problem? Die Motivation hier scheint jedenfalls bei null gelegen zu haben.