Paulus - Ulrich Greb inszeniert Paulus-Briefe
Zündstoff in wortgewaltigen Tiraden
von Ulrike Gondorf
Moers, 22. Mai 2008. Zwölf ist eine biblische Zahl, zwölf Apostel folgten Jesus nach. Einer von ihnen nahm seinen Platz sozusagen nachträglich ein. Paulus bekehrte sich vom erbitterten Christenverfolger zum ersten großen Missionar des neuen Glaubens und reklamierte symbolisch für sich den Rang, den der Verräter Judas verspielt hatte unter den Auserwählten Christi. "Vom Saulus zum Paulus" - das ist bis heute sprichwörtlich für einen plötzlichen Gesinnungswandel.
Die mystische Zahl zwölf bestimmt auch in Moers die Szene. Zwar gibt es nur fünf Darsteller, die diesen zwischen Theater, Performance und Installation angesiedelten Abend tragen. Aber zwölf Telefonzellen, die den Aktionsradius begrenzen, den ein schneeweißes Kiesfeld eröffnet für diese szenische Auseinandersetzung mit Paulus (Bühne: Birgit Angele). Wenn das Licht angeht, hört man die Darsteller Satzfetzen und Zitate in die Hörer reden, flüstern, schreien: Sie stammen aus den Briefen, die Paulus an die urchristlichen Gemeinden in Griechenland und Kleinasien schrieb, die er für den neuen Glauben geworben hatte und nun im rechten Gleis zu halten suchte.
Sein eigener Antagonist
Man machte sich mit vielen Fragezeichen im Kopf auf den Weg zu dieser letzten Premiere der Spielzeit in Moers. Biblische Briefe, theologische Debatten als Spielvorlage – welche theatralischen Möglichkeiten könnten darin stecken? Intendant und Regisseur Ulrich Greb, der die Aufführung gemeinsam mit dem Ensemble konzipiert hat, findet viele überraschende und auch einige schlüssige Antworten. Zwar wird der 90minütige Abend im zweiten Teil ein wenig verworren und langatmig, aber er bietet auch viele starke Bilder und Sequenzen und konfrontiert mit Gedanken und Konflikten, die ebenso spannend wie grundsätzlich und aktuell sind.
Paulus-Briefe auf dem Theater – das funktioniert, weil Ulrich Greb hier einen Protagonisten entdeckt hat, der zugleich sein eigener Antagonist ist, dessen innere Widersprüche geradezu prädestiniert sind dafür, dramatisch ausagiert zu werden. Körperfeindliche Moralgesetze, Diskriminierung der Frauen, fundamentalistisches Pathos im Kampf gegen die Mächte des "Bösen", Zähmung der anarchischen Energien des Urchristentums in einer obrigkeitshörigen und streng hierarchisch organisierten Amtskirche – das sind Positionen der Paulus-Briefe, die heute von vielen kritisch gesehen werden: Die paulinische Doktrin als Anfang vom Ende eines vitalen spirituellen und sozialen Lebens in den frühen Gemeinden.
Patriarch und egalitärer Denker
Das verhandelt auch die theatralische Auseinandersetzung in Moers: in wortgewaltigen Tiraden darüber, dass die Frau in der Gemeinde zu schweigen habe, im Bild eines Mannes, der ständig mit einem Rechen akkurat seine Furchen zieht durch den Kies beispielsweise. Aber dann verschafft sich der andere Paulus Gehör: der egalitäre Denker, der den gleichen Wert postuliert für jedes einzelne Glied des menschlichen (und sozialen) Körpers, weil erst im Zusammenspiel aller die Kräfte sich entfalten; der Außenseiter (die Aufführung zeigt ihn als Epileptiker), der die Weisheit der Narrheit, des unangepassten Denkens, über alle Regeln stellt; der Revolutionär, der seinen Glauben als Überwindung des Gesetzes, als Durchbruch zu einer metaphysischen Freiheit, feiert. In diesem Moment – einem der stärksten in Moers – versagt die Telekommunikation, die Regisseur Greb treffend als Visualisierung der Briefe nutzt. Alle Leitungen sind plötzlich tot ob dieser ungeheuren Botschaft.
Was die meisten kennen und von diesem Abend erwarten, spart er klug für den Schluss auf: das Damaskus-Erlebnis der Bekehrung des Saulus und die große Rede über "Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei" mit dem ekstatischen Lobpreis auf die triumphale Kraft der "größten unter ihnen", der Liebe. Den vielen Gesichtern des Paulus verleihen die fünf Darsteller Bianca Künzel, Kinga Prytula, Ekkehard Freye, Holger Stolz und Frank Wickermann mit großer Konzentration und vollem Körpereinsatz immer neue Profile. Ulrich Greb und das Ensemble haben dramatischen Zündstoff entdeckt in den Paulus-Briefen. Der Abend bestätigt und mehrt den Ruf des Schlosstheaters Moers: da gibt es eine äußerst kreative, originelle und lebendige Unternehmung am westlichen Rand des deutschsprachigen Theaters.
Paulus (UA)
Regie: Ulrich Greb, Bühne: Birgit Angele, Kostüme: Elisabeth Strauß, Musik: Dorothee Hahne.
Mit: Bianca Künzel, Kinga Prytula, Ekkehard Freye, Holger Stolz, Frank Wickermann.
www.schlossstheater-moers.de
Mehr zu Ulrich Greb? Hier geht's zur Besprechung seiner Alkestis im Februar 2008 am Schlosstheater Moers.
Kritikenrundschau
Eine "großartige Ensembleleistung in einer starken Inszenierung" feiert Heribert Brinkmann in der Rheinischen Post (24.5.). Ihn beeindruckt der erhellte Zusammenhang zwischen Paulus und Horváth ebenso, wie die theatralischen Mittel, mit der Ulrich Greb sich den biblischen Texten genähert und ihnen szenische Gestalt gegeben hat. Es geht hier seiner Beschreibung zufolge sehr heutig zu. Trotzdem werden für Brinkmann starke Paralellen zwischen der Zeit Paulus' und heute evident. Ein weiter Gewinn dieses Abends ist dessen große und offensichtlch ansteckende Sprachverliebtheit. Brinkmann bedauert nur, dass der bühnenbedeckende Kies knirschend manches Wort verschluckte.
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