Kein bisschen Frieden

17. September 2023. Dass Regisseur Stefan Otteni historische Stoffe beherrscht, hat er in Münster vor Jahren mit Joël Pommerats "La Révolution #1 – wir schaffen das schon" bewiesen. Anlässlich des 375. Jubiläums des Westfälischen Friedens zeigt er an selber Stelle nun Schillers "Wallenstein" als Revue mit Musik und Diskurs. Erneut ein Erfolg?

Von Kai Bremer

"Give peace a chance – Wallenstein" am Theater Münster © Paul Leclaire

17. September 2023. Wesentliche Szenen aus Schillers Geschichtstragödie – vor allem aus "Die Piccolomini" und "Wallensteins Tod" – finden im Guckkasten-Kabinett des Feldherrn (Bühne: Peter Scior) statt. Es wird immer wieder aus der Unterbühne hochgefahren, ist mit dunklem Holz ausgetäfelt und mit Möbeln und zahlreichen anderen Gegenständen, mutmaßlich Beutegüter der erfolgreichen Feldzüge, am rechten wie am linken Rand überfrachtet. An der Wand hängt eine Karte Europas – unerlässlich für einen, der verschiedene Söldnertruppen befehligt. 

Fummeln an Wams und Reifrock

Im Kabinett schreitet nicht nur Wallenstein (Frank-Peter Dettmann) erst gedankenschwer und später verzweifelt in schwarzen Pluderhosen und Schaftstiefeln auf und ab (Kostüme: Ilka Meier). Hier gehen sich auch Max Piccolomini (Julius Janosch Schulte) und Wallsteins Tochter Thekla (Rose Lohmann) leidenschaftlich an Wams beziehungsweise Reifrock. Einzelnen Szenen der Tragödie werden wohldosiert über den Abend verteilt. Regisseur Stefan Otteni und die Dramaturg:innen Remsi Al Khalisi und Victoria Weich haben Schillers Trilogie entschieden auf den Titelhelden sowie die Liebesgeschichte von Max und Thekla konzentriert.

Liederbogen von Luther bis Springsteen

Nur starb Wallenstein Mitte des 30jährigen Kriegs. Und so ist es von seinem Tod bis zum Westfälischen Frieden ein weiter Weg – und bis in die Gegenwart erst recht. Um all das zu überbrücken und miteinander zu verbinden, setzt Otteni auf einen bunten Mix aus unterschiedlichen literarischen und politischen Texten und Sentenzen (von Hölderlin über Heiner Müller bis Pommerat) sowie auf Lieder zu Krieg und Frieden. Der Titel des Abends kündigt das ja bereits an. Unterstützt werden die insgesamt acht Darsteller:innen dabei von zahlreichen spiel- wie stimmstarken Statist:innen und der Musikerin Bettina Ostermeier, die den Gesang meist mit Saxophon oder Klavier beeindruckend begleitet.

Wallenstein Ensemble 4 Paul LeclaireWas geht im Feldlager? Ensemble aus "Wallenstein" © Paul Leclaire

So predigt dann beispielsweise Agnes Lampkin in schwarzem Talar aus Luthers "Ob Kriegsleute in seligem Stande sein können", während die übrigen Schauspieler:innen mehrstimmig dessen "Verleih uns Frieden gnädiglich" singen. Präzise wie eindrucksvoll wird die Diskrepanz, die den Umgang der Kirchen mit dem Thema kennzeichnet, auf den Punkt gebracht. Das Songrepertoire reicht von der Reformationszeit über Brecht/Eislers "Kinderlied" ("Anmut sparet nicht noch Mühe" ähnlich brüchig intoniert wie von Sepp Bierbichler mit dem Ensemble Modern), Freddy Quinns "Hundert Mann und ein Befehl", Nicoles "Ein bisschen Frieden" bis zu "War" – dem Song, den Bruce Springsteen lange Zeit als politisches Statement in seinem Repertoire hatte.

Keine Lösungen im Repertoire

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist dabei stets präsent. Schon gleich zu Beginn des Abends, als der Blick auf weite Teile der Bühne noch durch deckenhohe Vliesbahnen versperrt ist, werden unterschiedliche Positionen bekannter Politiker:innen zu einem Streitgespräch verdichtet. Der Abend möchte zwar der Hoffnung auf Frieden keine Absage erteilen. Gleichzeitig maßt er sich aber nicht an, Lösungen angesichts der Katastrophen, die sich tagtäglich in der Ukraine ereignen, bereitzuhalten. Sinnbild dafür sind die Uniformen, die im Bühnenhintergrund vom Schnürboden fallen und sich im Verlauf des mehr als drei Stunden langen Abends allmählich zu einem Kriegsmenetekel auftürmen.

Doch auch wenn die Szenen überzeugen, stellt sich kein wirklicher Gesamteindruck ein. Der Abend schwankt zwischen Klassikerkondensat und Friedensrevue, was schließlich doch sehr ratlos macht. Aber wahrscheinlich hätte jeder andere Eindruck angesichts der Gegenwart auch nicht überzeugt.

 

Give Peace a Chance – Wallenstein
Schauspiel von Friedrich Schiller und anderen
Regie: Stefan Otteni, Bühne: Peter Scior, Kostüme und Mitarbeit Bühnenbild: Ilka Meier, Musik: Bettina Ostermeier; Dramaturgie: Remsi Al Khalisi und Victoria Weich.
Mit: Katharina Brenner, Frank-Peter Dettmann, Agnes Lampkin, Rose Lohmann, Pascal Riedel, Julius Janosch Schulte, Carola von Seckendorff, Artur Spannagel. Statist:innen: Rafal Balah, Henry Cramer, Nele Erichsen, Viola Grötz, Pierre Guillemot, Leonid Ormeloh, Nils Reichow, Marleen Runde, David Schedding, Lea Schönauer, Kasimir von Seckendorff, Maeve Segin, Sadik Shamo, Janno Wienand.
Premiere am 16. September 2023
Dauer: 3 Stunden 10 Minuten, eine Pause

theater-muenster.com

Kritikenrundschau

Der Abend nehme sich wie "ein Querschnitt aus zwei Jahren Anne Will und Maybrit Illner" aus und stelle sich, "wenn Namen wie Strack-Zimmermann aufploppen, als clevere Zitatcollage heraus", so Harald Suerland in den Westfälischen Nachrichten (17.9.2023). Der "langen Rede kurzer Sinn" sei natürlich, "dass Krieg längst nicht mehr als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln gerechtfertigt werden kann". Hier wäre dem Rezensenten eine "konsequente Inszenierung des Schiller-Dramas" erkenntnisförderlicher gewesen. Das achtköpfige Ensemble allerdings lege sich "engagiert für den Frieden ins Zeug".

Kommentare  
Wallenstein, Münster: Schiller erträglich
Es war ein super Abend! Wir waren mit der ganzen Klasse da. So kann man sogar den Schiller ertragen. Tolle Schauspieler!
Wallenstein, Münster: Tastend
Ein voller Abend, der am Anfang überfordert mit den ständig rein und rausfahrenden Ebenen. Dann im zweiten Teil wird es immer klarer worum es dem Ensemble geht, das sich tastend und sich dauernd widersprechend dem Thema nähert. Genial, wie sich die Schiller-Ebene ohne viel Zeigefinger als der modernste Teil entpuppt, weil sie nicht nur wg Prigoschin so schlimm nah dran ist an unserer Denke. Ein voller Abend. Ich glaub ich gehe nochmal hin.
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