Nicht nur sauber, sondern raus

3. März 2024. Über 40 Prozent der von Erwerbsarmut Betroffenen sind alleinerziehende Frauen – bei weitem die größte Gruppe. Die Autorin Jacinta Nandi hat ihnen ein wütend-solidarisches Buch gewidmet, das vor allem mit den Männern hart ins Gericht geht. In Paderborn hat Fanny Brunner die Uraufführung besorgt – und lässt dabei gründlich durchwischen.

Von Karin Yeşilada 

"50 Ways to Leave Your Ehemann" am Theater Paderborn © Christoph Meinschäfer

3. März 2024. Wer erinnert sich noch an die Waschmittelwerbung mit der weiß-bekittelten Clementine, die uns versprach, dass die Wäsche dank Ariel "nicht nur sauber, sondern rein!" würde? Oder an den Song der unlängst verstorbenen Schauspielerin Johanna von Koczian, "Das bisschen Haushalt macht sich von allein, sagt mein Mann"? Das Hausfrauen-Klischee und seine ironische Brechung lagen eng beieinander in Zeiten, als die Scheidungsrate in Deutschland noch moderat war, weil Frauen allzu häufig in Abhängigkeit von ihren Ehemännern lebten. Kaum vorstellbar, dass noch bis 1975 Frauen in Deutschland deutlich weniger Rechte hatten als Männer. Sie durften ihren Kindern keine Religion oder Nationalität vererben, verdienten gravierend weniger und brauchten sowohl für chirurgische Eingriffe als auch für Arbeitsverträge die Erlaubnis des Ehemannes. Ein halbes Jahrhundert später scheint die Gleichberechtigung diese Fehler korrigiert zu haben. Oder nicht? 

Berliner Single-Mom-Misere

In ihrem 2022 erschienen Buch hat die Berliner Autorin Jacinta Nandi die Misere alleinerziehender Frauen zum Thema gemacht und beschreibt in gewohnt scharfzüngiger Weise deren prekäre Lebensumstände. Immerhin machen sie mit über 40 Prozent den größten Anteil der von Erwerbsarmut Betroffenen aus; die Quote steigt, wenn sie Einwanderinnen sind. Konfrontiert mit feindseliger Bürokratie, finanzieller Not, latenter Gewalt des Expartners und permanenter Überforderung, müssen sie sich auch noch gegen gesellschaftliche Vorurteile und falsches Mitleid behaupten. "Wenn es eine Divorce Barbie gäbe, hätte sie kaputte Schuhe, Alditüten und Mahnungen als Ausstattung", heißt es einmal. Jacinta Nandis Streitschrift lotet die Situation aus, setzt Perfekte-Beziehung-Moms gegen Single Moms, erörtert die ungerechte Verteilung der Care-Arbeit, dekonstruiert Klischees vom Happy-Ehe-Life und hält den Männern wütend den Spiegel vor. Aber sie formuliert auch Lösungen: "Frage dich, was kannst du besser machen!", appelliert sie an den Mann und fordert Happy Couples dazu auf, statt falschem Mitleid mit alleinerziehenden Müttern einfach mal deren Kinder zum Übernachten einzuladen.

Gelungene Bilder zum Buch

Keine leichte Aufgabe, diese Streitschrift auf die Bühne zu bringen. Regisseurin Fanny Brunner, die zusammen mit dem Ensemble die Bühnenfassung besorgt hat, meistert das gekonnt. Gleich zu Beginn setzt sie starke Bilder, und zwar wortwörtlich, denn drei Schauspieler stellen drei ikonischen Frauenbilder im Goldrahmen nach: Zunächst erscheint Jan Gerrit Brüggemann als Jan Vermeers leicht zickiges "Mädchen mit dem Perlenohrring", dann gibt Kai Benno Vos die hintersinnig lächelnde "Mona Lisa" von Leonardo da Vinci, und schließlich erscheint Johannes Karl als arg zerzauste, üppig ausgepolsterte "Venus" von Sandro Botticelli – großartig!

Wie das Mädchen mit dem Perlenohrring und die Mona Lisa dann der "Geburt der Venus" (auf dem Küchentisch in der Schaumstoff-Muschel balancierend) im riesigen Bilderrahmen beiwohnen, ist urkomisch, und ihre zwischenzeitlichen Eröffnungsargumente gehen dabei fast schon unter. Danach und für den Rest des Stückes machen sich die drei dann in schwarzen Jogginghosen und Unterhemden als Hausmänner in der Wohnung zu schaffen. Daniel Angermayr hat die Studiobühne als leicht abgerockte Küche angelegt, Marke Ikea-Regale, mit einem Uralt-Küchentisch in der Mitte und dem Kinderbettchen rechts am Rand.

Benutze Deine Inkompetenz nicht als Waffe: das Motto in der abgeranzten Küche © Christoph Meinschäfer

Auftritt zweier Frauen in schwarzer Hosenkluft. Yasmin Fahbod als Autorin-Figur und Claudia Sutter mit Frida-Kahlo-Frisur (Maske: Ulla Bohnebeck, Henriette Masmeier) bilden ein starkes Duo und erobern sich die Bühne. Während sie zumeist an den vorne am Bühnenrand platzierten Mikros ihre Argumente, ihre Wut, ihre Verzweiflung losdonnern, machen sich die Männer im Hintergrund zu schaffen. Das ist dramaturgisch gut gelöst und erzielt oft einen komischen Widerspruch: Während Sutter sich die Verzweiflung als überforderte Alleinerziehende, ihre Wut über die Diskriminierung als Single Mom von der Seele schreit, saugt Johannes Karl wie besessen mit dem Staubsauger um sie herum. Die Nöte der alleingelassenen Mütter werden greifbar, wenn Kai Benno Vos als Sohnemann den Kakao (oder war's Kacke?) auf dem Küchenboden verkleckert und Jan Gerrit Brüggemann aka Perlenohrringmädchen alles aufwischt.

Unangenehme Wahrheiten

Die fünf allesamt starken Schauspieler*innen werfen sich die rhetorischen Bälle zu, wickeln dabei Babypuppen, legen Wäsche nach, leeren Mülleimer, und es wird sogar echtes Essen gekocht. Man/frau fühlt sich fast schon unangenehm berührt von soviel Bühnenwirklichkeit.

Der Abend ist kein Zuckerschlecken, schließlich werden in einem fort unangenehme Wahrheiten ausgesprochen. Nur wenige sind ironisch-heiter wie das Happy-Housewife-Bashing oder der Divorce-Barbie-Witz. Oft genug macht es nachdenklich zu hören, dass Trennungskinder nicht nur durch die Trennung, sondern vor allem durch die Zustände davor traumatisiert sind. "Es muss nicht alles Gewalt sein, um scheiße zu sein", heißt es einmal, aber oft genug ist Gewalt im Spiel, und bisweilen wird sie auch in der Aggression männlicher Gegenrede spürbar. Dann bekommt auch der Fall Johnny Depp versus Amber Heard eine andere Lesart. Prominenter Gewalttäter gegen traumatisiertes Misshandlungsopfer – We stand with Amber Heard. Allerdings hat dieses Thema auch so seine Längen. Die Polarisierung von weißen Cis-Männern gegenüber Women of Color kommt bisweilen doch zu plakativ rüber. Andererseits tut das Empowerment alleinerziehender Mütter unglaublich gut – und der machtvolle Battle für ihre Position kann gar nicht oft genug aufgeführt werden.

50 Ways to Leave Your Ehemann
von Jacinta Nandi
Uraufführung
Textfassung von Fanny Brunner & Ensemble
Regie: Fanny Brunner, Bühne & Kostüme: Daniel Angermayr, Musik: Alex Konrad, Ton: Sven Belzer, Lars Henrik Meyer, Licht: Marcus Krömer, Maske: Ulla Bohnebeck, Henriette Masmeier, Dramaturgie: Lena Kern.
Mit: Jan Gerrit Brüggemann, Yasmin Fahbod, Johannes Karl, Claudia Sutter, Kai Benno Vos.
Premiere am 3. März 2024
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten ohne Pause 

www.theater-paderborn.de

 

Kritikenrundschau

"Dass ein Sachbuch zu einem phantastischen Spielgeschehen avancieren kann, ist der großartigen Inszenierung von Fanny Brunner und ihrem spielwütigen Ensemble zu verdanken", schreibt Ann-Britta Dohle in der Neuen Westfälischen (4.3.2024) und bejubelt den "Humor, die Ideenvielfalt, die Echtheit des facettenreichen Spiels". Der Abend wirke "wie ein geschlossenes Experimentierfeld, da sich Männer wie Frauen gemeinschaftlich in einen Geschlechter-Diskurs begeben."

"Überfordert" sei die Inszenierung gewesen, "einen roten Faden für das Stück zu finden", urteilt Rainer Maler im Westfälischen Volksblatt (4.3.2024). Buch und Inszenierung, die auf Freiheit statt Gleichheit zwischen den Geschlechtern setzten, gerieten "zum Tribunal": "Auf der Anklagebank: der Mann und die Gesellschaft." Doch "so Plakativ ist die bundesdeutsche Realität nicht mehr", schreibt der Kritiker. "Feindbilder und Agitprop der 1970er überwiegen" in der Inszenierung.

Kommentare  
50 Ways to Leave, Paderborn: Zweimal deutsches Frauendasein
Zur Kritik: Bei der Beschreibung des Frauendaseins bis 1975 wird von Deutschland allgemein gesprochen, aber in der DDR hatten Frauen das Recht auf Abtreibung, konnten sich ohne finanzielle Abhängigkeit scheiden lassen und hatten betreffend ihrer Person alle Rechte für Verträge und Konten! Das sollte immer differenziert werden als historischer Fakt.
Abgesehen davon, dass diese Gleichberechtigung auch nicht umfassend war, konnten die Frauen auch alleinerziehend ihren Weg gehen, weil es Kitaplätze gab und dieses Dasein von der ostdeutschen Gesellschaft nicht negativ belegt wurde, u. a. aufgrund des weitreichenden Atheismus. Nein, ich will das Ostsystem nicht zurück haben, aber die Freiheit der Frauen! Es wäre ein anderer Entwicklungsansatz ab 1990 gewesen, wenn die o. g. DDR-Gegebenheiten für Frauen von der BRD übernommen worden wären. Das wäre die Revolution für beide Teile Deutschlands gewesen.
Dann wäre dieses Stück vielleicht gar nicht entstanden. Sorry, es war alles nicht zu dieser Inszenierung, die ich gern gesehen hätte! Sehr engagiert und wichtig! Gut, dass es bundesweit tatsächlich einige Inszenierungen dieser Art endlich gibt (z. B. "Männerphantasien" Deutsches Theater Berlin).
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