Die Arbeit am Hass 

22. März 2024. Als Rainald Goetz' Wirtschaftsroman letztes Jahr uraufgeführt wurde, griff Regisseur Stefan Bachmann zu einem Verfremdungseffekt und besetzte all die patriarchalen Auf- und Absteiger mit Schauspielerinnen. Friederike Heller geht jetzt einen anderen Weg – und erweist sich als Meisterin der Menschendarstellung.

Von Michael Laages

Rainald Goetz` "Johann Holtrop" in der Regie von Friederike Heller am Staatstheater Mainz © Andreas Etter

22. März 2024. Als Kölns demnächst scheidender Schauspiel-Intendant Stefan Bachmann vor etwas mehr als Jahresfrist der erste war, der "Johann Holtrop" auf die Bühne brachte, den 2012 erschienenen Roman von Rainald Goetz, da legte er für die Kooperation zwischen den Schauspielhäusern in Köln und Düsseldorf viel Distanz zwischen Werk und Gegenwart.

Das Wirtschaftsdrama um den im Roman wenig getarnten Top-Manager Thomas Middelhoff, der nach extrem steiler, musterhafter Karriere und einigen sehr tiefen Abstürzen schlussendlich mit drei Jahren im Gefängnis davonkam, hatte Bachmann nämlich ausschließlich mit Frauen besetzt. Der mörderische Zirkus durchgeknallter Management-Bestien konterkarierte damit die Realität der Chefetagen – wo ja nach lange geltenden Regeln Frauen nur als niedere Angestellte vorzukommen hatten, in Sekretariaten etwa, oder bestenfalls als Ehefrauen der Chef-Entscheider. Das wirkte als massive Verfremdung und trug so bei zur Verdeutlichung von Struktur und Strategien.

Patriarchen vergehender Zeiten 

Bachmanns Version wurde vielfach eingeladen, und die Arbeit erhielt im vorigen November den "Faust"-Theaterpreis. Aber natürlich ist der Umgang mit dem Goetz-Roman auch ohne diesen Inszenierungstrick möglich. Am Staatstheater in Mainz jetzt dürfen die Männer Männer sein und als solche auch Opfer und Täter. Durch die Bank, und mit der Titelfigur immer möglichst aasig vorneweg, sind sie allerdings eher abschreckend und widerwärtig – wie das System, in dem sie funktionieren. Überhöht sind sie bis in die Karikatur.

Auch aus dieser Perspektive funktioniert die Bühnenfassung der in Düsseldorf und Köln gezeigten Uraufführung sehr gut. Diese Männer-Menschen sind umstandslos erkennbar als Repräsentanten des nach den weltpolitischen Wendezeiten vollkommen wild gewordenen und abgedrehten Kapitalismus der neoliberalen Sorte. Pausenlos arbeiten alle an allumfassendem Hass: gegen alle, die nicht sind wie sie – gegen Untergebene, gegen Konkurrenten im Kampf um das größte Stück vom Kuchen und auch gegen die Patriarchen vergehender Zeiten.

Johann Holtrop David T. Meyer Henner Momann Michael Muehlhaus Peter Thiessen c Andreas Etter uAbschreckend und widerwärtig wie das System, in dem sie funktionieren: Die Goetz'schen Top-Manager (David T. Meyer, Henner Momann, Michael Muehlhaus, Peter Thiessen) © Andreas Etter

Das Team um Regisseurin Friederike Heller geht übrigens noch einen Schritt weiter – denn auch die drei real vorkommenden Frauen-Rollen, eine Sekretärin im ständigen Kaffee-Einsatz sowie zwei prominente Ehefrauen, werden von den männlichen Darstellern übernommen. Aber eine ideologische Grundsatz-Behauptung wird eher nicht daraus. Im Hexer-Sabbat schwer toxisch auftrumpfender Männlichkeit entstehen immer neue Schreck-Gespenster, durchaus auch weibliche; und das Material aus dem Goetz-Roman erinnert nun sehr entfernt an die "Männergesellschaft" des englischen Dramatikers Edward Bond sowie an "In the company of men", ein Stück und Film von Neil la Bute, erschienen kurz nacheinander in den 90er Jahren, mitten im Aufschwung der forcierten Debatte um Macht und Geschlecht.

Im dumpf-männlich brodelnden Bullenstall

Sabine Kohlstedts Bühne erfindet für den dumpf-männlich brodelnden Bullenstall eine überraschend feine, elegante und maßvoll abstrakte Bild-Welt: In zwei miteinander verbundenen Kreis-Schienen unter der Decke vom Kleinen Haus am Mainzer Staatstheater sind unterschiedlich zugeschnittene Tücher bis zum Boden eingehängt. Mit schnellen Griffen können so verschiedene büroartige Räume im Zentrum wie an der Peripherie im größeren Kreis der Tücher gestaltet werden. Und wenn im zweiten Teil das große Fest im Saal des weltumspannenden Medienkonzerns beginnt, in dem Hauptfigur Holtrop rücksichtslos (und auch über Leichen gehend) Karriere gemacht hatte und der ihn als gescheiterten Manager demnächst rausschmeißen wird, können die Tücher auch dekorativ gerafft werden wie im Ballsaal.

Johann Holtrop Sabah Qalo c Andreas Etter uElegante Bild-Welt: Sabah Qalo auf Sabine Kohlstedts Bühne © Andreas Etter

Den schmerzhaftesten Bildern gehört dann der leere dunkle Raum – Holtrop ist im Großkonzern krachend gescheitert, will aber immer noch das ganz große Rad drehen; er macht Skandal in einem Pariser Restaurant und landet in einer deutschen Privat-Psychiatrie. Behandelt mit Eiswasser-Therapie und Elektroschocks, hängt er in der Höhe des Bühnenraums, und schon die Video-Projektionen tun weh, vor denen er schreit und zappelt und zittert. Mag sein, dass diese Folter die angemessene Folge der gierigen, menschenverachtenden und selbstzerstörerischen Karriere ist – aber leid tut uns der arme Hund halt doch. Auch wenn er sich zum Schluss vor den Zug wirft …

Aufsteiger und Abstürzer

Der Text bleibt für alle ein Kraftakt. Denn es ist kein Leichtes (und manchmal sicher auch kein Vergnügen!), die schwer verschlungene Roman- und Recherche-Sprache des Rainald Goetz auf der Bühne in eine komplizierte Mischung aus Erzählung und Dialog zu verwandeln. Das Mainzer Ensemble kämpft sehr intensiv um diesen Doppel-Klang; und neben Henner Momann – fast abendfüllend im hellgrünen Business-Outfit für die zentrale Partie des Aufsteigers und Abstürzers Holtrop – wird auch Armin Dillenberger zur zentralen Figur der Aufführung. Erst als Ex-Chef Thewe, der in der thüringischen Provinz (von wo aus der Medienkonzern gerade den Osten erobert) dem Konkurrenten Holtrop in einer schmierigen Schlammschlacht unterliegt und sich das Leben nimmt, später als höchster Chef und quasi eiskalter Hausgott des Weltkonzerns, der im Personal ja starke Ähnlichkeit mit Bertelsmann aufweist.

Das ist der sehr taugliche Ansatz der Mainzer Inszenierung: tatsächlich Menschen kenntlich werden zu lassen. Menschen, die falsch und gefährlich handeln, und andere, die falsch und gefährlich behandelt werden. Auch in Irrwegen und Irrtümern sind diese Wesen zugänglich, zuweilen sogar verständlich in Friederike Hellers Inszenierung.

Und der Autor hat sich, wie es schien, durchaus darüber gefreut, dass es auch so geht.

 

Johann Holtrop
von Rainald Goetz
Bühnenfassung: Stefan Bachmann und Lea Goebel
Regie: Friederike Heller, Ausstattung: Sabine Kohlstedt, Live-Musik: Michael Mühlhaus und Peter Thiessen, Licht: Carolin Seel, Dramaturgie: Jörg Vorhaben.
Mit: Armin Dillenberger, Benjamin Kaygun, David T. Meyer, Henner Momann, Michael Mühlhaus, Sabah Qalo, Peter Thiessen.
Premiere am 21. März 2014
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.staatstheater-mainz.com

Kritikenrundschau

Zwar treffe Friederike Heller "die kluge Entscheidung, alle Rollen, auch die weiblichen, von männlichen Darstellern spielen zu lassen - was die Männerwelt der Dax-Konzernchefs als umso geschlossener erscheinen lässt", urteilt Johanna Dupré in der Allgemeinen Zeitung (23.3.24, €). Dennoch wolle "der Funke nicht ganz überspringen". Nicht nur setze die Bühnenfassung der Kritikerin zufolge in der zweiten Hälfte gegenüber dem Roman "seltsame Akzente" und spare zudem "einen zentralen Wendepunkt" aus. Sondern vor allem "erscheinen in Hellers Inszenierung alle Charaktere als lächerliche Abziehfiguren, während Goetz im Roman eine ambivalentere Haltung einnimmt: Er stellt sie bloß, betrachtet ihre Verblendung und die Verachtung, die sie für sich selbst und alle anderen empfinden, aber auch als tragisch." Letztlich liefere der Abend "so zwar immer mal wieder unterhaltsame Slapstick-Momente", aber es fehle ihm "an Fokus und Dringlichkeit".

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