Penisgangs und Würstchenbuden

12. Mai 2023. Wie sehen Amazonen heute aus? Mateja Meded und Thomas Köck geben darauf in ihrer neuen Arbeit eine überraschende Antwort: Geschult an den Kardashians, betreiben die Matriachinnen einen schwunghaften Online-Handel mit Nachhaltigkeitsbewusstsein. Ist das tatsächlich der Ausweg aus der kapitalistischen Grusel-Revue?  

Von Andreas Klaeui

"keeping up with the penthesileas" © Philip Froweinvon Mateja Meded und Thomas Köck am Theater Neumarkt Zürich

12. Mai 2023. Die Damen tragen Lack-Harness und weit ausgeschnittene Bademantelroben, dazu auch mal einen skythischen Papp-Helm oder Pfeil und Bogen. Die Bühne zieht sich von einem wüstenroten Horizont der Zerstörung, der ganz im Hintergrund durch die Panoramafenster eines neureichen Livingrooms grad noch knapp zu erkennen ist, über eine kurze Showtreppe zu einem Glitter-, Glanz- und Glamour-Geviert, das je nach Bedarf als Laufsteg oder als Wrestlingmatte dient.

Wie könnten Amazonen heute aussehen, wo lassen sie sich verorten? Es ist ja immer die Lieblingsfrage im Theater. Die matriarchalen, hosentragenden, tätowierten antiken Männerschrecke – 2023? Auf den konsumistisch glattgeschminkten Selbstvermarktungs-Clan der Familie Kardashian würde man da wohl nicht auf Anhieb kommen. Aber warum nicht? Vielleicht finden die heutigen – echten und falschen – feministischen Selbstermächtigungskämpfe ja doch in den Social-Media-Kanälen statt. Womöglich sind Likes sowas wie das Rosenfest 2.0.

Digitalmarktplatz Amazon

Eine "quasimythologische Remythifizierung" nennen Mateja Meded und Thomas Köck ihre gemeinschaftlich entstandene "Penthesilea"-Überschreibung, und wenn die antik-mythologischen Amazonen männlichen Nachwuchs einst dem Kompost überantwortet haben sollen, lassen die modernen Kardashians heute abgetriebene Embryonen zu Gesichtspflege verarbeiten, "das ist unsere Form von Nachhaltigkeit", beteuern sie. Selbstverständlich auch auf dem digitalen Marktplatz Amazon zu erwerben.

keeping up with pentesileas2 Philip Frowein uMatriarachale Onlinehändlerinnen mit Nachhaltigkeitsbewussstein: Die Neumarkt-Akteur:innen in Mededs und Köcks "Penthesilea"-Überschreibung © Philip Frowein

Die Kardashians als matriarchale Onlinehändlerinnen, ein digitaler Stamm von Frauen, angeführt von der Tigermutter-"Momager", die die Funktionen von Stammmutter und eben nicht Manager in sich vereint, wobei Männer zur Quantité négligeable verkommen – das ist die Behauptung dieser mythologisierenden Setzung, die zu vielerlei sehr unterhaltsamen und durchaus entlarvenden Analogien Hand bietet. Es geht dabei querbeet durch die Geschichte der Frauenbewegungen und des Kapitalismus. Zum Mythos der antiken Kriegerinnen gesellt sich der Mythos der Suffragetten, zum "self made" American Dream der Traum von der weißen Mittelklasse, die Mühle der leider sich stets noch bewahrheitenden Stereotypen dreht sich flott, "am ende sind es doch immer noch die penisgangs und würstchenbuden, die diese welt unter sich aufteilen".

Mit dem Privatjet zum Bäumepflanzen

Echte und Fake-Female-Power, Blackfishing, Green-, Pink-, Femwashing, Antikapitalismus als Marke, soziales und ökologisches Bewusstsein als Produktebooster, mit dem Privatjet zum Apfelbäumchen-Pflanzen in der Arktis – der digitale und analoge Kampf im "Kaputtalismus" und "Caffelattikalismus", wie es bei Meded/Köck schön heißt, die Schlacht um Privilegien, Zugang, Macht, deren Kehrseite Ohnmacht und Fake für andere sind: Das ist alles nicht neu, gewiss (was die Sache nicht besser macht), gleichwohl muss es immer mal wieder gesagt sein, und wenn es mit so viel empowernder Energie geschieht wie hier, so kunstvoll geschrieben auch, so musikalisch und mit Verve performt, dann könnte man doch glatt, beschwingt aus dem Theater kommend, auf die Idee verfallen, dass sich an den Verhältnissen noch was ändern lässt.

keeping up with pentesileas3 Philip Frowein uQuerbeet durch die Geschichte der Frauenbewegungen und des Kapitalismus: Die Spieler:innen auf Martin Miotks Bühne © Philip Frowein

"Smells like Lenin in here”, sagt mal eine Figur, die Spielführerin namens Wendy Goddess – "Actually, it's Chanel”, stellt die Momager klar. Ihr fallen insgesamt die coolsten Wortmeldungen zu, die definitiven Killerphrasen, auch wenn sie Jesus zitiert: "Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Schein." Mededs und Köcks Dramaturgie ist subversiv, sie unterwandern die Privilegien, mithin ihre eigene privilegierte Situation, mit Parodie, die Methode ist von ferne vergleichbar mit dem Voguing, dessen Codes an diesem Abend ebenfalls gern zitiert werden. Natürlich ist das auch ein Fest für die Kostüm- und Maskenbildnerei am Neumarkt, die mal so richtig aus dem glamourösen Vollen schöpfen kann.

Kapitalistische Grusel-Revue

Am Ende finden Meded und Köck Raum für eine Hommage an all die vergessenen und unbekannten Heldinnen, die marginalisierten Mythen, die in einer von weißen cis-Heteromännern bestimmten Algorithmenwelt untergehen, nach den Geboten des Silicon Valley, von den "white dudes die die geschichten der minderheiten again and again and again kolonialisieren".

Antiope, die zuerst von Zeus und dann von einem Hollywoodschauspieler missbraucht wurde. Prothoe, die in Delphi nicht mit dem Produzenten ins Nebenzimmer geht und nun keine Rollen mehr bekommt. Das Matriarchat, das es vielleicht gar nicht geben kann. Diese Gedenk-Liste wird zum innerlichsten Moment kapitalistischen Grusel-Revue, ein nachdenkliches Innehalten im wütenden Sturm, aus dem die versprochene Remythifizierung wohl ihren Ausgang nehmen kann.

 

keeping up with the penthesileas
von Mateja Meded und Thomas Köck
Regie: Thomas Köck, Mateja Meded, Bühne und Kostüme: Martin Miotk, Dramaturgie: Hayat Erdoğan.
Mit: David Attenberger, Yara Bou Nassar, Challenge Gumbodete, Mateja Meded, Melina Pyschny, Shabnam Chamani, Sascha Özlem Soydan.
Premiere am 11. Mai 2023
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

theaterneumarkt.ch

 Kritikenrundschau

"Keeping Up With the Penthesileas" sei "so lustig wie grimmig, ist Pop und Kleist, ist Rap und Monolog, ist eine grandiose Show der Uneigentlichkeit, die einigermaßen fassungslos macht", schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (16.5.2023). Aus dem deutsch-englischen Motiv-Sturm entstehe die Anleitung zu einer Entrüstung, die natürlich viel mehr meine als die Kardashians, die auf den Was-schert's-mich-Egoismus einer Gesellschaft im Allgemeinen zielt. "Und dabei auch noch popbunte Laune macht."

Der Text, der kunstvoll zwischen Deutsch und Englisch wechsele, habe ein klares Anliegen, so Dagmar Walser im SRF (15.5.2023): "Er fragt nach einem Ausweg aus dem neoliberalen Kapitalismus, der sich alle Emanzipationsversuche subito einverleibt hat." Der Abend sei "vielleicht etwas zu durchgängig auf demselben Ton, schnell, laut, pompös, aber er macht auch Spaß, gerade in dieser überbordenden Energie".

"Fulminant" findet Daniela Janser von der Wochenzeitung (25.5.2023) den Abend, der die Kritikerin zu fordern und bisweilen auch zu überfordern scheint. "Kaum meint man, einen Gedanken gefasst zu haben, entgleitet er einem auch schon wieder."

 

 

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