Waterworks / Please Stand - Zürcher Theater Spektakel
Bedenke, Mensch, dass du Wasser bist
19. August 2022. Das Zürcher Theater Spektakel startet im langersehnten, aber falsch terminierten Regen. Und macht das Wasser gleich mehrfach zum Thema. Zum Auftakt gibt es Arbeiten von Meg Stuart sowie Samara Hersch & Lara Thoms.
Von Valeria Heintges
19. August 2022. Europa leidet unter der Dürre. Auch der Rasen auf der Landiwiese in Zürich ist mehr braun als grün. Aber wie das so ist: Wenn der Regen dann kommt, dann kommt er zur falschen Zeit. Die Holzhäuser, die Bänke der Restaurants, der Platz für das Zentrale Straßentheater, die Wegränder, an denen sonst die Kleinkünstler:innen, Bändchenflechter:innen und Hennamaler:innen sitzen – alles versinkt zur Eröffnung des Theater Spektakels im Regen. Unschön, eigentlich. Und doch …
Wie passend, dass gleich mehrere Produktionen dieses Jahr um das Thema Wasser kreisen. Sylke Huysmans und Hannes Dereere und ihre Kompagnie Campo aus Belgien inszenieren mit "Out of the Blue" ein Werk über Deep Sea Mining und Rohstoffhandel. Die litauische Künstlerin Lina Lapelyte lässt für "What happens with a dead fish (Lake Zurich edition)" ihre Sänger:innen und sich selbst im Zürichsee floaten und über das Werden und Vergehen des Lebens, der Lebensmittel und der Natur singen. Und "The Children of Amazi (Kinder des Wassers)" mit Künstler:innen aus Burundi, der Demokratischen Republik Kongo, Ruanda, Kenia und Belgien spielt in einer Zukunft, in der die großen afrikanischen Seen ausgetrocknet sind.
Über den Tanz hinaus
Zuallererst aber hat sich die amerikanische Choreografin Meg Stuart, die in Berlin und Brüssel lebt, mit der neuen Zürcher Kompagnie The Field zusammengetan. The Field hat sich auf die Fahnen geschrieben, "Interventionen und Bühnenstücke" zu schaffen, "die weit über das hinausgehen, was wir gemeinhin unter Tanz verstehen". Die Arbeit "Waterworks" erfüllt diesen Anspruch voll und ganz. Gespielt wird auf und vor der Saffa-Insel, die der Landiwiese vorgelagert ist, in früheren Jahren die Seebühne beherbergte und ihren Namen von der Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit (Saffa) bekam, die hier 1958 stattfand. Das Publikum sitzt auf zwei großen Pontons, die zangenförmig vor dem Festland im Wasser schwimmen und eine kleine Hafenbucht bilden. Darin agieren die sieben Tänzer:innen, großteils im Wasser, geschützt und gewärmt von schwarzen, leicht glitzernden Neoprenanzügen.
Sie bewegen sich langsam, meist unendlich langsam, versinken im Wasser, kippen um, kopfüber, treiben. Erschrocken denkt man an Wasserleichen; weil Pierre Piton ein Tarnhemd-T-Shirt trägt auch an sterbende Soldaten in Seen, Meeren, Flüssen. Sie werden hektischer, schlagen mit Armen, Beinen um sich oder lassen mit langen Haaren die Tropfen fliegen. Das spritzt, das gluckert und blubbert; das Wasser spielt eine eigene Klangspur. Plötzlich schwimmen sie auf uns zu, kriechen auf Land, wie Tiere im Zoobecken, machen uns zu Voyeur:innen und Gefängniswärter:innen. Die über die großen Steine mühsam an Land geklettert sind, stellen sich ungelenk an, knicken weg in den Knien. Wasserwesen, die zu Landwesen werden, ein mühsamer Prozess.
Es gluckert und blubbert
"Waterworks" lässt sich lesen als Geschichte des Homo sapiens: Bedenke, Mensch, dass du Wasser bist und wieder zum Wasser zurückkehrst. Am Ende werden sie ihm entsagt haben, in bunten Badehosen auf Strandtüchern unter Sonnenschirmen liegen und die Neige aus ihren Kühlboxen ins Wasser kippen, das daraufhin heftig zu brodeln und zu dampfen beginnt. Das Wasser als Müllhalde, vergiftet, verseucht. Dazwischen bewegen sie sich wie amorphe Kreaturen, eingehüllt in bunte Tücher. Oder steigen stolz und herrschaftlich in König:innenkleidern in Boote, mit denen sie sich den Blicken entziehen.
Dazu wabert der Soundtrack von Mieko Suzuki, auch hier gluckert und blubbert es und wabert, blinkt und piept auch mal wie in Klaus Doldingers "Das Boot"-Musik, bleibt aber meist unbestimmt und unmelodiös. All das lässt Raum für Assoziationen, die sich meist verlässlich einstellen, erfreuen, erschrecken, faszinieren. Zuweilen finden sie auch keinen Halt, dann zieht sich vor allem gegen Ende die Sache in die Länge. Ach, übrigens: Das Publikum sitzt an diesem Abend im Regen. Taschen und Koffer sicher verwahrt in Containern, man selbst geschützt mit Pelerinen (wie sinnvoll das Regenschirmverbot!), ist eins mit dem Wasser und der Kühle, die vom See heraufzieht, wenigstens an diesem Tag, wenigstens an diesem Abend. Das bisschen Wasser, das im rekordtiefen See noch ist, erfüllt getreulich auch diesen Zweck.
Welchen Zweck aber hat eigentlich eine Nationalhymne, fragen die Australierinnen Samara Hersch und Lara Thoms in ihrer Eröffnungsarbeit "Please stand". Auf der Bühne stehen drei Jugendliche, eine vierte ist per Video zugeschaltet – mit ihrem Pass ist es der gebürtigen Iranerin nicht erlaubt, ihre Wahlheimat Australien zu verlassen. Die vier verhandeln im Schnellstdurchlauf eine Nationalhymne nach der anderen, mit all den darin enthaltenen Preisungen der Berge, der Götter, der Väter (85 Hymnen), der Mütter (4 Hymnen), des Todes fürs Vaterland und was der gruseligen Themen mehr sind. Es gibt sogar, gleich zu Beginn, eine Hymne an den Mars – auch dafür ließ sich jemand finden, der gerne dichtet. Doch kommen manche Nationaldichter eher zufällig zur Ehre, das Lied der Lieder geschrieben oder komponiert zu haben, wie der Schnelldurchlauf beweist.
Jung und frei
Jede Hymne bekommt ihr Emblem, das auf ein Kissen platziert und gefilmt wird. Der Text läuft auf einem Laufband ab, unverständlicherweise nicht übersetzt, was den Genuss erheblich mindert. Es geht jeweils weniger um die Hymne an sich (die deutsche wird gleich ganz ausgeklammert, wohl weil einfach zu komplizierte Kiste), sondern darum, dass jede Hymne zwar für sich reklamiert, für das ganze Land und alle Menschen zu stehen, dieses Versprechen aber in den allerwenigsten Fällen einlöst. Der Anlass für den Abend: Die australische Schülerin Harper Neilson weigerte sich, für ihre Hymne aufzustehen. In deren Text heißt es, alle seien "young and free", aber das sei nicht der Fall. Daraus entwickelte sich eine solch große Debatte, dass die Zeile mittlerweile in "one and free" geändert wurde, um nicht einen Vorrang der jungen, weißen Kultur gegen die der indigenen Völker zu behaupten. Der Anlass findet sich nur im Programmheft, womit die Inszenierung, die sich an ein Publikum ab zwölf Jahren richtet, erneut unter ihren Möglichkeiten bleibt. Und damit auch die Schwierigkeit von Arbeiten zeigt, die in anderen Ländern entstehen, aber in Gastspielländern zusätzlicher Erklärungen bedürfen.
Auch deshalb, vor allem aber im Versuch, nachhaltiger zu produzieren, wurden dieses Jahr viele Arbeiten in Zusammenarbeit mit lokalen Künstlern produziert. Neben "Waterworks" trifft das auch auf Lapelytes "What happens with a dead fish" zu, das die Litauerin in der "Lake Zurich edition" mit dem Seefelder Kammerchor umsetzt, und auf die Arbeit der chilenischen Aktivistinnen Lastesis: Sie bieten in Zürich einen Workshop an, der in eine Performance münden wird. Und auf Ragnar Kjartanssons "Schmerz": Der isländische Künstler wird auf der Saffa-Insel in einem von ihm entworfenen Holzhaus eine Musiktheaterszene im Loop zeigen. Benny Claessens "white flag", für das er mit lokalen Schauspieler:innen und Schmaz – dem schwulen Männerchor Zürich – zusammenarbeitet, ist eine Koproduktion mit dem Theater Neumarkt und wird auch dort präsentiert und nicht, wie angekündigt, in einem Parkhaus. Auch das ist ein Vorteil: Wer vor Ort arbeitet, kann sich die Arbeit als Work in Progress gestalten und gegebenenfalls veränderten Umständen anpassen.
Als "Versuche, andere Arbeitsweisen auszuprobieren" hatte Festivalleiter Mathias von Hartz diese Zusammenarbeit in einem Interview mit dem Online-Kulturmagazin Frida bezeichnet, aber gleich auch festgestellt, dass die Künstler:innen mit den lokal verankerten Arbeiten weniger touren und also auch verdienen können. Eine zweischneidige Sache also. Wie der Regen, der fällt, endlich. Aber irgendwie doch zur falschen Zeit.
Please Stand / Waterworks
Please Stand
von Samara Hersch und Lara Thoms
Produktion: Samara Hersch & Lara Thoms, Koproduktion: Zürcher Theater Spektakel, Darebin Arts Speakeasy (Melbourne), Komposition: Aviva Endean, Dramaturgische & choreografische Beratung: Amrita Hepi, Lichtdesign: Jenny Hector, Technik: Emily O’Brien, Inspizienz: Stefan Grudza, Produktionsleitung: Freya Waterson.
Mit: Isaac Muller, Isha Menon, Lauren Sheree, Negar Rezvani
Dauer: 1 Stunde (keine Pause)
Waterworks
von Meg Stuart & The Field
Produktion: The Field, Koproduktion: Zürcher Theater Spektakel und Tanzhaus Zürich in Zusammenarbeit mit Damaged Goods (Brüssel), Choreografie & Regie: Meg Stuart, Dramaturgie: Bart Van den Eynde, Livemusik: Mieko Suzuki, Szenografie: Elodie Dauguet, Vivarium Studio, Lichtdesign: Nico de Rooij, Elodie Dauguet, Kostümdesign: Jean-Paul Lespagnard, Choreografieassistenz: Ana Rocha, Davis Freeman, Projektleitung «Waterworks»: Kathrin Veser, Produktionsassistenz: Kizzy Garcia Vale, Unterstützung Kostümdesign: Selina Tholl, Klaire-Alice Cretoll, Lee Fischer, Praktikum: Sofía Werder, Produktionsleitung & künstlerische Mitarbeit The Field: Marisa Godoy, Romain Guion, Produktionsleitung & künstlerische Mitarbeit Tanzhaus Zürich: Marc Streit, Technische Unterstützung: David Baumgartner.
Von und mit: Kristof Van Boven, Isabela Fernandes Santana, Lucia Gugerli, Pierre Piton, Maria Scaroni, Declan Whitaker, Mirjam Jamuna Zweifel
Dauer: 1 Stunde, 10 Minuten (keine Pause)
www.theaterspektakel.ch
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