Das Schiff der Träume - Jan Gehlers inszeniert Fellini mit vielen Analogien am Staatsschauspiel Dresden
Setzkasten auf hoher See
von Lukas Pohlmann
Dresden, 19. März 2016. Die Exzentriker tanzen am Rand des Vulkans: Im Dresdner Staatsschauspiel steht "Das Schiff der Träume (E la nave va)" auf dem Programm – nach dem Film von Federico Fellini, in dem eine überkandidelte Trauergemeinde am Vorabend des ersten Weltkriegs serbische Flüchtlinge an Bord nimmt und schlussendlich von einem Kriegsschiff versenkt wird. Hausregisseur Jan Gehler begibt sich ins Bällebad der großen Analogien. Denn wie das Programmheft und Fellinis Film versprechen: Der Luxusdampfer "Gloria N." wird nie wieder einen Hafen ansteuern. Und das ist doch großartig, die dem Untergang Geweihten feiern schließlich besonders ausgelassen.
So treffen sich vor dem Eisernen Vorhang wie vor dem riesigen Schiffsrumpf die Damen und Herren der Upper Class, um gemeinsam mit der Urne der größten Operndiva aller Zeiten, Edmea Tetua, auf große Fahrt zu gehen. Sie wollen ihr das letzte Geleit geben und ihre Asche wunschgemäß ins Meer streuen. Doch eigentlich sind sie nur zum Ausleben ihrer Egos fähig. Was der Posse, die folgt, nur zuträglich ist.
Erotische Ausflüge
Als sich der Eiserne hebt, wird der Blick frei auf das setzkastenähnliche Innere des Schiffs. Zwischen niedrigem Unterdeck, Salon und Oberdeck lässt sich gut irren und verstecken, einander verfolgen und verfehlen – und das Ensemble lässt sich nicht lumpen. André Kaczmarczyk sucht als herrliche Diven-Persiflage Ildebranda im schwarzen Kleid nach dem Geheimnis von Edmeas Stimme und verzehrt sich als deren größter Verehrer nach der Verstorbenen. Opernintendant Dongby (Thomas Eisen) möchte die erotischen Ausflüge seiner aufreizenden Frau Lady Violet (Yohanna Schwertfeger) gern verurteilen, ist aber zu versessen darauf, jedes Detail ihrer Affären zu erfahren.
Kilian Land spürt als Stummfilmkomiker im Watschelgang zauberhaft den Gesten der großen Pantomimen nach. Gemeinsam mit den anderen gleichwertigen Mitgliedern des Ensembles bieten sie ein Panoptikum der Spielereien und Narrheiten. Wie Zügellose, die ihres Standes wegen keiner Norm folgen müssen und sich jeder Torheit hingeben können.
Dabei entstehen feine, skurrile Momente: Wenn der gerade einen Koch spielende Schauspieler Kilian Land dazu verdonnert wird, ein Huhn zu mimen und gerade noch dem Publikum versichert, ein ernsthafter Schauspieler zu sein, bevor er anfängt zu gackern. Oder wenn der Großherzog (Meik von Severen) als Kommentar zur internationalen Lage vom "Sitzen am Rand des Berges" fabuliert, um mit einem herzlichen "Bumm-Bumm" auf den Punkt zu kommen. Oder wenn jenes "Bumm-Bumm" auf der Probe für ein Requiem zum neuen Text der Europahymne wird. Szenen, in denen alle Beteiligten im Laufe des Abends ihr Können zeigen.
Singend in den Untergang
Überhaupt wird auf diesem Schiff der Träume sehr viel und sehr gut gesungen (so dass es selbst, wenn es nicht zu passen scheint, schon wieder passt) und Musik aus Klavier und Synthesizer ist auch immer da. Wobei es der live-musizierende Sven Kaiser zeitweise derart hollywoodmäßig mit Hintergrundmelodien übertreibt, dass es einem fast zu den Ohren rauskommt.
Schlusschoral der Bordbesatzung: "Kyrie Eleison"
Doch dieser Teppich scheint ganz bewusst gewoben. Denn auch die Privilegierten sind bald entlarvt. Man hat verstanden, dass von ihnen weder die Rettung des Schiffs noch der Welt zu erwarten ist – doch paradoxerweise schaut man ihnen immer weiter verzückt und staunend zu, wie sie ihre Sorglosen dem Untergang entgegen vorführen. Nichts und Niemand scheint sie in ihrem absurden Spiel aufzuhalten. Als Zuschauer freilich ahnt oder weiß man ja, da kommt noch was. Allein, es sind gerade einmal 90 Minuten Spieldauer angekündigt. Wann kommen sie denn nun, die Flüchtlinge? Die aktuellen Bezüge? Wann fällt die Realität ein? Der Regisseur wird doch diesen Abend nicht ohne deutliche Gegenwartsbezüge verstreichen lassen?
Schwimmwesten für alle
Schließlich kommt die Realität spät und ohne Knall wohltuend frei von Aktualisierungswut. Dann stehen elf Mädchen und Jungen im Grundschulalter in blauen Kleidchen und Hosen als serbische Flüchtlinge auf dem Unterdeck. Ganz still und leise. Und das ist schon gruselig-analogisch: Sie sind da, als hätte sie niemand kommen sehen, stellen keine Forderungen, klammern sich hilfesuchend an den Erstbesten und schaffen unter den Passagieren verunsicherte Überforderung.
Plötzlich sind sie zu hören, die Ressentiments der Bessergestellten. Aber nur kurz. Dann ist das gegnerische Kriegsschiff schussbereit. Die Kinder bekommen Schwimmwesten, die Trauernden dürfen noch die Asche verstreuen - zu Kyrie Eleison auf die Melodie der Ode an die Freude. Dann macht es Bumm-Bumm. So muss sich die feine Gesellschaft mit den Flüchtlingen nicht länger beschäftigen - ein Umstand, den sich zurzeit wohl viele wünschen. Die Passagiere der "Gloria N." singen lieber im Untergehen: E la nave va – Und das Schiff fährt weiter. Wer braucht schon Realität, sagt dieser starke Abend, um von der Wirklichkeit zu erzählen.
Das Schiff der Träume (E la nave va)
von Federico Fellini, aus dem Italienischen von Trude Fein, Renate Heimbucher-Bengs, Beatrice Schlag
Regie: Jan Gehler, Bühne: Sabrina Rox, Kostüme: Irène Favre de Lucascaz, Musik: Sven Kaiser, Licht: Jürgen Borsdorf, Dramaturgie: Beret Evensen.
Mit: Anna-Katharina Muck, Yohanna Schwertfeger, Lou Strenger, Thomas Eisen, André Kaczmarczyk, Sven Kaiser, Kilian Land, Jan Maak, Meik von Severen. Kinderkomparsen: Hilde Alice Behrens, Darnell Donat, Gloria Gruß, Mathilda Kaufhold, Konrad Neidhardt, Carlotta Panico, Ella Rox, Finn Seidel, Paul Terpe, Arthur Leo Weinhold, Mira Fanny Weinhold.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.staatsschauspiel-dresden.de
Mehr zum Schiff der Träume: Karin Beier inszenierte eine Variation des Stoffs im Dezember 2015 am Schauspielhaus Hamburg und wurde damit zum Theatertreffen 2016 eingeladen.
Einen "tief verstehenden Blick auf die kleinen Eitelkeiten und großen Irrungen des Menschengeschlechts" biete Jan Gehler, schreibt Tomas Petzold in den Dresdner Neuesten Nachrichten (21.3.2016) und lobt die "bildmächtige, musikalisch eindrucksvolle, dabei fast rührend minimalistische Fassung", die ablaufe "wie auf einem altersschwachen Projektor". Hier werde mit "subtiler Komik in einem fantasievoll historisierenden Rahmen inszeniert".
Einen "bildstarken Reigen" hat auch Rafael Barth für die Sächsische Zeitung (21.3.2016) erlebt. Mit dem Auftritt der Kinder in der Rolle der serbischen Flüchtlinge aber "demontiert" sich die "passable, teils gute Inszenierung" selbst, so der Kritiker. Man stehe als Zuschauer zwangsläufig auf der Seite der Kinder. "Jeder Einwand der Schiffsreisenden, von Flüchtlingen könne auch Gefahr ausgehen, wird damit per se ins Lächerliche gezogen. Es war ein gut gemeinter Kommentar zur aktuellen Lage in Deutschland, aber leider endet er in Gesinnungskitsch."
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Video: http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=57861
Ein metaphorischer Schachzug gelang dem Regisseur Gehler: Das sich an Bord begebende Unheil der Flüchtlinge, was abrupt die abstrakte Traumwelt der Reisenden unterbricht, zeigt sich in Gestalt von Kindern. Deutlich wird der Bezug zum aktuellen Geschehen in der Flüchtlingspolitik. Die dadurch dargestellte Unmündigkeit von Flüchtlingen, deren Leben von den Regierungen der Industriestaaten und Großmächte bestimmt, bevormundet und entschieden wird, könnte durch diese inszenierten Kunstgriff nicht besser dargestellt werden. Behandelt die Politik die Flüchtlinge denn nicht genau so? Dabei sind es Erwachsene, die für ihr Leben und ihre Familien sorgen wollen, weil es in ihrer Heimat nicht mehr möglich ist. Doch lässt die Politik dies heute wie damals nicht zu. Diese Metapher der Kinder reduziert damit die Problematik auf das um was es gehen sollte. Nicht Einreiseziffern, nicht Politiksituationen, sondern das Recht auf freie Entscheidungen für jeden - sollte Ausgang für Flüchtlingspolitik sein.
Traurig und demontiert endet die Inszenierung in der Realität, ohne Träume, ohne Bühnenbild – wo einst ein Schiff der Träume hat sich die Menschlichkeit selbst abgeschafft.
Ein Theaterbesuch lohnt sich – ein Stück, was ohne nackte Provokationen, wildem Rumgeschreie und übertrieben gewalttätigen Bildern daherkommt – und dennoch anrührt und nachdenklich stimmt. Aber wie immer bei solchen Stücken werden die falschen Menschen es ansehen und es gut finden.