Ja, eh! - In ihrem ersten Theaterabend erzählt uns Stefanie Sargnagel mit Support Voodoo Jürgens von "Beisl, Bier und Bachmannpreis"
Skandalnudel al dente
von Theresa Luise Gindlstrasser
Wien, 19. April 2017. "Mir fehlt der Wandverbau in meinem seelischen Wohnzimmer." Und Wandverbau heißt Lebenshilfebücher und heißt Normalität. Stefanie Sargnagels Erzähl-Ich erlebt sich einerseits als Defizit. Nicht zielstrebig, nicht fit, nicht kommunikativ genug. Behauptet andererseits das Defizit als Plus. Von Beisl zu Tschocherl zu Milieuerfahrung, saufend den Tag verschleißen. Produktivität erstens und Unproduktivität zweitens werden drittens in einer selbstreflexiven Geste verschlungen: "Als Künstler nennt man es ja Research." Und allmählich verfertigt sich im Text der Text für die Lesung beim Bachmann-Preis, der der Text selber ist. Sargnagel erhielt 2016 für "Penne vom Kika" den Publikumspreis der 40. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. Im Juli erscheint ihr neues Buch "Statusmeldungen" bei Rowohlt.
Für ihren ersten Theaterabend war seitens des Wiener Theater Rabenhofs jedoch anderes angekündigt worden. "Inklusive den schönsten Kronen Zeitung-Hasspostings und den sexiesten Thomas Glavinic-Nacktfotos", hieß es da. Es hätte ein kontroverser Abend werden können. Sargnagel, hyperaktive Facebook-Literatin und prominentes Mitglied der Burschenschaft Hysteria, wurde kürzlich seitens Kronen-Zeitung vorgeworfen Steuergeld zu verschwenden. Es folgten Hass-Postings en masse einerseits und Vergleiche mit Thomas Bernhard andererseits. Verweise auf diese Ereignisse fehlen dem Abend komplett. Die Produktion "Ja, eh! Beisl, Bier und Bachmannpreis" präsentiert "Penne vom Kika" in einer gekürzten und mit anderen Texten angereicherten Version.
Die Bühnenfassung von Regisseurin Christina Tscharyiski und Dramaturg Fabian Pfleger macht aus dem einen, intensiv auf sich selbst bezogenen, Erzähl-Ich drei, auch mal uneins seiende, Erzähl-Stimmen. Miriam Fussenegger, Saskia Klar und Lena Kalisch brettern durch "Fäkalrealismus und liebevolle Bosheit", wie Sargnagel ihren "Wiener Stil" beschreibt. Manch eine Passage ist in Dialekt geschrieben, inhaltlich wird’s dreckig und morbid. Weil was ist es was die "Exil-Wiener" in Berlin an Wien vermissen? Genau, "den Grind". Dieser Tonfall eröffnet den Abend als Freundschaftsspiel des Austropop. Die Texte von Sargnagel harmonieren auf einer "Ach, Wien!"-Ebene mit den inhaltlich nicht unbedingt darauf abgestimmten Musik-Einlagen von Voodoo Jürgens, up-and-coming Wiener-Lieder-Macher und seit Premierentag Preisträger des Amadeus Austrian Music Awards in der Genre-Kategorie "Alternativ".
Aufgeräumt und praktikabel
Näselnd und nachlässig, so klingts wenn Sargnagel ihre eigenen Texte liest. Fussenegger, Klar und Kalisch setzen als motivierter Chor an und sacken wahlweise ins Selbstmitleidige oder ins Gelangweilte ab. Oder schrauben sich ins Artifizielle hinauf, etwa wenn Mercedes, eine Bekannte des Erzähl-Ichs, ihr liebeskümmerliches Lied singt. Einzelne Figuren, Begegnungen aber auch Stimmungen und literaturtheoretische Überlegungen scheiden sich durch solche Temperaturveränderungen scharf voneinander. Das tut der Spannung gut. Wenige Bühnenhandlungen unterstreichen die Erzählung. Ein bißchen Zähneputzen, viel Tanzen, manchmal Wühlen in Partyzubehör und einmal wird Bier ausgeschüttet. Die drei Schauspielerinnen tragen zerschlissene Pyjamas und strubbelige Perücken, der bühnenbedeckende Einbauschrank hat viele Türen und hinter jeder Türe Alkohol. Das "seelische Wohnzimmer" von Sargnagel klingt durch die Mikrophone der Sprechenden eigentümlich aufgeräumt und praktikabel.
Ganz im Gegensatz zu den musikalischen Intermezzi von Voodoo Jürgens und Band. Nix ist da mit aufgeräumt und praktikabel. Mit der Frage nach einem funktionierenden Leben halten sich diese Texte gar nicht erst auf. Gesungen und mit Hingabe über Töne hinweg gekrächzt wird von "Wien bei Nacht", vom Ohrfeigen verteilenden Vater und einem "kugelrunden Russen", der ein "Gschichtl druckt". Die Abwesenheit eines kommentierendes Ichs schärft den Sinn fürs Milieugefühl. Voodoo Jürgens selber tänzelt mit delirierend geschlossenen Augen, die Handgelenke in selbstvergessene Choreographien werfend. Ach Wien! Bist du dreckig und schön.
Ja, eh! Beisl, Bier und Bachmannpreis
mit Texten von Stefanie Sargnagel montiert von Christina Tscharyiski und Fabian Pfleger
Regie: Christina Tscharyiski, Bühne: Sarah Sassen, Kostüme: Catia Palminha, Dramaturgie: Fabian Pfleger.
Mit: Miriam Fussenegger, Saskia Klar, Lena Kalisch.
Musik: Voodoo Jürgens und Band (Martin Dvoran, Matthias Frey, David Schweighart).
Dauer: inklusive Zugabe circa 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
www.rabenhoftheater.com
Stefanie Sargnagel ist auch Mitglied der Burschenschaft Hysteria, die mit Aktionen zwischen Kunst und Aktivismus Gedankengut und Rituale reaktionärer Parteien und Männerbünde bloßstellt. Hier ein Porträt des feministischen Bündnisses von Theresa Luise Gindlstrasser.
Kritikenrundschau
Barbara Petsch schreibt auf DiePresse.com (20.04.2017): Die Aufführung sei "unbedingt sehenswert, auch für Leute, die sich leicht grausen". "Dialektkultur à la André Heller, Werner Schwab oder Elfriede Jelinek" werde "revitalisiert" - und eine "neue Kunstsprache aus den Tiefen der Gosse gewonnen". Die Schauspielerinnen brächten einen "tollen Drive in die Texte". Jürgens Songs seien um "einiges künstlicher als Sargnagels bittersüße Monologe".
Eva Biringer schreibt auf welt.de (20.4.2017): Auf der "Verweigerung des gesellschaftlichen Leistungsprinzips" fuße das Stück. Die Schauspielerinnen spielten in Christina Tscharyiskis "herrlich lallender Bühnenfassung" mit "hinreißend viel hingerotzter Power, irgendwo zwischen Pumuckl und Prekariatsprinzessin". Die Stimmung sei nicht weit vom "kollektiven Rauscherlebnis eines Beislabends" entfernt. Der Abend stille die in Sargnagels Textvorlage angelegte "Sehnsucht nach Zugehörigkeit". Das Problem der um die 30-Jährigen sei ja "weniger Faul- als Verlorenheit". "Dass sich das Premierenpublikum durch so hemmungslosen Lokalkolorit seiner Identität versichert, ist auch deswegen so lustig, weil Heimatliebe das ist, was rechtsextreme Bewegungen wie die Identitären fordern. Was wiederum die feministische Burschenschaft Hysteria, zu deren Mitgliedern Sargnagel zählt, aufs Korn nimmt."
Auf derStandard.at schreibt Michael Wurmitzer (20.4.2017): Verglichen mit der Autorin, die kein Horváth sei, aber etwas könne, seien die Bühnenfiguren Karikaturen, "proletoid überzeichnet". Regisseurin Christina Tscharyiski nehme Sargnagels Texte zu wörtlich. Doch sei die "Änderung der Tonlage" ein "Missverständnis". Ohne "das Lakonische und Beiläufige" von Sargnagels Gehabe, ohne die daraus resultierende Diskrepanz der Figur zum Geschehen wirke das meiste wie "harmloser Klientelhumor".
In der Süddeutschen Zeitung schreibt Wolfgang Kralicek: "Ja, eh!" sei die "österreichische Universalantwort auf alle großen und kleinen Fragen des Lebens. So ist es halt, was soll man machen." Die drei Schauspielerinnen seien "erfrischend uneitel". Es gehe darum, zu testen, ob die "radikal persönlichen Texte auch ohne die Person funktionieren, die sie geschrieben hat". Sie funktionieren. Voodoo Jürgens sei "so etwas wie das männliche Pendant zu Sargnagel", seine Geschichten seien hart "wie das echte Leben", aber im Vorstadtstrizzi-Outfit des schmächtigen Mannes stecke ein "sympathischer, warmherziger Entertainer".
"Je öfter man 'Penne vom Kika' beziehungsweise 'Ja, eh' liest oder auf der Bühne vorgespielt bekommt, desto böser funkelt der Text und desto abgründiger wird das Lachen, das aus dem Keller des Gemeindebaus schallt, denn nichts und alles daran ist lustig, das hat der Text mit uns allen gemeinsam", schreibt Andrea Diener in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (7.5.2017). "Man muss nur den Nerv haben, sich das von einer wurschtigen Wienerin mit Hang zur Drastik erzählen zu lassen", das halte nicht jeder aus. "Im Rabenhof ist man sehr zufrieden, applaudiert lange und erzählt sich hinterher an der Garderobe die Lieblingsdetails", so Diener. "Viele davon sind leicht eklig, aber egal, man spült es mit Bier herunter und lässt sich durch den dritten Bezirk nach Hause wehen."
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